Recht lehrreich. Wo bleibt die Rechtsdidaktik? (Teil V)

Auf der Suche nach der Rechtsdidaktik gibt es in Hamburg eine neue Spur. Der Hintergrund: Der Verbund Norddeutscher Universitäten hat sich die gemeinsame Evaluation von Studienfächern zum Ziel gesetzt. Es geht dabei um einen Prozess der Qualitätskontrolle, in dem die Lehre eine maßgebliche Rolle spielt. Eine erste Evaluation von Studium und Lehre im Fach Rechtswissenschaft fand 1999/2000 statt. Nun steht eine neue Runde an. Sie beginnt mit einer Selbstbeschreibung der Fakultäten. Darauf folgt eine Begehung durch eine Gutachterkommission und das alles mündet in einen abschließenden Bericht.

Die Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg will den Prozess der Selbstbeschreibung für ihre Mitglieder wahrnehmbar machen. Unter dem Namen »LEHRREICH« will sie dem Thema Lehre als einem Kerngeschäft der Fakultät eine Plattform zum Austausch geben. Dazu findet am 3. Dezember ein Aktionstag statt. Das Programm, an dem ich mit einem Vortrag über »Visualisierung in der Juristenausbildung« mitwirke, findet sich hier: lehrreich_einladung2.

Bei dieser Gelegenheit: Auch die Ruhr-Universität nutzt den Titel »lehrreich« (allerdings in Minuskeln) für einen kürzlich ausgeschriebenen Universitätspreis für ausgezeichnete Lehrideen. Aber beide Aktionen haben anscheinend nichts miteinander zu tun. Bemerkenswert: Auf einem Marktplatz wurden am 25. 1. 2008 51 Best-Practice-Beispiele für innovative Lehre vorgestellt. Die Juristische Fakultät war daran mit zwei Beiträgen beteiligt.

Ich habe die Präsentationen einmal durchgeblättert. Gelernt habe ich vor allem hochschuldidaktisches Kauderwelsch: Anfangsimpuls, Blended Learning, Coaching, Dropbox, eTutoring, Feedback, Helpdesk, Input-Phase, Joint-Teaching, Peer-Prüfung, Portfolioeinsatz, POL (problemorientiertes Lernen), TED-System, formative TJE (Triple Jump Exercise), Workload. Aufgefallen ist mir, wie man mit Visualisierung Seiten füllen kann, ohne viel zu sagen. Gefallen hat mir eine Idee von Sozialwissenschaftlern, einen Theorienstreit als Battle of Theories darzustellen.

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Dissertationsthema: Rechtsfragen der Verwendung von audiovisuellen Medien bei Gericht

»More and more lawyers are using digital technologies, including PowerPoint, computer animations, trial presentation software such as Sanction II and Trial Director, and digital video, to create and display evidence and arguments.« So beginnt ein Aufsatz von Neil Feigenson, Digital Visual and Multimedia Software and the Reshaping of Legal Knowledge, in: Anne Wagner/William Pencak, Images in Law, Ashgate, Aldershot, 2006, S. 89-116. Darüber hatte bereits Stefan Ulbrich für unser Projekt »Visuelle Rechtskommunikation« unter dem Titel »Bilder in der forensischen Praxis« berichtet. Ich greife das Thema wieder auf, weil auf einer Tagung zur Rechtsvisualisierung, die kürzlich in München stattgefunden hat, die Niederländerin Susanne Hoogwater die Tätigkeit ihrer Firma Legal Visuals vorstellte, mit der sie in Denver und Utrecht aktiv ist. Dabei geht es um visuell gestützte Präsentationen für den Gerichtssaal, die aber auch im Vorfeld in Firmen und Anwaltsbüros Verwendung finden können. Zwar hatte ich den Eindruck, dass das Geschäft noch nicht so richtig blüht. Dennoch: Früher oder später werden auch bei uns die Anwälte mit mediengestützten Präsentationen im Gerichtssaal aufwarten wollen. In den USA träumen auch die Justizverwaltungen längst vom Electronic Courtroom. Hierzulande rüsten inzwischen Strafverteidiger auf mit dem, was sie Visual Advocacy nennen. Damit stellt sich die Frage, wie solcher Mediengebrauch sich mit den Prozessmaximen der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verträgt. Auf der erwähnten Münchener Tagung befasste sich Burkhard Schafer, Edinburgh, u. a. mit der Unterscheidung zwischen visuellen Darstellungen, die unmittelbar dem Beweis dienen, und anderen, die nur die Beweisführung verdeutlichen. Aber das ist nur eine von vielen Fragen, die beantwortet werden müssen. Sicher ist auch Rechtsvergleichung angesagt. Das ist vermutlich ein lohnendes Dissertationsthema.

Nachtrag:
In dem Großverfahren gegen Alexander Falk wegen Betruges hat die Verteidigung mehrfach Powerpoint-Präsentationen eingesetzt. Man findet diese auf einer Webseite der Verteidigung.

