Das Staatsrecht als affirmative Wissenschaft?

»Die normative Kraft der Verfassung«[1], so hieß eine Tagung, die zur Erinnerung an die Antrittsvorlesung von Konrad Hesse vor 60 Jahren und an seinen Geburtstag vor 100 Jahren an der Ruhr-Universität Bochum abgehalten wurde. Veranstalter waren die Professoren Julian Krüper Bochum, Heiko Sauer, Bonn, und Mehrdad Payandeh, Hamburg.

Hesse war einer der Großen der deutschen Staatsrechts-wissenschaft. Seine »Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland« sind in 22 Auflagen erschienen und nach wie vor als Lehrbuch in Gebrauch. Seine Formel von der »praktischen Konkordanz« hat jeder Jurist im Kopf. So war er eine Erinnerungstagung wert, und auch der Besuch der Tagung war es wert.

Wer nicht zur Zunft gehört, hatte allerdings mit dem Titel einige Schwierigkeiten. »Normativ« ist eine der am meisten missbrauchten Vokabeln der Rechtssprache. Sinn macht sie nur als Gegenbegriff zu »deskriptiv« und »analytisch«. Sonst taugt sie lediglich als Beschwörungsformel.[2] Hesse verstand unter der »normativen Kraft« der Verfassung deren Fähigkeit in die Gesellschaft hineinzuwirken. Aus den schönen Vorträgen, in denen diese Bedeutung expliziert wurde, will ich hier nur einen Punkt herausgreifen, der von allen Rednern aufgenommen wurde. Als eine Voraussetzung für die normative Kraft hatte Hesse den Willen zur Verfassung genannt.

»Die rechtliche Verfassung vermag selber tätige Kraft zu werden … wird zur tätigen Kraft, wenn diese Aufgabe ergriffen wird, wenn die Bereitschaft besteht, das eigene Verhalten durch die von der Verfassung normierte Ordnung bestimmen zu lassen, wenn die Entschlossenheit vorhanden ist, jene Ordnung gegenüber aller Infragestellung und Anfechtung durch augenblickliche Nützlichkeitserwägungen durchzusetzen, wenn also im allgemeinen Bewußtsein und namentlich im Bewußtsein der für das Verfassungsleben Verantwortlichen nicht nur der Wille zur Macht, sondern vor allem der Wille zur Verfassung lebendig ist.« (S. 12)

Erst nachträglich fällt mir auf, dass kein Vortrag über den Willen zur Macht reflektiert hat. Was mir aber schon während der Veranstaltung aufgefallen ist: BVRin Gabriele Britz endete ihren Vortrag mit einem Aufruf an die Staatsrechtswissenschaft, »Willen zur Verfassung« zu zeigen. Dazu stellte sie den Art. I Nr. 2 der neuen Verhaltensrichtlinie des BVerfG[3], der den Richtern nahelegt, werbend für das Gericht tätig zu werden, neben die Forderung Konrad Hesses:

»daß [die Staatsrechtwissenschaft] die Bedingungen zu klären hat, unter denen die Normen der Verfassung jene optimale Geltung gewinnen können, daß sie unter diesem Gesichtspunkt ihre Dogmatik zu entwickeln und die Bestimmungen der Verfassung auszulegen hat. Das bedeutet vor allem, daß sie in erster Linie berufen ist, jenen Willen zur Verfassung hervorzuheben, zu wecken und zu erhalten, der die sicherste Gewähr der normativen Kraft der Verfassung ist.« (S. 19)

In der Diskussion wurde Frau Britz gefragt, ob denn die Staatsrechtler nun, ähnlich wie zeitweise die Vertreter des Europarechts, zu Propagandisten ihres Faches werden sollten. Natürlich gab es darauf eine beschwichtigende Antwort. Und ich fand das auch alles vollkommen in Ordnung.

Das Dumme ist, wenn man etwas Kluges hört, kommt man leicht auf weitere Fragen, die man gerne noch beantwortet hätte. Mir ging das Stichwort »affirmativ« durch den Kopf und führte zu der Frage, ob nicht auch ein Wille zur Kritik der normativen Kraft der Verfassung helfen könnte.

