Dies ist die zweite Lieferung[1] meiner Lesefrüchte aus Christoph Menkes »Kritik der Rechte« (2015).[2]
In der Einleitung unter der Überschrift »Marx‘ Rätsel« wird die Grundthese des Buches formuliert: Die bürgerlichen Revolutionen der Moderne waren der Akt eines politischen Gemeinwesens, ihr Ziel die Gleichheit, ihr Mittel die Form der Rechte, deren Träger keine politischen, sondern private Subjekte sind. Das Ergebnis ist die Entpolitisierung der Gesellschaft (7f). Der Liberalismus, der auf seine guten moralischen Absichten verweist, ist, wie Marx formulierte, nur zu »vulgärer Kritik« imstande. Die wahre Analyse des bürgerlichen Rechts ist nicht historisch, sondern ontologisch. Der moderne Umbruch des Rechts ist ein Umbruch in der Ontologie der Normativität (S. 11). Man kann die bürgerliche Erklärung gleicher (subjektiver) Rechte nicht funktional nach ihren »Gehalten, Zwecken und Wirkungen« begreifen, wenn man nicht zuvor deren Form verstanden hat, denn »diese Form ist nicht neutral« (9). Sie bringt normativ »vor und außernormative Faktizität« hervor (10). Faktisch heißt, »dem politischen Gemeinwesen vorgeordnet und entzogen« (9), oder, was dasselbe ist, die »Naturalisierung des Sozialen« (10) Diesen Vorgang kann das bürgerliche Recht in seiner Selbstreflexion nicht begreifen. Es fällt daher in sich zusammen, nachdem M. den Zusammenhang aufdeckt hat. Das führt zu einer »neuen Revolution der Rechte«, einem »Recht der Gegenrechte« (13).
Die Kritik der Rechte setzt an bei deren moralisch hohler Form. Dazu wird im ersten Teil des Buches eine historische Kontrastfolie aufgespannt. Idealtypisch werden uns mit Hilfe von Aristoteles und Cicero das griechische und das römische Recht vorgestellt. Das »Modell Athen« sei auf Erziehung zur Tugend angelegt gewesen, das »Modell Rom« auf die zwangsweise Durchsetzung der Vernunft (65ff). In Athen und Rom war die Rechtswelt, so scheint es, noch in Ordnung, denn Rechte seien dort eigentlich nur Reflexe eines moralischen Universums gewesen. »Ein Recht hat man nach dem Maß der Gerechtigkeit und daher nur auf Gerechtes; das Recht des einzelnen ist sein gerechter Anteil.« (47)
Für den Umbruch zur Moderne steht das Modell London, personifiziert zuerst durch Hobbes, dann durch Locke.
»In der Form bürgerlicher Rechte bleibt der vorrechtliche natürliche Zustand im rechtlichen Zustand anwesend, ja wird der vorrechtliche natürliche Zustand im rechtlichen Zustand zur Geltung gebracht. Die Gewährleistung des Vor- und Außerrechtlichen, also des Natürlichen, wird zur Wesensbestimmung des Rechts.« (S. 55)
Für das moderne Recht gilt: »Das Gesetz ist nicht mehr die gerechte Vorschrift sittlichen Tuns, sondern die äußere Begrenzung von Bezirken natürlicher Tätigkeiten gegeneinander.« (58) Mit anderen Worten: Das moderne Recht ist darauf zugeschnitten, durch Determination von Rechtsansprüchen Sphären der Willkürfreiheit voneinander abzugrenzen. Es ist egalitär, aber ohne Moral, denn die Bezirke natürlicher Tätigkeit werden als gleich behandelt, anders als zuvor der für die Zumessung von Rechten maßgebliche Status im Gemeinwesen.
