Auch in Zeiten elektronischer Vernetzung ist politischer Protest ist selten ganz spontan derart dass ein Eintrag auf Youtube, Facebook oder Twitter sich wie ein Virus verbreitet. Der Protest wird in der Regel von Parteien, Interessenorganisationen oder sozialen Bewegungen irgendwie gestartet und organisiert. Das ist völlig in Ordnung und legitim, denn anders hat politischer Protest praktisch keine Chance. Anders liegt es aber vielleicht doch, wenn ein Vielzweckorganisator auftritt, der bereit ist, mehr oder weniger jeden Protest, der sich gegen die institutionalisierte Politik richtet, zu organisieren. Eine solche Multi-Purpose-Protestagentur ist Campact. Alles, wogegen sich oppositionelle Kräfte mobilisieren lassen, kann Thema für eine Kampagne werden. 1.433.986 Emailadressen hat man nach eigenen Angaben gesammelt, und Hunderttausende davon sind immer wieder bereit, sich per Mail, Facebook oder Twitter anzuhängen, wenn es heißt: Stoppt die Politik! Stoppt TTPI! Fracking stoppen! Am 23. 6. Antikohlen-Kette in der Lausitz – stoppt den Klimakiller! Diskutiert und argumentiert wird nicht lange. Was nicht passt, wird mit einem Stopp-Schild versehen. Der Stopp-Imperativ impliziert, dass es sich um etwas Böses handeln muss. Das ganze Unternehmen heißt dann »Demokratie in Aktion«.
Was soll die Politik von solcher Polittechnologie halten? Die guten alten Unterschriftenlisten zeigten mindestens die ernste Betroffenheit der Unterzeichner, selbst wenn sie nicht durch Sorge für das Gemeinwohl, sondern bloß an Nimby interessiert waren. Anders, wer sich im Monatsrhythmus für unterschiedliche Kampagnen mobilisieren lässt. Protest wird damit zu einem expressiven Verhalten, zum Selbstzweck, weil er billig Frust abbaut oder gar Spaß macht. Da verlieren Flashmobs und Twitterstorms ihren Schrecken. Die Politik darf sie so schnell vergessen wie wir die Sommergewitter, die in diesem Wochen über uns ziehen. Auch Präsenzprotest ist nicht mehr das, was er einmal war. Er bleibt immerhin lästig, wenn auch die vermummten Gewalttäter, auf die Campact sicher gern verzichten würde, den Protestaufrufen folgen. Die Frage ist allerdings, ob hinter der Polittechnologie von Campact eine Meta-Agenda steckt. Ich weiß es nicht.