Von der altbekannten GESIS (Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V.), die jetzt als Leibniz Institut für Sozialwissenschaften firmiert, wurde im Mai zum Grundgesetzjubiläum eine Zusammenstellung von Forschungsprojekten und Literaturtiteln aus dem Bestand der Sowiport-Datenbanken angeboten. Erst dadurch bin ich auf das Sowiport-Angebot aufmerksam geworden. Auf den ersten Blick ist das Angebot verwirrend, weil es verschiedene Datenbanken zusammenfasst und nicht direkt zu Ergebnissen führt. Man muss anscheinend erst zu den einzelnen Datenbanken gehen, die auch eine Anmeldung verlangen. Damit muss ich zunächst einmal meine Erfahrungen machen. Immerhin ergibt eine einfache Suche mit dem Schlagwort »Rechtssoziologie« 1414 Treffer. Deshalb nehme ich Sowiport.de erst einmal in meine Linkliste auf.
Nachtrag vom 14. April 2010:
Inzwischen finde ich Sowiport, insbesondere die Suchfunktion in der GESIS-Datenbank, ganz nützlich. In der Regel bekommt man zwar nur eine Auflistung von Titeln und den Hinweis, man habe kostenpflichtige Informationen angefordert. Aber wenn man dann nach dem Titel gugelt, wird man in der Regel fündig.
Nützlich finde ich auch die Zeitschriftenliste mit 274 sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Dabei ist jeweils angegeben, wie weit die Zeitschriften im Netz frei zugänglich sind.
Kategorie: Rechtssoziologie
Neue Wissenssoziologie
Die neue konstruktivistische Wissenssoziologie (nWS) der Konstanzer Schule erhebt inzwischen den Anspruch einer soziologischen Universaltheorie. Der Ansatz ist einfach: Gesellschaft spielt sich als Wissen in den Köpfen der Menschen ab. Alle Soziologie ist Wissenssoziologie. Nicht zufällig trägt Luhmanns Buch »Gesellschaftsstruktur und Semantik« (1995) den Untertitel »Studien zu einer Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft.« Dieses Wissen ist nicht Information, die unabhängig von konkreten Menschen vorhanden ist und auf diese einwirkt, sondern es wird als lebendiges Wissen in sozialen Handlungsvollzügen jeweils neu konstruiert. Die nWS wendet sich deshalb gegen die Trennung von Wissen und Sozialem und will beides »wie zwei Seiten derselben Medaille« [1]Hubert Knoblauch, Wissenssoziologie, 2005, S. 136. integrieren. Das ist und bleibt eine schöne Illusion.
Zu dem Wissen in den Köpfen der Menschen gibt es keinen direkten Zugang. Es lässt sich immer nur aus Äußerlichkeiten, Handlungen oder Zeichen erschließen. Als Methode dient die »Rekonstruktion«. Sie ist verwandt, ja mehr oder weniger identisch mit den verstehenden Methoden der Geisteswissenschaften. Rekonstruiert werden soll, wie ganz konkret die soziale Handlung zustande kommt. Alles, was auf den Handelnden einwirkt, soll noch im Moment der Unentschiedenheit festgehalten werden. Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden; im Gegenteil, spätestens seit Max Weber ist klar, dass Soziologie darauf angewiesen ist, den Sinn sozialen Handelns verstehend zu erschließen. Problematisch ist jedoch die Betonung der Kontingenz und damit die Vernachlässigung, ja Verdrängung der fait sociaux, der verfestigten sozialen Strukturen, in den die Menschen fremdem Wissen begegnen, und als Folge der Verzicht auf eine quantitativ orientierte Empirie. Methode der Wahl ist eine mikrosoziologische Ethnomethodologie.
Die fait sociaux, verdinglichte Sozialstrukturen, sind nicht aus Stein und Beton, man kann sie nicht sehen und anfassen, sondern nur als Zeichen wahrnehmen, aber sie sind deshalb nicht weniger massiv. Werte, Moralen oder Rechtsordnungen sind natürlich keine Naturgewalten, sondern wirken nur, weil sie als relevant wahrgenommen werden. Aber sie lassen sich nicht ohne Kosten ignorieren oder weginterpretieren. Die Grundfrage der konstruktivistischen Wissenssoziologie lautet nach Berger und Luckmann [2]Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, 1977, S. 20. : »Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird?« Aber von dieser Frage hat sich die nWS verabschiedet. »Objektive Faktizität« scheint es gar nicht mehr zu geben. Alles wird verflüssigt und resubjektiviert. Die Aufmerksamkeit gilt nicht irgendwelchen Strukturen, sondern dem kontinuierlichen Prozess, in dem sich die Gesellschaft selbst immer wieder erneuert. Handlungen, Kommunikationen, die laufende Aneignung, Reformulierung und Veränderung von Wissensbeständen, kurz, das Fließen und nicht der Fluss ist das Thema.
Wissensbestände sind immer von Menschen geschaffen. Sie gewinnen jedoch ihre eigene, objektive Existenz. Sie werden in Verbreitungsmedien gespeichert und können noch nach Jahrtausenden wiedergewonnen werden. Auch die Menschen sind während ihrer Lebzeit für andere Speicher- und Verbreitungsmedium. Menschen sind allerdings keine programmierten Roboter. Aber ihre Individualität sieht man nur, wenn man sehr nahe herangeht. Aus der Distanz benehmen sie sich eher wie eine Herde. Jeder Mensch ist als Individuum etwas Besonderes. Soziologisch ist der Zusammenhang zwischen Denken und Handeln aber nur interessant, soweit die Menschen als Mitglieder von Gruppen und Institutionen handeln.
Man kann die nWS als eine Anstrengung würdigen, das Soziale in seiner Dynamik zu erfassen. Es ist ja richtig: »Das Soziale« ist ein Prozess; es ist ständig in Bewegung. Normen, Werte und selbst Kognitionen werden immer nur in konkreten Handlungssituationen relevant, und jede noch so unbedeutende Handlung trägt, wie minimal auch immer, zu ihrer Vermittlung, Bestätigung oder Veränderung bei. Aber wenn man das Wasser im Fluss genau ansehen will, dann muss man es anhalten und dann fließt es nicht mehr. Oder man muss den Fluss aus der Distanz betrachten.