Da haben wir ein Paradox: Die neuzeitliche Form der Rechte »verklammert Normativität und Faktizität, ohne die Normativität in Faktizität aufzulösen. … Rechte berechtigen – nur – Natürliches.« (S. 63) »Dabei heißt ›natürlich‹ vor- oder außerrechtlich; natürlich sind alle Handlungen, die nicht an der Normativität des Rechts ausgerichtet sind.« (S. 90) Paradox wird das nur durch die Mehrdeutigkeit, in der hier von Normativität geredet wird. Rechtsnormen, die für Ansprüche in bestimmten Grenzen Beachtung fordern, sind für M. nicht wirklich normativ, soll heißen, sie sind nicht substantiell moralisch. Schon an dieser Stelle fragt sich der Leser, ob nicht auch hinter der rechtlichen Garantie für die nur durch die Rechte anderer gebundene Wahrnehmung von Handlungs-möglichkeiten eine substantielle Moral stecken könnte.
Gerne zustimmen wird man der Zurückweisung des »liberalen Dualismus«, das heißt der naturrechtlichen Annahme von subjektiven Rechten, die Vorrang vor dem objektiven Recht beanspruchen. (24ff).[3] Der Dualismus kommt erst auf, wenn die naturrechtlichen Inhalte nicht als gelebter und selbstverständlicher Bestand positiven Rechts Geltung haben, sondern als kontingent reflektiert werden. Von diesem Augenblick an geht es um unterschiedliche Rechtsbegriffe. Von einem positivistischen Standpunkt aus ist »das natürliche Recht vor dem Recht ein Scheinrecht« (25). Im System des positiven Rechts sind objektives und subjektives Recht nur noch zwei Seiten derselben Medaille. Nicht so für M. Auch für das moderne Recht gelte der Vorrang der (subjektiven) Rechte, und zwar wegen deren radikal neuer Form (29).
»Die Sicherung der Rechte des einzelnen wird zur neuen Funktionsbestimmung des Rechts überhaupt.« (31) Das sei eine »Revolution im Begriff des Rechts« die den »Primat des Anspruchs [subj. Recht] vor dem Gesetz [=obj. Recht]« begründe (31). Funktion soll hier heißen, dass es »im Recht [nur noch] um die normative Sicherung natürlicher, das heißt, vorrechtlich bestehender, dem Recht vorhergehender und vorgegebener Strebungen und Handlungen geht« (32). Worum denn sonst, möchte man fragen? Das wäre ja die Superautopoiese, wenn es im Recht um die Sicherung des Rechts ginge. Für das moderne Recht ist auch Moral etwas Vorrechtliches. Die Operationsweise des Philosophen besteht hier in der Verwendung unterschiedlicher Rechtsbegriffe. Anders wäre der Satz, das Recht habe nur noch die Aufgabe des Schutzes und der Sicherung rechtlicher Ansprüche (32), tautologisch. »Die Operationsweise des Rechts besteht in der Legalisierung des Natürlichen.« (33) Das klingt, als ob alles Natürliche legalisiert werde. Als Mittel wirkt »die funktionalen Totalisierung des Anspruchs«, was wohl heißen soll, das alles Recht letztlich als Privatrecht organisiert ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass M. nur das halbe Recht im Blick hat, ein Eindruck, der sich im Fortgang verstärkt. Aber der Eindruck ist falsch, denn M. meint, was er sagt.
An Thomas Hobbes‘ Begründung der staatlichen Souveränität findet M. deren immanente Grenze wichtig, den von Carl Schmitt so genannten Todeskeim (73ff), den Schmitt in dem Vorbehalt der inneren Glaubens- und Gedankenfreiheit gegenüber dem Leviathan hatte entdecken wollen. Dem Liberalismus, so meint M., diene der Gesinnungsvorbehalt als Verzicht auf eine sittliche Inanspruch-nahme. Deshalb sei »das souverän herrschende Recht … aus innerer Konsequenz zu dem Recht geworden, dessen Wesen die Erlaubnis oder Befugnis« sei (S. 80). Recht in der Zeit nach Hobbes »legalisiert« und sichert damit das »Natürliche«, nämlich die willkürliche Verfolgung individueller Interessen (S. 89). Allerdings ist die »rechtliche Erlaubnis [nur] eine Freigabe des Urteilens.« (S. 82) Das heißt: »Die Gesetze stellen die Gründe ihrer Befolgung frei.« (S. 83) Damit verzichtet das Recht auf einen moralischen Anspruch. Diesen Verzicht findet M. bei Kant wieder, wenn dieser Ethik und Recht danach unterscheidet, dass das Recht äußeres Handeln vorschreibt (S. 84ff).
