Robert M. Cover und seine Jurisprudenz der Leidenschaft und des Widerstands

Im Eintrag vom 2. Februar habe ich mit kritischem Unterton aus Texten von Robert M. Cover zitiert. Nun gibt es Anlass, etwas ausführlicher auf Covers Texte einzugehen. Im Eintrag vom 1. Dezember 2015 hatte ich am Ende auf eine neue Veröffentlichung von Marietta Auer hingewiesen: Der Kampf um die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft – Zum 75. Todestag von Hermann Kantorowicz[1]. Auer deutet die Freirechtlehre von Kantorowicz als »interpretativen Rechtspluralismus«. Bemer-kenswert wird diese These durch ihre Begründung mit Hilfe rabbinischer Interpretationskultur. Diese These fordert zur Stellungnahme heraus.

Solche Stellungnahme braucht einige Vorbereitung. Auer findet den »Schlüssel« zu ihrer These »in der von der Rechtswissenschaft erst kürzlich wiederentdeckten Tradition des jüdischen Rechts, deren Fruchtbarkeit für das Verständnis der Normen- und Interpretationskonflikte im multipolaren Rechtspluralismus der Gegenwart seit einiger Zeit erkannt« werde (S. 789). Als Gewährsmann dient ihr vor anderen Robert M. Cover. Deshalb will ich mich hier zunächst auf dessen Texte einlassen.

Robert M. Cover (1943-1986) hält in den USA Zitierrekorde, ist in Deutschland aber nur Kennern vertraut. Continue reading

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In Memoriam Theodor Rasehorn (1918-2016)

Einer Todesanzeige habe ich entnommen, dass Theo Rasehorn am 16. 1. 2016 im Alter von 97 Jahren gestorben ist. Mit seiner 1966 unter dem Pseudonym Xaver Berra erschienenen Streitschrift »Im Paragraphenurm« [1]Xaver Berra, Im Paragraphenturm. Eine Streitschrift zur Entideologisierung der Justiz, Luchterhand, Berlin 1966. hat er das Denken über die Justiz stärker durcheinandergewirbelt als 1906 Gnaeus Flavius (Hermann Kantorowicz) mit dem »Kampf um die Rechtswissenschaft«. Alsbald wurde er von dem Soziologen Wolfgang Kaupen angesprochen, der gerade die Veröffentlichung seiner Dissertation über die »Hüter von Recht und Ordnung« [2]Wolfgang Kaupen, Die Hüter von Recht und Ordnung. Die soziale Herkunft, Erziehung und Ausbildung der deutschen Juristen – eine soziologische Analyse, Lucherhand, Neuwied 1969. vorbereitete. 1971 veröffentlichten beide gemeinsam den Band »Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie « [3]Wolfgang Kaupen/Theo Rasehorn, Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie, Neuwied 1971. So wurde der Richter Rasehorn selbst zum Rechtssoziologen. Als solcher hat er mehr bewirkt, als viele Karrierewissenschaftler.

Eine angemessene Würdigung kann ich so schnell nicht leisten. [4]Ich verweise auf Peter Derleder/Hans-Ernst Böttcher, Theo Rasehorn 80 Jahre, Kritische Justiz 31, 1998, 546-549, sowie den kümmerlichen Wikipedia-Artikel.

Der Rückblick, den Rasehorn sich aus Anlass seines 80. Geburtstags als Zeitzeuge der Nazizeit gegeben hat, zeigt die Motivation hinter seinen rastlosen Rufen nach Klärung und Aufklärung der politischen und sozialen Hintergründe des Handelns der Justiz.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Xaver Berra, Im Paragraphenturm. Eine Streitschrift zur Entideologisierung der Justiz, Luchterhand, Berlin 1966.
2 Wolfgang Kaupen, Die Hüter von Recht und Ordnung. Die soziale Herkunft, Erziehung und Ausbildung der deutschen Juristen – eine soziologische Analyse, Lucherhand, Neuwied 1969.
3 Wolfgang Kaupen/Theo Rasehorn, Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie, Neuwied 1971.
4 Ich verweise auf Peter Derleder/Hans-Ernst Böttcher, Theo Rasehorn 80 Jahre, Kritische Justiz 31, 1998, 546-549, sowie den kümmerlichen Wikipedia-Artikel.

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In eigener Sache: Wissenschaftsblogging, Linkliste, Blogroll, Veröffentlichungen

Wissenschaftsblogging:
In der Ausbildungszeitschrift JURA [1]Heft 1, 2015, 23-29. berichteten Hannah Birkenkötter und Maximilian Steinbeis über »Rechtswissenschaftliche Blogs in Deutschland – zu Möglichkeiten und Grenzen eines neuen Formats in den Rechtswissenschaften«. Steinbeis ist als Gründer und Herausgeber des Verfassungsblog bekannt. Birkenkötter wird als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsprojekt »Verfassungsblog« vorgestellt. So ist das Juristenblogging inzwischen in das Stadium der Selbstreflexion eingetreten. Man erfährt, dass am Verfassungsblog 200 Autoren mitschreiben. Dass er sich institutionell auf das Wissenschaftskolleg zu Berlin stützt, wusste man ohnehin schon. Da bleibt mir, der ich erklärter Feind überflüssiger neuer Begriffsschöpfungen bin, nur die Möglichkeit, den Verfassungsblog zum Megablog zu erklären, um ihn in eine andere Klasse zu befördern.

Auf Sozblog hat kürzlich Werner Rammert über das Blogging reflektiert. Braucht man nicht zu lesen. Auch was Rammert über über Thema und Themenpapier des nächsten Soziologentags in Bamberg schreibt: Geschlossene Gesellschaften – ohne Fragezeichen?, ist keine Pflichtlektüre.

