Mit harten Bandagen in die Mediation?

Mediation ist eine tolle Technik. Doch gegen jede Technik werden früher oder später Gegenmaßnahmen entwickelt.
Ich wundere mich schon lange, dass bisher anscheinend noch niemand Strategien entwickelt oder auch nur zusammengestellt hat, mit denen man als Partei in einer Mediationsverhandlung das Beste für sich herausholt. Wie man machiavellistisch verhandelt, ist im Grund längst bekannt. Der Klassiker ist Philip G. Schrag & Michael Meltsner, Negotiating Tactics for Legal Services, 7 Clearinghouse Review 259-263 (1973). [1]Teilweise abgedruckt in Goldberg/Sander/Rogers/Cole, Dispute Resolution, 5. Aufl. 2007, S. 17-22. Im Internet kursiert eine Kopie unter … Continue reading Sozusagen die Gegenposition, die heute die Grundlage für die Schulung der Mediatoren bildet, ist die kooperative oder integrative Verhandlungstaktik nach Fisher und Ury. In meinem alten Skriptum zur Verhandlungstechnik hatte ich versucht, die beiden Verhandlungsstrategien zusammenzuführen.
In einem neueren, schrecklich langen Aufsatz stellt Robert J. Condlin [2]Condlin, Robert J. (2008): ‘Every Day and in Every Way, We are All Becoming Meta and Meta:’ Or How Communitarian Bargaining Theory Conquered the World (of Bargaining Theory). In: Ohio … Continue reading die beiden Verhandlungsstrategien einander gegenüber. Die kooperativ-integrative bezeichnet er als communitarian, ihr Gegenstück als adversarial. Sein Fazit lautet etwa, die Überlegenheit kooperativer Verhandlungstechnik sei empirisch nicht nachgewiesen.

The empirical arguments for communitarian bargaining … make general claims about bargaining practice based on cartoon data about stylized, overly simple, non-legal disputes in a manner that is more often gimmicky than real. They tout maneuvers and techniques that work in limited contexts and have little application to ordinary bargaining problems as examples of best bargaining practice across the board. And they defend these claims in a manner that bespeaks more of prestidigitation than reasoned elaboration. The complete case for the communitarian method, both its normative and critical dimensions, rejects the possibility of intractable conflict and the existence of incommensurable values and beliefs, ignores the compressed time frames and constricted social relationships within which bargaining is conducted, and closes it eyes to many of the practical constraints of real life situations that do not fit easily into its idealized communal model of bargaining interaction. It is also gratuitously competitive and unfair in the way it describes and dismisses adversarial approaches to bargaining, misleading in the manner it reports and uses empirical data, and imperialist in the attitude it takes toward the world of bargaining theory generally. It is based mostly on prescriptive writing grounded in aesthetic and ideological preferences, with little in the way of empirical evidence to back it up. As an argument, it seems based on the assumption that life imitates (communitarian) theory, if it knows what’s good for it. (S. 296 f.)

