Den wackeligen Gipfel der Konvergenztheorie bildet die These vom Ende der Geschichte.
Schon 1974 hatte Arnold Gehlen in einem Aufsatz über das »Ende der Geschichte« geschrieben: »Der alte, überspannte, großherzige Utopismus mit seiner Opferbereitschaft für nichtprofitable Zwecke verschwindet«. Damit schicke sich die Großgeschichte an abzuziehen. Der Mensch werde sich damit abfinden, dass er seine Grundsituation festgelegt vorfinde. Diese Beschränkung werde ihm durch die »Gratifikation des Dogmatismus« entgolten, die er genießen könne, wenn die meisten Probleme vorentschieden und die Handlungsziele definiert seien. Doch nach dem Ende der Geschichte und des Fortschritts gelte es, »die Wirklichkeit der offensichtlich empörenden Not anzugreifen – das wäre Fortschritt«.
1989 erregte Francis Fukuyama, ein Beamter im amerikanischen Außenministerium, großes Aufsehen mit der These, die Geschichte nähere sich ihrem Ende, wir seien Zeugen nicht bloß der Reformpolitik eines Michail Gorbatschow, des Endes des Kalten Krieges oder einer besonderen Epoche der Nachkriegsgeschichte, wir erlebten vielmehr das Ende der Geschichte schlechthin, denn die Evolution der politischen Ideologien habe mit weltweiter Ausbreitung der liberalen Demokratie westlichen Musters ihr Endstadium erreicht. Dagegen stand und steht die Auffassung, dass sich insbesondere die Staaten Ostasiens aufgrund ihrer einzigartigen kulturellen Traditionen für eine Demokratie westlichen Musters auf Dauer als unzugänglich erweisen würden. Auch wenn diese Staaten sich die technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften des Westens zum Vorbild genommen und zu ihrer Durchsetzung viele der institutionellen Arrangements kopiert hätten, so füllten sie diese Institutionen doch mit anderem Inhalt. An die Stelle der liberalen Demokratie des Westens trete eine »asiatische Demokratie«, als deren Kennzeichen der Vorrang personenbezogener Loyalitäten vor Institutionen und Gesetzen, der Respekt vor Autorität und Hierarchien, von einer übermächtigen, konservativen Partei dominierte Parteiensysteme und ein starker, in wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe intervenierende Staat genannt werden.[1] Andere halten jedoch die Berufung auf »asiatische Werte« für einen »Versuch des konservativen und autoritären politischen Establishments …, durch einen konservativen Wertediskurs die Kontrolle über Gesellschaft und Politik zurück zu gewinnen«[2]. Ähnliche Argumente liegen für die Ausbreitung der Demokratie in der Islamischen Welt nahe. Über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks, nach islamischen Aufbruch und Arabellion ergibt sich immer noch kein einheitliches Bild.
Aus der Sicht der Modernisierungstheorie bedeutet Konvergenz nicht das Verschwinden von Konflikten und damit das Ende der Geschichte, denn Modernisierung ist ein Prozess, der vielleicht alte Probleme überwindet, aber dafür neue aufwirft und damit auch neue Konfliktfronten aufreißt. Die Geschichte ist noch immer für Überraschungen gut. Wirtschaftskrisen, Terrorismus und technischer Wandel, Klimaveränderungen und Kriege bringen den geordneten Verlauf der Dinge immer wieder durcheinander.
Nichtsdestoweniger ist die Geschichte in einem anderen Sinn zu einem Ende gekommen. Bis in das 20 Jahrhundert konnten wir erwarten, tatsächlich noch etwas Neues zu entdecken, eine neue Kultur, eine neue Gesellschaft oder gar eine neue, bislang unbekannte Rechtskultur. Globalisierung heißt insofern, dass nichts mehr zu entdecken bleibt. Auf der Karte der Gesellschaften finden sich keine weißen Flecken mehr. Der Globus ist zur geschlossenen Gesellschaft geworden. Allenfalls könnten wir unsere Phantasie anspannen, um uns außerirdische Gesellschaften vorzustellen, aber nur in der Rolle eines Filmproduzenten oder -betrachters, nicht als Rechtssoziologen. Die Weltgesellschaft ist die einzige Gesellschaft ohne soziale Umwelt. Das hat Folgen, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirken. Auf der einen Seite beginnen Konzepte mit universellem Anspruch wie die Idee der rule of law oder der Menschenrechte die globale Gesellschaft zu uniformieren. Auf der anderen Seite provoziert die Abwesenheit einer äußeren Umwelt die Weltgesellschaft, durch Differenzierung in neue Subsysteme ihre eigene, innere Umwelt hervorzubringen, als Ersatz oder neben der existierenden Substruktur aus Nationen.
Literatur: Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, Europäische Rundschau, 1989, Nr. 4, 3-25 (Original in: The National Interest, Summer 1989); Arnold Gehlen, Ende der Geschichte? Zur Lage des Menschen im Posthistoire, in: Oskar Schatz (Hg.): Was wird aus dem Menschen? Analysen und Warnungen prominenter Denker, 1974, 61-75 = Gehlen, Einblicke, 1975, 115-133; Friedrich H. Tenbruck, Der Traum der säkularen Ökumene. Sinn und Grenze der Entwicklungsvision, Annali di Socologia/Soziologisches Jahrbuch 3, 1987, 11-36.
[1] Clark D. Neher, Asian Style Democracy, Asian Survey (Berkeley) 34, 1994, 949-961.
[2] Thomas Meyer, Theorie der sozialen Demokratie, Wiesbaden 2005, S. 459.