Modernisierung durch Recht: Die klassische Modernisierungstheorie in neun Punkten IV

Dieser Eintrag beendet die kleine Reihe, mit der ich die neun Punkte, in denen Samuel Huntington[1] die klassische Modernisierungstheorie zusammengefasst hat, repetiere und fortzuschreibe.

(9) Modernisierung ist Fortschritt. … Auf lange Sicht ist Modernisierung nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschenswert. Kosten und Leiden, besonders in der Anfangsphase, sind hoch. Aber ihre sozialen, politischen und wirtschaftlichen Errungenschaften sind es wert. Auf längere Sicht fördert die Modernisierung die Wohlfahrt kulturell wie materiell. Die Fortschrittsthese, die eine Leistungssteigerung aller Systeme postuliert, an der prinzipiell alle teilhaben sollen, wird entgegengehalten, sie blende die enormen Leiden und Kosten der Modernisierung ebenso aus wie den Umstand, dass der Fortschritt nicht alle erreicht. Im Zusammenhang des Konvergenzthemas ist jedoch eine andere Kritik wichtiger, die Kritik nämlich, hinter der Fortschrittsannahme stecke ein missionarischer Universalismus des Westens. Friedrich Tenbruck spricht von der Vision der »säkularen Ökumene«. Das Konzept der Entwicklungshilfe habe daher, wie alle Fortschrittskonzepte, ein innerweltliches Ziel der Geschichte vor Augen, und münde damit in die Vision einer geschichtslosen Zukunft ein.[1] Tatsächlich wollte Francis Fukuyama 1989 das Ende der Geschichte vorhersagen, denn die Evolution der politischen Ideologien habe mit der weltweiten Ausbreitung der liberalen Demokratie westlichen Musters ihr Endstadium erreicht.[2]

Konvergenz bedeutet aber nicht das Verschwinden von Konflikten und damit das Ende der Geschichte, denn Modernisierung ist ein Prozess, der vielleicht alte Probleme überwindet, aber dafür neue aufwirft und damit auch neue Konfliktfronten aufreißt. Anhänger der Modernisierungstheorie führen die Konflikthaftigkeit des Prozesses nicht in erster Linie auf religiöse und kulturelle Differenzen zurück, sondern auf die Ungleichheiten, die die Modernisierung durch das unterschiedliche Tempo in den verschiedenen Ländern hat aufbrechen lassen.[3]

Ein Grundproblem der Modernisierungstheorie bleibt ihre relative Allgemeinheit. Wenn immer die Tatsachen nicht recht mit der Theorie übereinstimmen wollen, lässt sich die Theorie leicht verändern, so dass sie schwerlich widerlegbar ist. Das ist ein Problem vieler Theorien, dem der einzelne Anwender nur durch den Versuch der Aufrichtigkeit und Konsequenz begegnen kann.

Es ist beabsichtigt, diese Reihe durch eine Erörterung der Konvergenzthese und der daran geübten Kritik fortzusetzen. Im Hintergrund steht natürlich die Frage nach der Konvergenz der Rechtsentwicklung insbesondere auch in den nicht-OECD-Staaten. (Und im Vordergrund steht das Vielfaltsthema des Soziologentags, der demnächst in Bochum stattfindet.)

 


 


[1] A. a. O. (Fn. 1025) S. 27.

[2] Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, Europäische Rundschau, 1989, Nr. 4, 3-25 (Original in: The National Interest, Summer 1989); vgl. auch Arnold Gehlen, Ende der Geschichte? Zur Lage des Menschen im Posthistoire, in: Oskar Schatz (Hg.): Was wird aus dem Menschen? Analysen und Warnungen prominenter Denker, 1974, 61-75 = Gehlen, Einblicke, 1975, 115-133.

[3] Wolfgang Zapf, Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 227-235, S. 234; Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58, 2006, 201-232, S. 214.

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