Sie werde jedoch ideologisch überhöht und die Gegenposition auf eine geradezu adversariale Weise bekämpft. Was die Empirie betrifft, so muss man wohl doch besser unterscheiden, ob es um erfolgreiche Konfliktregelung geht oder um erfolgreiches Abschneiden einer Partei. Es scheint so, als ob eine kooperative Verhandlungstechnik erfolgreicher ist, wenn es darum geht, die Parteien zu einer Einigung zu bringen. Und deshalb ist sie das Rezept der Mediation. Und das ist natürlich auch, wenn man so will, die Ideologie der Mediation. Wer dagegen rücksichtslos seinen eigenen Vorteil durchsetzen will, fährt als kompetetiver Verhandler besser. Daher durfte man gespannt auf eine Anleitung warten: Wie nutze ich in der Mediation die kooperative und integrative Haltung meines Gegners am besten zu meinen Gunsten aus.
Als solche kann man ein neues Buch zur Verhandlungstechnik (über das die heimliche Juristenzeitung ausführlich berichtet hat) [3]Jörg Oberwittler, Der Klügere gibt nicht nach, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 13 vom 16. 1. 2009 in der Beilage »Beruf und Chance«, die auch in der FamS vom 17. 1. noch einmal erschienen ist. lesen. Es stammt von einem »harten Hund«, der als ehemaliger Leiter einer Sondereinheit der bayerischen Polizei über Erfahrungen in der Verhandlung mit Geiselnehmern verfügt: Matthias Schranner, Teure Fehler. Die 7 größten Irrtümer in schwierigen Verhandlungen, Berlin (Econ) 2009. Jetzt vermarktet Schranner seine Erfahrungen mit dem in der Schweiz angesiedelten »Schranner Negotiation Institute«.
Schranners Credo: »Ein Konfliktberuht immer auf unterschiedlichen Interessen und der Annahme, dass die eigenen Interessen die richtigen Interessen sind. Was dazu führt, dass die gegnerische Partei falsche Interessen hat.« (S. 17). Und deshalb ist Irrtum Nr. 1 der Glaube daran, dass beide Seiten gewinnen können, dass eine ›Win-win‹-Vereinbarung möglich ist.« (S. 11). Zwar heißt es dann später (S. 109), es gebe immer Gemeinsamkeiten, auch zwischen zwei sich noch so sehr bekämpfenden Parteien; andernfalls könne man überhaupt nicht verhandeln. Doch sie werden nur strategisch genutzt, um bei dem Gegner eine positive Verhandlungsstimmung zu erzeugen: Wir haben ein gemeinsames Problem. Schranners Verhandlungsstrategie ist darauf ausgerichtet, den Gegner nicht gewinnen zu lassen, sondern ihm nur das Gefühl zu geben, er habe gewonnen. Irrtum Nr. 2 besteht in der Annahme, eine gute inhaltliche Vorbereitung sei entscheidend. Mindestens ebenso wichtig, so Schranner sind Strategie und Taktik. Was dann unter »Irrtum« Nr. 3 bis 7 aufbereitet wird, sind die altbekannten Rezepte für kompetetives Verhandeln. Es geht um Verhandlungsphasen, den Umgang mit Emotionen und Alternativen zum angestrebten Verhandlungsergebnis. »Sie dürfen nicht rational verhandeln!« Rational ist nur die Vorbereitung auf einen Verhandlungskampf, bei dem es darauf ankommt zu gewinnen. Zwar sind Lügen verpönt, doch Bluff keineswegs. Schranner will »nicht das Hohelied auf das Fairplay singen« (S. 67). »No-Gos« gibt es nur im Umgang innerhalb des eigenen Verhandlungsteams. Die Herkunft des Verfassers aus der Polizei zeigt sich etwa, wenn er rät, sich nach Möglichkeit einen V-Mann im Lager des Gegners zu suchen. Das Ganze ist auf Verhandlungen zwischen Wirtschaftsunternehmen, insbesondere Automobilherstellern und ihrer Zulieferern oder Arbeitgebern und Gewerkschaften abgestimmt. Aber das Buch ließe sich leicht auf die Verhältnisse bei der gerichtlichen Mediation umschreiben. Die Rezepte Schranners taugen vermutlich für eine einseitige Aufrüstung. Wenn beide Teile sich bei ihm Rat holen, führen sie wohl eher in eine Katastrophe.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Teilweise abgedruckt in Goldberg/Sander/Rogers/Cole, Dispute Resolution, 5. Aufl. 2007, S. 17-22. Im Internet kursiert eine Kopie unter http://www.mediationadvocacy.com/Meltsner%20&%20Schrag.pdf. Anscheinend gibt es eine neue Version in 39 Clearinghouse Rev. 589-593 (2006), die mir nicht zugänglich ist.
2 Condlin, Robert J. (2008): ‘Every Day and in Every Way, We are All Becoming Meta and Meta:’ Or How Communitarian Bargaining Theory Conquered the World (of Bargaining Theory). In: Ohio State Journal on Dispute Resolution, Jg. 23, zuerst veröffentlicht: Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=957570.
3 Jörg Oberwittler, Der Klügere gibt nicht nach, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 13 vom 16. 1. 2009 in der Beilage »Beruf und Chance«, die auch in der FamS vom 17. 1. noch einmal erschienen ist.

Ähnliche Themen

Berichtsforschung IV: Ein Umweg zur Interdisziplinarität der juristischen Arbeit?