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Elektronische Medien in der Juristenausbildung

Das Journal of Information, Law & Technology (JILT), eine frei zugängliche englische E-Zeitschrift, hat als Heft 1, 2007 ein Sonderheft zur Verwendung elektronischer Medien in der Juristenausbildung veröffentlicht (Special Issue on Law, Education and Technology). Hier das Inhaltsverzeichnis mit den zugehörigen Links:

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Fundbüro

Dies ist die frühere »Seite« Fundbüro. Bei einem WordPress-Blog wie diesem werden die Texte in »Seiten« und »Einträge« unterteilt. Die Seiten bilden das Gerüst, das immer sichtbar ist und über Kopfzeile aufgerufen werden kann. Die »Beiträge« dagegen sind chronologisch geordnet. Beim Aufruf des Blogs erscheint immer der jüngste Beitrag. Die älteren rutschen nach unten. Rsozblog ist jetzt acht Jahre alt. Da muss auch das Gerüst einmal umgebaut werden. Dazu habe ich die veraltete Fundbüro-Seite in einen Eintrag umgewandelt und sie unter dem ursprünglichen Veröffentlichungsdatum eingereiht. An die Stelle dieser Seite tritt eine neue mit Titel »Nachträge«.

Das Fundbüro wird geschlossen.

Wer meinen Blog verfolgt, wird bemerkt haben, dass ich schon lange keine Fundstücke mehr gesammelt habe. Es gibt einfach zu viele wichtige Texte, die im Internet verfügbar sind. Wenn man etwas sucht, lohnt es sich stets, danach zu gugeln. Ich will aber auch gerne einräumen, dass es mir schlicht zu mühsam ist, Fundstücke im Fundbüro einzuordnen, zumal die WordPress-Software für die Formatierung einer solchen Liste sehr unbequem ist. Ich habe keine Möglichkeit gefunden, die bibliographischen Angaben einfach aus Citavi in das Fundbüro zu übernehmen. Daher wird das Fundbüro nun – im Juli 2010 – geschlossen.

Das Fundbüro vor der Schließung:

Auf dieser Seite werden die Links und vor allem die Fundstücke zur Rechtssoziologie abgelegt, die auf der Startseite keinen Platz mehr haben. Der Hyperlink verweist in einigen Fällen nicht direkt auf den Text, sondern auf eine Webseite, von der man weiter findet.

Rechtssoziologische Literatur im Internet

Bourdieu, Pierre, The Force of Law: Toward a Sociology of the Juridical Field, mit einer Einführung des Übersetzers Richard Terdiman (S. 805-813), The Hastings Law Journal 38 , 1987, 814-853

Fischman, Joshua B. and Law, David S., What Is Judicial Ideology, and How Should We Measure It? (October 19, 2008). Washington University Journal of Law and Policy, Vol. 29, No. 1, 2008; 3rd Annual Conference on Empirical Legal Studies Papers; San Diego Legal Studies Paper No. 08-47. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1121228

Grossman Joel B., Herbert M. Kritzer, and Macaulay, Do the ‘Haves’ Still Come Out Ahead? 33 Law & Society Rev. 803-810 (1999)

Kenworthy, Lane, Macaulay,Stewart, and Joel Rogers, “The More Things Change . . . “: Business Litigation and Governance in the American Automobile Industry, 21 Law and Social Inquiry, 631-678 (1996).

Macaulay, Stewart, Non-Contractual Relations in Business: A Preliminary Study, 28 American Sociological Rev. 1-19 (1963) (Links zu dieser und den folgenden Arbeiten von Macaulay auf seiner Webseite)
ders., Changing a Continuing Relationship Between a Large Corporation and Those Who Deal With It: Automobile Manufacturers, Their Dealers, and the Legal System, Law and Society, 483 Wisconsin L. Rev. 3-212 (1965)
ders., Lawyers and Consumer Protections Laws, 14 Law & Society Review, 115-171 (1979)
ders., Law Schools and the World Outside Their Doors II: Some Notes on Two Recent Studies of the Chicago Bar, 32 Journal of Legal Education 506-542 (1982)
ders., Law and Behavioral Science: Is There Any There There?, 6 Law & Policy 149-187 (1984)
ders., Elegant Models, Empirical Pictures, and the Complexities of Contract, 11 Law & Society Review 507-528 (1977)
ders., Private Government, in: Lipson & Wheeler (eds.) Law and Social Science, (Russell Sage Foundation: 1986), pp. 445-518
ders., Images of Law in Everyday Life: The Lessons of School, Entertainment, and Spectator Sports, 21 Law & Society Review 185-218 (1987)
ders., The Future of American Lawyers, 2 Sociologia del diritto, 51-69 (1993)
ders., The Impact of Contract Law on the Economy: Less Than Meets the Eye? Paper given at a Conference on Law and Modernization, Lima Peru, July, 1994
ders., Crime and Custom in Business Society, 22 Journal of Law and Society 248-258 (1995)ders., The Last Word, 22 Journal of Law and Society 149-154 (1995)
ders., Organic Transactions: Contract, Frank Lloyd Wright and the Johnson Builidng, 1 Wisc. L. Rev. 74-121 (1996)
ders., Realational Contracts Floating on a Sea of Custom? Thoughts About the Ideas of Ian Macneil and Lisa Bernstein, 94 Nw. U. L. Rev. 775-804 (2000)
ders., The Real and the Paper Deal: Empirical Pictures of Relationships, Complexity and the Urge for Transparent Simple Rules, 66 Modern L. Rev. 44-79 (2003)
ders.,
Freedom From Contract: Solutions in Search of a Problem? Wisconsin L. Rev. 777-820 (2004)
ders., The New Versus The Old Legal Realism: “Things Ain’t What They Used to Be”, Wisconsin L. Rev. 367-403 (2005)