Bald nachdem Hesse seine Antrittsvorlesung gehalten hatte, wurde »affirmativ« in Verbindung mit Wissenschaft zum Schimpfwort. »Kritisch« hatte man zu sein. Heute diskutiert man distanzierter über das Kritikpotential von Teilnehmer-, Beobachter- und Reflexionstheorien. Das Staatsrecht rangiert dabei als Teilnehmertheorie, und Soziologen belehren uns, dass selbst Reflexionstheorien wie Rechtsphilosophie und Rechtstheorie immer Teilnehmertheorien blieben, die prinzipiell nicht anders als affirmativ sein könnten.

Die Unterscheidung zwischen der internen und einer externen Beobachtung des Rechts hat der englische Rechtsphilosoph H. L. A. Hart in die Rechtstheorie eingeführt. Er brauchte die Unterscheidung, um sich von einem behavioristischen Rechts- und Regelbegriff abzusetzen.[4] Heute verbindet man die Unterscheidung eher mit den von Luhmann gesetzten Akzenten. Luhmann spricht von Reflexionstheorien und Beobachtertheorien. Reflexionstheorien bieten eine Selbstbeschreibung des Systems, in unserem Falle des Rechtssystems, Beobachtertheorien eine Fremdbeschreibung. Von Reflexionstheorien heißt es, sie seien unvermeidlich affirmativ, sie wiederholten auf einem elaborierten Niveau, was sie beschrieben und machten sich damit die positive Selbsteinschätzung des Systems zu eigen.[5] Sie könnten sich eine Welt ohne Recht nicht vorstellen. Als Grund wird angegeben, dass die Selbstbeschreibung der Funktionssysteme stets an deren Code ausgerichtet sei, die Selbstbeschreibung des Rechts also an dem Code von Recht und Unrecht, während die Fremdbeschreibung den Wissenschaftscode von wahr und unwahr verwende. Die reflektierte Selbstbeobachtung des Rechts hat danach grundsätzlich den Status einer Teilnehmertheorie.[6]

In der Tat, Rechtsphilosophen und Rechtstheoretiker wollen das Recht ebenso wenig abschaffen wie Staatsrechtler, sondern sie wollen es verbessern. Das setzt Kritik voraus. Ist das Staatsrecht also dazu verurteilt, kritiklos affirmativ zu sein? Wohl kaum. Auch die »Reflexionstheorien, mit denen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft sich selbst beschreiben«, nehmen insofern Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch, als sie ihre Kritik auf Wissen stützen.[7]

Kritik setzt empirisch gesichertes Wissen, in diesem Falle von der Verfassungswirklichkeit und dem Zustand der Gesellschaft, voraus. Wissen, wie es Beobachtertheorien für sich in Anspruch nehmen, wäre für sich genommen keine Kritik. Daher sind Beobachtertheorien zu einer systemrelevanten Kritik prinzipiell ungeeignet. Kritik wächst erst aus Werturteilen, deren Qualität allerdings von dem Wissen abhängt, das (u. a.) Beobachtertheorien beibringen.

Der langen Rede kurzer Sinn: Der Wille zur Verfassung kann durchaus mit dem Willen zur Kritik der Verfassung einhergehen. Und so sollte es nach Hesses Ansicht sein. Das Zitat von S. 18 der Antrittsvorlesung geht auf S. 19 weiter:

»Und das bedeutet, daß [die Staatsrechtwissenschaft] gegebenenfalls auch zur Kritik verpflichtet ist; nichts wäre gefährlicher, als sich in Lebensfragen des Staates Illusionen hinzugeben.«

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[1] Konrad Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, J. C. B. Mohr, Tübingen 1959.

[2] Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 59.

[3] Dieser lautet: Aufgrund der Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung seiner Entscheidungen wirken die Mitglieder des Gerichts über die vorrangige Erfüllung ihres Rechtsprechungsauftrages hinaus bei der Darstellung und Vermittlung seiner Stellung, Funktionsweise und seiner Rechtsprechung auf nationaler und internationaler Ebene mit.

[4] Der Begriff des Rechts, 1973 [The Concept of Law, 1961], 119ff, 128ff. Zur Tradition der Unterscheidung von Beobachter- und Teilnehmertheorien ausführlicher Marietta Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, 212 ff.