Katsh hat schon 1989 in seinem Buch über »The Electronic Media and the Transformation of Law« vorhergesagt, die Flexibilisierung der Wissensbestände durch die elektronischen Medien werde die Disziplingrenzen, die lange durch die gedruckte Rechtsliteratur stabilisiert worden seien, unterminieren. [1]M. Ethan Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, New York, NY 1989, S. 94-101, 247-265; ders., Law in a Digital World, New York, NY 1995, S. 158, 164 f. Elektronische Medien, die unterschiedslos Informationen aus allen Wissens- und Lebensgebieten vereinigten, seien auf Interdisziplinarität angelegt und würden das Recht wieder stärker für Einflüsse aus dem sozialen Kontext öffnen. Durch Digitalisierung werde die Information flüssig. Sie werde leichter verfügbar, könne ganz unsystematisch abgerufen und relativ einfach neu gemischt werden. Gleichzeitig finde man in demselben Medium, anders als in der klassischen Bibliothek, auch nichtjuristische Informationen aller Art. Allgemein werde eine Kultur entstehen, in der es normal sei, separat generierte und gespeicherte Wissensbestände zusammen zu führen. In der Folge würden Juristen, die gelernt hätten, mit den elektronischen Medien umzugehen, die klassischen Rechtsquellen mit anderen Wissensangeboten kombinieren und so die Grenze zwischen juristischem und außerjuristischem Wissen durchlässig machen. Juristen gerieten damit unter Druck, sich nicht länger allein auf Regeln zu stützen, um relevante von irrelevanten Informationen zu trennen.
Die Technik der digitalen Information ist längst etabliert. Bislang schien es an geeigneten nichtjuristischen Inhalten zu fehlen. Die klassische Sozialforschung ist noch kaum im Netz zu finden. In diese Lücke stößt die Berichtsforschung. Sie könnte der Rechtswissenschaft und der praktischen Jurisprudenz unter Umgehung der Rechtssoziologie und anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen für eine empirische Vergewisserung über den Kontext des Entscheidens dienen. Vermutlich wird die Berichtsforschung auf diesem Wege viele der Funktionen übernehmen, die man bisher der Rechtstatsachenforschung und teilweise auch der Kriminologie als Hilfswissenschaften der Jurisprudenz zugeschrieben hat und die diese Fächer wenig erfolgreich ausgefüllt haben. Hier bahnt sich vielleicht eine neuartige Form der Interdisziplinarität an, die in der Folge des Medienwandels selbsttätig einstellt. Die Verfügbarkeit der Berichte im Internet kommt dem Zeitdruck der Praxis und ihren Schwierigkeiten beim Zugang zu einschlägiger Forschung entgegen. Das Angebot ist inzwischen sehr umfangreich. Vielleicht findet man nicht immer genau die Daten, die man sucht. Aber zu jedem Lebensbereich findet man mehr, als das Alltagswissen bereithält. Florian Knauer hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die Digitalisierung der Information Einfluss auch auf die juristische Methodenlehre haben werde. [2]Florian Knauer, Juristische Methodenlehre 2.0? Der Wandel der juristischen Publikationsformate und sein Einfluss auf die juristische Methodenlehre, in: Rechtstheorie 40 (2009), 379–403, 397-400. So werde die leichte Verfügbarkeit der Gesetzesmaterialien im Internet die historische Auslegung stärken. Sie werde zu einem schärferen Blick auf den Gesetzeszweck verhelfen und damit auch die teleologische Auslegung befördern. Dabei könnten neben den Gesetzesmaterialien »auch andere im Internet publizierte Informationen für die teleologische Auslegung herangezogen werden. In Betracht [kämen] beispielsweise behördliche oder andere statistische Daten …«. Bei dieser Entwicklung könnten die »Berichte« eine tragende Rolle spielen, denn sie sind politik- und praxisnäher als die Forschung, die aus den klassischen Wissenschaftsinstitutionen kommt. Soweit die Berichte hinreichend bekannte und angesehene Institutionen zum Absender haben, strahlen sie zudem einige Glaubwürdigkeit und Autorität aus.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 M. Ethan Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, New York, NY 1989, S. 94-101, 247-265; ders., Law in a Digital World, New York, NY 1995, S. 158, 164 f.
2 Florian Knauer, Juristische Methodenlehre 2.0? Der Wandel der juristischen Publikationsformate und sein Einfluss auf die juristische Methodenlehre, in: Rechtstheorie 40 (2009), 379–403, 397-400.

Ähnliche Themen

Berichtsforschung III: Warum nicht Ressortforschung?

Was ich Berichtsforschung nenne, fällt zum Teil unter Aktivitäten, die als Ressortforschung geläufig sind. Darunter versteht man Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zur Vorbereitung, Unterstützung oder Umsetzung politischer Entscheidungen, die von den zuständigen Entscheidungsträgern, nämlich von Ministerien des Bundes und der Länder, veranlasst werden. [1]Konzept für eine moderne Ressortforschung der Bundesregierung: http://www.bmbf.de/de/7416.php. Allein die Ressortforschung des Bundes macht etwa ein Viertel aller in Deutschland veranstalteten wissenschaftlichen Forschung aus. [2]Eva Barlösius, Zwischen Wissenschaft und Staat? (2008), verfügbar unter http://bibliothek.wz-berlin.de/pdf/2008/p08-101.pdf. Nur am Rande sei dazu vermerkt, dass das Bundesministerium der Justiz und das Bundesamt für Justiz nicht über eigene Ressortforschungskapazitäten verfügen, sondern die Ressortforschung als Auftragsforschung nach außen vergeben. Auf den Internetseiten der beiden Institutionen habe ich keine Hinweise auf aktuelle Auftragsforschung gefunden. [3]Für die gute alte Zeit vgl. die Übersicht von Strempel, Empirische Rechtsforschung als Ressortforschung im Bundesministerium der Justiz, Zeitschrift für Rechtssoziologie 9, 1988, 190–201.
Der Begriff der Ressortforschung ist für mein Thema wegen seiner Bindung an staatliche Kompetenzen als zu eng. Es zeigt sich nämlich, dass viele einschlägige Untersuchungen von IGOs und INGOs stammen, also von internationalen Organisationen mit oder ohne offiziellen rechtlichen Auftrag. Daher also der ungewöhnliche Begriff.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Konzept für eine moderne Ressortforschung der Bundesregierung: http://www.bmbf.de/de/7416.php.
2 Eva Barlösius, Zwischen Wissenschaft und Staat? (2008), verfügbar unter http://bibliothek.wz-berlin.de/pdf/2008/p08-101.pdf.
3 Für die gute alte Zeit vgl. die Übersicht von Strempel, Empirische Rechtsforschung als Ressortforschung im Bundesministerium der Justiz, Zeitschrift für Rechtssoziologie 9, 1988, 190–201.

Ähnliche Themen

Kann man Vermittlungstechnik lernen?