Soeffner und Cremers zeigen anschaulich am Beispiel von Gerichtsverhandlungen, wie man mit den wissenssoziologischen Instrumenten arbeitet. [3]Hans-Georg Soeffner/Ehrhardt Cremers, Interaktionstyp »Recht-Sprechen«. Kurseinheit 1 und 2, Fernuniversität Hagen, 1988. Die Interaktion bei Gericht läuft anders ab als im Alltag, weil hier die auf Gerichtsseite Beteiligten in bestimmten Rollen handeln, die durch Rechtsregeln und professionelle Standards geprägt sind. Die Professionellen sind persönlich nicht betroffen, und das Verfahren ist für sie Routine, so dass sie relativ distanziert und ohne große Gefühlsbeteiligung agieren können. Für Angeklagte, Parteien und auch für viele Zeugen handelt es sich dagegen um eine außerordentliche Situation, in der für sie meist viel auf dem Spiel steht. In der Rechtssoziologie spricht man deshalb von einer verzerrten Kommunikation und manchmal sogar von Zwangskommunikation. Soeffner und Cremers warnen jedoch vor »zwangskommunikativen Determinisnus«, denn die Beobachtung und Analyse von Gerichtsverfahren zeige immer wieder die »relative Offenheit« der Situation selbst vor Gericht. In der Tat, das Gerichtsverfahren ist kein Automatismus, die Beteiligten sind keineswegs sprachlos, der Ablauf ist oft höchst lebendig, und das Ergebnis des einzelnen Verfahrens nur schwer vorhersehbar. Aber diese Offenheit zeigt sich nur aus der Nähe. Aus der Distanz betrachtet sind Verlauf und Ergebnis weitgehend fixiert. Die mikrosoziologische Annäherung ist fraglos spannend und relevant. Aber Soziologie darf nicht beim Einzelfall stehen bleiben.
Wenn es sich nur um eine Rezeption und Praktizierung der von Mead, Berger und Luckmann begründeten Mikrosoziologie handelte, wäre gegen die nWS nichts einzuwenden. Im Gegenteil, sie wäre eine wertvolle Bereicherung im Strauß der soziologischen Methoden. Tatsächlich tritt die nWS aber, ähnlich wie die Kulturwissenschaften, mit einem imperialen Anspruch auf, der sich nicht einlösen lässt.
Anmerkungen
↑1 | Hubert Knoblauch, Wissenssoziologie, 2005, S. 136. |
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↑2 | Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, 1977, S. 20. |
↑3 | Hans-Georg Soeffner/Ehrhardt Cremers, Interaktionstyp »Recht-Sprechen«. Kurseinheit 1 und 2, Fernuniversität Hagen, 1988. |
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Handgun Laws
Die aktuelle Diskussion um die Verschärfung des Waffenrechts mag es rechtfertigen, auf eine bereits zehn Jahre alte Untersuchung aus den USA hinzuweisen, die sich dadurch auszeichnet, dass sie auf der Hitliste des Social Science Research Network steht. Das Abstract wurde bisher 140.481 Mal aufgerufen, das ganze Manuskript 46.348 Mal heruntergeladen. Auch wenn vermutlich viele der Interessenten nicht aus dem Wissenschaftssystem, sondern aus der Waffenlobby kommen, so bleiben die Zahlen doch beeindruckend.
Es handelt sich also um John R. Lott und William M Landes, Multiple Victim Public Shootings, Bombings, and Right-to-Carry Concealed Handgun Laws: Contrasting Private and Public Law Enforcement(April 1999). University of Chicago Law School, John M. Olin Law & Economics Working Paper No. 73. Verfügbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=161637 or DOI: 10.2139/ssrn.161637.
Hier das Abstract: Few events obtain the same instant worldwide news coverage as multiple victim public shootings. These crimes allow us to study the alternative methods used to kill a large number of people (e.g., shootings versus bombings), marginal deterrence and the severity of the crime, substitutability of penalties, private versus public methods of deterrence and incapacitation, and whether attacks produce copycats. Yet, economists have not studied this phenomenon. Our results are surprising and dramatic. While arrest or conviction rates and the death penalty reduce normal murder rates, our results find that the only policy factor to influence multiple victim public shootings is the passage of concealed handgun laws. We explain why public shootings are more sensitive than other violent crimes to concealed handguns, why the laws reduce both the number of shootings as well as their severity, and why other penalties like executions have differential deterrent effects depending upon the type of murder.