Über Wissenschaftsblogs: Im ABA Journal vom 1. 12. 2015 schreibt Molly McDonough über das wirkliche oder vermeintliche Schrumpfen der Law Blogs (Blawgs): What is the State of the Legal Blogosphere? Das BLAWG-Directory des ABA Journals verzeichnet immer über 4000 Law Blogs. (Nachtrag vom 6. 2. 2016)

Links Rechtssoziologie:
New Legal Realism Conversations. Hier geht es um ein Projekt der American Bar Foundation.
Deutschland in Zahlen vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Vielleicht bewährt sich die Seite, wenn man schnell eimal einige Zahlen braucht. Ausprobieren.
50 Klassiker der Soziologie: Internet-Lexikon zu 50 ausgewählten Autoren der Soziologie aus Österreich. Eine schöne Seite. Aber sie könnte noch viel besser werden, wenn sie Links auf die zahlreichen online verfügbaren Klassikertexte enthielte.
In die Linkliste kommt nur, was frei zugänglich ist. Daher leider nicht die Reihe der Annual Reviews, darin auch seit zehn Jahr der Annual Review of Law and Social Science, wiewohl ich diese Quelle im Hinblick auf auf das Konvergenzthema interessant finde.

Gestrichen wurden:
ASLCH = Association for the Study of Law, Culture and the Humanities: Die Seite mit prominenten Namen ist unergiebig. Sie wurde zuletzt 2011 aktualisiert.
Hotlinks Marshall McLuhan. Die Seite, die von Prof. Bernard J. Hibbitts in Pittsburgh betrieben wurde, gibt es anscheinend nicht mehr.
Soziologie FU Berlin. Es handelt sich um die Lehrstuhlseite von Prof. Dr. Jürgen Gerhards, die einige interessante Aufsätze zum Download anbietet. Auf Dauer aber nicht ergiebig genug.

Links Allgemeine Rechtslehre:
Virtuelle Fachbibliothek Recht: Scheint brauchbar zu sein.
RA Dr. Mewes: Auf der Homepage des Rechtsanwalts Dr. Marc Lothar Mewes (http://marc-mewes.de/) in Hamburg finden sich bemerkenswerte, teils kommentierte Literaturzusammenstellungen zur Privatrechtstheorie, zum Verbraucherschutz und zur Topik sowie eine Sammlung juristischer Witze.

Links zur Globalisierung:
World Bank E-Library.
Es würde zu weit führen, auch noch die weiteren Weltbank-Quellen aufzunehmen. Aber sie seien hier jedenfalls erwähnt.
World Bank Open Knowledge Repository
World DataBank
World Development Indicators
World Development Indicators – Data Query
World Directory of Minorities and Indigenous Peoples
World Urbanization Prospects
Die Links verweisen auf das Datenbank-Infosystem der Universität Konstanz. Dort findet sich jeweils eine kurze Beschreibung der Quelle und ein weiterführender Link.

Blogroll:
»Droit et Société« ist der Blog der gleichnamigen Zeitschrift (die demnächst 30 Jahre alt ist).
Understanding Society ist ein Blog des amerikanischen Sozialphilosophen Daniel Little, der als Kanzler der Universität Michigan-Dearborn aktiv ist. Seit 2007 bietet Little in seinen Postings, der von den Fordwerken geprägten Umgebung der Stadt entsprechend, einen handfest realistischen Blick auf soziologische Theorie. Auf Littles Blog bin ich durch den Blog »Denkstil« von Ralf Keuper aufmerksam geworden. Keuper versteht den Namen seines Blogs als eine Reverenz an den Wissenschaftsphilosophen Ludwik Fleck.

Aus der Blogroll gestrichen:
Den Beck-Blog allein schon, weil es sich um einen Megablog handelt. Aus diesem Grunde fehlt auch der Verfassungsblog.
Gestrichen habe ich auch den Becker-Posner Blog. Nach dem Tode von Gary Becker 2014 hat Posner den Blog eingestellt.
Der Legal Informatics Blog macht Pause und fällt daher bis auf weiteres aus der Blogroll.
PrawfsBlawg ist mir schon zu professionell, unübersichtlich und amerikanisch und wird daher gestrichen.
Telepolis finde ich zwar gelegentlich ganz interessant, ist aber wohl doch schon zu weit von Rechtssoziologie und Rechtstheorie.

Eigene Veröffentlichungen:
Rechtssoziologie als Grundlagenwissenschaft für das öffentliche Recht. Konjunkturen und Flauten, in: Andreas Funke u. a. (Hg.), Konjunkturen in der öffentlich-rechtlichen Grundlagenforschung, Tübingen: Mohr Siebeck 2015, S. 65-102.
Rezension von Julia M. Eckert, Brian Donahoe, Christian Strümpell und Zerrin Özlem Biner (Hrsg.), Law Against the State, Ethnographic Forays into Law’s Transformations, Cambridge: Cambridge University Press, 2012, Zeitschrift für Rechtsoziologie 35, 2015, S. 157-161.
Rezension von Andrea Behrends/Richard Rottenburg/Sung-Joon Park (Hg.), Travelling Models in African Conflict Management, 2014, Zeitschrift für Rechtssoziologie 35, 2015, 301-312. Replik von Andrea Behrends, Sung Joon-Park und Richard Rottenburg, ebd. S. 313-317.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Heft 1, 2015, 23-29.