Vor vielen Jahren habe ich einmal einen kurzen Beitrag geschrieben zu der Frage »Gibt es eine lehr- und lernbare Technik des Vergleichs?« [1]in: Gottwald/Hutmacher/Röhl/Strempel (Hg.), Der Prozeßvergleich, Köln 1983, S. 209-216.. Inzwischen war ich eigentlich davon überzeugt, dass spätestens mit dem Harvard Negotiation Project eine solche Technik Einzug gehalten hätte. Jetzt finde ich einen Aufsatz von Art Hinshaw und Roselle L. Wissler »How do we know That Mediation Training Works?« [2]Dispute Resolution Magazine Fall 2005, S. 21-23, verfügbar bei SSRN unter http://ssrn.com/abstract=1432478., in dem die Autoren ausführen, es gebe keinen empirischen Nachweis, dass die Tätigkeit von Mediatoren mit Training von den Parteien als fairer bewertet werde und ebensowenig, dass ausgebildete Mediatoren bessere Vergleichsraten erzielten. Allerdings wollen die Autoren dieses Ergebnis selbst nicht glauben und schlagen daher neue Untersuchungsdesigns vor, um der Frage auf den Grund zu gehen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 in: Gottwald/Hutmacher/Röhl/Strempel (Hg.), Der Prozeßvergleich, Köln 1983, S. 209-216.
2 Dispute Resolution Magazine Fall 2005, S. 21-23, verfügbar bei SSRN unter http://ssrn.com/abstract=1432478.

Ähnliche Themen

Literaturliste zu sexuellem Missbrauch gegen Kinder und Jugendliche

Das Thema ist zurzeit so allgegenwärtig, dass der Hinweis auf eine Literaturliste mit 1100 einschlägigen Titeln vielleicht nützlich ist. Die Liste im PDF-Format wurde im Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID) aus dem (kostenpflichtigen) PSYNDEX zusammengestellt. Hier der Link: http://www.zpid.de/pub/info/zpid_news_sexuelle-Gewalt.pdf.

Ähnliche Themen

Gemeinschaftsblog »Governance Across Borders«

Am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, wo sich insbesondere Sigrid Quack mit transnationaler Governance und Regulierung befasst, gibt es einen einschlägigen Gemeinschaftsblog »Governance Across Borders« der Forschungsgruppe »Grenzüberschreitende Institutionenbildung«, den ich in meine Blogroll aufgenommen habe.

Ähnliche Themen

Legal Capital oder Kirchmanns späte Rache

Social capital, human capital und nun auch legal capital? Der Begriff »legal capital« ist eigentlich für das rechtlich vorgeschriebene Mindestkapital von Gesellschaften verbraucht [1]Vgl. Marcus Lutter, Hg., Legal Capital in Europe, 2006., und die Stadt Den Haag bezeichnet sich als »Legal Capital of the World«. Auf der schon mehrfach erwähnten Bremer Tagung hat Eidenmüller diesen Begriff aber beiläufig noch in einer anderen Bedeutung verwendet, nämlich in Analogie zu human capital und social capital. Konkret ging es darum, dass die Wahl effizienteren ausländischen Rechts durch die Akteure am transnationalen Rechtsmarkt Komplexe des abgewählten Rechts, die mit großem Aufwand erarbeitet wurden, entwerten könnte. Viel dramatischer erleben wir die Entwertung des Rechtskapitals in Europa, wo die Vereinheitlichung des Vertragsrechts lieb und teuer gewordene Bestände der Rechtsdogmatik zur Makulatur werden lässt. Der Begriff, so scheint es, hat Zukunft.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Vgl. Marcus Lutter, Hg., Legal Capital in Europe, 2006.

Ähnliche Themen

Lawfare

Wenn man nach »Lawfare« gugelt, findet man, dass der Begriff 2001 von dem damaligen Oberst im Dienste der amerikanischen Militärjustiz, Charles Dunlap, erfunden wurde. [1]Charles Dunlap, Law and Military Interventions: Preserving Humanitarian Values in 21st Century Conflicts (Carr Center for Human Rights, John F. Kennedy School of Government, Harvard University, … Continue reading Dunlop beginnt seinen Essay von 2001 mit der Frage?:

Is warfare turning into lawfare? In other words, is international law undercutting the ability of the U.S. to conduct effective military interventions? Is it becoming a vehicle to exploit American values in ways that actually increase risks to civilians? In short, is law becoming more of the problem in modern war instead of part of the solution? … One of the most striking features of the Kosovo campaign, in fact, was the remarkably direct role lawyers played in managing combat operations.