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Kreissl zur soziologischen Zeitdiagnose
Hier einmal wieder ein Kollateralfund. Auf der Rechtssoziologietagung in Luzern gab es am 6. 9. 2008 eine Veranstaltung unter der Überschrift »Citizen by Proxy – Entwicklungstendenzen der rechtlichen Stellvertretung«. Die war mir entgangen, weil ich vorzeitig hatte abreisen müssen. Worum es geht, beschreibt der Organisator der Veranstaltung, Reinhard Kreissl, im Tagungsprogramm:
Der rechtliche Stellvertreter ist eine klassische Figur des modernen Rechtsstaats. Rechtsanwälte, Steuerberater und Notare erfüllen traditionell die Aufgabe, in komplexeren Transaktionen die Interessen ihrer Klienten wahrzunehmen. Neben diesen Experten entstehen zusehends neue Rollen, in denen die Wahrnehmung individueller Rechte und die Erledigung von Rechtsgeschäften i.w.S. an Stellvertreter delegiert werden. Typische Beispiele sind hier etwa Kinderanwälte in Familienrechtsverfahren, Patientenanwälte, Heimbewohnervertreter oder Sachwalter, deren Aufgabe es ist, in lebensweltlichen Kontexten die Rechte ihrer Klientel wahrzunehmen. Neu ist hier, dass zum einen Bereiche, die bisher dem unmittelbaren rechtlichen Zugriff entzogen waren, wie etwa die Familie, jetzt als rechtlich strukturierte Handlungszusammenhänge begriffen werden, in denen die Akteure rechtlich definierte und durchsetzbare Ansprüche haben; zum anderen, dass Individuen, bei denen aufgrund ihrer körperlich-geistigen Verfassung die Kompetenz zur Wahrnehmung ihrer Rechte infrage gestellt wird, ein gesetzlich definierter Rechtsvertreter zugeordnet wird. Diese Entwicklung lässt sich in unterschiedlicher Hinsicht analysieren …
Nun wollte ich der Sache nachgehen, weil das Thema rechtssoziologisch wie rechtstheoretisch interessant ist. Dazu habe ich natürlich die Webseite des Organisators gesucht und bin so auf die Seite des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien gestoßen. Dort wird auch eine lange Liste von Manuskripten zum Download angeboten, darunter auch solche, die die neuartige Form der Betreuung behandeln. Die jüngste: Kinderbeistand. Endbericht der Begleitforschung zum Modellprojekt von Brita Krucsay, Christa Pelikan und Arno Pilgram, 2008. Hängengeblieben bin ich jedoch beim Durchblättern der Liste bei dem Manuskript »Soziologische Zeitdiagnose. Vorlesungsnotizen SoSe 2008« von Reinhart Kreissl. Es handelt sich wirklich nur um formlose Notizen. Aber sie sind voller Inhalt, und der Verfasser hält mit seinem Urteil nicht zurück. Ich habe die »Notizen« mit Vergnügen und Gewinn gelesen.
Nachtrag vom 16. Juni 2009 hier.
Nachtrag vom 12. November 2009: Die soziologische Zeitdiagnose arbeitet bekanntlich u. a. mit den Schlüsselbegriffen Erlebnisgesellschaft, Risikogesellschaft, Informationsgesellschaft und Weltgesellschaft. Zu diesen Begriffen habe ich, wieder aus Österreich, ein etwas älteres, aber zum Einstieg immer noch brauchbares Manuskript gefunden: Mörth, Ingo/ Baum Doris (Hg.): Gesellschaft und Lebensführung an der Schwelle zum neuen Jahrtausend. Gegenwart und Zukunft der Erlebnis-, Risiko-, Informations- und Weltgesellschaft. Gesellschaft und Lebensführung an der Schwelle zum neuen Jahrtausend. Gegenwart und Zukunft der Erlebnis-, Risiko-, Informations- und Weltgesellschaft. Referate und Arbeitsergebnisse aus dem Seminar »Soziologische Theorie« WS 1999/2000. Online verfügbar unter http://soziologie.soz.uni-linz.ac.at/sozthe/staff/moerthpub/STSGesellschaft.pdf.
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Transnationalisierung der deutschen Rechtswissenschaft
Globalisierung und in ihrer Folge die Transnationalisierung des Rechts sind Thema der Allgemeinen Rechtslehre und ebenso der Rechtssoziologie. Bemerkenswert sind deshalb zwei Internetquellen, in denen sich die Transnationalisierung der deutschen Rechtswissenschaft zeigt.
1. German Law Journal. Review of Developments of German, European & International Law (GLJ). Dieses E-Journal existiert seit 2001 und hat sich seither nicht nur zu einem Vermittler deutschen Rechts für die englischsprachige Welt, sondern auch zu einem wichtigen Forum für die Rechtstheorie im weiteren Sinne entwickelt. In NJW-aktuell 17/2009 S. XVI f. wird es von den Herausgebern, Prof. Dr. Peer Zumbansen, LL.M., Toronto, und Prof. Russell A. Miller, LL.M., Lexington, VA, vorgestellt. Zumbansen wurde bekanntlich auf der Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie in Luzern 2008 der Hoffmann-Riem-Preis verliehen. So ist die Interdisziplinarität des GLJ kein Zufall. Sie zeigt sich zuletzt im Aprilheft, einem Themenheft »The Law of the Network Society. A Tribute to Karl-Heinz Ladeur«.
2. Rechercheplattform zum transnationalen Recht
Seit April 2009 unterhält das Center for Transnational Law (CENTRAL) an der Universität zu Köln diese Rechercheplattform zum transnationalen Recht. Spiritus rector ist Professor Dr. Klaus Peter Berger, LL.M., der an der Universität Köln auch als Direktor des Instituts für Bankrecht fungiert.
Die Plattform besteht aus vier Bereichen.
Principles: Eine Zusammenstellung von über 120 Prinzipien des transnationalen Wirtschaftsrechts, der »Neuen Lex Mercatoria«. Neben dem Text des jeweiligen Prinzips (z.B. »Force majeure«, »hardship«, »venire contra fact Continue reading
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Spieltheorie als Video-Vorlesung
Im Blog Recht anschaulich habe ich heute über das Angebot an Video-Vorlesungen amerikanischer Eliteuniversitäten berichtet, das kostenfrei im Internet zur Verfügung steht. Zwar ist das Recht darunter nur dürftig vertreten. Aber es gibt interessante Angebote aus einigen Nachbarwissenschaften, vor allem Political Science, aber auch Soziologie. Für rsozblog habe ich eine Vorlesungsreihe von Professor Ben Polak (Yale) über »Game Theory« ausgesucht.