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Frische Brötchen für die Rechtssoziologie

Jeder kennt ihn, den Backautomaten im Bäckerladen mit der Aufschrift MIWE. MIWE steht für die Michael Wenz GmbH, den wohl wichtigsten deutschen Hersteller von Bäckereimaschinen. Edgar Michael Wenz (1918-1997) hatte als Gebirgsjäger am 2. Weltkrieg teilgenommen (und dabei ein Bein verloren). Nach dem Kriege hatte er Jura studiert, promoviert und war als wissenschaftlicher Assistent tätig, bis er 1951 den 1919 gegründeten väterlichen Backofenbau in Arnstein übernahm und ihn zu einem weltweit tätigen Industrieunternehmen entwickelte. Über die erfolgreiche Tätigkeit als Unternehmer hat er seine Anfänge in der Universität nicht vergessen. Nachdem sein Unternehmen gefestigt war, begann er ab 1980 zunächst als Lehrbeauftragter und später als Honorarprofessor an der Universität Würzburg Rechtssoziologie zu unterrichten. 1984 startete er gemeinsam mit den Professoren Dr. Hasso Hofmann und Dr. Ulrich Weber die Reihe der »Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie«, die dann jeweils als kleine Monographien veröffentlicht wurden. 1990 gründete er eine Stiftung zur Förderung der juristischen Grundlagenfächer. Eine Wenz zugedachte stattliche Festschrift konnte erst nach seinem Tode als Gedächtnisschrift erscheinen. [1]Ulrich Karpen/Ulrich Weber/Dietmar Willoweit, Rechtsforschung, Rechtspolitik und Unternehmertum, Gedächtnisschrift für Prof. Edgar Michael Wenz, Berlin 1999. 1999 gab es in Würzburg auch ein »Gedächtnissymposion für Edgar Michael Wenz«. Daraus ist der bis heute interessante Band »Rechtssoziologie am Ende des 20. Jahrhunderts« [2]Horst Dreier (Hg.), Rechtssoziologie am Ende des 20. Jahrhunderts, Mohr Siebeck, Tübingen, 2000. entstanden. Das Erscheinen des 50. Bandes der Vortragsreihe [3]Thomas Gutmann, Recht als Kultur?, Über die Grenzen des Kulturbegriffs als normatives Argument, Nomos, 2015. Eine vollständige Auzählung aller bisher erschienen Bände der Reihe hier. und das 25-jährige Bestehen der Wenz-Stiftung gaben Anlass zu einem »Würzburger Symposion zur Zukunft von Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie«. So trafen sich denn am 26. 11. 2015 über 50 Vertreter dieser Fächer, um Vorträge von Marietta Auer [4]Rechtsphilosophie als kritische Rechtstheorie: Zur Gegenwartsaufgabe der Grundlagenfächer., Armin Engländer [5]Wozu (noch) Rechtsphilosophie? und Matthias Mahlmann [6]Rechtssoziologie, Rechtpraxis und Gesellschaftstheorie. zu hören, zu diskutieren und am Abend einer postumen Einladung von Edgar Michael Wenz ins Bürgerspital zu folgen, wo Hasso Hofmann vor allem den Teilnehmern, die ihn nicht mehr gekannt hatten, ein lebendiges Bild des Mäzens vor Augen stellte. Das alles geschah auf Initiative und unter der ebenso perfekten wie freundlichen Regie von Horst Dreier als Mitherausgeber der »Würzburger Vorträge« und Vertreter der Wenz-Stiftung.

Ich war nicht fleißig genug, um ein Referat der Vorträge mitzubringen. Umstürzendes habe ich jedenfalls nicht vernommen. Auer zeichnete Entwicklungen der Rechtstheorie nach, die zum Oberbegriff geworden sei und sich bunt-eklektizistisch entwickelt habe. Sie konstatierte eine Fragmentierung der Rechtstheorie durch außerphilosophische Interdisziplinarität und eine Entwicklung hin zu einem allgemeinen Teil der Dogmatik. Die Gegenwartsaufgabe der Rechtsphilosophie beschrieb sie als die einer kritischen Rechtstheorie mit Auslegungs- und Aufklärungsfunktion, Import-, Brücken- und Begrenzungsfunktion. Die auf 30 Minuten limitierte Vortragszeit reichte freilich nicht, um (mir) klar zu machen, wie sich diese Funktionen konkretisieren könnten. Auer stieß auf viel Zustimmung. Problematisiert wurde nur das Verhältnis zur Fachphilosophie. Engländer wurde in der Diskussion eher kritisiert, weil er die Debatte über die Dichotomie von Kognitivismus und Non-Kognitivismus zugunsten des letzteren für erledigt erklärte, um sodann für eine sozialtechnologische Betrachtungsweise im Sinne Hans Alberts zu plädieren. Auch ohne normativen Ansatz, so meinte er, gingen der Rechtsphilosophie die Aufgaben nicht aus. [7]An der Diskussion habe ich mich nicht beteiligt. Ich teile den nichtkognitivistischen Standpunkt Engländers im Hinblick auf die Richtigkeit von Recht und Moral. Aber deshalb erschöpft sich die … Continue reading Mahlmann zeichnete ein ausgewogenes Bild der Möglichkeiten von Rechtssoziologie, um am Ende diesem Fach eine quasi-naturrechtliche Rechtfertigung für eine universale Modernisierung im Sinne einer demokratisch legitimierten, verfassungsmäßig gebundenen, auf Menschenrechte ausgerichteten und international eingebundenen Rechtsstaatlichkeit abzugewinnen. Rottleuthner sah darin anerkennend das Recht als Teil des objektiven Geistes gewürdigt.

Das waren kleine, aber frische Brötchen, die von Helmuth Schultze-Fielitz als Moderator elegant serviert wurden.