Kant sage, weil das Recht äußerlich sei, müsse es das Innere freigeben. Dieser Schluss sei aber unrichtig oder zirkulär, denn tatsächlich hätten das griechische und das römische Rechtsregime »erziehend oder unterdrückend« auch auf das Innere eingewirkt. Die Freiheitserlaubnis des modernen Rechts folge deshalb nicht direkt aus der Äußerlichkeit des Rechts, sondern aus dessen Selbstreflexion: Das moderne Recht deute sich so, dass es die Freiheit der Willkür – die im weiteren Verlauf des Buches als Eigenwille angesprochen wird – erlaube (S. 87). Ihre normative Begründung sei mit Karl Marx letztlich nur in der Idee der Gleichheit zu suchen (345).
Die Frage liegt nahe, ob das wirklich die Selbstdeutung des modernen Rechts ist oder nicht vielmehr M.s Fremddeutung. Nach der üblichen Lesart gewährleistet das subjektive Recht die Möglichkeit der freien Entfaltung der Person in materieller wie in ideeller Hinsicht und damit den Rahmen für »die guten Zwecke des Liberalismus …: Würde, Autonomie, Selbstbestimmung usw.« (9). In einer Formulierung Savignys[4]: »Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen inwohnenden, Kraft sichert.«. Das mag noch der längst dekonstruierte autonomiebasierte Rechtsbegriff der ersten Moderne[5] sein. Wenn man die Willenstheorie etwas tiefer hängt, so reflektiert sie immer noch die rationale Unentscheidbarkeit moralischer Fragen und verlangt dafür individuelle Gewissensentscheidungen. Das ist ein hoher normativer Anspruch. Die »Freiheit der Willkür« ist nur die Kehrseite dieses Angebots. Solche Überlegungen prallen an M.s Argumentation ab. An die Stelle von Autonomie oder Gewissens-entscheidung tritt der mit Hilfe Foucaults »empirisch« von Urteil und Kritik gestrippte »Eigenwille«, der als psychisches Faktum zählt, nicht aber wegen seiner moralischen Qualität (197ff). Erneut die Frage, warum dem Eigenwillen die moralische Qualität abgehen soll, die dem (von mir so genannten) Statuswillen zugesprochen wird, der in den festen Hierarchien Athens und Roms die Basis der für eine gerecht Verteilung bildete. Nun gut, das liberale Recht war nicht sehr erfolgreich mit seiner Moral (oder Ethik). Aber waren Athen und Rom erfolgreicher?[6]
S. 88 folgt ein Zwischenergebnis, dem man abstrakt beipflichten möchte. »Das moderne Recht erzieht nicht mehr, sondern es diszipliniert.« Foucault lässt grüßen. Die »Differenz von Innen und Außen« etabliert sich »im Individuum (das dadurch zum Subjekt wird)«. Wenn da nur nicht die Hintergrundthese stünde, »daß das [moderne] Recht keinen normativen Anspruch an das Sein, die Ontologie des Rechtssubjekts« stelle (S. 88). Wieso sind Erziehung (Modell Athen) und Unterdrückung (Modell Rom) normativ, Disziplinierung aber nicht? Hier fällt wieder auf, wie M. »das Sittliche« und »das Vernünftige« des griechischen bzw. des römischen Modells anspricht, ohne deren Realität als Modelle guten und glücklichen Lebens zu betrachten. Das schöne Aristoteles-Zitat auf S. 209 zur Mitbenutzung des Eigentums war seinerzeit nicht mehr oder weniger symbolische Deklamation als heute Art. 14 Abs. 2 GG. Moderne Arbeitssklaverei ist kaum schlimmer als die antike Leibeigenschaft. Die vom modernen Recht geforderte äußere Disziplinierung im Sinne eines neminem laedere ist da schon ein gewisser Fortschritt.