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Die Hydrauliktheorie des Rechts
Im Gespräch mit meinem (längst verstorbenen) Freund Rudolf Beyer, damals Geschäftsführer der auf Hydraulikmotoren spezialisierten G. Düsterloh GmbH in Sprockhövel, hatte ich halb scherzhaft, halb im Ernst eine Hydrauliktheorie des Rechts entworfen. Der Witz der Hydraulik liegt bekanntlich darin, dass man mit sehr kleinen Kräften enorme Lasten steuern und bewegen kann. Rudolf Beyer hatte mir damals einen Sonderdruck über »Schwer entflammbare Druckflüssigkeiten« [1]Aus »Ölhydraulik und Pneumatik, 15, Nr. 4, April 1971. überlassen, den ich gerade beim Aufräumen wieder gefunden habe. Ich zitiere daraus die Anforderungen des Ingenieurs an die in ölhydraulischen Anlagen verwendeten Druckflüssigkeiten:
1. Die Flüssigkeit soll schnell und präzise Energie aufnehmen, sie möglichst verlustfrei über Ecken und Winkel zum Verbraucher transportieren und dort wieder abgeben.
2. Die Flüssigkeit soll dabei möglichst stabil bleiben, nicht altern, während ihrer ganzen Lebenszeit einen weitgehend störungsfreien und wartungsarmen Betrieb der Anlage ermöglichen.
3. Die Druckflüssigkeit soll die Reibung im System vermindern, soll entstandene Wärme abführen, ihre Viskosität möglichst über den ganzen infragekommenden Temperaturbereich beibehalten und darüber hinaus noch Verträglichkeit gegenüber allen anderen Medien, wie Gase, Metalle, Dichtungsmaterialien und auch anderen Flüssigkeiten zeigen.
Wenn man in diesem Zitat »Flüssigkeit« durch »Recht« ersetzt und die anderen Parameter entsprechend anpasst, hat man alles, was man sich für eine »Steuerung durch Recht« wünschen kann. Deshalb ist es angezeigt, noch die Warnung des Ingenieurs hinzuzufügen:
Diese und noch mehr Forderungen stellt der Hydraulikkonstrukteur – oft wie es scheint leichten Herzens – an sein Betriebsmedium, ohne sich darüber klar zu sein, ob solche Wünsche überhaupt realisierbar sind.
Anmerkungen
↑1 | Aus »Ölhydraulik und Pneumatik, 15, Nr. 4, April 1971. |
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Rennlisten aus dem Social Science Citation Index
Wer wen zitiert wird seit 1993 im Social Sciences Citation Index (SSCI) ausgezählt. Ausgewertet werden 1725 der weltweit wichtigsten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften (mit Originalartikeln, Besprechungen, Korrekturen, Diskussionen, Editorials, biographischen Vermerken etc.). Zusätzlich erfolgt Auswertung (in Auswahl) von mehr als 3300 der weltweit führenden sozialwissenschaftlichen Zeitschriften. Der Index ist über die meisten Universitätsbibliotheken zugänglich. Eine erhebliche Einschränkung besteht darin, dass nur Zeitschriften, aber keine Bücher ausgewertet werden. Zwar werden auch Zitate von Büchern, die in Zeitschriften erscheinen, gezählt. Aber es gibt doch wohl immer noch eine Buchkultur, die Zusammenhalt und Fortschritt eines Faches bestimmt und im Index nicht hinreichend abgebildet wird. Der Index ist im Übrigen auf die englischsprachige Welt ausgerichtet. Um ausgewertet zu werden, muss eine Zeitschrift sich anmelden und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, darunter insbesondere ein Reviewverfahren und regelmäßiges und pünktliches Erscheinen. Das ist der Zeitschrift für Rechtssoziologie bisher nicht gelungen. Allerdings werden in den angemeldeten Zeitschriften auch die Zitate aus nicht angemeldeten Zeitschriften gezählt.
Für eine Herausgeberbesprechung der Zeitschrift für Rechtssoziologie hatte Wolfgang Ludwig-Mayerhofer 2007 einige Zahlen aus dem SSCI zusammengestellt. Er hat mir freundlich gestattet, seine Zahlen zu verwenden.
Bis Sommer 2007 wurden insgesamt 49 Aufsätze aus der ZfRSoz zusammen 118 mal in SSCI-Journals zitiert. Die Spitzenreiter waren:
(1) Gunther Teubner/Helmut Willke, Kontext und Autonomie: Gesellschaftliche Steuerung durch reflexives Recht (Bd. 6, 1984, 4-35): 18 Zitationen [Google Scholar 123]
(2) E. Allan Lind, Procedural Justice and Culture: Evidence for Ubiquitous Process Concerns (Bd. 15, 1994, 24-36): 9 Zitationen [Google Scholar 29]
(3) Niklas Luhmann, Einige Probleme mit »reflexivem« Recht (Bd. 6, 1985, 1-18): 7 Zitationen [Google Scholar 19]
(4) Alfons Bora, Grenzen der Partizipation? Risikoentscheidungen und Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht (15, 1994, 126-152): 6 Zitationen [Google Scholar 13]
(5) Klaus Eder, Prozedurale Legitimität. Moderne Rechtsentwicklung jenseits von formaler Rationalisierung (Bd 7, 1986, 1-30): 5 Zitationen [Google Scholar 11]
[Ich habe in eckigen Klammern die neuesten Zahlen aus Google Scholar hinzugefügt. Sie bestätigen die Reihenfolge.]