Nachtrag vom 3. 12. 2015: Im Text habe ich einen mißverständlichen Satz geändert und eine Fußnote hinzugefügt. Zum Thema passend soeben erschienen: Marietta Auer, Der Kampf um die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft – Zum 75. Todestag von Hermann Kantorowicz, ZEuP 2015, 773-805.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Ulrich Karpen/Ulrich Weber/Dietmar Willoweit, Rechtsforschung, Rechtspolitik und Unternehmertum, Gedächtnisschrift für Prof. Edgar Michael Wenz, Berlin 1999.
2 Horst Dreier (Hg.), Rechtssoziologie am Ende des 20. Jahrhunderts, Mohr Siebeck, Tübingen, 2000.
3 Thomas Gutmann, Recht als Kultur?, Über die Grenzen des Kulturbegriffs als normatives Argument, Nomos, 2015. Eine vollständige Auzählung aller bisher erschienen Bände der Reihe hier.
4 Rechtsphilosophie als kritische Rechtstheorie: Zur Gegenwartsaufgabe der Grundlagenfächer.
5 Wozu (noch) Rechtsphilosophie?
6 Rechtssoziologie, Rechtpraxis und Gesellschaftstheorie.
7 An der Diskussion habe ich mich nicht beteiligt. Ich teile den nichtkognitivistischen Standpunkt Engländers im Hinblick auf die Richtigkeit von Recht und Moral. Aber deshalb erschöpft sich die Aufgabe der Rechtsphilosophie m. E. nicht in analytischen und sozialtechnologischen Erwägungen. Die Rechtsphilosophie muss darüber hinaus – so klang es auch in der Diskussion an – einen Reflexionsbedarf erfüllen, und sie hat außerdem in moralischen Fragen eine Diskursfunktion im Sinne Foucaults, soll heißen, dass moralische »Wahrheiten« mit Hilfe der Rechtsphilosophie festgezurrt (und irgendwann wieder verworfen) werden. Die Frage ist, ob die Wahrnehmung dieser Aufgaben von der Rechtsphilosophie nur beobachtet werden kann – das ist wohl der Standpunkt Engländers – oder ob deren Erfüllung selbst Rechtsphilosophie genannt werden soll.

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Berliner Rechtssoziologie-Kongress: Versprechungen gehalten

Vom 9. bis 11. September fand in Berlin der dritte Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen »Die Versprechungen des Rechts« statt. Die erste Veranstaltung dieser Art gab es 2011 in Luzern, die zweite 2013 in Wien. Die Berliner Tagung hat, soweit ich beobachten konnte, alle Erwartungen erfüllt, die man an eine solche Veranstaltung haben kann. Das Programm verzeichnet 220 aktive Teilnehmer. Den Veranstaltern war es gelungen, nicht wenige Teilnehmer aus Fächern wie Rechtsethnologie, Politikwissenschaft und Governance-Forschung zu mobilisieren, die (wie ich zu sagen pflege) Rechtssoziologie unter fremdem Namen betreiben. Die Tagung war makellos organisiert. Das war wohl nicht zuletzt das Verdienst von Christian Boulanger. Der Tagungsort in der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte hatte durch seine Nähe zu Macht und Museen ein gewisses Flair. Susanne Baer hielt am Abend des ersten Tages einen glanzvollen Festvortrag, der den Teilnehmern im Audi-Max den Eindruck vermittelte, dass Rechtssoziologie eigentlich die wichtigste Disziplin sei, wenn es darum geht, die Probleme der Welt mit Hilfe des Rechts zu bewältigen. Das Tagungsformat kopierte das bewährte Muster der Law & Society Association: Bis zu vier Vorträge und möglichst auch noch zwei vorbereitete Kommentare in 90 Minuten. Echte Diskussionen kamen da nicht auf. Aber das ist auch nicht die Funktion solcher Veranstaltungen. Es geht viel mehr um einen Marktplatz der Themen und Ideen und nicht zuletzt um ein Forum, auf dem sich die Anfänger des Fachs das erste oder zweite Mal erproben können. Vermisst habe ich nur, dass praktisch keiner der Referenten seinen Langtext als Paper anbot. Dafür bot das Veranstaltungsprogramm [1]In Buchform mit ISBN-Nr. (978-907230-25-1) herausgegeben von Josef Estermann und Christian Boulanger. relativ ausführliche Zusammenfassungen, und ehrlich, viel mehr hätte man auch kaum lesen können.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In Buchform mit ISBN-Nr. (978-907230-25-1) herausgegeben von Josef Estermann und Christian Boulanger.

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Hypertext-Sampling nach dem Xanadu-Prinzip:Programm(ierer) gesucht

In der Kunst ist fremdreferenzielles Arbeiten als Collage, Remix, Mashup oder Covering zu einer eigenen Gattung geworden. [1]Leonhard Dobusch/Valle Dordjevic (Hg.), Generation Remix, 2014. Auf der Rechtssoziologie-Tagung »Die Versprechungen des Rechts«, die vom 9. bis 11. September in Berlin stattfinden soll, befasst sich daher ein Panel mit den Wechselwirkungen von Urheberrecht, technologischen Innovationen und künstlerischen Praktiken. Frédéric Döhl spricht über das Mash-Up Genre. Seine (anscheinend noch unveröffentlichte) Habilitationsschrift trägt den Titel »Mashup. Fremdreferenzielles Komponieren und Urheberrecht«. Ich zitiere aus dem Abstract des Referats, das Georg Fischer angekündigt hat: »Referentielle Produktionspraktiken wie Sampling und Covering stehen dabei im Fokus. Beim Sampling werden kurze Ausschnitte (›Samples‹) aus existierenden Musikstücken oder anderen Klängen entnommen, digital verarbeitet und zu neuer Musik zusammengefügt. Dieses ›Cut-and-Paste‹-Verfahren bildet die Grundlage für sog. ›Remixes‹. Beim Covering wird die Komposition eines Stückes neu eingespielt und dabei absolut originaltreu behandelt: Melodie, Rhythmus, Arrangement und Text werden komplett übernommen; es wird lediglich eine neue Instrumentierung der Komposition angefertigt.«

Zur Charakterisierung juristischer Dissertationen hieß es früher abschätzig, da werde aus 100 (oder 1000) Quellen ein neuer Text gebastelt. Heute würde man vielleicht – in Analogie zur Kunstszene – positiver von Mashup- oder Remix-Kreationen sprechen. Ich fände es reizvoll, einmal einen wissenschaftlichen Text anzufertigen, der durchgehend einigermaßen originell sein eigenes Thema behandelt, aber ausschließlich aus Schnipseln fremder Texte besteht.