Gemeint ist also der Gebrauch von Recht, insbesondere Völkerrecht, in Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen, Guerillas oder Terroristen und Staaten mit einem liberalen Rechtssystem. Dabei geht es darum, durch den Auftritt vor nationalen oder internationalen Gerichten mindestens einen moralischen Vorteil gegenüber dem Gegner zu gewinnen. Al Quaida soll in einem Trainingshandbuch (das die Polizei in Manchester/England entdeckt hat) seinen Kämpfern für den Fall der Verhaftung empfohlen haben, sich über Folter und andere Formen menschenrechtswidrigen Missbrauchs zu beklagen. In dieser Verwendung des Wortes spiegelt sich der verbreitete politische Widerstand der USA gegen ein Völkerstrafrecht und internationale Gerichtshöfe.
Eigentlich wollte ich den Ausdruck – ohne seine ihm von Dunlop mitgegebenen Konnotationen – übernehmen, um unter dieser prägnanten Überschrift die juristischen Strategien zu beschreiben, mit denen Opfer, ihre Anwälte und vor allem NGOs versuchen, über Ländergrenzen hinweg Ansprüche durchzusetzen, die auf transnationales Recht gestützt werden, besonders natürlich auf Menschenrechtsverletzungen. In der vergangenen Woche las man wieder unter der Überschrift »Deutsche Konzerne am Pranger der amerikanischen Justiz« [2]FAZ vom 3. 3. 2010 S. 19. Einzelheiten findet man auf der Seite des Business Human Rights Resource Center . über Sammelklagen, mit denen Daimler und Rheinmetall sowie den amerikanischen Konzernen IBM, Ford und General Motors durch Lieferung von Fahrzeugen und Gerät sowie durch Weitergabe von Informationen über Apartheidgegner Verbrechen des Regimes bis hin zur Folter und zu rechtwidrigen Tötungen unterstützt zu haben. Schon seit einigen Jahren streitet man sich vor den Gerichten in New York um die Zulässigkeit der Klagen, die auf das Alien Tort Claims Act von 1789 (ATCA) [3]Auch Alien Tort Statute genannt. Die einzige Bestimmung besagt, dass Jedermann vor amerikanischen District Courts Zivilklagen erheben kann, die auf die Verletzung von Völkerrecht oder … Continue reading gestützt werden. Auf der Rechtssoziologietagung in Bremen Anfang März 2010 war die corporate responsability von multinationalen Unternehmen (TNCs) ein zentrales Thema. Da war auch die Rede davon, dass Klagen gegen die Parent Company einer TNC im Mutterland nicht mehr bloß auf Durchgriffshaftung (piercing the veil), sondern auf eine eigene Verantwortung der Parent Company gestützt werden, die sich aus einer Verletzung firmeneigener codes of conduct oder Richtlinien internationaler standard setting bodies [4]Dazu von Larry Catá Backer, der in Bremen einen Vortrag hielt, Multinational Corporations, Transnational Law: The United Nation’s Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations as … Continue reading ergeben (foreign direct liability). Für solche Klagen stehen außer den Menschenrechtsorganisationen, die die Opfer mobilisieren, unternehmerische Anwälte bereit, die sich auf Human-Rights-Angelegenheiten geworfen haben. Bisher waren die auf den ATCA gestützten Klagen allerdings wenig erfolgreich, so dass man nach anderen Rechtsgrundlagen Ausschau hält. [5]Barnali Choudhury, Beyond the Alien Tort Claims Act: Alternative Approaches to Attributing Liability to Corporations for Extraterritorial Abuses. Northwestern Journal of International Law & … Continue reading
»Lawfare« wäre eine schöne Überschrift, um über solche Aktivitäten zu berichten. Doch bevor ich damit begonnen hatte, nach Material zu Lawfare im Sinne von Recht als transnationalem Kampfmittel zu suchen, bin auf das Buch von Jean und John Comaroff über »Law and Disorder in the Postcolony« gestoßen, die ihrerseits von Lawfare reden, den Ausdruck aber in einem wiederum anderen Sinne verwenden. John L. Comaroff hatte die Wortschöpfung schon 2001 etwa zeitgleich und wohl auch unabhängig von Dunlop benutzt. Er erinnerte daran, dass Eingeborene in Südafrika im 19. Jahrhundert

referred to the appurtenances of the law – courts, papers, contracts, agents – as the »English mode of warfare«, um dann fortzufahren: »That ›mode of warfare‹ – or rather lawfare –, the effort to conquer and control indigenous peoples by the coercive use of legal means ….

2007 haben die Comaroffs diesen Ausdruck wieder aufgegriffen. Nun bestimmen sie (S. 30) lawfare als

the resort to legal instruments, to the violence inherent in the law, to commit acts of political coercion, even erasure.

Sie schildern dazu viele Beispiele, wie Gewalt, die man für Unrecht halten möchte, sorgsam in Rechtsform verpackt wird, so etwa vom Diktator Mugabe in Zimbabwe. Recht, so meinen sie, sei in den früheren Kolonien gewissermaßen zum Fetisch geworden und diene zur Juridifizierung von Politik.
Und was mache ich nun mit »Lawfare«?

Nachtrag vom 5. April 2012: In der Heimlichen Juristenzeitung berichtet Katja Gelinsky heute unter der Überschrift »Recht ohne Grenzen« über den aktuellen Stand der Kontroverse über die Reichweite des Alien Tort Claims Act in den USA. Der Artikel ist nur im kostenpflichtigen Archiv der Zeitung zugänglich. Nähere Informationen findet man auf Scotus-Blog. Auch die zahlreichen Amicus-Briefs sind verlinkt, darunter auch derjenige, mit dem sich die deutsche Bundesregierung gegen die extraterritoriale Anwendung des Gesetzes wendet.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Charles Dunlap, Law and Military Interventions: Preserving Humanitarian Values in 21st Century Conflicts (Carr Center for Human Rights, John F. Kennedy School of Government, Harvard University, Working Paper, 2001), verfügbar unter http://www.ksg.harvard.edu/cchrp/Web%20Working%20Papers/Use%20of%20Force/Dunlap2001.pdf. Vgl. auch Dunlap, Lawfare Today: A Perspective, Yale Journal of International Affairs 2008, 146-154. Dunlap selbst schreibt die Wortschöpfung einem Artikel von John Carlson und Neville Yeomans aus dem Jahre 1975 zu.
2 FAZ vom 3. 3. 2010 S. 19. Einzelheiten findet man auf der Seite des Business Human Rights Resource Center .
3 Auch Alien Tort Statute genannt. Die einzige Bestimmung besagt, dass Jedermann vor amerikanischen District Courts Zivilklagen erheben kann, die auf die Verletzung von Völkerrecht oder internationalen Verträgen der Vereinigten Staaten begründet werden.
4 Dazu von Larry Catá Backer, der in Bremen einen Vortrag hielt, Multinational Corporations, Transnational Law: The United Nation’s Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations as Harbinger of Corporate Responsibility in International Law, in: Columbia Human Rights Law Review 37 (2005), 101–192, verfügbar unter: http://ssrn.com/abstract=695641.
5 Barnali Choudhury, Beyond the Alien Tort Claims Act: Alternative Approaches to Attributing Liability to Corporations for Extraterritorial Abuses. Northwestern Journal of International Law & Business, Vol. 26, No. 43, 2005, verfügbar unter: http://ssrn.com/abstract=1018207.

