Felix Herzog, Strafrecht illustrated. 30 Fälle aus dem Strafrecht in Wort und Bild, Illustrationen von Matthias Huberty, Merus Verlag, Hamburg 2007, 171 Seiten, 15,90 €
Juristen verfügen mit ihren Fällen über ein spezifisches Mittel zur Veranschaulichung ohne Bilder. Diesen Fällen fehlt allerdings das Fleisch, und so liegt es nahe, die Fälle durch Bilder zu ergänzen oder zu ersetzen. Das geschieht jedoch so gut wie gar nicht. Der Band »Strafrecht illustrated« des Bremer Strafrechtslehrers Felix Herzog leistet insoweit Pionierarbeit, indem er 30 Tötungsfällen jeweils einen Comic an die Seite stellt. Auf einer Doppelseite, gelegentlich auch auf aufeinander folgenden Seiten, wird links die Worterzählung des Falls abgedruckt und rechts die zugehörige Illustration. Es folgen zwei bis vier Textseiten mit Problemskizze und Lösung.
Der Versuch von Herzog zeigt einiges von den Schwierigkeiten der Vermittlung juristischen Wissens mit Bildern. Sie sind im Grunde ganz trivial, und fallen mir vor allem deshalb auf, weil wir bei einem eigenen Versuch mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Der Comic ist eine etablierte Gattung der Bild-Text-Kombination. Eine Reihe längst klassischer Beispiele wie Asterix oder die Peanuts hat Maßstäbe für Form und Inhalt gesetzt. An einen Zweck-Comic muss man keine künstlerischen Ansprüche stellen. Aber bei einem für Studenten bestimmten Lernbuch erwartet man ein gewisses technisches und ästhetisches Niveau. Das können heute praktisch nur noch professionelle Designer liefern. Dafür gibt es jedoch bei der Kalkulation juristischer Lernbücher keinen Spielraum. So müssen innovative Autoren zu amateurhaften Lösungen greifen. So auch Herzog. Die Comics stammen nach Auskunft des Vorworts von dem »jungen talentierten Comic-Zeichner« Matthias Huberty. Aus einer Rezension in der Süddeutschen Zeitung Nr. 115 vom 21. Mai 2007, S. 16 (die sich in erster Linie mit der Person des Autors befasst) erfährt man, dass es sich um einen Klassenkameraden der Tochter des Autors handeln soll. Tatsächlich wirken die Zeichnungen eher grob. Der Zeichner verlässt sich zu wenig auf Umrisse, sondern arbeitet mit Quasi-Schraffuren. Dadurch werden die Bilder verdunkelt, und man entbehrt die Farbe noch stärker. Der Stil ist nicht ganz einheitlich. Die Bilder fallen sehr klein aus. Man muss schon genau hinsehen, um das Bildgeschehen zu erkennen. Auch die Sprechblasen sind schwer leserlich.
Comics sind eigentlich Bildergeschichten, die auf einem festen Inventar von Rollen aufbauen und sich damit zur Fortsetzung eignen. Nach diesem Maßstab handelt es sich bei den Illustrationen in »Strafrecht illustrated« nicht um Comics, sondern um Cartoons. Comics und Cartoons enthalten zwar regelmäßig Textelemente, sind aber in dem Sinne autark, dass sie nicht auf eine Verdoppelung der Geschichte durch eine reine Textversion angewiesen sind. In »Strafrecht illustrated« laufen jedoch Bild- und Textversion der Fallerzählung parallel. Die Bilder bieten keine Information, die nicht schon im Text enthalten wäre. Eine Ausnahme bildet der »Hatschi-Peng-Fall«, der deshalb hier als Beispiel gewählt wird.
Hier erfährt man erst aus der Illustration, dass der Schuss, der die Ehefrau tötet, sich versehentlich löst, als der Täter beim Reinigen der Waffe niesen muss. Der Autor hat sich sonst aber nicht auf die Bilder verlassen und demonstriert damit, sicher ungewollt, die Leistungsfähigkeit des Textes. Man wagt kaum zu hoffen, dass die Nutzer des Buches tatsächlich neben dem Text oder gar an Stelle des Textes auch die Bilder sorgfältig »lesen«.
»Strafrecht illustrated« ist eher ein Beleg für die Anschaulichkeit verbaler Fallschilderungen als für den Mehrwert von Bildern. Diese Feststellung ist nicht als Kritik gemeint, sondern sie soll auf die in der Sache begründeten Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens hinweisen. Juristen haben eine erfolgreiche Tradition, um mit sprachlichen Mitteln, insbesondere auch mit markanten Fallgeschichten, Anschaulichkeit herzustellen. Wenn man diese Mittel durch zusätzliche Bilder übertreffen will, so ist ein Aufwand erforderlich, der sich für ein Lernbuch so schnell nicht wird beibringen lassen.
Wenn »Strafrecht illustrated« dennoch in einigen Buchanzeigen freudig begrüßt worden ist, so vermutlich deshalb, weil es überhaupt Comics enthält, nicht aber, weil die Text-Bild-Kombination hier besonders gelungen wäre oder gar einen Mehrwert vermittelt. Die ausgewählten Fälle sind schon in Textform so einprägsam und die Lösungshinweise sind so kurz und klar formuliert, dass die Bilder im Grunde überflüssig sind. Wenn sie einen Zusatznutzen bieten, dann vielleicht den, dass man das Buch überhaupt erst aus Neugier auf die Bilder zur Hand nimmt.
(Vgl. zu Comics und Cartoons in der Juristenausbildung Röhl/Ulbrich, Recht anschaulich, S. 123 ff u. 173 ff.)
