Franz von Benda-Beckmann ist am 7. Januar in Amsterdam gestorben. Auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle, seit dem Jahre 2000 seine Wirkungsstätte, die er zusammen mit seiner Frau Keebet aufgebaut hatte, ist das nicht zu erkennen. Von seinem Tod erfuhr man nur durch eine Anzeige in der SZ und einen Nachruf der Commission on Legal Pluralism.
Legal Pluralism war das große Thema der beiden von Benda-Beckmanns, und damit sind ihre Arbeiten auch Teil der Rechtssoziologie. In früheren Jahren hat Franz von Benda-Beckmann auch in der Zeitschrift für Rechtssoziologie und im Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie publiziert. Ich habe diese Titel noch einmal überflogen und fand die Lektüre der Mühe wert.
»Individualisierung und Kriminalität« von 1982 ist der Situation in den Entwicklungsländern gewidmet, wo traditionelle oder neotraditionelle Lebensformen durch die Modernisierung im Allgemeinen und die Urbanisierung im Besonderen zerstört werden. Vieles klingt heute selbstverständlich. Aber zwei Gedanken wirken immer noch frisch. Der eine besagt, dass die Geldwirtschaft (»Vergeldlichung«) die traditionellen Beziehungen auflöst. Was hier Ursache und was Wirkung ist, mag dahinstehen. Aber dass und wie die Lockerung sozialer Beziehungen mit der Verwendung von Geld einhergeht, wird in der Soziologie nicht hinreichend gewürdigt. Wohltuend, dass von Benda-Beckmann die Interpretation dieser Lockerung als Freiheitsgewinn nicht einfach zurückweist. Der zweite Gedanke, der mir immer noch wichtig erscheint, betont, dass »die Zersetzung der traditionalen Mechanismen vorbeugender sozialer Kontrolle« nicht bloß Kriminalität unter entwurzelten städtischen Jugendlichen freisetzt, sondern dass auch die politische Oberschicht aus ihren Bindungen befreit ist und diese Freiheit in einer Weise zum eigenen Vorteil nutzt, die sich aus moderner Sicht als Kriminalität darstellt.
1991 behandelt von Benda-Beckmann das Verhältnis von Rechtsanthropologie und Rechtssoziologie. Er findet den entscheidenden Unterschied in »dem Ausmaß, in dem sich Forscher von der in der untersuchten Gesellschaft dominierenden Rechtsideologie distanzieren bzw. sich ihr unterwerfen« (S. 105). Natürlich kommt dabei die Rechtsanthropologie besser weg als die Rechtssoziologie. Beide Fächer haben zwar ihre besonderen Forschungstraditionen und ihre institutionellen und personellen Reservate. Bei Texten und Personen gibt es jedoch große Schnittmengen. Die Grenzen verschieben sich im Laufe der Zeit. Die Selbstzuordnung von Autoren ist nicht unbedingt definitiv. Hinsichtlich der Zuschreibungsprozesse, in denen die Texte dem einen oder anderen Fach zugeordnet werden, unterscheidet von Benda-Beckmann zwischen Genremischern und Grenzwächtern. Grenzwächter soll es in beiden Traditionen geben. Dingfest gemacht wird aber nur einer, nämlich ich selbst : »Die Rechtssoziologen haben wohl die größere Truppenmacht und scheinen sich mehr Sorgen über die mögliche Verschmutzung ihres Faches durch Rechtsanthropologen zu machen, deren Arbeitsgebiet – die primitiven Gesellschaften – als Folge der Zivilisation untergegangen ist, und die nun um Asyl im Arbeitsbereich der Rechtssoziologie bitten, um dieses dann mit ihrem pluralistischen Rechtsbegriff zu verwässern.« (S. 102 f.) Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Die Rechtssoziologie kümmert institutionell dahin. Die Anthropologie ist allein in Halle doppelt vertreten . Die Rechtssoziologie weiß sich daher nur noch mit einem imperialistischen Begriff ihres Faches zu helfen, der alle empirisch orientierte Rechtsforschung einschließt.