Unterschiedliche Dimensionen werden deutlich, wenn man erfährt, dass in derselben Zeit 1.020 verschiedene Aufsätze aus dem Law & Society Review insgesamt 17.250 mal in SSCI Journals zitiert wurden. Hier die Spitzenreiter:
(1) Marc Galanter, Why the »Haves« Come Out Ahead: Speculations on the Limits of Legal Change (Bd. 9, 1974/75, 95-160): 755 Zitationen
(2) William L. F./Richard Abel/Austin Sarat, The Emergence and Transformation of Disputes: Naming, Blaming, Claiming… (Bd. 15, 1980/81, 631-654): 257 Zitationen
(3) John Hagan, Extra-Legal Attributes and Criminal Sentencing: An Assessment of a Sociological Viewpoint (Bd. 8, 1973/1974, 357-384): mit 212 Zitationen
(4) Abraham S. Blumberg, The Practice of Law as a Confidence Game: Organizational Cooptation of a Profession (Bd. 1, Heft 2, 1967, 14-40): 159 Zitationen
(5) Harold G. Grasmick/Robert J. Bursik, Jr., Conscience, Significant Others, and Rational Choice: Extending the Deterrence Model (B. 24, 1990, 837-862): 158 Zitationen
(6) Daniel S. Nagin, Enduring Individual Differences and Rational Choice Theories of Crime (Bd. 27, 1992/1993, 467-496: 139 Zitationen
(7) Tom R. Tyler, What is Procedural Justice?: Criteria Used by Citizens to Assess the Fairness of Legal Procedures (Bd. 22, 1988, 103-135): 125 Zitationen
(8) Gunther Teubner, Substantive and Reflexive Elements in Modern Law (Bd. 17, 1982/1983, 239-286): 118 Zitationen
(9) Donald T. Campbell/H. Laurence Ross, The Connecticut Crackdown on Speeding: Time Series Date in Quasi-Experimental Analysis (Bd. 3, 1968/1969, 33-54): 117 Zitationen
(10) Kirk R. Williams/Richard Hawkins, Perceptual Research on General Deterrence: A Critical Review (Bd. 20, 1986, 545-572): 114 Zitationen.
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Empirische Rechtsforschung – Methode oder Philosophie?
Jonathan Simon hat durch ein Posting mit dem Titel Empirical Legal Bulls? eine rege Diskussion ausgelöst. Simon – der anscheinend wichtige Bücher zu Kriminologie und Kriminalpolitik geschrieben [1]Poor Discipline: Parole and the Social Control of the Underclass, 1890-1990, University of Chicago Press, 1993; Governing Through Crime: How the War on Crime Transformed American Democracy and … Continue reading hat und mir zuvor durch Rezensionen zu Foucaults »Überwachen und Strafen« [2]Discipline and Punish: The Birth of a Postmodern Middle-Range, in: Dan Clawson (Hg.), Required Reading: Sociology’s Most Influential Books, Amherst, MA, University of Massachusetts Press, 1998, S. … Continue reading und zu Macaulay/Friedman/Mertz, Law in Action [3]Law after Society, Law & Social Inquiry, 24, 1999, 143-194 aufgefallen war – hat die kühne These in die Welt gesetzt, die empirische Rechtsforschung habe immer dann Konjunktur (gehabt), wenn die Börsen haussierten. Das hänge damit zusammen, dass empirische Forschung teuer sei. Der schwarze September 2009 müsse jetzt aber kein Ende der aktuellen Konjunktur empirischer Rechtsforschung (von der wir hierzulande wenig spüren ist) bedeuten, denn:
First, it was more than Bull markets that fueled empirical peaks. These were also periods characterized by the emergence of new industries and markets that produced new demands for governance (and new questions about the adequacy of laws), social movements producing new demands for legal reform, and relatively activist administrations in Washington (Hoover in the 20s, Kennedy and Johnson in the 60’s, Clinton and Bush in the 1990s and 00’s), These factors may drive growth even after the bulls stop running on Wall street. In the 1930s, many of the empiricists drifted out of the academy to participate in the New Deal, and Obama’s New New Deal may be just in time for such a transfer.
But two reasons lead me to believe this current empirical wave will be more enduring. First, the cost of empirical research is expensive but much less than was true in the ’20s, when computers did not exist, or in the 1960’s, when they were hugely expensive to access. Second, unlike the previous periods when law schools opened up to empirical work, this wave has been generated largely internally by the emerging scholarly norms of the professoriate itself (rather than ambitions of foundation or university visionaries to change the faculty).
Dieser Beitrag hat eine Reihe von Kommentaren nach sich gezogen. Darin geht es vor allem um die Frage, ob die Konjunktur empirischer Rechtsforschung etwas mit dem Niedergang linkskritischer Soziologie und dem parallelen Aufstieg von Law & Economics zu tun hat.
Für den Legal McLuhanite ist das Diskussionsforum nicht weniger interessant als die Sache. Es ist ein Weblog mit dem Namen PrawfsBlawg. Sein Motto: »Where Intellectual Honesty Has (Almost Always) Trumped Partisanship — Albeit in a Kind of Boring Way Until Recently — Since 2005«. »BLawg« nennt man in der Blogosphäre ein Weblog, das Recht (Law) zum Thema hat. PrawfsBlawg ist dann wohl Law Professors’ Blog. Es handelt sich um einen Gemeinschaftsblog von neun Rechtsprofessoren. Ich habe ihn bis auf Weiteres in meine Blogroll aufgenommen.
Anmerkungen
↑1 | Poor Discipline: Parole and the Social Control of the Underclass, 1890-1990, University of Chicago Press, 1993; Governing Through Crime: How the War on Crime Transformed American Democracy and Created a Culture of Fear, Oxford University Press, 2007 |
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↑2 | Discipline and Punish: The Birth of a Postmodern Middle-Range, in: Dan Clawson (Hg.), Required Reading: Sociology’s Most Influential Books, Amherst, MA, University of Massachusetts Press, 1998, S. 47-54. |
↑3 | Law after Society, Law & Social Inquiry, 24, 1999, 143-194 |
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Evolution des Rechts – mehr als eine Metapher oder nicht einmal das?
Heute, an seinem 200. Geburtstag, ist die Frage angebracht, wie Darwin [1]Darwins Geburtstag ist nicht der Tag, um auf die Verdienste von Wallace um die Evolutionstheorie hinzuweisen. hilft, die Evolution des Rechts zu erklären. In der Rechtssoziologie fällt, wenn von der Entwicklung des Rechts die Rede ist, wie selbstverständlich auch sein Name. [2]Z. B. bei Thomas Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 4. Aufl. 2007, S. 344. Doch bleibt weithin offen, was genau die biologische Evolutionstheorie für die (Rechts-)Soziologie bedeutet.