Leser von Rsozblog kennen bereits die – von Hoffmann-Riem so genannte – »offene Patchworkmethode«. Sie besteht darin, einen Text aus offen ausgewiesenen Zitaten mit verbindenden Texten zu bauen. Sie findet ihre Grenzen im Urheberrecht, das den Umfang zulässiger Zitate begrenzt. Die Umfangsbegrenzung gilt jedoch nur für die Entnahme aus einem Text. Es gibt keine Beschränkung für die Anzahl von (Kurz-)Zitaten aus verschiedenen Texten. Daher lässt sich ein neuer Text vollständig aus Fremdzitaten herstellen. Vom urheberrechtlich unzulässigen Musik-Sampling [2]BGH U. vom 13.12.2012 Az. I ZR 182/11 unterscheidet sich die Zitatensammlung dadurch, dass die zitierten Texte nicht mechanisch kopiert, sondern abgeschrieben werden. Auch eine Collage, die nur aus Zitaten besteht, dürfte ihrerseits ein selbständiges Sprachwerk i. S. von § 51 Nr. 2 UrhG sein.

Der Extremfall wäre ein Hypertext-Essay nach dem Xanadu-Konzept [3]Darüber Georg Jünger, Xanadu – Ein Wissens- und Informationssystem (www.xanadu.net), Artikel in der taz vom 17./18. April 2003, S. 14. Vgl. auch die Webseite http://www.xanadu.com/., der nur aus einer Zusammenstellung von Links bestünde. Praktisch scheitert dieses Vorhaben bisher daran, dass es an der technischen Möglichkeit fehlt, über einen eingebetteten Link nur einen Ausschnitt aus dem verlinkten Dokument sichtbar zu machen, wie es Xanadu vorgesehen hatte. Xanadu sollte wohl ein vergütungspflichtiges Textarchiv bilden, in dem alle Dokumente soweit untergliedert werden sollten, dass auch einzelne Sätze per Hyperlink ansprechbar gewesen wären.

Sollte es nicht möglich sein, einen gezielten Hyperlink zu entwickeln, also einen solchen, der nur einzelne Absätze, Sätze oder Wortfolgen aus einem fremden Dokument adressiert, so dass man mit dem Aufruf den gemeinten Schnipsel als Zitat vor sich hätte? Dazu könnte man vielleicht den Abstand des gewünschten Zitats vom Anfang und vom Ende der Datei vermessen und das Zwischenstück dann ausschneiden.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Leonhard Dobusch/Valle Dordjevic (Hg.), Generation Remix, 2014.
2 BGH U. vom 13.12.2012 Az. I ZR 182/11
3 Darüber Georg Jünger, Xanadu – Ein Wissens- und Informationssystem (www.xanadu.net), Artikel in der taz vom 17./18. April 2003, S. 14. Vgl. auch die Webseite http://www.xanadu.com/.

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Der Master of Sexeconomics besucht Deutschland

Vor Jahr und Tag hatte ich eine kleine Serie über Prostitution; erotisches Kapital und Frauenpower begonnen. Anlass war die damals aktuelle Diskussion über eine rechtliche Regelung der Prostitution. Ich hatte auf die schmale und zum Teil schiefe Grundlage der rechtspolitischen Diskussion hingewiesen und anschließend die Frage gestellt, ob das Phänomen der Prostitution nicht bloß Ausfluss der allgemeinen Marktlage im Geschlechterverhältnis sei, die durch einen männlichen Nachfrageüberhang gekennzeichnet werde. Im Folgebeitrag hatte ich aus dem damals noch aktuellen Buch von Catherine Hakim, Erotisches Kapital (2011), die These vom männlichen Sexdefizit übernommen, um weiter zu fragen, warum es Frauen im Laufe der Geschichte nicht gelungen sei, ihre überlegene Position auf dem Markt der sexuellen Beziehungen in Status und Macht umzusetzen.

Ich hatte zwar schon eine Fortsetzung präpariert, habe die Serie dann aber abgebrochen, weil ich mich dem Thema nicht gewachsen fühlte. Ein Grund dafür war die Arbeit von Roy F. Baumeister und Kathleen D. Vohs, Sexual Economics, Culture, Men, and Modern Sexual Trends, Society 49, 2012, 520-524. Nach der Lektüre war ich ratlos. Ich zögere nicht, zentrale Thesen von Baumeister und Vohs (BuV) skandalös zu nennen. Eine kritische Stellungnahme zu den Thesen von BuV konnte ich nicht finden. Zu einer fundierten eigenen Kritik sah ich mich nicht im Stande, zumal ich grundsätzlich die Ausgangsposition von BuV teile, nämlich die Annahme, dass die Geschlechterbeziehungen sich als Austauschverhältnis modellieren lassen und dass es daher auch möglich sein müsste, sie einer quasi-ökonomischen Analyse zu unterziehen. Nun lese ich, dass Roy F. Baumeister mit Hilfe eines großzügig dotierten Humboldt-Forschungspreises für einen längeren Forschungsaufenthalt nach Bamberg kommt. In der Ankündigung heißt es, er zähle zu den 30 einflussreichsten Psychologen aller Zeiten. Außerdem finde ich einen brandneuen Artikel von Catherine Hakim, The Male Sexual Deficit: A Social Fact of the 21st Century [1]International Sociology 30, 2015, 314–335. Da ist wohl doch noch eine Fortsetzung fällig.