Ähnliche Themen

Die Deinstitutionalisierung der Rechtssoziologie schreitet fort

Auf der Tagung der Vereinigung für Rechtssoziologie, die vom 3. bis 5. März in Bremen stattfand, [1]Die Tagung war inhaltsreich und angenehm. Ich fürchte, dass ich nicht mehr dazu komme, etwas zu berichten, weil ich gleich wieder verreisen muss. hat die Mitgliederversammlung erwartungsgemäß die Umbenennung in »Vereinigung für Recht und Gesellschaft« beschlossen. Prof. Jost, Bielefeld, RiBVerfG Prof. Bryde und ich haben zwar protestiert, aber doch nur zaghaft, denn es ist Sache der nächsten Generation zu bestimmen, unter welchem Namen sie auftreten will. Auf der Versammlung wurde berichtet, dass in den letzten zwei Semestern weniger als die Hälfte der deutschen Rechtsfakultäten noch eine Lehrveranstaltung mit dem Titel »Rechtssoziologie« halten ließ. Warum auch, wenn die Fachgemeinschaft sich nicht mehr traut. In ihrem Grußwort zur Tagung hatte die Justizministerin des Bundes meine Formulierung von der Rechtssoziologie als Erfolgsgeschichte zitiert. Das ist mir trotzdem nicht peinlich, denn ich bin davon überzeugt, dass Rechtssoziologie, wenn auch teilweise unter fremden Namen, weiter Wirkung zeigen wird.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die Tagung war inhaltsreich und angenehm. Ich fürchte, dass ich nicht mehr dazu komme, etwas zu berichten, weil ich gleich wieder verreisen muss.

Ähnliche Themen

Noch einmal: Das zweite Mediationsparadox

Zunächst zur Erinnerung: Als Mediationsparadox hatten McEwen und Milburn [1]McEwen, Craig A.; Milburn, Thomas W. (1993): Explaining a Paradox of Mediation. In: Negotiation Journal, S. 23–36 das bemerkenswerte Phänomen bezeichnet, dass die obligatorische Teilnahme an einem Mediationsverfahren die Erfolgsrate nicht wesentlich beeinträchtigt. Auch hier gilt also das von mir so genannte Naturrecht oder Naturgesetz der Vermittlung, dass konstant etwa zwei Drittel aller Mediationsverfahren mit einer Einigung enden, wenn es gelingt, die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Als zweites Mediationsparadox hatte ich die Beobachtung bezeichnet, dass die Mediation ungenutzt bleibt, obwohl sie doch so erfolgreich, nämlich schneller, besser und billiger als Gerichtsverfahren sein soll. Jetzt habe ich mich noch einmal auf die Suche nach Erklärungen für diesen merkwürdigen Widerspruch gemacht. Die Fundstücke will ich heute vorstellen.
Für die Zurückhaltung des Publikums bei der Inanspruchnahme von Mediations- und Güteverfahren aller Art wird ein ganzes Bündel von Begründungen angeboten. Ich beginne mit der schon genannten Unkenntnishypothese. Sie besagt, dem Publikum sei Mediation als Alternative zum Gerichtsverfahren nicht hinreichend geläufig. Diese Hypothese ist wohl die schwächste. Die Justizverwaltungen geben sich überall große Mühe, Mediation publik zu machen, und die Medien widmen dem Thema immer wieder positiv besetzte Aufmerksamkeit.