Von Benda-Beckmann ging es nicht um solche strategischen Spielchen. Er sah die entscheidende Differenz zwischen den Fächern in unterschiedlichen Rechtsbegriffen, einem pluralistischen Rechtsbegriff in der Rechtsanthropologie und einem zentralistisch-etatistischen Rechtsbegriff in der Rechtssoziologie. Dieser letztere – das soll die bessere Einsicht der Rechtsanthropologie sein – ordne sich der dominanten Ideologie der untersuchten Gesellschaft unter. Als Beleg dient der in der Rechtssoziologie verbreitet gap-approach, der das offizielle Recht einschließlich seiner offiziösen Interpretation als gegeben hinnimmt und lediglich nach Abweichungen in der so genannten Rechtswirklichkeit fragt. Heute würde man von methodologischem Etatismus sprechen. Im Grunde, so von Benda-Beckmann, müsse man mit einem analytischen Rechtsbegriff arbeiten, der sich von der herrschenden Rechtsideologie distanziere. Und als solcher kommt dann natürlich nur ein pluralistischer in Betracht. Dazu gibt es einiges zu sagen, aber nicht hier und jetzt.
Jetzt sind zwei Punkte wichtig.
Erstens: Es gibt nicht nur einen Rechtspluralismus, sondern viele. Die verschiedenen Rechtsmassen können räumlich, zeitlich, gegenständlich, personal oder hierarchisch, national und transnational miteinander konkurrieren. In modernen Staaten ist ein zentralistisch geordneter oder geduldeter Rechtspluralismus Normalität. Nicht selten aber wird ein unspezifizierter Pluralismusbegriff kritisch gegen das zentralistische Rechtsmodell gewendet. Das ist seinerseits methodologischer Pluralismus. Deshalb ist es wohltuend, dass von Benda-Beckmann von einem »Pluralismus von Rechtspluralismus« spricht und ein »einseitig gegen das staatliche Recht gerichtetes anti-ideologisches Vorurteil« für möglich hält (S. 110). »Wie sich viele Rechtssoziologen der Ideologie ihres Staates und der professionellen Rechtswissenschaft unterwarfen und wenig Interesse für andere normative Systeme aufbringen konnten, so haben sich viele Rechtsanthropologen der Ideologie der durch sie erforschten Gewohnheitsrechte unterworfen und sich oft in übertriebener Weise von dem Recht des Staates distanziert. In beiden Fällen war die Affinität zum dominierenden Rechtsystem groß; meiner Meinung nach ein wichtiger Grund für die Marginalität der Rechtsoziologie bzw. -anthropologie innerhalb der allgemeinen Soziologie und Anthropologie« (S. 112)
Zweitens: Die Suche nach einem analytischen Rechtsbegriff von hinreichender Universalität ist vergeblich, was von Benda-Beckmann selbst wiederholt ausgesprochen hat. Die Konsequenz besteht darin, dass »ein scharfer Unterschied zwischen Rechtsanthropologie und –soziologie nicht haltbar« ist.
Die Rezensionen, die von Benda-Beckmann für die Zeitschrift für Rechtssoziologie angefertigt hat, sind gehaltvoll und kritisch. Erfrischend die ausführliche Besprechung von Uwe Wesels »Frühformen des Rechts« von 1985. Wesel gilt heute als sakrosankt. Nach der Re-Lektüre von Benda-Beckmanns Rezension weiß ich wieder, warum ich Wesels Bücher nicht gelesen habe.
Hängen geblieben bin ich schließlich an einem Beitrag der beiden von Benda-Beckmanns zur Blankenburg-Festschrift 1998 . Darin lenken die beiden die Aufmerksamkeit auf das Phänomen, dass im Zuge der »Modernisierung« der Entwicklungsländer Eigentumsrechte im Sinne von Verfügungsrechten umgeschrieben und neu festgeschrieben werden, und zwar mit enormen Folgen für die betroffene Bevölkerung. Diese Folgen haben Hallenser Ethnologen als »Crude Domination« in den Blick genommen.
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