[5] André Kieserling, Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung, 2004, 58ff; Stefan Kühl, Das Theorie- Praxis- Problem in der Soziologie, Soziologie 32, 2003, 7-19, S. 10.

[6] In diesem Sinne Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, S. 468; André Kieserling, Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung, 2004, S. 13. Anders sieht es Matthias Jestaedt. (den die Grippe gepackt hatte, so dass er auf der Tagung nur Stichworte zu seinem Vortrag verteilen lassen konnte). Jestaedt will nur Rechtsdogmatik und juristische Methodenlehre als Teilnehmertheorien gelten lassen (Das mag in der Theorie richtig sein, 2006, S. 17).

[7] Niklas Luhmann (Die Gesellschaft der Gesellschaft S. 890) mit Anführungszeichen um die Wissenschaftlichkeit und dem Zusatz, »was immer das dann im Einzelfall für das Rechtssystem … besagen mag«.

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Anthropozentrismus angesichts von Hybriden und Metaorganismen

Die wissenschaftlich getriebene technologische Entwicklung hat einen Namen als Nano-Bio-Info Convergence.[1] Worum es geht, kann ich nicht besser als mit einem Zitat ausdrücken:

»The three, on their own, have important implications. To put the three of them together, the way I think about it, is that we are informed by biology of what nature has learned how to do over several billion years at the molecular level. It then gives us the capability to simulate that in computer modeling. And the nanotechnology allows us to actually manipulate physical materials to mimic, in some cases, what nature has done.«[2]

Nach wie vor gilt es, die Identität des Menschen an zwei Fronten zu verteidigen, auf der einen Seite gegen nichtmenschliche Lebewesen (Tiere) und auf der anderen Seite gegen Maschinen. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine schien einfach zu ziehen. Nun scheint sie an zwei Stellen durchlässig zu werden, nämlich durch künstliche Intelligenz für humanoide Roboter und durch »Medizintechnik« für Hybride (Cyborgs). Hybride könnten auch die Grenze zwischen Mensch und Tier durchlöchern. Kommt jetzt noch eine dritte Grenze hinzu, nämlich die Grenze zwischen Menschen und Metaorganismen? Das behaupten jedenfalls die Biologen Tobias Rees, Thomas Bosch und Angela E. Douglas[3]. Aus ihrer Sicht gab es bisher drei Merkmale, um den Menschen als Indiviuum von anderen Lebewesen (und natürlich auch von der unbelebten Umwelt) zu unterscheiden: sein Immunsystem, sein Gehirn und sein Genom. Nun betonen die Biologen (was sie im Prinzip schon länger wussten), dass der Mensch nur als Teil eines Metaorganismus funktioniert, der sich zur Hälfte aus Mikrorganismen zusammensetzt. Diese bilden in ihrer Gesamtheit das Mikrobiom. [4] Mikrobiom und (Rest-)Mensch bilden einen Metaorganismus. Neu ist wohl, dass das menschliche Mikrobiom, das bei jedem Menschen etwas anders aussieht und sich im Lebensverlauf ändert, sich überindividuell mehr oder weniger gleichsinnig wandelt. So wird anscheinend eine Veränderung des Mikrobioms für die weltweit zunehmde Adipositas verantwortlich gemacht. Relativ neu ist vor allem der Begriff des Metaorganismus, der hier anscheinend eine Eigendynamik entwickelt.[5]

Als Forschungsobjekt der Biologie ist das Mikrobiom aufregend und rechtfertigt fraglos einen Sonderforschungsbereich »Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen«. Aber die Forderung nach »microbial humanities« scheint mir eher übertrieben zu sein. Klar: »The human is contingent on microbes«. Für die Biologie mag daher gelten: »We Have Never Been Individuals«[6]. Aber man sollte sich nicht durch Organismusbegriff verführen lassen. Für Rechtsphilosophie und Rechtstheorie geht es eher um eine bloße Symbiose. Es gib keine absoluten Grenzen, weder zwischen Menschen als Gattung und anderen Gattungen oder zwischen Menschen als Individuuen. Alle diese Grenzen sind »konstruiert«. Der Anthropozentrismus, den ich vertrete, hält grundsätzlich an den historisch gewachsenen Grenzen fest und verteidigt sie als die bessere Konstruktion gegen Tiere und Maschinen. Schwierig wird die Verteidigung gegenüber Hybriden. Das Mikrobiom dagegen ist bisher kein denkbarer Akteur oder Adressat des Rechts.