Auf dem Wege dahin gibt es Überlegungen, die zum Grundbestand der Rechtstheorie gehören. Das gilt zunächst für die Überlegung, dass die Erfindung des subjektiven Rechts im Privatrecht eine Dynamik entfaltet hat, die im Verlauf das subjektiv-öffentliche Recht zur Selbstverständlichkeit hat werden lassen. M. teilt allerdings die von Hegel und Savigny bis zu H. H. Rupp vertretene Auffassung, die Figur des subjektiv öffentlichen Rechts sei eine falsche Übertragung zivilrechtlicher Konstruktionen. Nur zur Erinnerung: Die Begründung subjektiver Rechte gegen den Staat scheint an der Vorstellung vom Staat als Quelle des objektiven Rechts zu scheitern mit der Folge, dass der Staat als Rechtsschutzgewährender und -verpflichteter ein- und dieselbe Person wäre. Da zum Recht ein unabhängiger Richter gehört und ein Richter per definitionem unabhängig zu sein hat, der Staat aber Richter in eigener Sache wäre, wären subjektive Rechte gegen den Staat paradox. Befriedigend formulieren lassen sich Problem und Lösung aber mit der Vorstellung, dass es sich logisch (auf der Satzebene) um ein (unlösbares) Rekursivitätsproblem handelt, dass der Staat praktisch aber kein monolithisches Gebilde ist, sondern sich aus mehreren »Gewalten« und vielen Funktionsträgern zusammensetzt, die sich wechselseitig beobachten und durch Rückkoppelungsprozesse in der Schwebe halten. Deshalb ist es richtig, dass die aus dem Privatrecht stammende Figur des subjektiven Rechts hat eine Dynamik entfaltete, die ihren Ursprung weit hinter sich gelassen hat. Die Dynamik ist mit der Akzeptanz des subjektiv öffentlichen Rechts aber längst nicht erschöpft. Doch das ist nicht, was M. interessiert. Ihm kommt es darauf an, dass subjektiv öffentliche Rechte auch nur verkleidete Privatrechte sind.
Iherings Interessentheorie liest M. als Reformulierung seiner Deutung vom Primat des Anspruchs. Die normative Kraft subjektiver Rechte knüpfe daran, »daß Personen Interessen haben« (62). Das ist plausibel, obwohl das Individualinteresse nur der Normalfall ist, aber kein Essentiale des subjektiven Rechts bildet. M. zitiert Jellinek mit dem Satz »Wille und Interesse oder Gut gehören daher im Begriffe des Rechts nothwendig zusammen.« Den nächsten Satz Jellineks übergeht er. Der Satz lautet: »Nicht aber müssen der Träger des auf das Interesse gerichteten Willens und der Destinatär des Interesses identisch sein.«[7] Damit hatte Jellinek den Begriff des subjektiven Rechts weit geöffnet. Es hat zwar noch ein Jahrhundert gedauert, bis die darin liegenden Möglichkeiten zur Entwicklung des Rechtsbegriffs ausgeschöpft wurden. Heute bereitet es jedoch keine Schwierigkeiten mehr, den Begriff des subjektiven Rechts für die Organisation der Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch staatliche Stellen und durch Gruppierungen der Zivilgesellschaft heranzuziehen. M.s Analyse des subjektiven Rechts ist damit auf halber Strecke stehen geblieben.
