Hier ein kleiner Baustein für die Allgemeine Rechtslehre [1]Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008.: Früher war ein Konzept im Deutschen eigentlich nur der Entwurf (eines Textes). Heute redet man auch in wissenschaftlichen Texten (nach unserem Eindruck zunehmend) von Konzepten und Konzeptionen. Dabei wird nach unserem Sprachgefühl die »Konzeption« – gerade umgekehrt wie im Englischen – eher in weiterem Sinne verwendet.
In den USA unterscheidet man zwischen »concepts« und »conceptions«. Lawrence B. Solum erläutert die Unterscheidung in seinem Legal Theory Lexicon: »Concept« bezeichnet einen relativ allgemeinen Begriff. Das Musterbeispiel ist Gerechtigkeit. Aber man kann auch an Schuld, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Rechtswidrigkeit, Kausalität, Irrtum und viele andere Begriffe denken. »Conception« dagegen ist eine spezielle Theorie über den Inhalt des allgemeinen Begriffs, etwa die Interpretation von Gerechtigkeit als ausgleichende Gerechtigkeit oder als soziale Gerechtigkeit, oder Vorsatztheorie und Schuldtheorie für den Rechtsirrtum im Strafrecht. »Conceptions« sind (umstrittene) inhaltliche Ausfüllungen des allgemeineren Begriffs. Man kann also »concept« mit »Begriff« und »conception« mit »Theorie übersetzen.
Eine besondere Klasse bilden die essentially contested concepts, eine Begriffsschöfung von Walter B. Gallie [2]Walter B. Gallie, Essentially Contested Concepts, Proceedings of the Aristotelian Society 56, 1956, 167-198; ders., Philosophy and the Historical Understanding, 1968, 157-191.. Gemeint sind sehr allgemeine Begriffe mit normativem Gehalt, die ein Themenfeld abdecken, deren Inhalt aber notorisch umstritten ist. Beispiele sind Demokratie und Rechtsstaat, Gleichheit. Wir werden diese Begriffsbildung für die Einordnung des notorisch umstrittenen Rechtsbegriffs nutzen.
Nachtrag vom 15. 10. 2016: Ein »Handout zum Jugendhilfetag Frankfurt (Oder) 2010« zeigt ein anderes Verständnis der Begriffe, wie es in der (Sozial-) Politik gebräuchlich ist: Ein Konzept ist danach ein »theoretisch wie empirisch gut begründeter Handlungsplan«. Die Konzeption dagegen ist einerseits » ein fließender Prozess. Sie umfasst die gesamte konzeptionelle Arbeitsphase – im Gegensatz zur Organisations- oder zur Realisierungsphase.« Andererseits versteht man unter Konzeption die alles prägende Leitidee eines Plans. Beispielsweise bemängeln die Kommentatoren der einschlägigen Medien gern, dass in der Gesundheitsreform keinerlei Konzeption stecke.« [3]Als Quelle wird auf einen Blogeintrag auf Konzeptionerblog von 2006/2007 verwiesen. Den Eintrag finde ich nicht.
Anmerkungen
↑1 | Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008. |
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↑2 | Walter B. Gallie, Essentially Contested Concepts, Proceedings of the Aristotelian Society 56, 1956, 167-198; ders., Philosophy and the Historical Understanding, 1968, 157-191. |
↑3 | Als Quelle wird auf einen Blogeintrag auf Konzeptionerblog von 2006/2007 verwiesen. Den Eintrag finde ich nicht. |
One comment on “Begriffe, Konzepte, Konzeptionen und »essentially contested concepts«”
Das finde ich sehr begrüßenswert. Dworkin hat ja mit seiner Kategorie der interpretive concepts auf Gallies essentially contested concepts aufgebaut. Nicht nur der Rechtsbegriff, sondern alle zentralen normativen Begriffe (Demokratie, Freiheit, Gleichheit) sind Dworkin zufolge interpretative, also wertbezogene Begriffe, deren Bedeutung nicht nur in Randbereichen, sondern auch in Kernfragen umstritten ist und nicht durch Feststellung eines allgemeinen Sprachgebrauchs geklärt werden kann, sondern unausweichlich auf normative Argumente und Stellungnahmen verwiesen bleibt; vgl. dazu nur Dworkin, Gerechtigkeit für Igel, S. 212 ff., 268 ff., 676 ff.; Nicos Stavropoulos, Interpretivist Theories of Law, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (http://stanford.library.usyd.edu.au/archives/spr2012/entries/law-interpretivist/).