Was zunächst den Artikel von Hakim betrifft, so verteidigt sie die These vom männlichen Sexdefizit gegen die feministische Kritik, es handle sich dabei um einen entlarvten Mythos. Viel Neues bietet Hakim nicht. Sie kann immerhin eine eindrucksvolle Menge sozialempirischer Untersuchungen heranziehen. Sie betont zwar, dass das Design der Untersuchungen für eine adäquate Metastudie zu unterschiedlich sei, meint aber doch, aus den vielen Primärstudien und manchen Zusammenfassungen entnehmen zu müssen, das männliche Sexdefizit sei eine kulturell universell anzutreffendes Phänomen. Mir erscheint Hakims Ergebnis auf Grund der mitgeteilten Daten einleuchtend. Ich kann aber nicht wirklich beurteilen, ob sie das Feld richtig bestellt hat.

Auch Roy F. Baumeister und Kathleen D. Vohs (BuV), die sich selbst als Erfinder der Sexualökonomik vorstellen, gehen, wie früher schon, von der Sexdefizit-These aus.

»In simple terms, we proposed that in sex, women are the suppliers and men constitute the demand (Baumeister and Vohs 2004) [2]Roy F. Baumeister/Kathleen D. Vohs, Sexual Economics: Sex as Female Resource for Social Exchange in Heterosexual Interactions. Personality and Social Psychology Review 8, 2004, 339–63.. Sexual marketplaces take the shape they do because nature has biologically built a disadvantage into men: a huge desire for sex that makes men dependent on women.«

Im Grunde haben sie auch Hakims These vom »erotischen Kapital« vorweggenommen:

»Women certainly desire sex too—but as long as most women desire it less than most men, women have a collective advantage, and social roles and interactions will follow scripts that give women greater power than men (Baumeister et al. 2001) [3]Baumeister, Roy F./ Kathleen R. Catanese/ Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant Evidence. Personality and … Continue reading

In dem Aufsatz von 2012 geht es auf den ersten Blick um die Interpretation einer Untersuchung von Regnerus und Uecker aus dem Vorjahr über vorehelichen Sex und die Einstellung zur Ehe in den USA. [4]Mark Regnerus/Jeremy Uecker, Premarital Sex in Amercia: How Young Americans Meet, Mate and Think about Marrying. New York: Oxford University Press, 2011. Ich habe das Buch nicht in der Hand gehabt. Unter der Hand wird daraus jedoch eine sexualökonomische Erklärung mehr oder weniger aller sozialen Beziehungen, die im Geschlechterverhältnis relevant sind, aus dem Marktungleichgewicht von Angebot und Nachfrage nach sexuellen Kontakten. Das meiste war schon in früheren Arbeiten zu lesen, doch nicht so bündig und plakativ. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Sache so einfach ist.

Wenn ich im Folgenden Thesen und Zitate von BuV anführe, so geschieht das nicht affirmativ, sondern in der Überzeugung, dass andere, die in diesem Diskursfeld besser zu Hause sind, sich damit ernsthaft auseinandersetzen sollten.

Im Mittelpunkt der Arbeit von BuV steht die These, die historisch über lange Zeit und in vielen Gesellschaften zu beobachtende kulturelle Unterdrückung weiblicher Sexualität sei mit Hilfe der Sexualökonomie besser zu erklären als mit den geläufigen evolutionspsychologischen oder feministisch-konstruktivistischen Theorien, denn Frauen hätten sich selbst Zurückhaltung im Umgang mit ihrer Sexualität auferlegt, um, ähnlich wie die OPEC beim Öl, durch Verknappung des Angebots den Marktwert zu steigern.

»Similar to how OPEC seeks to maintain a high price for oil on the world market by restricting the supply, women have often sought to maintain a high price for sex by restricting each other’s willingness to supply men with what men want.«

Die sexuelle Revolution der 1970er Jahre lasse sich als Marktkorrektur erklären. Mit wachsender Gleichberechtigung seien die Frauen nicht länger darauf angewiesen, den Preis für Sex in die Höhe zu treiben.

»Recent work has found that across a large sample of countries today, the economic and political liberation of women is positively correlated with greater availability of sex (Baumeister and Mendoza 2011 [5]Roy F. Baumeister/ Juan Pablo Mendoza, Cultural Variations in the Sexual Marketplace: Gender Equality Correlates with More Sexual Activity. The Journal of Social Psychology, 151, 2011, 350 – … Continue reading). Thus, men’s access to sex has turned out to be maximized not by keeping women in an economically disadvantaged and dependent condition, but instead by letting them have abundant access and opportunity.«

Für die Männer sei das schlimm, denn solange Sex knapp war, mussten sie Leistungen vorweisen, um eine Frau zu erringen, und wurden auf diese Weise zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft.

»The man’s overarching goal of getting sex thus motivated him to become a respectable stakeholder contributing to society.«

Die Leistungen der Männer erschöpften sich aber nicht in individuellen Karrieren, sondern sie seien schlechthin die Basis für Fortschritt aller Art:

»That fact can explain most of the history of gender relations, in which the gender near equality of prehistorical societies was gradually replaced by progressive inequality – not because men banded together to oppress women, but because cultural progress arose from the men’s sphere with its large networks of shallow relationships, while the women’s sphere remained stagnant because its social structure emphasized intense one-to-one relationships to the near exclusion of all else (see Baumeister 2010). All over the world and throughout history (and prehistory), the contribution of large groups of women to cultural progress has been vanishingly small.«

Was nunmehr seit einem halben Jahrhundert als Erfolg der Frauenpolitik erscheint, sei nichts weiter als sein großer Handel, in dem die Geschlechter hergäben, was ihnen weniger teuer sei, um Wichtigeres einzutauschen.

