Kulturalistische Kritik macht geltend, dass die Modernisierungstheorie die Bedeutung der Kultur für die Entwicklung der Gesellschaft prinzipiell verkenne. Meistens wird mehr oder weniger stillschweigend ein holistischer Kulturbegriff zugrunde gelegt. Holistisch ist ein Kulturbegriff, der sich viele große oder eher kleinere Kulturkreise vorstellt, die voneinander verschieden sind, in sich aber geschlossen, homogen und relativ statisch erscheinen. Er verbindet sich mit dem Kulturrelativismus[1], der jede Kultur als einzigartig ansieht, so dass sie ihren Wert in sich trägt. Das typische Argument lautet dann, die Übertragung einer modernen Institution in eine prämoderne Gesellschaft werde entweder misslingen oder deren indigene Kultur zerstören. Als Folge wird eine globale Homogenisierung oder McDonaldisierung konstatiert. Zur Abwehr dient die Forderung nach der Pflege kultureller Diversität. Kulturelle Diversität wird neben Biodiversität zu einem Wert an sich. Solche Kritik kann die Konvergenzthese aber nicht widerlegen, sondern nur beklagen.
[1] Zur Kritik des Kulturrelativismus sei verwiesen auf Thomas Sukopp, Wider den radikalen Kulturrelativismus – Universalismus, Kontextualismus und Kompatibilismus, Auflärung und Kritik 2, 2005, 136-154; zum Stand der Theoriediskussion in der Ethnologie auf Karl-Heinz Kohl, Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, 3. Aufl., 2011, S. 130ff.
One comment on “Kritik der Konvergenzthese IV: Kulturalistische Kritik”
Zuerst einmal vielen Dank für die verständnliche Einführung in die Kulturtheorie. An diesem Punkt scheinen Sie mir jedoch verschiedene Ebenen miteinander zu vermischen. Das holistische Bild von Kultur ist erstmal deskriptiv, die Frage nach ihrem Wert (Diversität) jedoch ist normativ. Zu behaupten, daß eine Kultur holistisch zu verstehen sei und deshalb die Konvergenzthese der strukturalistischen Systemtheorie, die ihre Thesen auf wenige Aspekte aus der Gesamtheit der Kultur stützt, nicht ist, ist eine andere Aussage als: Kulturen sollten nicht konvergieren.