Im Juni 2011 erschien der Bericht einer »Weltkommission für Drogenpolitik« mit dem Titel »Krieg gegen die Drogen«. Er beginnt dramatisch mit der Feststellung:
Der weltweite Krieg gegen die Drogen ist gescheitert, mit verheerenden Folgen für die Menschen und Gesellschaften rund um den Globus.
und schlägt vor:
Der Kriminalisierung, Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen, die Drogen konsumieren, aber anderen keinen Schaden zufügen, ein Ende setzen. Die verbreiteten falschen Vorstellungen über Drogenmärkte, Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit in Frage stellen, statt sie zu bekräftigen.
Wer die Kommission eingesetzt hat, ist mir weder aus dem Bericht noch aus ihrer Webseite richtig klar geworden. Aber die Mitglieder sind so prominent, dass ihr Wort Gewicht hat. Irgendwann sind zu einem Thema mehr oder weniger alle Argumente ausgetauscht. Dann können nur noch soziale Bewegungen oder Autoritäten die Dinge im politischen Raum vorantreiben. Die Mitglieder der Kommission verfügen über so viel Autorität, dass die Dinge in Bewegung kommen könnten, nicht zuletzt, weil viele von ihnen aus dem konservativen Lager kommen, das den von Präsident Nixon vor 40 Jahren ausgerufenen War on Drugs als moralischen Kreuzzug versteht. Mitglieder der Kommission sind u. a. die früheren Präsidenten von Brasilien und Mexico, Fernando Henrique Cardoso und Ernesto Zedillo, aus der Ära Ronald Reagans der Außenminister George Shultz und der Chairman des Federal Reserve System Paul Volcker, der frühere Generalsekretär der UN, Kofi Annan, und der Schriftsteller Mario Vargas Llosa.
Anlass zu diesem Posting ist ein kurzer Artikel in der »Time« vom 2. April 2012 [1]Fareed Zakaria, Incarceration nation. The war on drugs succeded only in putting Millions of Americans in jail., der darauf aufmerksam macht, dass die extreme Zahl der verhängten und vollstreckten Haftstrafen in erster Linie auf Drogendelikte (und die dafür verhängten Mindeststrafen) zurückgeht. In den USA beträgt die Quote der Strafgefangenen 760 auf 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es 90. [2]Die World Prison Population List des King College London, International Centre for Prison Sudies, nennt etwas abweichende Zahlen, nämlich für die USA für 743 (2009) und für Deutschland 85 (2010). Inzwischen entwickelt die teilweise privatisierte Gefängnisindustrie in den USA insofern eine Eigendynamik, als sie zur Methode der Wirtschaftsförderung in unterentwickelten Landstrichen geworden ist. Vielleicht kommt aus dieser Ecke jetzt ein hartnäckigerer Widerstand gegen die Liberalisierung des Drogenkonsums als von der Front der Moralapostel. Diesen Punkt hat schon vor vielen Jahren Nils Christie in »Crime Control as Industry« (3. Aufl. 2000) aufgespießt.
Natürlich ist die Problematik der Masseninhaftierung in den USA längst zum Thema geworden. Aber darüber kann ich nicht kompetent berichten. Hier nur einige Literaturhinweise, die ich noch nicht alle ausgewertet habe:
Loïc Wacquant, Von der Sklaverei zur Masseneinkerkerung. Zur »Rassenfrage« in den Vereinigten Staaten, Das Argument Nr. 294 vom 20. 1. 2004, teilweise unter http://www.linksnet.de/de/artikel/18600.
Marie Gottschalk, The Prison and the Gallows: The Politics of Mass Incarceration in America, Cambridge University Press 2006 (Rez. von Joseph F. Spillane, Law & Society Review 41, 2007, 936-937);
Mary Bosworth, Explaining U. S. Imprisonment, Sage Publications, 2010;
Jonathan Simon, Governing Through Crime: How the War on Crime Transformed American Democracy and Created a Culture of Fear, Oxford Univ. Press, 2009;
Bernard E. Harcourt, On the American Paradox of Laissez Faire and Mass Incarceration; University of Chicago Institute for Law & Economics Olin Research Paper No. 590; U of Chicago, Public Law Working Paper No. 376 (2012), verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=2020659. Es handelt sich um die Ewiderung auf eine Rezension eines eigenen Buches, das an sich mit dem Thema nicht direkt etwas zu tun hat. Harcourt wendet sich u. a. gegen den Vorwurf der »Foucaultphilie«. Den Ausdruck kannte ich noch nicht.
Nachtrag Juni 2012:
Nachzutragen ist ein Hinweis auf Gary S. Becker/Kevin M. Murphy/Michael Grossman, The Economic Theory of Illegal Goods: The Case of Drugs, 2004 (NBER Working Paper 10976: http://www.nber.org/papers/w10976). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass eine Legalisierung weicher Drogen verbunden mit einer hohen Besteuerung wirksamer ist als die strafrechtliche Verfolgung, auch wenn es natürlich Versuche geben werde, die Steuer zu vermeiden. Langsam schwenken auch die Medien auf den Legalisierungskurs ein, so ein großer Artikel von Claudius Seidl und Harald Staun in der FamS vom 29. 4. 2012 (»Machen wir Frieden mit den Drogen«).
Anmerkungen
↑1 | Fareed Zakaria, Incarceration nation. The war on drugs succeded only in putting Millions of Americans in jail. |
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↑2 | Die World Prison Population List des King College London, International Centre for Prison Sudies, nennt etwas abweichende Zahlen, nämlich für die USA für 743 (2009) und für Deutschland 85 (2010). |