Langsam müsste so viel Werbung eigentlich wirken. Merry und Silbey haben schon 1984 darauf hingewiesen, dass die Menschen tatsächlich große Bereitschaft zeigen, Alternativen zum Gerichtsprozess zu finden, und dass sie sich dazu bei einem breiten Spektrum von Auskunfts- und Beratungsstellen umhören. [2]Merry, Sally Engle; Silbey, Susan S. (1984): What do Plaintiffs Want? Reexamining the Concept of Dispute. In: The Justice System Journal, Jg. 9, S. 151–179. McEwen und Milburn (S. 25) meinen, die Unkenntnishypothese diene in erster Linie dazu, die Ideologie der Mediation als eines auf Freiwilligkeit beruhenden Verfahrens zu stützen. Wenn die Parteien nicht hinreichend informiert sind, dann könne man sie ruhig in die Mediation zwingen, denn hätten sie es besser gewusst, wären sie freiwillig gegangen.
Die Torhüterhypothese behauptet, dass Richter und Anwälte die Parteien davon abhalten, die Mediation zu wählen. Es ist wohl richtig: Als Ergebnis ihrer Professionalisierung haben Juristen (hoffentlich) ein Interesse an Recht und Gerechtigkeit, das über den Einzelfall hinausgeht, und ferner haben sie auch jeweils eine eigene Meinung darüber, was im Falle richtig ist. Daraus folgt ein professionelles Interesse, die Sach- und Rechtslage zur Sprache zu bringen, auch wenn ein Vermittlungsverfahren für den Mandanten vorteilhafter wäre. Ein Rechtsanwalt wird es als Belohnung empfinden, wenn er seine Fähigkeiten und Kenntnisse unter Beweis stellen kann. Der nächstliegende Weg besteht darin, eine Prognose abzugeben, wie das Gericht entscheiden würde, und diese Prognose dann mit einer Klage unter Beweis zu stellen. Allerdings hat sich doch mindestens die Rhetorik der Anwaltschaft inzwischen zugunsten der Mediation gewandelt. Es ist sicher zutreffend: Ohne Unterstützung der Rechtsanwälte wird es nichts mit der gerichtsunabhängigen Mediation. Und es ist auch wohl nicht unbedingt die Gebührenstruktur, die sie davon abhält, sich wechselseitig auch als Mediatoren einzusetzen. Jost und Neumann [3]Jost, Fritz; Neumann, Tobias (2010): Etablierung der Mediation durch die Anwaltschaft! In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 164–168. suchen die Ursache in erster Linie in den Wettbewerbsstrukturen der Profession.
Nach der Streitkulturhypothese besteht eine verbreitete kulturelle Disposition gegen Vermittlung und Kompromiss. Insbesondere wir Deutschen sagen uns selbst übertriebene Streitsucht nach. Daher betonen die Befürworter der Mediation, das Ziel aller Anstrengungen müsse eine Veränderung der Streitkultur sein. McEwen und Milburn halten entgegen, dass die Streitkulturhypothese auf einem Zirkelschluss beruhen könnte, weil die Streitkultur erst durch die Beobachtung des Streitverhaltens erschlossen werde.
McEwen und Maiman [4]A. a. O. S. 45. haben eine Hebelhypothese angedeutet. Sie fragen, warum, wenn denn Mediation so viel besser ist als der Gerichtsprozess, sowenig Streitparteien das Vermittlungsverfahren wählen, ohne vorher geklagt zu haben. Sie gehen mit Christie davon aus, dass für die meisten Menschen und Organisationen Verhandlungen die bevorzugte Art der Streitbehandlung sei, weil sie den Parteien die Kontrolle über den Konflikt lasse. Aber in der Regel habe eben doch nur eine Partei ein Interesse an einer Lösung. Die andere sei mit dem status quo zufrieden. Um sie an den Verhandlungstisch zu bringen, müsse der Gegner ihre Kosten erhöhen. Der schwächeren Partei blieben da kaum andere Mittel als der Weg zum Gericht. So könne oft erst die Klage helfen, eine einverständliche Lösung zu finden. Formelle und informelle Konfliktregelung, so McEwen und Maiman, müsse man daher eher als ein Zusammenspiel und nicht so sehr als Alternativen betrachten. Die Hebelhypothese ergänzt sich ganz gut mit dem Phänomen des vanishing trial, dass man in den USA beobachtet [5]Galanter, Marc (2004): The Vanishing Trial: An Examination of Trials and Related Matters in Federal and State Courts. In: Journal of Empirical Legal Studies, Jg. 1, S. 459–570.
, das heißt also, dass die Prozesse – deren Zahl nicht abgenommen hat – nur noch ganz ausnahmsweise bis zum förmlichen Abschluss durch ein trial durchgeführt werden. Ein Blick in die deutsche Zivilprozess-Statistik zeigt zwar seit 2002 eine Erhöhung der Vergleichsquote zu Lasten der Urteilsquote um etwa 5 %, die wohl auf den damals neuen § 278 ZO zurückzuführen sein könnte. Doch man kann deutsche Urteile kaum mit dem amerikanischen trial vergleichen.
Die ökonomische Analyse des Rechts steuert eine Transaktionskostenhypothese bei. Barendrecht hat das Spektrum der Optionen, die zur Verfügung stehen, wenn man im Streitfall Hilfe sucht, als Markt für Rechtsdienstleistungen konzipiert. [6]Barendrecht, Maurits (2009): Understanding the Market for Justice. (TISCO Working Paper Series on Civil Law and Conflict Resolution Systems, 06/2009). Solche Dienstleistungen verursachen Produktionskosten und Transaktionskosten. Die Produktionskosten, so meint Barendrecht, erklärten nicht, warum viele Menschen ihre Rechtsbedürfnisse nicht befriedigen könnten. Für die meisten Streitigkeiten können Verhandlungen oder die Intervention eines Dritten brauchbare Lösungen zu angemessenen Kosten liefern. Ein tüchtiger Mediator oder ein Richter an einem Untergericht seien in der Lage, die meisten Familien-, Arbeits-, oder Nachbarschaftsstreitigkeiten in ein paar Stunden beizulegen. Die Technologie für Rechtsdienstleistungen sei nicht prohibitiv teuer. Aber, so fährt er fort, der Markt für Rechtsdienstleistungen sei in vielerlei Hinsicht unvollkommen. Im Abstract des Artikels verspricht der Autor, seine Perspektive könne erklären, warum Alternative Streitregelungsverfahren so erfolglos seien, wenn es darum gehe, Kunden anzuziehen. Speziell dieser Punkt wird aber nicht wirklich ausgearbeitet. Barendrecht unterscheidet fünf Produktionsstufen der Rechtsdienstleistung im Konfliktfall. Die erste, bei der es darum geht, die Parteien zusammenzubringen, ist wohl die für die Mediation wichtigste. Wir erfahren, dass die Parteien dazu eine Art Verfahrensvereinbarung treffen müssen. Das sei aber schwierig, weil sich hier eine zweite Verhandlungsebene eröffne, die mit psychischen Problemen belastet sei. Der Kläger habe zudem Probleme, den Beklagten zur Kooperation zu veranlassen, weil dieser meistens den status quo bevorzuge (das wissen wir ja schon). Und dann erfahren wir, dass Mediation ein Erfahrungsgut ist, so dass Information allein nicht genügt, weil man sie nicht bewerten kann. Das ist immerhin eine plausible Spezifizierung der Unkenntnishypothese.
McEwen und Milburn schließlich haben eine Konfliktdynamikhypothese entwickelt. Sie verweisen darauf, dass Konflikte einen Verlauf haben, indem sich eine Motivation gegen die freiwillige Teilnahme an einer Mediation aufbaut. [7]A. a. O. S. 26. Das beginnt mit einer Konfliktselektion, die nur noch wirklich streitwillige Parteien zurücklässt. Alle anderen scheitern schon an der kulturellen Barriere, die sie hindert, ihre Beschwer in einen Streit zu verwandeln. Man schreibt sich selbst die Verantwortung für seine Probleme zu und ist im Übrigen starkem sozialem Druck ausgesetzt, sich verträglich zu zeigen. Die Kommunikation mit dem Gegner lässt zusätzlich zu dem Ursprungskonflikt einen Metakonflikt entstehen, in dem es um das Verhalten des Gegner, Vorwerfbarkeit und Unvernunft geht, während man bemüht ist, die eigene Glaubwürdigkeit und Rechtschaffenheit zu verteidigen. Da hier die Selbstwahrnehmung und die eigenen moralische Integrität im Spiel sind, wird der Metakonflikt mit hoher emotionaler Beteiligung ausgetragen, die Aufmerksamkeit für alles andere stark einengt. Was dabei herauskommt, haben Merry und Silbey festgehalten, nachdem sie das Konfliktverhalten in einer städtischen Nachbarschaft beobachtet hatten:

