Gerhard Henschels Sammlung der »wirrsten Grafiken der Welt (Hoffmann und Campe, Hamburg, 2003) hat darauf aufmerksam gemacht, dass Schaubilder nicht immer hilfreich sind. Nicht ganz selten hat man das Gefühl, dass die Einfügung solcher Schemata eher der Selbstverständigung des Autors dient als der Wissensgenerierung in der Person des Betrachters. In Henschels Sammlung, die viele abschreckende Beispiele aus den Geistes- und Sozialwissenschaften vorzeigt und sie witzig kommentiert, lässt sich nur ein Bild jedenfalls indirekt dem Rechtsbereich zuordnen, nämlich das Modell des argumentierenden Schlusses nach Toulmin. Henschel hat dieses Bild nicht in einem juristischen Buch gefunden, sondern bei Nicoline Hortzitz, Früh-Antisemitismus in Deutschland, Tübingen 1988. Hier zunächst das Original aus Stephen E. Toulmin, The Uses of Argument, 1969, S. 104:
Und hier die deutsche Version von Hortzitz:
Henschel bildet nur den Teil oberhalb des Textes ab, diesen jedoch geschönt mit roten statt schwarzen Linien sowie einem verlaufenden farbigen Hintergrund. Sein Kommentar: »Den Antisemiten ist mit dieser Grafik ein kräftiger Nackenschlag versetzt worden, von dem sie sich seit 1988 nicht so recht erholt haben. Im Kampf gegen den Antisemitismus hat sich das ›Toulminsche Modell‹ europaweit als überaus erfolgreich erwiesen, und man munkelt, daß kein Geringerer als Steven Spielberg daran denkt, das Modell zu verfilmen, mit Arnold Schwarzenegger als Operator und Meryl Streep als Ausnahmebedingung.« Das ist eine in ihrem Witz häßliche Persiflage, die dem seriösen Anliegen einer linguistischen Analyse antijüdischer Texte Unrecht tut.
Toulmin ist in der juristischen Argumentationstheorie ein alter und guter Bekannter. Im Internet findet man leicht verschiedene Versuche, sein Argumentationsmodell grafisch umzusetzen. Der Reiz des Modells für die Jurisprudenz besteht darin, dass es Schlussverfahren abbilden will, die nicht logisch, sondern qualitativ funktionieren. Inzwischen gibt es in der Rechtsinformatik Versuche, qualitative Schlussverfahren auf der Basis des Toulminschen Schlussmodells weiter zu formalisieren und zur Vorbereitung der computermäßigen Umsetzung auch zu visualisieren. Aber damit bin ich bei einem anderen Thema, dass ich vielleicht demnächst einmal aufgreifen kann.
Hier für heute nur noch der Hinweis auf einen »Beitrag zur Schaubildforschung« (ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt), der einerseits eine einleuchtende Typisierung missglückter Grafiken anbietet, andererseits aber auch eine Ehrenrettung für einige der von Henschel ridikülisierten Grafiken versucht: Dietmar Jazbinsek, Landkarten der Gedanken. Ein Beitrag zur Schaubildforschung, WZB-Mitteilungen Heft 100, Juni 2003, S. 66 f.