Marx, Werner/Gramm, Gerhard, Literaturflut – Informationslawine – Wissensexplosion
Wächst der Wissenschaft das Wissen über den Kopf?, 1994/2002

Tamanaha, Brian Z., A Concise Guide to the Rule of Law. FLORENCE WORKSHOP ON THE RULE OF LAW, Neil Walker, Gianluigi Palombella, eds., Hart Publishing Company, 2007; St. John’s Legal Studies Research Paper No. 07-0082. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1012051
ders., The Dark Side of the Relationship between the Rule of Law and Liberalism. ; NYU Journal of Law and Liberty, Vol. 33, 2008; St. John’s Legal Studies Research Paper No. 08-0096. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1087023
ders., Law; Oxford International Encyclopedia of Legal History, 2008 ; St. John’s Legal Studies Research Paper No. 08-0095. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1082436
ders., The Bogus Tale About the Legal Formalists (April 2008). St. John’s Legal Studies Research Paper No. 08-0130. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1123498
ders., Understanding Legal Realism(May 2008). St. John’s Legal Studies Research Paper No. 08-0133. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1127178
ders., The Distorting Slant of Quantitative Studies of Judging(October 30, 2008). Boston College Law Review, Vol. 50, 2009; St. John’s Legal Studies Research Paper No. 08-0159. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1292459
ders., A Holistic Vision of the Socio-Legal Terrain (August, 14 2008). Journal of Law and Contemporary Problems, 2008. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1226049

Van Aaken, Anne, Effectuating Public International Law Through Market Mechanisms? (October 31, 2008). CLPE Research Paper No. 34/2008. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1292787

Teubner, Gunther: Teubner stellt fast alle seine Arbeiten im Volltext auf seiner Webseite zum Download zur Verfügung: http://www.jura.uni-frankfurt.de/l_Personal/em_profs/teubner/Person/PublikationenDeutsch.html.

Zumbansen, Peer, The State as ‘Black Box’ and the Market and Regulator: A Comment on Anne Van Aaken’s ‘Effectuating Public International Law Through Market Mechanisms'(October 31, 2008). CLPE Research Paper No. 35/2008. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1292789

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Hat die Hochschuldidaktik mehr Substanz? (Wo bleibt die Rechtsdidaktik? Teil IV)

Auf der Suche nach einer Fachdidaktik des Rechts kann man an der allgemeinen Hochschuldidaktik nicht vorübergehen. Bis auf weiteres nehme ich deshalb die Webseite der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik in meine Linkliste auf. Ergiebig finde ich sie bisher nicht.

Für den 2. April 2009 wird ein Hochschuldidaktik-Tag an der Universität Duisburg-Essen angekündigt. Aber der erschöpft sich, sieht man einmal von Begrüßungen und Preisverleihungen ab, in einem Fachvortrag (Forschendes Lernen – Vortrag mit anschließender Diskussion – Prof. Dr. Karin Reiber, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit & Pflege, Hochschule Esslingen). Jedenfalls von Bochum aus kann man da ja einmal hingehen.

Nachtrag: Hochschuldidaktik an der Ruhr-Universität: Mit einem Strategiepapier vom 2. Juli 2008 hat das Rektorat eine Qualitätsoffensive für die Lehre gestartet. Von Fachdidaktik ist darin allerdings nicht die Rede. Die Rede ist jedoch von erstaunlich viel Geld, dass anscheinend vor allem aus Studiengebühren fließt.

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Selbstverwaltung der Justiz ist wieder Thema

Am. 7. und 8. November gibt es in der Universität Frankfurt a. M. eine Tagung »Zur richterlichen Unabhängigkeit in Europa – Modelle von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung«. Ich nehme das zum Anlass, meinen Aufsatz »Selbstverwaltung für die Dritte Gewalt«, der 2002 in der Juristenzeitung (S. 838-847)  erschienen ist, hier ins Netz zu stellen: roehl_selbstverwaltung2

Bei dieser Gelegenheit: Ich habe eine Sammlung von Materialien und Kopien zum Thema Justizverwaltung (Court Management) aus den letzten 20 Jahren — etwa zwei Umzugskartons — sowie die Deutsche Richterzeitung von 1955 bis 2001 (gebunden) abzugeben. Abholung in Bochum ist erforderlich.

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Ersetzen Klasse und Kasse die Didaktik? (Wo bleibt die Rechtsdidaktik? Teil III)

Im ersten Beitrag wurde das Fehlen einer expliziten Rechtsdidaktik beklagt, aber zugleich bemerkt, dass die Sache in den juristischen Fakultäten keineswegs unter den Tisch gekehrt wird, sondern im Gegenteil viele Anstrengungen zur Verbesserung der Lehre unternommen werden. Leider bleiben diese Anstrengungen weitgehend lokal begrenzt und werden kaum reflektiert, evaluiert und publiziert. In der Folge wird an vielen Stellen immer wieder neu zwar nicht das Rad, aber vielleicht eine kleine Schraube erfunden. An dieser Stelle lässt sich das Problem nicht lösen. Ich kann hier nur einschlägige Informationen mitteilen, auf die ich mehr oder weniger zufällig aufmerksam werde.