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[1] Zu diesem Eintrag hat mich ein Vortrag angeregt, den Reinhard Merkel über »Menschen, Cyborgs, humanoide Roboter – Herusforderung für Autonomie und Verantwortung« am 16. 2. 2018 auf dem Symposium anlässlich des 80. Geburtstags von Rolf Dietrich Herzberg gehalten hat.

[2] Scott Hubbard (Director des NASA Ames Research Center in Silicon Valley) https://foresight.org/nasa_ames_director_on_nanobioinfo_convergence-2/.

[3] Tobias Rees/Thomas Bosch/Angela E. Douglas, How the Microbiome Challenges our Concept of Self, PLoS biology 16, 2018, e2005358.

[4] Der Unterschied zwischen Mikrobiom und Mikrobiota ist mir nicht ganz klar geworden. Gelegentlich bezeichnet man das Mikrobiom eines Individuums als Mikrobiota. In der Regel verwendet man die Ausdrücke aber synonym.

[5] Sebastian Fraune/Sören Franzenburg/René Augustin/Thomas C. G. Bosch, Das Prinzip Metaorganismus, Biospektrum 17, 2011, 634-636.

[6] Diesen Titel zitieren die vorgenannten Autoren: Scott F. Gilbert/J. Sapp/A. I. Tauber, A Symbiotic View Of Life: We Have Never Been Individuals, Quarterly Review Of Biology, 87, 2012, 325-341.

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Bourdieus Diagnose männlicher Herrschaft bei den Kabylen als normativer Rückschaufehler

Der Text dieses Eintrags ist nunmehr zu einem Buchkapitel geworden in:

Klaus F. Röhl, Männliche Herrschaft als symbolischer Kapitalismus.

Eine Kritik an Pierre Bourdieus Konzept der männlichen Herrschaft,

Lit Verlag Münster, 2020.

Ich bitte um Verständnis, dass ich den Text mit Rücksicht auf den Verlagsvertrag gelöscht habe.

Nachtrag: Das Buch istz jetzt im Open Access zugänglich. Der Link befindet sich auf der Verlagsseite etwas verteckt im Klappentext oder hier: https://www.lit-verlag.de/media/pdf/be/5a/03/9783643145673.pdf.

Nachtrag vom 19. 12. 2023: Auf die Frage, wsas unter einem normativen Rückschaufehler zu verstehen sei, antowrtet ChatGPT, als ob es meine Texte gelesen hätte:

Der Begriff “normativer Rückschaufehler” bezieht sich auf die Tendenz von Menschen, vergangene Ereignisse oder Entscheidungen rückblickend auf der Grundlage aktueller Normen, Werte oder Kenntnisse zu beurteilen. Dieser Fehler tritt auf, wenn man vergangene Ereignisse mit dem Wissen und den Maßstäben von heute betrachtet und dann Annahmen darüber macht, dass die damaligen Akteure die gleichen Informationen und Einsichten hatten.

Im Wesentlichen begehen Menschen den normativen Rückschaufehler, indem sie die Vergangenheit durch die Brille des gegenwärtigen Wissens und der aktuellen sozialen Normen betrachten. Das führt oft dazu, dass man Entscheidungen oder Handlungen von früheren Zeiten als unvernünftig oder fehlerhaft beurteilt, obwohl die damaligen Akteure möglicherweise nicht über das gleiche Wissen oder die gleichen Ressourcen verfügten.

Es ist wichtig zu beachten, dass der normative Rückschaufehler ein kognitives Verzerrungsmuster ist und nicht die tatsächliche Perspektive der Menschen in der Vergangenheit widerspiegelt. Historiker, Psychologen und Sozialwissenschaftler berücksichtigen diesen Fehler oft, wenn sie versuchen, vergangene Ereignisse zu verstehen und zu interpretieren.

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Das Undenkbare denken: #Metoo in der Kabylei. Eine Kritik an Pierre Bourdieus Konzept der männlichen Herrschaft

Der Text dieses Eintrags ist nunmehr zu einem Buchkapitel geworden in:

Klaus F. Röhl, Männliche Herrschaft als symbolischer Kapitalismus.