Der Kontroverse zwischen Interessentheorie (Ihering) und Willenstheorie (Savigny, Windscheid) bringt M. auf den Nenner, diese Theorien hätten entgegengesetzte Naturbegriffe (92); der einen gehe es um die »Ermöglichung von Interessen«, der anderen um die »Erlaubnis der Willkür«, zwei »einander strukturell entgegengesetzte Weisen der Legalisierung des Natürlichen«, die in der modernen Form der Rechte beide gegenwärtig seien (95). Bei der rechtlichen Ermöglichung müsse das Recht die Interessen als Grundtypen des natürlichen Strebens bestimmen. An dieser Stelle erinnert sich der Leser daran, wie Marietta Auer[8] besonders herausstellt, dass Kants wunderbare Formel von der Freiheit, die ihre Grenzen an der Freiheit anderer findet, inhaltsleer ist und von hoher oder fremder Hand ausgefüllt werden muss. Darin steckt die »Bestimmung« der Interessen, die Voraussetzung für deren »Ermöglichung« ist. Es meldet sich die Frage, ob nicht in dieser Bestimmung der Interessen ein Stück Politik und vielleicht gar Moral stecken könnte.
Bei der rechtlichen Erlaubnis gehe es darum, die Willkür unter Absehung von Gründen zu legalisieren. Deshalb müsse die Erlaubnis inhaltlich unbestimmt bleiben. »In ihrer modernen Form sichern Rechte zugleich Interessen und Willkür.« Doch weil die Erlaubnis der Willkür das natürliche Streben unbestimmt lässt, während »die Ermöglichung von Interessen voraussetzt, daß das Recht das natürliche Streben bestimmt« arbeiten »die Sicherung von Interessen und der Willkür gegeneinander«. Darin besteht die »doppelte Performanz« der »Legalisierung des Natürlichen« im modernen Recht. »Aufgrund der Form der Rechte entfaltet sich die Einheit des modernen Rechts nur im Gegeneinander sich ausschließender Leistungen. Dieses Gegeneinander bildet die spezifisch moderne Gestalt des ›Kampfs um’s Recht‹ (Rudolf von Ihering).« (97)
Übersetzt man das »Gegeneinander« mit dem Gegensatz von objektivem und subjektivem Interessenbegriff, dann kann man vielleicht sagen: Ihering sah das Interesse als objektiv gegeben, während Savigny und Windscheid mangels einer Grundlage zur Beurteilung objektiver Interessen auf die Selbstbehauptung des Interesses (Bedürfnis) durch Willensentschluss abstellten. Damit erklärt sich mir aber noch nicht, warum sich »in der modernen Form des Rechts … die Sicherung von Interessen und der Willkür gegeneinander« richten, ja einander ausschließen sollen (97). Ich hätte vielmehr angenommen, dass beides wunderbar zusammenstimmt, denn die Willkür der Rechtsausübung ist das Korrektiv dafür, dass letztlich kein Dritter, weder Rechtsphilosoph noch Gesetzgeber, sondern nur der Betroffene selbst seine Interessen kennt. Aber das hat M. nicht gemeint. Das Gegeneinander läuft vielmehr auf die permanente Auseinandersetzung zwischen Privatautonomie und sozialen Rechten hinaus, denn die rechtliche Bestimmung von Interessen bedeutet die Bestimmung eines »Vermögens sozialer Teilhabe«. Das führt im weiteren Verlauf zu einem auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Ergebnis:
»Die soziale Kritik ist Teil des politischen Kampfes im bürgerlichen Recht, Rechtskritik ist in der bürgerlichen Gesellschaft eine Strategie in der Rechtsbegründung: Das bürgerliche Recht ist wesentlich herrschaftskritisches Recht.« (S. 301)
Aber die Sache hat einen Haken. »Die bürgerliche Kritik (oder Selbstkritik) des Rechts« hat nicht verstanden, worum es (M.) geht (305). Doch das führt heute zu weit. Fortsetzung nicht garantiert.