Niklas Luhmann hatte schon auf der Grundlage der funktional-strukturellen Systemtheorie eine Evolutionstheorie des Rechts entworfen. [3]Z. B. Evolution des Rechts, in: Ausdifferenzierung des Rechts, 1981, 11-34 = Rechtstheorie 1, 1970, 3-22. Sein großes Thema war die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in immer neue soziale Systeme und damit verbunden eine immense Steigerung ihrer Komplexität. Luhmann nahm an, dass sich die Evolution des Rechts in drei Schritten vollzöge, die er Variation, Selektion und Stabilisierung nannte. Damit kam er der biologischen Evolutionstheorie sehr nahe. Variation ist die durch Zufall oder wie auch immer erzeugte Möglichkeit neuer Formen oder Alternativen. In der Biologie spricht man von Mutationen. Aus einer Vielzahl solcher Neuerungen überleben diejenigen, die den Anforderungen der Umwelt am besten angepasst sind. Darwin sprach ursprünglich vom Überleben im Kampf um das Dasein (struggle for life) und übernahm später den von Spencer geprägten Ausdruck survival of the fittest. Schließlich müssen die so ausgewählten Neuerungen zur Normalität werden. In der Biologie geht es um die Reproduktion der brauchbaren Formen, also um Vermehrung. Für die Gesellschaft spricht Luhmann von der Stabilisierung neuer Möglichkeiten im System. Im Rechtssystem sollte die Variation auf der Normebene stattfinden, die Selektion in institutionellen Strukturen, insbesondere Verfahren, und die Stabilisierung durch begrifflich dogmatische Verfestigung. Die drei Schritte der Evolution treffen, so Luhmann, auf den verschiedenen Entwicklungsstufen der Gesellschaft auf unterschiedliche Voraussetzungen, aus denen sich jeweils spezifische Probleme der Rechtsentwicklung ergeben sollen.
Mit der Umstellung auf die autopoietische Systemtheorie kam Luhmann der Biologie noch ein Stück näher, denn die Systeme wurden lebendig und ihre Evolution nun zum Herzstück seiner großen Bücher. Im »Recht der Gesellschaft« von 1995 handelt das ganze 6. Kapitel (S. 239-296) von der »Evolution des Rechts«. Darin wird der »Evolutionsbegriff in Anlehnung an die Theorie Darwins« benutzt. In der »Gesellschaft der Gesellschaft« (1997) trägt das umfangreiche Kapitel 3 (181 Seiten) die Überschrift »Evolution«. Es beginnt: »Gesellschaft ist das Resultat von Evolution. Man spricht auch von ›Emergenz‹. Das ist aber nur eine Metapher, die nichts erklärt …«. »Evolution« dagegen ist also keine Metapher? So klingt es jedenfalls.
Gunther Teubner (Recht als autopoietisches System, 1989) hatte schon tiefer geschürft. In einem Kapitel über »Blinde Rechtsevolution« wies er Kritik am Evolutionsbegriff als Missverständnis zurück. Damit wandte er sich gegen evolutionistische Vorstellungen von einer gerichteten Entwicklung und den damit meistens verbunden Normativismus. Er widersprach aber auch soziobiologischen Konzepten und Habermas’ Vorstellung von der Autonomie normativer Phänomene in der sozio-kulturellen Evolution. Sein Ziel war ein »gereinigter Evolutionsbegriff« [4]Teubner bezieht sich hier besonders auf Arbeiten von Donald T. Campbell. Eine jüngere einschlägige Arbeit von Campbell (und Francis Heylighens) habe ich im Netz gefunden: Selection of Organization … Continue reading (S. 63), »der den fruchtbaren Kern aus biologistischen Analogien herausschält«. Als solchen nennt er: »(1) das ›blinde Zusammenspiel der Evolutionsmechanismen Variation, Selektion und Retention; (2) die Kombination ontogenetischer und phylogenetischer Entwicklung; (3) die Vorstellung der Ko-evolution von Rechtssystem, Gesellschaftssystem und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen.« (S. 66)
Eine besonders sorgfältige und materialreiche Analyse soziologischer Theorien der Rechtsevolution stammt von Marc Amstutz (Evolutorisches Wirtschaftsrecht, 2001, Kapitel 3 bis 5). Ich greife nur zwei Punkte heraus. Für die Biologie gilt heute eine sog. synthetische Evolutionstheorie. Sie kombiniert Darwins Theorie mit Erkenntnissen der Genetik. Deren Übertragung auf die Sozialwissenschaften scheidet nach Ansicht von Amstutz aus, »da soziale Phänomene kein eigentliches Äquivalent zum Gen kennen« (S. 186). Amstutz hat einen weiteren Gesichtspunkt eingebracht: Die »Eigenlogik des Rechtsystems markiert nun gerade die äußerste Grenze der Variabilität seiner Normen. In der Argumentation Darwins taucht diese Grenze nicht auf …« (S. 184.). Also keine »echte« Evolution des Rechts? In der Tat: für Amstutz kann evolutorisches Rechtsdenken nur ein Denken in Metaphern sein (S. 167).
Deutlich wird auch Thomas Vesting. 30 von 157 Seiten seiner »Rechtstheorie« von 2007 verwendet er auf das Thema »Evolution«. Zu Beginn (Rn. 245) wird der Leser auf »die unhintergehbare Paradoxie der historischen Zeit, der Identität von Kontinuität (Identität) und Entwicklung (Differenz)« eingestimmt. Die Evolutionsbiologie kennt keine Paradoxien. Von dieser setzt Vesting sich ab: »Die Verwendung von Begriffen Darwins in der Rechtstheorie sollte nicht als analoge Anwendung biologischer Erkenntnisse oder ›Metaphern‹ interpretiert werden. Darwins Begriff der ›natural selection‹ wird nicht einfach auf die Systemtheorie übertragen; der Systemtheorie geht es um interne Selektion und um die vorübergehende Eigenstabilisierung dynamischer (Sinn-)Systeme, nicht aber um externe Selektion und ausschließlich phylogenetische Gesetzmäßigkeiten wie Darwin.« Evolution des Rechts also nicht einmal eine Metapher?