Die Bucerius Law School glänzt mit Examensergebnissen. Nach den Angaben auf der Internetseite lag die Durchschnittsnote der im Jahr 2006 geprüften Kandidaten bei über 10 Punkten (»voll befriedigend«), der Bundesdurchschnitt dagegen bei 6 Punkten (»ausreichend«). Rund drei Viertel aller bisherigen Absolventen haben 2006 ein Prädikatsexamen, im Bundesdurchschnitt dagegen nur 22 %. Die durchschnittliche Studiendauer lag bei 8 Semestern, der Bundesdurchschnitt dagegen bei 10,4 Semestern. Das sind eindrucksvolle Zahlen.

Vermutlich hat dieser großartige Erfolg viele Ursachen. Drei drängen sich auf: bessere Studenten, bessere Dozenten und größere Ressourcen. Anscheinend gelingt es, die besten Studenten anzuziehen und auszuwählen. Die Bucerius Law School nimmt für sich in Anspruch, unter den privaten Hochschulen mit fast 10 % den höchsten Anteil an Stipendiaten der Studienstiftung des Deutschen Volkes zu haben. Davon können staatliche Universitäten nur träumen.

Was die Professoren angeht, so kommt es hier eher auf ihre Leistungen in der Lehre als in der Forschung an, mag beides auch bis zu einem gewissen Grade zusammenhängen. Mich interessiert die Frage, ob die Hamburger über ein besonderes didaktisches System oder gar Rezept verfügen. Immerhin haben sie ein Zentrum für Juristische Didaktik. Es bereitet auf die im Staatsexamen geforderten Schlüsselqualifikationen vor. Vor allem aber konzipiert und organisiert es ein Examensvorbereitungsprogramm, das den Besuch eines Repetitors überflüssig machen soll. Und das scheint auch zu gelingen. Es wäre ja auch unerträglich, wenn die Studenten neben ihren Studiengebühren noch einen Repetitor bezahlen müssten.

Das Vorbereitungsprogramm beginnt nach der Rückkehr der Studierenden aus dem Ausland im achten Trimester mit Brückenkursen, die den bisher gelernten Stoff des Grundstudiums wieder auffrischen. Es folgt das »Kernprogramm«, in dem in einer Zeit von zehn Monaten der examensrelevante Stoff in intensiver Form vermittelt und eingeübt wird. An die schriftliche Prüfung schließt sich dann eine »Coaching-Phase« mit speziellen Veranstaltungen und Prüfungssimulationen zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung an.

Man wüsste gerne mehr über Inhalt und Methode dieses Programms. Veröffentlichungen darüber habe ich nicht gefunden. Wenn es didaktische Fortschritte gibt, sollte die Bucerius Law-School sie nicht als Betriebsgeheimnis behandeln, sondern die staatlichen Fakultäten daran teilhaben lassen, denn immerhin sind Existenz und Erfolg der Law School überhaupt nur auf der Basis staatlicher Vorleistungen denkbar. Vielleicht besteht das Geheimnis auch nur darin, dass man im Mittelbau über größere personelle Ressourcen verfügt, die den Repetitor ersetzen können. Bedeutsam für den Erfolg ist außerdem sicher eine stärkere Motivation, die die Studenten aus der ihnen zugeschriebenen Eliterolle beziehen. Im Übrigen darf man davon ausgehen, dass der Erfolg auf der Auswahl besonders qualifizierter Studenten beruht.

Konkurrenz hebt das Geschäft. So ist es vermutlich kein Zufall, dass auch die staatliche Hamburger Fakultät für Rechtswissenschaft besondere didaktische Anstrengungen unternimmt. Dazu hat sie einen »Think Tank Lehre« eingerichtet. Es handelt sich um ein Beratungsgremium des Dekanats zur Fortentwicklung und Verbesserung von Lehre und Studienbedingungen. Auf der Webseite steht an erster Stelle ein »Modellprojekt Hausaufgaben«. Ferner werden folgende Aktivitäten erläutert: Projekt zur Verzahnung von Arbeitsgemeinschaften und Vorlesungen, Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Wahlschwerpunktstudiums und die Einführung eines Feedback-Management Lehre. Es tut sich also etwas.

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Wo bleibt die Rechtsdidaktik? (Teil II)

Eine juristische Fachdidaktik ist nicht deshalb erforderlich, weil die juristische Ausbildung besonders schlecht ist, sondern weil sie vermutlich besser sein könnte.