[1] Die erste Lieferung gab es am 1. 5. 2016 unter der Überschrift »Hauptsache Moral, welche ist egal«.
[2] M. = Menke. Zahlen in Klammern sind Seiten des Buches. Kursivschrift in Zitaten folgt dem Original. Eckige Klammern in Zitaten enthalten Ergänzungen, die den Sprachfluss sicherstellen sollen.
[3] Damit ist die Sache freilich noch nicht ganz zu Ende. Gerade die positivrechtliche Form der subjektiven Rechts öffnet es für den rights talk oder rights discourse – mir fehlt der passende deutsche Ausdruck –, mit dem an vielen Fronten neue subjektive Rechte eingefordert werden, nicht immer ganz erfolglos.
[4] Savigny, System, Bd. 1, S. 331. Zur »moralontologischen« Fassung des modernen Begriffs der Rechtsperson Marietta Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S. 15ff. Sie meint, Hugo Grotius habe noch »ein in seinen Grundlagen normatives System geschaffen … in dem subjektive Individualrecchte gerechtfertige Güter- und Handlungszuweisungen begründeten. Dagegen habe »der Mensch als moralische Person« im System von Hobbes keinen Platz gehabt, sei jedoch spätestens von Kant wieder als solche eingesetzt worden.
[5] Auer a. a. O. S. 6.
[6] Mit der Kritik der Moderne vor dem Hintergrund einer idyllischen Vormoderne steht M. nicht allein. Deshalb ist hier ein Hinweis auf die Selbstkritik der zweiten Moderne angebracht, wie sie von Auer (2014, S. 46ff) referiert und rezipiert wird. Eine seit Hegel und Marx zentrale Kritik geht dahin, dass die Moderne den Einzelnen von der Familie abtrennt, indem sie ihn ins Erwerbsleben zwingt, die Familie zerstört und als Kehrseite dem Einzelnen den sozialen Rückhalt nimmt (Auer S. 77). Doch nach der Realität der vormodernen Familie jenseits des Adels, der Stände und der Bauern wird nicht ernsthaft gefragt. Die Lebensgüter waren ungleich verteilt. Das Leben überhaupt war kurz und mühsam, die reale Möglichkeit von Hunger und Durst, Elend und Schmerz nicht weniger beklagenswert als nach der bürgerlichen Revolution.
[7] Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 44. Ebd. S. 71 heißt es noch deutlicher: »Das positive Recht kann aber den Kreis der formellen Interessen beliebig verengen oder erweitern. Im letzteren Fall bildet nicht einmal das materiell subjektive Interesse für seine Gewährungen eine unübersteigbare Grenze, so daß selbst dort, wo ein Individualinteresse gar nicht vorliegen kann, trotzdem ein geschützter Anspruch geschaffen zu werden vermag.«
[8] Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S. 55ff, 59.
2 comments on “Das subjektive Recht ein hohles Ei. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« II”
Ich weiß nicht, ob ich Sie vielleicht missverstehe, aber ungefähr in der Mitte dieses Beitrags schreiben Sie, Menke habe die “HIntergrundthese”, dass “das moderne Recht keinen normativen Anspruch an das Sein, die Ontologie des Rechtssubjekts stelle” und geben als Quelle S. 88 in “Kritik der Rechte” an. Liest man diese Stelle nach, findet sich dort jedoch die Formulierung “Es bedeutet nicht einmal, daß das Recht keinen normativen Anspruch an das Sein (…) stellt.” Der an das Subjekt gestellte Anspruch sei im modernen Recht nun lediglich ein anderer, namentlich seine eigene Natur zu kontrollieren.
Liegt hier ein Missverständnis vor?
Wenn da ein Missverständnis vorliegt, denn wohl bei mir. Ich hätte hier statt normativ wohl besser sittlich oder moralisch schreiben sollen. Vielleicht ist Ihr Kommentar Analss, dass ich die Lektüre des Menke-Buchs noch einmal wieder aufnehme.