Luhmann und Teubner, Amstutz und Vesting arbeiten auf der Grundlage der autopoietisch gewendeten Systemtheorie. Jürgen Habermas meint, Gesellschaft, vom Persönlichkeitssystem getrennt, könne die Evolution nicht alleine tragen. Vielmehr stellten Gesellschafts- und Persönlichkeitssystem zusammengenommen ein evolutionsfähiges System dar. »Wohl trägt das Persönlichkeitssystem den Lernvorgang der Ontogenese; und in gewisser Weise sind es allein die vergesellschafteten Subjekte, die lernen. Aber Gesellschaftssysteme können unter Ausschöpfung des Lernniveaus vergesellschafteter Subjekte neue Strukturen bilden, um ihre Steuerungskapazität auf ein neues Niveau zu bringen.« [5]Zum Theorievergleich in der Soziologie: am Beispiel der Evolutionstheorie, in: Jürgen Habermas, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, 3. Aufl. 1982, 129 ff., 133..
Vielleicht darf man gar nicht so fragen, wie es meine Überschrift nahelegt. Vermutlich hat das (biologische) Evolutionsgesetz für die Soziologie nur heuristischen Wert. Ich formuliere trotzdem einige Fragen, die sich bei dem Versuch einer direkten oder analogen Anwendung stellen.
Biologie sucht nach dem Anfang des Lebens (Biogenese). Die Frage nach dem Anfang des Rechts (Legogenese?) wird uns von der Systemtheorie untersagt (Vesting, Rn. 265). Dafür werden wir auf einen rechtsintern erzeugten Ursprungsmythos verwiesen. Aber das kann nur die Antwort der (einer) Rechtstheorie sein. Ethnologen und Soziologen lassen sich die Frage nach dem Anfang des Rechts nicht verbieten.
Für die Biologie gilt:
»1. Arten sind nicht unabänderlich. Sie entstanden in einer ununterbrochenen Generationenfolge vom Zeitpunkt der Entstehung des Lebens bis hin zu den heute existierenden (rezenten) Arten.
2. Individuen einer Art sind untereinander nicht gleich. Innerhalb einer jeden Art lässt sich für jedes Merkmal eine beträchtliche Variation feststellen.
3. Jedes Individuum ist einer natürlichen Selektion (einem Selektionsdruck) unterworfen. Nur die der Umwelt am besten angepassten haben eine Chance, zu überleben und sich fortzupflanzen.« [6]Peter von Sengbusch, Botanik online, 2002, URL: http://www.biologie.uni-hamburg.de/b-online/d36/36.htm.
Thema der Evolutionsbiologie ist die Phylogenese der Lebewesen. [7]Kutschera, S. 15. Die Erklärung findet sich auf der Ebene der Ontogenese, d. h. der Generationenfolge. Als Phylogenese des Rechts kommt die Rechtsgeschichte oder die Entwicklung des Rechtssystems in Betracht. Die Analogie zur Ontogenese ist nicht so einfach. Dazu müsste man über eine Analogie zum Begriff des Individuums verfügen. Der Mensch als Naturwesen kann es kaum sein. Vielleicht aber, wie Habermas meint, sein Persönlichkeitssystem? Teubner findet die Ontogenese in der konkreten Interaktion des Verfahrens (S. 76).
Das Individuum – und nicht die Art – ist auch Grundeinheit der Selektion. Erneut drängt sich die Frage auf, welche Einheit in der sozialen Evolution für das Individuum steht. Ist die Grundeinheit der Rechtsevolution ein System? Aber welches System? Das Rechtssystem? Oder irgendwelche Subsysteme? Alle Systeme? Und was steht dann für die Arten? Was für die Umwelt? Teubner wird genauer und erklärt uns, Einheiten sozialer oder rechtlicher Evolution seien »nicht menschliche Individuen oder ihre Aggregate, also Gruppen, Nationen, Rassen …, sondern soziokulturelle Phänomene: Ideen, Gebräuche, Organisationsformen etc.« (S. 66). Auf der folgenden Seite ist Einheit der Evolution dann »das Recht selbst als System sozialer Kommunikationen«.
Biologen diskutieren heute, ob die Selektion wirklich nur bei Individuen angreift oder ob nicht auch Gruppen (Populationen) dem Selektionsdruck ausgesetzt sind. [8]Ulrich Kutschera, Evolutionsbiologie, 3. Aufl. 2008, David Sloan Wilson/Edward O. Wilson, Evolution – Gruppe oder Individuum, Spektrum der Wissenschaft Januar 2009, S. 32-41. Diese Erweiterung der biologischen Theorie könnte ihre Übertragung auf die Gesellschaft erleichtern.
Weiter ergibt sich die Frage, wie Variationen und damit die Anpassung an die Umwelt zustande kommt. Luhmann [9]Das Recht der Gesellschaft, S. 245 ff verwendet zwölf Seiten auf die Bedeutung der Schrift, um mit der Feststellung zu enden, »alle Rechtsevolution, vor allem die einmalige, zweitausendjährige Evolution des römischen Zivilrechts, [sei] durch die Differenz von Text und Interpretation ermöglicht worden«, die neue Variationen entstehen ließ. Vesting (Rn. 262) hat ein Beispiel zur Hand: »Der Versammlungsbegriff wurde in der Vergangenheit stets weit ausgelegt, unter dem Druck der Zunahme eines neuen Typus von Unterhaltungsdemonstration (›Love-Parade‹) sieht sich das Bundesverfassungsgericht jedoch mit einer veränderten Sachlage konfrontiert und sucht nach neuen Möglichkeiten, mit dem abweichenden Demonstrationstypus umzugehen (Variation). In einer Entscheidung wird die Unterhaltungsdemonstration aus dem Versammlungsbegriff ausgeschlossen (Selektion)., in weiteren Entscheidungen verfestigt sich die neue Rechtsprechung (Restabilisierung).« So einfach ist das?