Im Posting vom 21. Juli 2008 habe ich das Fehlen einer spezifischen Rechtsdidaktik beklagt. Damit will ich nicht sagen, dass der aktuelle juristische Hochschulunterricht besonders schlecht wäre. Ich höre nicht selten Studenten begeistert von einer juristischen Vorlesung berichten. In Bochum gab und gibt es eine ganze Reihe von »Hörsaalkanonen«, die ein großes Studentenpublikum fesseln können. In anderen Fakultäten wird es ähnlich sein. Die Fakultäten unternehmen auch erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Lehre. Überall gibt es Studiendekane oder Lehrbeauftragte. Spezielle Kurse zur Examensvorbereitung gehören fast überall zum Standard. Die Studiengebühren, die weitgehend zweckgebunden sind zur Verbesserung der Lehre, dürften die Situation weiter verbessern. Das Angebot an juristischer Studienliteratur ist dank der großen Studentenzahlen, die es für Verlage und Autoren lohnend machen, Lehr- und Lernbücher zu schreiben, sehr umfangreich und überwiegend von guter Qualität. Ich akzeptiere den Hinweis auf das bei Juristen so verbreitete Repetitorenwesen nicht als Argument gegen die Qualität der juristischen Ausbildung. Die Repetitoren haben nur deshalb Erfolg, weil das juristische Studium durch die Gestaltung des Staatexamens so kanonisiert ist (oder war?), dass man wissen kann, was man zum Examen zu wissen hat. Die Examenskandidaten sind nicht davon abhängig, dass sie in der Vorlesung eines bestimmten Dozenten gesessen oder seine Bücher gelesen haben. Die Unabhängigkeit des Examens von der Person einzelner Prüfer ist eine Errungenschaft, von der manche Fächer träumen. Es gibt wohl kein anderes Studium, das für den Staat so billig ist wie das juristische. Dafür müssen die Studenten an den Repetitor zahlen. Und dennoch: Es fehlt eine ausgearbeitete juristische Fachdidaktik.

Ohne den Anspruch, der Komplexität des Themas damit gerecht zu werden, will ich den ersten Beitrag um sieben Gesichtspunkte ergänzen:

1. Wenn ich eingangs festgestellt hatte, die Visualisierung sei zurzeit der einzige aktive Zugang zur Rechtsdidaktik, so übersehe ich natürlich nicht die enormen Aktivitäten auf dem Gebiet des E-Learning. Ich beobachte staunend, wie Bund und Länder den »virtuellen Hochschulraum« mit Millionenbeträgen fördern. Bislang ist das Ergebnis kläglich. Gerade in diesem Bereich fehlt eine juristische Fachdidaktik. Darauf hat Günter Reiner aufmerksam gemacht (Juristische Didaktik und E-Lernen: theoretische Konzeption und Anwendungsbeispiele, JurPC Web-Dok. 160/2007, Abs. 1 – 49 (http://www.jurpc.de/aufsatz/20070160.htm).

2. Fragen der Ausbildungsreform und der Fachdidaktik lassen sich nicht sauber trennen. Das Ziel der Juristenausbildung wird durch eine politische Entscheidung bestimmt, die freilich didaktisch informiert erfolgen sollte. Eine Fachdidaktik hat dieses Ziel umzusetzen. Dabei muss sie mit den wiederum politisch verantworteten institutionellen Zwängen der Ausbildung fertig werden. Sie kann umgekehrt auch Forderungen zur Regulierung, häufiger aber vermutlich zur Deregulierung der Juristenausbildung stellen.

3. Auch zwischen Hochschulpädagogik und Fachdidaktik gibt es keine scharfe Grenze. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Hochschuldidaktik[1] die Notwendigkeit oder gar Möglichkeit einer Fachdidaktik vernachlässigt, wenn nicht gar verneint. Universitäre Fachdidaktik muss die allgemeine Hochschulpädagogik inkorporieren. Eine Fachdidaktik des Rechts muss aber darüber hinaus auf viele Fragen eine Antwort geben, die sich für die Rechtswissenschaft in besonderer Weise stellen, darunter die Fragen nach der Vermittlung von Systemvorstellungen und juristischer Methode, nach der Verbindung von Theorie und Praxis, von Soft Skills mit juristischen Inhalten, nach Interdisziplinarität und natürlich die Dauerfrage nach der richtigen Beschränkung von Studieninhalten und Prüfungsstoff.

4. Vielleicht hat das Fehlen der Rechtsdidaktik im universitären Bereich etwas damit zu tun, dass es in Deutschland keine fächerübergreifende Hochschullehrervereinigung gibt. Es gibt die Zivilrechtslehrer, die Strafrechtslehrer und die Staatsrechtslehrer. Sie alle kümmern sich um ihre Fächer, aber nicht um gemeinsame, fachunabhängige Themen.

5. Viele Dozenten befassen sich mit pädagogischen Fragen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Es ist nicht einfach, die einschlägigen Arbeiten zu recherchieren, weil selten oder nie »Fachdidaktik des Rechts« oder »Rechtspädagogik« im Titel steht. Hier ein Beispiel: Bernhard Bergmans, Rechtsterminologieunterricht als Zugang zur Rechtsvergleichung. Das Beispiel des Deutschen, in französischer Sprache veröffentlicht in Revue de droit international comparé 1987, 89-110. Der Verf. hat mir das Manuskript der deutschen Übersetzung überlassen.