»Women, meanwhile, want not only marriage but also access to careers and preferential treatment in the workplace.«

Warum Frauen mehr wollen als Heirat und Kinder, dafür bleiben BuV freilich eine Erklärung schuldig. Die Männer aber, so meinen sie, machent sich für Sex zum Narren, indem sie den Frauen Zugang und sogar Vorzugsbehandlung in Schulen und Universitäten, Wirtschaft und Politik konzedierten, wiewohl doch der Aufbau all dieser Organisationen eine Männerleistung gewesen sei.

»All of this is a bit ironic, in historical context. The large institutions have almost all been created by men. The notion that women were deliberately oppressed by being excluded from these institutions requires an artful, selective, and motivated way of looking at them. Even today, the women’s movement has been a story of women demanding places and preferential treatment in the organizational and institutional structures that men create, rather than women creating organizations and institutions themselves. Almost certainly, this reflects one of the basic motivational differences between men and women, which is that female sociality is focused heavily on one-to-one relationships, whereas male sociality extends to larger groups networks of shallower relationships (e.g., Baumeister and Sommer 1997; Baumeister 2010). Crudely put, women hardly ever create large organizations or social systems.«

Zum Beschluss ein Zitat, das mich vollends vom Hocker gestoßen hat:

»Because of women’s lesser motivation and ambition, they will likely never equal men in achievement, and their lesser attainment is politically taken as evidence of the need to continue and possibly increase preferential treatment for them.«

Viel Spaß in Bamberg!

Anmerkungen

Anmerkungen
1 International Sociology 30, 2015, 314–335
2 Roy F. Baumeister/Kathleen D. Vohs, Sexual Economics: Sex as Female Resource for Social Exchange in Heterosexual Interactions. Personality and Social Psychology Review 8, 2004, 339–63.
3 Baumeister, Roy F./ Kathleen R. Catanese/ Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant Evidence. Personality and Social Psychology Review 5, 2011, 242–73.
4 Mark Regnerus/Jeremy Uecker, Premarital Sex in Amercia: How Young Americans Meet, Mate and Think about Marrying. New York: Oxford University Press, 2011. Ich habe das Buch nicht in der Hand gehabt.
5 Roy F. Baumeister/ Juan Pablo Mendoza, Cultural Variations in the Sexual Marketplace: Gender Equality Correlates with More Sexual Activity. The Journal of Social Psychology, 151, 2011, 350 – 360.

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Ein Carl Schmitt der Literaturwissenschaft und die Rechtstheorie: Hans Robert Jauß

Dieser Eintrag und die Fortsetzungen wurden gelöscht, weil sie zusammen in der Zeitschrift RECHTSTHEORIE gedruckt werden.

Jetzt erschienen: Klaus F. Röhl, Literaturwissenschaft und Rechtstheorie, Rechtstheorie 51, 2020, 413-432.

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Diszipliniert Foucault: Mehr Anschlüssse als bei der Deutschen Bahn

Die große Anschlussfähigkeit Foucaults rührt daher, dass er weit- und scharfsichtig Stichworte in die Welt gesetzt hat, an die sich mehr oder weniger überall, wo heute Gesellschaftskritik geübt wird, anknüpfen lässt. Da er nach seiner Distanzierung von der kommunistischen Partei politisch nicht eindeutig festzulegen ist, können Autoren aus allen wissenschaftlichen und politischen Lagern ihr eigenes Werk adeln, indem sie sich auf Foucaults Autorität berufen, ohne konkrete Aussagen übernehmen zu müssen. [1]Wie z. B. Susanne Baer, Juristische Biopolitik: Das Wissensproblem im Recht am Beispiel »des« demografischen Wandels, in: Michelle Cottier u. a. (Hg.), Wie wirkt Recht?, 2010, 181-201.

Die Foucaultphilie [2]Der Eintrag vom 4. 4. 2012 zeigt, wo ich diesen Ausdruck gelernt habe. der Kulturwissenschaften ist manifest. Es liegt auch auf der Hand, dass man sich in epistemologische Debatten auf Foucault berufen kann. [3]Dazu der Eintrag vom 9. 3. 2015: Diszipliniert Foucault: Wahrheiten für Juristen. Die Kritik an der klassischen Philosophie, die seit Descartes das Subjekt als Quelle des Wissens behandelt, und an der traditionellen Soziologie, die das handelnde Subjekt voraussetzt, speist sich auch aus Texten Foucaults, in denen gezeigt wird, wie das Subjekt seine Identität aus diskursiven Praktiken gewinnt. Die Analyse des Sexualitätsdispositivs durch Foucault selbst hat in Feminismus und Queer-Theorie ein großes Echo bei der Dekonstruktion von »Geschlecht« gehabt. Die Disziplinargesellschaft formt nicht nur soziales Verhalten, sondern schon den Körper und ist damit Anknüpfungspunkt für eine »Soziologie des Körpers« [4]Robert Gugutzer, Soziologie des Körpers, 2004; Markus Schroer (Hg.), Soziologie des Körpers, 2005. Der Begriff der Sicherheitsgesellschaft ist (nicht erst) durch Terrorismus und die NSA-Affäre zum Thema geworden. Die Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität sind ein beliebtes Sprungbrett in die Kritik des Neoliberalismus. Aus den »Technologien des Selbst« wird »Das unternehmerische Selbst«. [5]Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst, 5. Aufl. 2013 (2007). Die »Genealogie« des historisch-politischen Diskurses seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts, die bis zum nationalsozialistischen Staatsrassismus geführt wird, ist ein beinahe obligatorischer Anknüpfungspunkt der Rassismuskritik.