Biologisch entstehen Variationen zufällig durch Mutation oder – bei höheren Lebewesen sehr viel wichtiger – durch bisexuelle Vermehrung. Auf der Ebene der Gesellschaft kommen biologisch vererbte sozial relevante Eigenschaften und erworbene Eigenschaften in Betracht. Erworbene Eigenschaften sind in der Gesellschaft wichtiger als in der Natur. Wichtiger ist deshalb auch die Frage nach der Möglichkeit epigenetischer Vererbung. Davon hält die Biologie bisher wenig oder gar nichts. [10]Kutschera, S. 62 Zwar ist in der Soziologie öfter von sozialer Vererbung die Rede. Aber dabei denkt man kaum an Evolution. [11]Typisch Andreas Diekmann/Henriette Engelhardt, Die soziale Vererbung des Scheidungsrisikos, Zeitschrift für Soziologie 24, 1995, 215-228.
Selektion ist für die Biologie schlicht eine Frage des Ergebnisses. Wer sich fortpflanzt, ist der Selektion nicht zum Opfer gefallen. Für die Gesellschaft können wir uns schwer von der Vorstellung frei machen, dass Anpassung und Selektion ganz mechanisch erfolgen. Teubner (S. 68) hält es sogar für »offenkundig …, daß evolvierende Systeme wie das Recht über höhere Autonomie im Evolutionsprozeß verfügen«.
Die Stabilisierung erfolgt biologisch im Genom oder Erbgut. Amstutz’ Verdikt soll uns nicht hindern, jedenfalls nach einer Analogie zu suchen. Das Äquivalent ließe sich vielleicht im sozialen Gedächtnis finden. Diesen Ausdruck verwendet Luhmann. Er verweist uns auf die Speicher- und Verbreitungsmedien als Gedächtnisort. Der Legal McLuhanite wird ihm darin gerne folgen. Auch für Vesting spielen die Medien für die Evolution des Rechts eine zentrale Rolle. Er sieht in ihnen jedoch nicht das »Genom« des Rechts, sondern spricht von der Coevolution von Rechtssystem und Mediensystem. [12]Rechtstheorie, Rn. 274 ff., 280.
Makroevolution in der Natur wird von der Biologie als eine Summierung von vielen kleinen Veränderungen behandelt. [13]Ulrich Kutschera/Karl J. Niklas, The Modern Theory of Biological Evolution: An Expanded Synthesis, Naturwissenschaften 2004, 91, 255–276, S. 263.[ http://www.evolutionsbiologen.de/niklas.pdf] Der Emergenzbegriff spielt keine Rolle. In der Soziologie dagegen haben wir es immer wieder mit Emergenzeffekten und manchmal auch mit Eigendynamiken zu tun. Wie passt beides zusammen?
Einfacher ist es vermutlich, soziologische Entsprechungen für den Reproduktionsüberschuss und die Sterblichkeit natürlicher Lebewesen zu finden. Am Einfachsten ist es aber, die hier aufgelisteten Fragen als unzulässig zurückzuweisen.
Nachtrag: Im Dezember 2012 gab es eine interessante Tagung der Vereinigung für Recht und Gesellschaft and der Universität Freiburg/Schweiz über »Rechtsevolution: Theoretische und Soziologische Perspektiven«. Die Vorträge sind leider nicht veröffentlicht worden. Hier will ich noch auf vier Cluster von einschlägiger Literatur hinweisen. Der erste umfasst Arbeiten von Evolutionsspezialisten, die von der Biologie herkommen. Es handelt sich besonders um Robert Boyd, Peter J. Richerson, ihre Schüler und Mitarbeiter. Das zweite Cluster enthält Arbeiten aus dem Max Planck Institute of Economics in Jena. Das dritte besteht aus den Beiträgen zu einem Symposium on Evolutionary Approaches to (Comparative) Law, das 2010 in Ghent stattfand. Das vierte Cluster ist ein Sammelsurium aus Internetressourcen, die von SEAL, der Society for Evolutionary Analysis in Law, auf ihrer Webseite gesammelt werden.
Anmerkungen
↑1 | Darwins Geburtstag ist nicht der Tag, um auf die Verdienste von Wallace um die Evolutionstheorie hinzuweisen. |
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↑2 | Z. B. bei Thomas Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 4. Aufl. 2007, S. 344. |
↑3 | Z. B. Evolution des Rechts, in: Ausdifferenzierung des Rechts, 1981, 11-34 = Rechtstheorie 1, 1970, 3-22. |
↑4 | Teubner bezieht sich hier besonders auf Arbeiten von Donald T. Campbell. Eine jüngere einschlägige Arbeit von Campbell (und Francis Heylighens) habe ich im Netz gefunden: Selection of Organization at the Social Level: Obstacles and Facilitators of Metasystem Transitions |
↑5 | Zum Theorievergleich in der Soziologie: am Beispiel der Evolutionstheorie, in: Jürgen Habermas, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, 3. Aufl. 1982, 129 ff., 133. |
↑6 | Peter von Sengbusch, Botanik online, 2002, URL: http://www.biologie.uni-hamburg.de/b-online/d36/36.htm. |
↑7 | Kutschera, S. 15. |
↑8 | Ulrich Kutschera, Evolutionsbiologie, 3. Aufl. 2008, David Sloan Wilson/Edward O. Wilson, Evolution – Gruppe oder Individuum, Spektrum der Wissenschaft Januar 2009, S. 32-41. |
↑9 | Das Recht der Gesellschaft, S. 245 ff |
↑10 | Kutschera, S. 62 |
↑11 | Typisch Andreas Diekmann/Henriette Engelhardt, Die soziale Vererbung des Scheidungsrisikos, Zeitschrift für Soziologie 24, 1995, 215-228. |
↑12 | Rechtstheorie, Rn. 274 ff., 280. |
↑13 | Ulrich Kutschera/Karl J. Niklas, The Modern Theory of Biological Evolution: An Expanded Synthesis, Naturwissenschaften 2004, 91, 255–276, S. 263.[ http://www.evolutionsbiologen.de/niklas.pdf] |