Analogie als Prozess

Die Überlegung, was am Anfang einer Analogie stehen könnte, nämlich die »Matter in Question«, deutet darauf hin, dass die Folgerung am Ende das Ergebnis eines gedanklichen Prozesses sein muss, den man in seinen verschiedenen Stadien beschreiben kann.

Der gedankliche Prozess beginnt mit der Identifizierung eine Ausgangssituation, für die eine Erklärung gesucht, eine Frage zu beantworten oder ein Problem zu entscheiden ist. In juristischem Zusammenhang geht es stets darum, eine Norm zu finden, die eine Rechtsbehauptung stützen könnte. Brewer spricht von der analogy-warranting rule und liefert gleich eine Abkürzung mit (AWR).[1]

Im zweiten Schritt folgt die Suche nach Vergleichssituationen, die als Beispiel oder Vorbild dienen und damit zur Basis der Analogie werden können. In juristischem Zusammenhang geht es darum, einen bereits durch Gesetz oder Präjudiz geregelten ähnlichen Fall zu finden.

Im dritten Schritt wird ein Mapping der Ausgangssituation und der Vergleichssituation auf Ähnlichkeiten und Unterschiede angestellt. In juristischem Zusammenhang geht es darum, den Tatbestand der Vergleichssituation und den Tatbestand der Ausgangssituation zu vergleichen, also um einen Fallvergleich.

Im vierten Schritt werden die Merkmale oder Relationen identifiziert, die das Ausgangsproblem lösen könnten, wenn sie vom Vergleichsfall auf den Ausgangsfall übertragen würden. In juristischem Zusammenhang ist dieser Schritt schon mit dem ersten Schritt erledigt. Zu übertragen wäre die Rechtsfolge der Norm, die den Vergleichsfall regiert.

Im fünften Schritt wird nach Gründen gesucht, die für oder gegen die Übertragung sprechen. In juristischem Zusammenhang ist hier die wichtigste Arbeit zu leisten. Dabei wird man wiederholt auf den dritten Schritt zurückgeworfen, weil Ähnlichkeiten und Unterschiede in Abhängigkeit von den Gründen wahrgenommen werden.

Der sechste und letzte Schritt ist dann die Entscheidung für oder gegen den Analogieschluss.

Brozek fasst die ersten vier Schritte als Heuristik zusammen, den funften und sechsten als Abwägung.

Brewers Abhandlung ist weitgehend als Verteidigung der Analogie als eines selbständigen Arguments rezipiert worden. Dagegen macht Weinreb mit guten Gründen geltend, Brewer lege tatsächlich der Analogie nur als Heuristik einen Eigenwert bei. Alle weiteren Schritte, mit denen die durch die Analogie entdeckte Regel bestätigt oder verworfen werden, liefen auf eine Kombination von induktiven und deduktiven Argumenten hinaus.[2] Es lohnt sich indessen, noch einmal auf das heuristische Anfangsstadium zurückzukommen, das Brewer als Abduktion einordnet. Mit Peirce kann man davon ausgehen, dass die Auffindung von brauchbaren Erklärungen für neue Probleme am besten dem Wissenschaftler gelingt, der im Allgemeinen mit dem Problembereich vertraut ist. Analog gilt das auch für normative Analogien. Was am Anfang die Qualität der Abduktion bestimmt, könnte am Ende nach der Durchmusterung der konduktiven Argumente noch einmal für das abschließende Werturteil für oder gegen die Analogie wichtig werden. Die juristische Expertise überbrückt mit Hilfe der Analogie den dezisionistischen Rest der Entscheidung.


[1] Scott Brewer, Exemplary Reasoning: Semantics. Pragmatics, and the Rational Force of Legal Argument by Analogy, Harvard Law Review 109, 1996, 923-1028, S. 962.

[2] Lloyd L. Weinreb, Legal Reason. The Use of Analogy in Legal Argument, 2. Aufl., 2016, S. 109.

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