One comment on “Felix Herzog, Strafrecht illustrated”
„Strafrecht Illustrated“ wirft die Frage auf, ob sich ein Comic oder, neutraler gesprochen, sequenzielle Kunst, zur Darstellung von Lebenssachverhalten zu rechtsdidaktischen Zwecken eignet. Röhls Kritik macht bereits deutlich, dass sich diese Frage nicht so einfach beantworten lässt. Es kommt, wie so oft, darauf an. Aber auf was kommt es an? Was sind die Kriterien dafür, ob sich ein Bild als kommunikatives Medium im Rahmen der Juristenausbildung eignet? Diese Kriterien zu entwickeln, wird eine der Kernaufgaben des im Entstehen begriffenen Legal Information Designs sein. Einige Elemente sind in Röhls Kritik eingearbeitet. Ich möchte sie reflektieren.
Bild-Text-Kombination
Eine zentrale Rolle bei der Beurteilung von Rechtsbildern (was immer das ist) spielt die Bild-Text-Kombination. In “Strafrecht Illustrated” liegen gleich zwei Formen dieser Kombination vor. Bild im Text und Bild neben dem Text (kommentiertes Bild). Dabei gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie sich das Bild und der Text (genauer ihre Bedeutungen) zueinander verhalten können. Sie können sich einander ergänzen, wiederholen, widersprechen, etc. Selten lässt sich eine Bild-Text-Kombination auf ein bestimmtes Verhältnis reduzieren. Das Bild kann z.B. den Text durch Darstellungen im Hintergrund ergänzen und durch die Darstellung von handelnden Personen im Vordergrund wiederholen. Eher ungünstig ist es, wenn sich Bild und Text widersprechen. Das ist z.B. im Kirschendieb-Fall (S. 158f) wohl versehentlich passiert. Im Text wird der Flüchtende im Oberschenkel getroffen. Im Bild 5 und 6 sieht es danach aus, als wäre er im Unterschenkel getroffen worden. Man kann also festhalten, dass Bild-Text-Verhältnisse die Qualität von Darstellungen beeinflussen können.
Die graphische Gestaltung
Die graphische Gestaltung ist ein weiteres Kriterium zur Evaluation von Rechtsbildern. Dabei kann man sich an professionellen Vorbildern orientieren (wie die von Röhl genannten Comics Asterix und Peanuts). Man bewahrt sich vor Enttäuschungen, wenn man an die graphische Gestaltung nur wenige, einfache Anforderungen stellt. Dazu gehört vor allem die Lesbarkeit von Text und Bild. Die Bilder in “Strafrecht Illustrated” sind zu klein. Der Text im Bild ist kaum lesbar, die schraffierte Darstellung erschwert das Erkennen von Bildelementen. Das hat sicherlich viel mit der Skalierung der Bilder auf das Buchformat zu tun. Dem Zeichner kann hierbei wohl kaum ein Vorwurf gemacht werden. Man kann aber daraus lernen, dass die leere, zu gestaltende Fläche mit dem Kriterium der Lesbarkeit einige Darstellungen von vornherein ausschließt (Stichwort: Bildökonomie).
Der Bildtyp
Ein weiteres Kriterium ist der Bildtyp und seine Verwendung. Es sind vor allem zwei Bildtypen, die sich zur Visualisierung rechtlicher Inhalte anbieten. Das eine sind die Strukturbilder (logische Bilder) und das andere sind die darstellenden Bilder (Analogbilder). Auf den ersten Blick scheint es so, als handele es sich bei der sequenziellen Kunst ausschließlich um darstellende Bilder. Es handelt sich aber in gleichem Maße um Strukturbilder. Die Folge der Bilder von rechts nach links (und von oben nach unten) ist in den meisten Fällen eine chronologische Abfolge. Denkt man sich den Inhalt der Kästen weg, schärft sich der Blick für die Struktur. Die Kastenabfolge gibt nämlich eine zeitliche Strukturierung des Inhalts an. Die Frage wäre jetzt, ob diese Struktur hier sinnvoll eingesetzt ist. Was bringt die sequenzielle, chronologische Darstellung von Handlungen für das Verständnis eines Sachverhalts? Auch hier kommt es darauf an. Geht es bei der Bearbeitung des Falles z.B. um Fristen, kann die Darstellung helfen. Geht es aber eher um die Qualität der Handlungen, wie oft im Strafrecht, ist der Nutzen eher gering.
Die Bildfunktionen
Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Rechtsbildern spielen meines Erachtens die Funktionen der Bilder. Sollen die Bilder der Erinnerung oder dem Erkennen von Strukturen dienen? Sollen sie Aufmerksamkeit erregen oder die Fremdsprachenbarriere überwinden? Das lässt sich dem Bild selbst nicht entnehmen. Man muss den Zweck der Kommunikation kennen, um sagen zu können, ob diejenigen Funktionen, die dem Zweck dienen könnten, auch genutzt wurden.
Herzog gibt im Vorwort den Hinweis, dass das Buch von der lernpsychologischen Erkenntnis ausgeht, dass viele Menschen abstrakte Probleme in visualisierter Form besser erfassen und im Langzeitgedächtnis abspeichern können. Es geht also um die Erinnerungsfunktion der Bilder. Ob der Zweck diesen Aufwand rechtfertigt, ist eine andere Frage. Sicherlich leidet die Erinnerungsfunktion auch unter den oben genannten Mängeln. Ich kann aber aus persönlicher Sicht sagen, dass der eine oder andere Fall (obwohl ich ihn bereits kannte) mittlerweile fest mit der Darstellung in „Strafrecht Illustrated“ verbunden ist. Insofern: Respekt. Mission accomplished.