Eine Kritik an Pierre Bourdieus Konzept der männlichen Herrschaft,

Lit Verlag Münster, 2020.

Ich bitte um Verständnis, dass ich den Text mit Rücksicht auf den Verlagsvertrag gelöscht habe.

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Von der Rechtsästhetik über Selbsterkenntnis zum ästhetischen Juridismus

Die kleine Konjunktur der Rechtsästhetik[1] hat durch das schöne Buch von Daniel Damler[2] Schub erhalten. Die Allgemeine Rechtslehre wird künftig nicht mehr ohne einen Paragraphen über Recht und Ästhetik auskommen. Bei der Vorbereitung des Textes waren reiche Lesefrüchte zu ernten. So war zu lernen, dass Ästhetik viel mit Reflexion, Selbstreflexion und Perspektivenwechsel zu tun hat. Darüber habe ich eine ganz neue Perspektive gewonnen: Ich bin absurd. Zu dieser Einsicht hat mir Andreas Reckwitz verholfen. Einen Aufsatz über »Die Erfindung der Kreativität«[3] beginnt er mit den Sätzen:

»Wenn es einen Wunsch gibt, der innerhalb der Gegenwartskultur die Grenzen des Verstehbaren sprengt, dann wäre es der, nicht kreativ sein zu wollen. Dies gilt für Individuen wie für Institutionen gleichermaßen. Nicht kreativ sein zu können, ist eine problematische, aber zu heilende und mit geduldigem Training zu überwindende Schwäche. Aber nicht kreativ sein zu wollen, erscheint als ein absurder Wunsch, so wie es zu anderen Zeiten die Absicht, nicht moralisch oder nicht autonom sein zu wollen, gewesen sein mag.«

Mich drängt überhaupt nichts zur Kreativität. Im Gegenteil, die Welt ist mir bunt genug, und mir kommt es darauf an, sie möglichst ordentlich in Schubladen zu verpacken. Ich freue mich an der Kreativität anderer und hüte mich, meine Umgebung durch eigene Ausbrüche von Kreativität zu molestieren. Also bin ich absurd.

Reckwitz nimmt eine Diskussionslinie auf, die mit der Schelte der Kulturindustrie durch Adorno und Horkheimer begonnen hatte. Daraus wuchs im Laufe der Zeit die kapitalismuskritische Diagnose einer Ästhetisierung der Gesellschaft. Sie besagt etwa, dass die Ökonomie die Ästhetik als Wachstumsbringer nutzt und sich ihrer zugleich bedient, um ihren schnöden Materialismus zu camouflieren. Diese Kritik gipfelt in der Rede von einem ästhetischen Kapitalismus[4].

Wenn die Ästhetisierung der Gesellschaft ein Sekundärphänomen des Kapitalismus ist, bedeutet das wohl, dass die seit Kant viel beschworene Autonomie der Ästhetik und mit ihr der Kunst untergeht. Reckwitz hat anscheinend einen Rettungsring parat. Er erfindet einen Kreativitätsimperativ, der vor aller Ökonomie am Werk ist. Bei weiterer Lektüre wird dieser Imperativ aber von einem »Kreativitätsdispositiv« eingefangen, das ihn letztlich doch in den Dienst der Ökonomie und damit des Kapitalismus stellt.

Dagegen hat Joachim Fischer kürzlich eine neue Postmaterialismusthese gestellt. Er knüpft bei Werner Sombart an, von dem er sagt, dieser habe »in seiner Kapitalismusanalyse von ›Luxus, Liebe und Kapitalismus‹ (1922) die Kausalrelationen umgekehrt: Das sich erstmals zu Beginn der Moderne entdeckende ästhetische Begehren hetzt die kapitalistische Ökonomie vor sich her, immer neue Ausdrucksformen zu produzieren.« Wolle man »das Phänomen der ›Ästhetisierung der Gesellschaft‹ wirklich ernst nehmen«, dann sei zu fragen:

»Ist nicht das Ästhetische das eigentliche Existential der Subjekte und der Sozietäten der Gegenwart? Noch vor dem Rechtlichen, vor dem Politischen, vor dem Wissenschaftlichen, vor dem Erzieherischen, vor dem Moralischen, vor dem Ökonomischen?«.

