Im Alter freut man sich an alten Weisheiten. Bei Georg Jellinek[1] lese ich:
»Wenn irgendwo, so gilt auf dem Gebiete der ethischen Wissenschaften der Satz: Negantis maior potestas. Der beharrlich Leugnende ist dadurch stets im Vorteil, dass sich dem absolut Widerstrebenden kein theoretisch zwingender Beweis irgend einer ethischen Grundanschauung geben lässt, die bis zu einem gewissen Grade stets Sache nicht weiter ableitbarer persönlicher Ueberzeugung ist.«
Den Ursprung der Parömie habe ich nicht ermitteln können. Mit Gugels Hilfe war nur zu erfahren, dass auch Kelsen sie einst verwendet hat. Der für das römische Recht zuständige Fakultätskollege Fabian Klinck bestätigt, dass sie in den Quellen des römischen Rechts nicht vorkommt.[2] Er meint, vielleicht handle es sich um eine Umformung des Satzes »negantis nulla probatio«, der auf Diocl. C. 4, 19, 23 und Diocl. C. 4, 30, 10 zurückgeht, oder des Satzes »Ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat« (Paul. D. 22, 3, 2), beides zu finden bei Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter.[3] Sollte unter meinen Lesern jemand die Quelle der Sentenz kennen, wäre ich für einen Hinweis dankbar.
Natürlich geht es hier um die allen Juristen geläufige Beweislastregel, nach der derjenige, der (eine ihm günstige) Tatsache behauptet, den Beweis erbringen muss. In der abstrakten Formulierung, in der die Sentenz von Jellinek verwendet wurde, trägt sie jedoch weiter als im Rechtsprozess. Jellinek zieht sie für das Werturteilsproblem heran. Sie erklärt aber auch den Zustand der Epistemologie.
Es gehört zur Eigendynamik jeder Argumentation, dass sich der Neinsager in einer strategisch besseren Position befindet. Das zeigt sich im Extrem am so genannten Fundamentalproblem der Wissenschaftstheorie oder am Regelskeptizismus der Sprachphilosophie und führt die Skeptiker zu einem fundamentalistischen Antifundamentalismus. Den radikalen Skeptiker kann man nicht überzeugen. Man sollte ihn deshalb auch nicht zu ernst nehmen.
[1] Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 11. S. 32 wird die Sentenz noch einmal angeführt: »Sätze wie: negantis maior potestas, Vorgänge wie die Kassation eines Urteils durch die obere Instanz sind vom empirisch-psychologischen Standpunkte aus einfach unerklärlich. Sie sind aber nicht etwa Fiktionen, denn die ihnen zugrunde liegenden Tatbestände sind die des praktischen Lebens imd der praktischen täglichen Anschauungen. Vor dem Richterstuhl einer absoluten Erkenntnis allerdings zerstäuben sie in nichts.«
[2] Herr Klinck hat mich bei dieser Gelegenheit auf das im Internet frei verfügbare Programm amanuensis hingewiesen, dass sich in der Tat ganz hervorragend zur Recherche in römischen Rechtstexten eignet.
[3] Es lassen sich noch weitere Versionen ergugeln, jedoch alle ohne Quellenangabe: Auf der spanischen Seite Aforismos y latinazgos heißt es: Negantis factum nulla est probatio. Maxims of Law from Bouvier’s 1856 Law Dictionary führen an: Affirmati, non neganti incumbit probatio.