6. Die Fachhochschulebene hat sich bei den didaktischen Anstrengungen einen Vorsprung erarbeitet. Es hilft nicht weiter, sich dagegen abzusetzen, denn auch die Universität kommt nicht umhin, praktisch verwertbare Rechtskunde zu vermitteln. Will sie mehr leisten, nämlich die Wissenschaftlichkeit der universitären Rechtsausbildung sichern[2] oder gar wiederherstellen[3], so muss sie mindestens das Weniger bieten. Aber auch und gerade das »Mehr«, die Wissenschaftlichkeit, verlangt nach Didaktik.

7. Adressaten einer Rechtsdidaktik sind nicht nur Dozenten, sondern auch Studenten. Anleitungen zum Jurastudium für Studenten gibt es in größerer Zahl. Noch zahlreicher sind die Anleitungen zur Anfertigung von Klausuren und Hausarbeiten. Ich möchte heute auf ein Buch hinweisen, dass in akademischen Kreisen, wie ich finde, zu Unrecht keine Beachtung findet, nämlich das Buch »Lernprofi Jura« der Repetitoren Marco von Münchhausen und Ingo P. Poschel, München 2002.


[1] Einen Eindruck vermittelt die Internetseite des Hochschuldidaktik-Zentrums des Landes Baden-Württemberg, die auch ein Literaturverzeichnis bietet. Ich habe in den ausführlichen Programmen von 2004 bis 2008 vergeblich nach den Stichworten »Fachdidaktik«, »Rechtsdidaktik«, »Rechtswissenschaft« und »Jura« gesucht.

[2] Peter A. Windel, Zwischenbilanz zur Studienreform von 2003, in: Juristenausbildung mit Herz und Verstand. Festgabe für Heinrich Flege, 2008, 37-50, 39.

[3] Peter Gilles/Nikolaj Fischer, Juristenausbildung 2003, NJW 2003, 707-711, 711.

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Hier war die Rechtsdidaktik

In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verlangten »fortschrittliche« Rechtsfakultäten von ihren Bewerben, dass sie neben Lebenslauf und Schriftenverzeichnis auch ein Positionspapier zur Rechtsdidaktik vorlegten. Mein Bochumer Kollege Professor Dr. Peter A. Windel hat mir freundlich einen solchen Text zur Verfügung gestellt, den er 1997 verfasst hat und der unverändert hier zu lesen ist:

Über akademische Lehre

Bei allen Vorbehalten, die ein junger Privatdozent ohne große Lehrerfahrung machen muss, wenn er Vorstellungen zur akademischen Lehre entwickelt, lässt sich festhalten, dass der Zu­gang zu einer didaktisch sinnvollen Aufbereitung des zu vermittelnden Stoffes im Bereich der Geisteswissenschaften erleichtert wird, wenn deren Dogmatik ihrerseits nicht nur nach streng systematischen, sondern auch nach heuristischen Kriterien entwickelt wird.

Neben der für die Geisteswissenschaften klassischen deduktiven Vermittlung des Stoffes bietet sich gerade für das Jurastudium auch die induktive Methode an. In Gestalt der Judikatur und der zahlreichen Schulfälle gibt es nämlich eine Fülle an Material, um den Vortrag plastischer und damit für die Studierenden leichter fasslich zu machen. Dabei ist freilich auf sorgfältige Auswahl und Vereinfachung zu achten: Werden Beispielsfälle zu komplex, verlieren sich Vor­tragender und Auditorium leicht in Nebensächlichkeiten. Dies gilt übrigens auch für Klausur­aufgaben; m. E. wird dies oft nicht genügend berücksichtigt. Hiergegen lässt sich nicht ein­wenden, Ausbildung und Prüfung verlören mit der Entschlackung der Fälle den notwendigen Bezug zur komplexen Lebenswirklichkeit. Denn Hausarbeit und juristischer Vorbereitungs­dienst bieten ausreichend Gelegenheit, mit verwickelteren Vorgängen vertraut zu werden.

Indem ich deduktive und induktive Methode nebeneinanderstelle, trete ich für eine Kombina­tion der beiden miteinander ein. Dies beruht auf meiner bisherigen Lehrerfahrung: Manches lässt sich in der nötigen Klarheit nur rein deduktiv entwickeln; anderes muss zwar ebenfalls aus allgemeinen Prinzipien hergeleitet werden, wird aber erst durch das Beispiel anschaulich; wie­der anderes erschließt sich am besten dadurch, dass Beispielsfall für Beispielsfall analysiert und die Ergebnisse schließlich abstrakt zusammengefasst werden.

Auch die Pädagogik mag auf die akademische Lehre ihren Einfluss haben, freilich ist dieser wegen des durchschnittlichen Alters der Studierenden beschränkt. Hinzu kommt, dass es gerade auch deren wohlverstandenem Interesse entspricht, ihnen so viel akademische Freiheit zu er­halten, wie dies unter den Bedingungen der modernen Massenuniversität eben möglich ist: Eigenständige Persönlichkeiten werden sich dann besser entfalten können als in einem ver­schulten Lehrbetrieb.