Auf diese Frage hat die Soziologie sich bisher nicht ernsthaft eingelassen, und ich kann sie nicht beantworten.

Indessen will ich das Verdikt der Absurdität nicht auf mir sitzen lassen. In einem Anfall verzweifelter Kreativität rufe ich den ästhetischen Juridismus aus.

Schon immer hielten Juristen etwas auf die Eleganz oder gar Ästhetik ihres Tuns.[5] Es ist an der Zeit, die zaghaften Bekenntnisse zu einem ästhetischen Imperativ zu konsolidieren. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte offenbar die Rechtsästhetikdiskussion noch nicht zur Kenntnis genommen, als es ein Urteil des Arbeitsgerichts Detmold, das in Reimen gefasst war, als unsachlich und unangemessen verwarf.[6] Dabei darf es nicht bleiben. Staatsanwälte sollten künftig ihre Anklagen als Rap vortragen, Richter ihre Urteile und Beschlüsse als Rezitativ darbieten. Die tristen Roben von Richtern und Anwälten könnten, je nach Herkunft der Prozessbeteiligten, mit folkloristischen Elementen geschmückt werden. Für das Loveparade-Verfahren passte Techno-Rock als Hintergrundmusik. Rechtsbücher, soweit es solche noch gibt, könnten ein Glitzerdesign erhalten, so wie es Daniel Damler mit seiner Rechtsästhetik vorgemacht hat. Viel Spielraum bietet die Gestaltung von Gerichtsgebäuden. In diesem Sinne hat man in Bochum das funkelnagelneue Landgericht hinter eine über 100 Jahre alte Fassade gesetzt. Der aus Funk und Fernsehen bekannte Bochumer Geruchsforscher Hanns Hatt kann sicher Vorschläge machen, wie man Gerichtsgebäude und Gefängnisse adäquat beduftet.

Ästhetischer Juridismus bietet der Kreativität ein weites Feld. Als Legal Design wird dieses Feld zum Thema von Rechtswissenschaft und Juristenausbildung werden.

Bisher versteht man unter Legal Design in erster Linie die zweckmäßige Gestaltung von einzelnen Rechtsnormen und ganzen Institutionen, zweckmäßig in dem Sinne, dass der Inhalt der Rechtsnormen für die Adressaten leicht erkennbar ist, dass ihr Verhalten unter Berücksichtigung zu erwartender Widerstände in die vom Gesetzgeber gewünschte Richtung gelenkt wird und dass die Institutionen ihre Wirkung tun.[7] Der Begriff Legal Design ist aber auch von Designern okkupiert worden, um ihre Tätigkeit für die Visualisierung von juristischem Material zu benennen. In den USA liegt der Schwerpunkt auf Visualisierung von Material für den forensischen Gebrauch. Ferner wird dort unter diesem Stichwort die Gestaltung von Internetseiten für Anwaltsbüros angeboten. In der Schweiz[8] und in Deutschland[9] geht es eher um die Visualisierung von Rechtsnormen, sei es für das Publikum, sei es für den Rechtsunterricht. Unter dem Kreativitätsimperativ des ästhetischen Juridismus deckt der Begriff des Legal Design künftig alle ästhetischen Praktiken juristischer Kommunikation.

Wer oder was ist hier absurd?

Nachtrag vom 25. Juli 2018:

Im Oktober 2017 gab es im Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI) eine Konferenz »Von der Künstlerkritik zur Kritik an der Kreativität«. Subjektivierungen in Forschung und Praxis«, die wie folgt angekündigt wurde:

Begriff und Wort Kreativität« wurden nach dem zweiten Weltkrieg aus den USA in den deutschsprachigen Raum importiert, zunächst im Zuge der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges über »creativity« und das von Joy P. Guilford angestoßene »creativity movement«. Diese Bewegung war von Anfang an heterogen, Psychometriker wie Guilford wurden von VertreterInnen der humanistischen Psychologie (z.B. Carl Rogers, Frank Barron) wie auch der Psychoanalyse (z. B. Donald Winnicot) flankiert. In Europa wurde die Idee, dass Kreativität unbedingt zu fördern sei, in den 1960er und 1970er Jahren auch von VertreterInnen der Künstlerkritik wie Raoul Vaneigem oder Joseph Beuys aufgegriffen. Dies nährte später die Vorstellung von der Herausbildung eines »neuen Geistes des Kapitalismus« (Boltanski/Chiapello) bzw. eines »ästhetischen Kapitalismus« (Reckwitz) unter Einfluss des künstlerischen Feldes.

