Drei Mal generisches Femininum

Die Anzeige[1] habe ich zunächst nur gelesen, weil ich mich immer noch ein bißchen als Kieler fühle. Aber dann hat mich die Kreativität der Nordstädter in der Praxis des sprachlichen Gendering gefangen genommen. Hier ist sie:

Persönlichkeit, Leitung, Planstelle – alle drei Benennungen für die angebotene Stelle sind weiblich. Um erst gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, das Bild einer Frau, die auf Sieg zeigt. Wenn ich Ingenieur im richtigen Alter wäre, ich würde mich bewerben. Immerhin steckt im Ingenieurbau doch ein bißchen Mann.

Die Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache in Universitäten und Medien, Behörden und Unternehmen ist in wissenschaftlicher Literatur, in Rechtsvorschriften und Leitfäden festgeschrieben und wird von einem Panoptikum aus Behörden, Beauftragten und Betroffenen überwacht. Das Bundesgleich­stellungsG bestimmt in § 4 III, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sowie im dienstlichen Schriftverkehr auch sprachlich zum Ausdruck gebracht werden soll. An dieser »Wahrheit« prallen alle Argumente ab. Darüber lässt sich nicht mehr diskutieren. Man kann sich nur noch positionieren. Ich nehme die Kieler Anzeige zum Anlass, meine Position zum sprachlichen Gendering mit einigen Stichworten explizit zu machen.

  • Jacob Grimm meinte, das genus habe sich historisch als Bezeichnungsform des sexus entwickelt. Damit stieß er schon bei Zeitgenossen auf Widerspruch. Aber darauf kommt es letztlich nicht an. Der Rhein ist nicht männlicher als die Donau. Niemand hält Mädchen oder Weiber für geschlechtslos.
  • Alle drei grammatischen Geschlechter werden generisch verwendet. Wenn von Personen oder Arbeitskräften die Rede ist, zweifelt niemand, dass auch Männer gemeint sind. Das Mitglied kann männlich oder weiblich sein.
  • Studien, die zeigen, dass das generische Maskulinum Frauen weniger sichtbar erscheinen lässt als Männer, reproduzieren nur den bisherigen Zustand der Gesellschaft. Tatsächlich waren Frauen in den Positionen, nach denen in diesen Studien gefragt wurde, bisher weniger repräsentiert als Männer. Bei medienaffinen Positionen wie z. B. Schauspieler oder Sportler versagt das generische Maskulinum immer schon. Diese Fehlerquellen kann auch die vielzitierte Studie von Stahlberg und Sczesny[2] nicht ausräumen.
  • Die Forderung nach einer durchgehenden Beidnennung der Geschlechter führt erst den Zustand herbei, den sie bekämpfen will, dass nämlich im Umkehrschluss Frauen als ausgeschlossen erscheinen, wo sie nicht ausdrücklich genannt werden.
  • Die Forderung wird nicht konsequent durchgehalten, denn sie gilt nur für positiv belegte Positionen. Die negativ belegten Rollen bleiben männlich.
  • Die Sprache selbst stürzt die Forderung nach geschlechtersensiblem Ausdruck in ein Dilemma, wenn die weiblichen Funktionsbezeichnungen mit Hilfe der Nachsilbe »in« von der männlichen Grundform abgeleitet werden. So erscheinen die Bürgerin, die Professorin oder die Ministerin letztlich doch als etwas Sekundäres.
  • Die Verdrängung des grammatischen Geschlechts zugunsten femininer Bezeichnungen befestigt –mit oder ohne Gendersternchen – die »heterosexuelle Matrix« und schafft damit neue Diskriminierungen für Personen, die sich einem dritten Geschlecht zurechnen.
  • Die Verwendung des Partizips für eine geschlechtsneutrale Benennung (»Studierende«) ist ein Missbrauch grammatischer Kategorien.
  • Der praktischen Umsetzung stehen nicht die Macht der Gewohnheit und sprachästhetische Gesichtspunkte (die ihrerseits wiederum durch Gewohnheit geprägt sind) entgegen. Ich will keine Sprache schreiben, die ich nicht sprechen kann und ich mag auch nicht hören, wie die »Innen« unter den Bürgern von Rednern verschluckt werden.
  • Das sprachliche Gendering bleibt in vielen Situationen eine Lachnummer und weckt unnötigen Widerstand.
  • Wo jemand seine Gesinnung zeigen will, hat es seine Opportunität.

Wo konkret Lebenschancen verteilt werden, etwa in Stellenanzeigen, ist das Gendering mit gutem Grund gesetzlich festgeschrieben. Bei der direkten Anrede ist die Nennung beider Geschlechter eine selbstverständliche Höflichkeit. Aber meine Ärztin würde sich wundern, wenn sie als Frau Doktorin angeredet würde. Die Professorin gehört aufs Türschild, aber nicht in die Anrede.

Die Wissenschaftssprache und mit ihr die Rechtssprache braucht auf das generische Maskulinum nicht zu verzichten. Im Gegenteil, sie sollte mit seiner Verwendung zum Vorreiter werden für das, was vermisst wird: »ein tatsächlich inkludierender Begriff«[3].

Nachtrag:  Die AG Gendersprache im Verein Deutsche Sprache e. V. sammelt Unterschriften für einen »Aufruf gegen den Gender Unfug«. Mir gefällt die Sprache dieses Aufrufs nicht, etwa wenn im Titel »Unfug« steht und wenn es im Text heißt, »die Gender-Lobby [werde] immer dreister«. Das ist allerdings noch längst nicht so schlimm wie ein Kommentar, den ich auf meinen Eintrag vom 3. März erhalten habe, in dem von »Sprachterrorismus« die Rede war (und den ich deshalb gelöscht habe). Trotzdem: Ich habe den Aufruf unterschrieben.

Nachtrag vom 5. März 2021: Das Beste aus juristischer Perspektive zum Thema hat bisher Philipp Kowalski geschrieben: Geschlechtergerechte Sprache im Spannungsfeld mit rechtswissenschaftlicher Methodik, NJW 2020, 229-2233. Im Gegensatz zu den Apostel*innen des sprachlichen Gendering argumentiert er dabei wirklich interdisziplinär.

Nachtrag vom 23. Juli2021: Einen Artikel von Peter Eisenberg der FAZ vom 9. 1. 2021 (Unter dem Muff von hundert Jahren), der darauf einging, dass nunmehr auch der Duden sprachliches Gendern unter Benutzung des Gendersterns vorschreibt, hatte ich auf Twitter kommentiert:

Vom Genderstern zum Dudenstern. Zugegeben: Ein schlechter Kalauer, aber besser als die Spaltung der Menschheit durch Gender-Kategorisierung.

Der Tweet zog eine Reihe missbilligender Kommentare auf sich. Ex post erhält der Tweet eine gewisse Rechtfertigung, wenn man aus einem weiteren Artikel des Sprachwissenschaftler Horst-Haider Munske (Zwangsbeglückung der Sprachgemeinschaft, FAZ vom 22. 7. 2021) erfährt, dass Juden und Jüdinnen empört sind, wenn ihnen per Gendering wieder ein Stern angeheftet wird.

 

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[1] Aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3. März 2019 S. 43.

[2] Dagmar Stahlberg/Sabine Sczesny, Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen, Psychologische Rundschau 52, 2001, 131-140.

[3] Michael Grünberger, Das »generische Maskulinum« vor Gericht, JZ 2018, 719-727.

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