Sicher ist, dass das Verhältnis von Stoff und Form im universitären Unterricht wegen der Komplexität des ersteren oft den Gestaltungsrahmen für letztere einschränkt. Die klassische und bewährte Typik der Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Übungen, Seminare, Kolloquien, Kurse, Propädeutika und Tutorien) stellt aber einen Fundus bereit, die daraus folgenden Pro­bleme zu bewältigen. Dabei ist die Scheu unangebracht, die einzelnen Typen zu kombinieren und damit in ihrer Leistungsfähigkeit wechselseitig zu stärken (Propädeutika und Tutorien mit kleinen Gruppen können den Nutzen einer Großveranstaltung mehren; Wiederholungs- und Vertiefungskurse vermögen die Hauptvorlesungen zu ergänzen usf.). Letztens lässt sich auch festhalten, dass der Erfolg einer Veranstaltung zum nicht geringsten Teil davon abhängt, wie die Weichen an den situationsbedingt entscheidenden Punkten im Rahmen eines Semesters ge­stellt werden: Ein Hörsaal lässt sich in einem Augenblick “packen” oder verlieren, der Lehrer­folg ist gelegentlich von vordergründig rein atmosphärischen Dingen abhängig.

Im Rahmen einer Bewerbung um eine Professur an einer juristischen Fakultät lässt sich über akademische Lehre nicht schreiben, ohne auf die besondere Problematik der Juristenausbildung einzugehen. Deren Grundfragen sind andernorts oft genug erörtert worden und brauchen hier nicht erneut aufgegriffen zu werden (das Verhältnis von Recht als normativer Ordnung und “Rechtswirklichkeit”; die Verbindung von universitärer Ausbildung mit Staatsexamina; die Frage, ob eine echte Zwischenprüfung mit dem Charakter des Jurastudiums vereinbar ist; die Ein- oder Mehrgliedrigkeit der Ausbildung; die Nöte, Normenflut und ins Kraut schießendes “Richterrecht” zu bewältigen; die rechtlichen Implikationen des europäischen Integrationspro­zesses und nicht zuletzt das Repetitoren[un]wesen). Daher begnüge ich mich mit dem Be­kenntnis, dass sich das Studium der Rechtswissenschaften dann als besonders gewinnbringend erweisen dürfte, wenn es tatsächlich als solches betrieben wird.

Für die Lehrenden bedeutet dies, dass sie auch im Unterricht der Rechtswissenschaft ver­pflichtet sein müssen und nicht in eine Rechts- oder Entscheidungskunde abgleiten dürfen. Denn es wäre ein Irrglaube anzunehmen, ein möglichst breites Detailwissen machte die guten, d. h. für die Gesellschaft nützlichen, Juristen aus. Im Gegenteil sind es die systematischen Grundlagen und das methodische Rüstzeug, die die Bewältigung der vielfältigen Aufgaben er­möglichen, die die unterschiedlichen juristischen Berufe an ihre Repräsentanten herantragen. Gelingt es, in diesem Sinne auszubilden oder vielleicht besser: Hilfestellung zum jeweils per­sönlich geprägten Studium zu leisten, dürfte sich auch die Diskussion erledigen, ob das Bild des sog. Einheitsjuristen aufgegeben werden sollte. Denn wie wären die Ziele von Lehrenden und Studierenden besser zu vereinigen als in einem Studienabschluss, der für den weiteren be­ruflichen Lebensweg gute Chancen auf verschiedensten Feldern eröffnet?

[Früherer Beitrag zur Fachdidaktik der Rechtswissenschaft am 21. 7. 2008]

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Interdisziplinarität im Verfassungsgerichtsurteil zum Inzest

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Geschwisterinzest kann als Demonstrationsobjekt für Interdisziplinarität bei der Rechtsarbeit dienen. Hörnle hat in NJW 2008, 2085 die Argumentationslinien des Gerichts sehr schön klargelegt. Es gibt vier Begründungsansätze: Schutz der Familie, Schutz sexueller Selbstbestimmung, eugenische Gesichtspunkte und die »kulturhistorischen Überzeugungen“. Jeder Ansatz geht von bestimmten Realitätsvorstellungen aus, zu denen andere Disziplinen etwas zu sagen haben. Es ist deshalb kein Zufall, dass dieses Urteil eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik provoziert hat (die gekürzt auch auf der Umschlagseite XII von NJW 29/2008 abgedruckt ist).

Der eugenische Gesichtspunkt ist durch den Umgang der Nazis mit Erbkrankheiten und Euthanasie so schwer belastet, dass eine bloß funktionale Erörterung heute nicht möglich ist. Diese Tatsache sollte aber nicht dazu führen, dass die Verfolgung eugenischer Ziele mit Hilfe des Rechts tabuisiert wird.

Ein Standardargument geht dahin, die Fortpflanzungsfreiheit auch von Paaren, deren Kinder ein erhöhtes Risiko für rezessiv erbliche Krankheiten hätten, dürfe nicht eingeschränkt werden. Das ist fraglos ein außerordentlich heikles Thema. Man darf aber nicht die Augen davor verschließen, dass zwar der Geschwisterinzest eine seltene Ausnahme ist, dass aber heute aus Ärztekreisen berichtet wird, dass Ehen zwischen Vettern und Cousinen mit den entsprechenden Folgen in bestimmten Kreisen der Bevölkerung häufig sind. Und es lässt sich einfach nicht übersehen, dass zumindest in den USA erörtert wird, ob Eltern, die ein behindertes Kind zur Welt bringen, dessen Geburt sie hätten verhindern können, Schadensersatzansprüchen des Kindes ausgesetzt sind.