Für Juristen bieten Foucaults Analysen der Unterwanderung des Rechts durch Behandlung und Prävention Anregung zur Kritik. [6]Dazu ausführlich Christian Schauer, Aufforderung zum Spiel: Foucault und das Recht, S. 119-163. Aktuell ist gerade wieder das Verhältnis von Psychiatrie und Justiz. Man wundert sich nur, dass der Machtanspruch der Humanwissenschaften, den Foucault so kritisch im Blick hatte, heute eigentlich kein Thema mehr ist. Er benutzte historisches Material und konzentrierte sich auf große Diskurse, die mit Hilfe der Humanwissenschaften geführt wurden. Der naive Foucault-Leser erwartet nun, dass dieser oder jener seinem Vorbild folgt. Das ist aber wohl nur hinsichtlich des nächstliegenden Themenfeldes, nämlich für das Femina-Dispositiv geschehen. Andere naheliegende Themenfelder wären heute Umweltschutz, Tierschutz oder Energiewende. Nirgends scheinen sich der Wille zur Wahrheit und der Wille zur Macht so zu verbinden, wie aktuell im der Diskussion um den Klimawandel. Aber die zeitgenössischen Humanwissenschaftler beteiligen sich lieber direkt an den einschlägigen Diskursen, als dass sie die Diskurse »archäologisch« und »genealogisch« analysieren.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Wie z. B. Susanne Baer, Juristische Biopolitik: Das Wissensproblem im Recht am Beispiel »des« demografischen Wandels, in: Michelle Cottier u. a. (Hg.), Wie wirkt Recht?, 2010, 181-201.
2 Der Eintrag vom 4. 4. 2012 zeigt, wo ich diesen Ausdruck gelernt habe.
3 Dazu der Eintrag vom 9. 3. 2015: Diszipliniert Foucault: Wahrheiten für Juristen.
4 Robert Gugutzer, Soziologie des Körpers, 2004; Markus Schroer (Hg.), Soziologie des Körpers, 2005.
5 Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst, 5. Aufl. 2013 (2007).
6 Dazu ausführlich Christian Schauer, Aufforderung zum Spiel: Foucault und das Recht, S. 119-163.

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Poikilophilie — die Homophobie der Humanities

Wenn man eine These promovieren will, braucht man einen irgendwie perzeptiv prominenten oder anreizenden Begriff. (Oft stellt sich dann heraus, dass der neue Begriff nur ein neues Kleid für alte Bekannte ist wie z. B. der Begriff Doxa bei Bourdieu.) In früheren Einträgen hatte ich meine Thesen von der Konvergenz wissenschaftlicher Sätze in den Humanities ausgebreitet. Eine weiter ausgearbeitete Version habe ich als Referat für die Tagung »Versprechungen des Rechts« der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen angemeldet. Nun suche ich noch nach einem griffigen Begriff, um auf meine Thesen aufmerksam zu machen.

Ausgelöst wurden sie u. a. durch die Annahme/Vermutung/Beobachtung, das aktuelle Ideal der Geistes- und Sozialwissenschaften bestehe in der Suche nach Vielfalt, während die Suche nach Konsonanzen, Übereinstimmungen oder Konvergenzen als langweilig oder gar als diskriminierend gelten. Diese Grundhaltung könnte man mit einem Begriff, der bisher nur in der Biologie gelegentlich verwendet wird, als Poikilophilie [1]Von griechisch ποικίλος = bunt und φιλíα = freundschaftliche Liebe. kennzeichnen. Aber dieser Benennung fehlt der Schwung. Warum nicht auf den Gegenbegriff zugreifen und den Humanities Homophobie vorhalten? Natürlich, der Begriff ist belegt. Aber gerade daraus gewinnt er seinen Reiz. [2]In Psychologie und Psychiatrie war es seit jeher üblich, Angststörungen als Phobien zu benennen. »Homophobie« war der ungewöhnlich erfolgreiche Neologismus des Psychologen George Weinberg. … Continue reading

Homophobie, also die Furcht vor – oder auch nur die uneingestandene Abneigung gegenüber – Gleichem oder Gleichartigem, ist, was ich den Geistes- und Sozialwissenschaften unterstelle, nämlich eine ausgeprägte irrationale Scheu, sowohl auf der Objektebene als auch auf der Metaebene der Wissenschaft nach Übereinstimmungen, Konsonanzen oder Konvergenzen zu suchen. Stattdessen huldigen sie der Poikilophilie. Vielfalt wird nicht bloß konstatiert, sondern konstruiert.

Die Thematisierung von Konvergenz hat natürlich – ebenso wie die Poikilophilie – einen normativen Überschuss. Er folgt aus der Vermutung, dass die einseitige Thematisierung von Vielfalt diese in einer Weise aufwertet, dass sie positiver Pluralität im Wege steht. Für die Unterscheidung von positiver und negativer Pluralität beziehe ich mich auf David Apter. Dazu mit Nachweisen im Eintrag Die Einfalt der Vielfalt vom 2. Oktober 2012.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Von griechisch ποικίλος = bunt und φιλíα = freundschaftliche Liebe.
2 In Psychologie und Psychiatrie war es seit jeher üblich, Angststörungen als Phobien zu benennen. »Homophobie« war der ungewöhnlich erfolgreiche Neologismus des Psychologen George Weinberg. (Society and the Healthy Homosexual, 1973. Insoweit habe ich mich mit der Konvergenz verschiedener Internetquellen zufrieden gegeben.) Da der zweite Wortbestandteil eindeutig griechischen Ursprungs ist und eben Angst oder Furcht bedeutet, liegt es nahe, auch die erste Worthälfte aus dem Griechischen abzuleiten, wiewohl griechisch-lateinische Mischbildungen als Fremdworte vorkommen. Das nächstliegende Beispiel ist die Homosexualität. Sexus steht im Lateinischen für das Geschlecht, und homo wäre der Mensch. Aber das »Homo« in dieser Wortbildung leitet sich vom griechischen ὅμοιος = gleich ab. Homophobie wäre also die Furcht vor – oder auch nur die uneingestandene Abneigung gegen – Gleichem oder Gleichartigem.

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