by the time a conflict is serious enough to warrant an outsider’s intervention, disputants do not want what [mediation has] to offer. At this point the grievant wants vindication, protection of his or her rights … an advocate to help in the battle, or a third party who will uncover the ’truth’ and declare the other party wrong.

Oder, wie McEwen und Milburn (S. 31) formulieren:

The paradox of mediation, consequently, is that it offers disputing parties precisely what they do not want when they most need it.

Alle diese Hypothesen sind mehr oder weniger plausibel. Aber keine hat für sich genommen hinreichende Erklärungskraft. Vor allem aber zeigt keine einen Ausweg, wie man der Mediationsverweigerung anders als durch Druck beikommen könnte. Die Hebelhypothese legt es immerhin nahe, im Gerichtsverfahren einen Nebenausgang in die Mediation zu eröffnen. Alle, die in eine Ausbildung zum Mediator investieren wollen, sollten verpflichtet werden, zuvor nachzulesen, was Velikonja [8]Velikonja, Urška (2008): Making Peace and Making Money: Economic Analysis of the Market for Mediators in Private Practice. Online verfügbar unter http://works.bepress.com/urska_velikonja/1. über den Überoptimismus der Mediatoren schreibt.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 McEwen, Craig A.; Milburn, Thomas W. (1993): Explaining a Paradox of Mediation. In: Negotiation Journal, S. 23–36
2 Merry, Sally Engle; Silbey, Susan S. (1984): What do Plaintiffs Want? Reexamining the Concept of Dispute. In: The Justice System Journal, Jg. 9, S. 151–179.
3 Jost, Fritz; Neumann, Tobias (2010): Etablierung der Mediation durch die Anwaltschaft! In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 164–168.
4 A. a. O. S. 45.
5 Galanter, Marc (2004): The Vanishing Trial: An Examination of Trials and Related Matters in Federal and State Courts. In: Journal of Empirical Legal Studies, Jg. 1, S. 459–570.
6 Barendrecht, Maurits (2009): Understanding the Market for Justice. (TISCO Working Paper Series on Civil Law and Conflict Resolution Systems, 06/2009).
7 A. a. O. S. 26.
8 Velikonja, Urška (2008): Making Peace and Making Money: Economic Analysis of the Market for Mediators in Private Practice. Online verfügbar unter http://works.bepress.com/urska_velikonja/1.

Ähnliche Themen