Kirsten Rabe Smolensky, Creating Disabled Children: Parental Tort Liability for Preimplantation Genetic Interventions (July 11, 2008). 60 Hastings Law Journal, Forthcoming 2008; verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=1166602; vgl. dazu Lawrence B. Solum in seinem Legal Theory Blog.

Eine solche Konsequenz ist aus meiner Sicht absurd. Doch mindestens die Frage, ob das behindert geborene Kind selbst Ansprüche gegen Dritte, insbesondere gegen Ärzte, geltend machen kann, ist sicher noch nicht abschließend beantwortet.

Kinder haben ein Recht auf »Geborenwerden in Unversehrtheit«. Die Tatsache, dass das Kind bereits geschädigt auf die Welt gekommen ist, das Rechtsgut »Gesundheit« in seiner Person also nie unversehrt bestanden hat, ist unerheblich. Daher sind auch vorgeburtliche Schädigungshandlungen, die sich erst in/mit der Geburt auswirken, erfasst (Autounfall der Mutter, BGH NJW 85, 1390; Syphilis-Infektion des Kindes wegen Infektion der Mutter während der Schwangerschaft durch Krankenhauspersonal, BGHZ 8, 243).

Liegen die Fälle, in denen einem Arzt Fehler bei der genetischen Beratung der Eltern oder bei der vorgeburtlichen Diagnostik zur Last fallen, so grundsätzlich anders? Fehlt es an einer vorgeburtlichen »Schädigungshandlung«? Zwar hat der Arzt die Behinderung des Kindes nicht durch ein positives Tun hervorgerufen. Er hat weder auf den Fötus noch die Mutter in irgendeiner Weise eingewirkt. Daher kommt allenfalls eine Rechtsgutverletzung durch Unterlassen in Betracht, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Eine solche Rechtspflicht ließe sich wohl aus dem Arztvertrag mit der Mutter ableiten, der nach § 328 II BGB als Vertrag zugunsten eines (künftigen) Dritten oder gar des nasciturus gelten kann. Unabhängig davon verlangt das Recht, unversehrt geboren zu werden (wenn es denn ein solches gibt), von dem konkret mit Beratung oder Untersuchung befassten Arzt als »Experten« ein Tätigwerden. Dennoch hat das mit einer schweren Behinderung geborene Kind nach Auffassung des BGH und herrschender Meinung keinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn wegen mangelhafter ärztlicher Leistung ein eigentlich indizierter Schwangerschaftsabbruch unterblieben ist, denn – so die Begründung – es hat keinen »Anspruch auf Nichtexistenz« (BGHZ 86, 240, 250; BGHZ 89, 104; Müller, NJW 2003, 697/700). Das bedeutet: Ausgerechnet dann, wenn das Kind Hilfe besonders nötig hätte, nach dem Tode der Eltern, wird es rechtlos gestellt. Das ist mehr als bloß eine »Schwachstelle« (Müller S. 706) und die gängige Begründung ist reine Begriffsjurisprudenz. Im Hintergrund steht vermutlich die Befürchtung, dass ein Schadenersatzanspruch des Kindes gegen Dritte den Weg auch für Ansprüche gegen Eltern bereiten würde, in der Tat ein schwer vorstellbares Ergebnis. Müller appelliert an die »Verantwortung der Gesellschaft« und verweist auf das SGB. Ich meine, dass man vor diesem Hintergrund eugenische Ziele für die Rechtspolitik nicht von vornherein ausschließen kann. Auf die Mittel kommt es an. Deshalb kann man sich um das Eugenik-Thema nicht drücken.

Die Rechtswissenschaft hat hierzu unter anderen die Aufgabe, die juristischen und rechtspolitischen Stellungnahmen aus der Zeit vor 1933 aufzuarbeiten. Besonders verdienstvoll ist deshalb die »Einführung: Rechtstheorie und Staatsverbrechen«, von Wolfgang Naucke in: Karl Binding/Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, [1920], Nachdruck 2006. Ich möchte hier daran erinnern, dass es von Theodor Geiger eine ganze Reihe von Stellungnahmen zur Eugenik gab. Zwar hat sich Geiger darin als Kritiker der eugenischen Bewegung seiner Zeit gezeigt. Er hat jedoch den Grundgedanken einer eugenischen Erbpflege durchaus befürwortet. 2001 hat sich Thomas Meyer in seiner Geiger-Monographie gegen die bisher verbreitete Lesart gewendet, die Geiger als frühen Kritiker der Eugenik rühmt, und ihm vorgeworfen, er habe teilweise die Grenzen des moralisch Vertretbaren überschritten (Thomas Meyer, Die Soziologie Theodor Geigers, 2001, 112 ff.). Das muss vielleicht nicht das letzte Wort bleiben. Geigers Schriften zur Eugenik sind m. E. noch nicht hinreichend beachtet worden. Ihre Aufarbeitung könnte ein Dissertationsthema für eine mutige Juristin sein.

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