In seinem [Eröffnungs-]Vortrag [über »Die Rhetorik der Kreativität«] widmet sich der Kunstsoziologe Ulf Wuggenig (Leuphana-Universität Lüneburg) dem zweiten Hype der Kreativität, als dessen politischer Ausgangspunkt und Motor die neoliberal gewendete britische New Labour Party anzusehen ist. Sie verklärten die Kreativarbeiter zu sogenannten New Independant, die Vorbild für andere, weniger Kreative sein sollten. Kreativität wurde nun unter instrumentalen Gesichtspunkten betrachtet, als Investition beziehungsweise Bedingung für Innovation und Wirtschaftswachstum. Der Import von Ideen und Konzepten aus dem angelsächsischen in den deutschsprachigen Raum war dabei mit durchaus bemerkenswerter nationaler Diversität zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz verbunden.

Dazu passt der schon etwas ältere Sammelband Gerald Raunig/Gene Ray (hg.), Critique of Creativity. Precarity, Subjectivity and Resistance in the ‘Creative Industries’, London 2011. Einige Beiträge stammen aus Gerald Raunig (Hg.), Kritik der Kreativität, 2007.

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[1] Fußnote 1 zum Eintrag vom 15. Januar 2017.

[2] Daniel Damler, Rechtsästhetik. Sinnliche Analogien im juristischen Denken, 2016. Rezensionen: Ino Augsberg, JZ 2017, 416f; Andreas Fischer-Lescano, Der Staat 25, 2017, 133-138.

[3] Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, Kulturpolitische Mitteilungen 141, II/2013, 23-34. Vgl. auch Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, 2012.

[4] Reckwitz 2013 S. 23; Gernot Böhme, Ästhetischer Kapitalismus, 2016.

[5] Z. B. Karl N. Llewellyn, On the Good, the True, the Beautiful, in Law, The University of Chicago Law Review 9, 1942, 224-265; Cosima Möller, Die juristische Konstruktion im Werk Rudolf von Jherings – vom universellen Rechtsalphabet bis zur juristischen Schönheit, JZ 72, 2017, 770-777; Pierre J. Schlag, The Aesthetics of American Law, Harvard Law Review 115, 2002, 1047-1118; Heinrich Triepel, Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts (1947) mit einer Einleitung von Andreas von Arnauld und Wolfgang Durner (S. I-XLII), 2007; Cornelia Vismann, Das Schöne am Recht, 2012.

[6] LAG Hamm Urteil vom 21. Februar 2008 Az. 8 Sa 1736/07.

[7] Alexandra Kemmerer/Christoph Möllers/Maximilian Steinbeis/Gerhard Wagner (Hg.), Choice Architecture in Democracies. Exploring the Legitimacy of Nudging, 2016.

[8] Colette R. Brunschwig, Visualisierung von Rechtsnormen. Legal Design, 2001.

[9] Klaus F. Röhl/Stefan Ulbrich, Recht anschaulich. Visualisierung der Juristenausbildung, 2007.

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Die Heimliche Juristenzeitung wird unheimlich

Nicht ganz selten wurde in diesem Blog die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert, von Anfang an unter dem Ehrentitel »Heimliche Juristenzeitung« (vgl. den Eintrag vom 19. Januar 2009: Die Bilder der heimlichen Juristenzeitung). Um mich nicht zu wiederholen, wiederhole hier noch einmal unter Verzicht auf die Fußnoten den ersten Absatz dieses Eintrags:

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist die heimliche Juristenzeitung. Seit eh und je gibt es mittwochs die Seite »Recht und Steuern«. Ziemlich neu ist die wöchentliche Seite »Staat und Recht«. Dafür verantwortlich ist Reinhard Müller. Auch sonst schreibt er über »alles, was Recht ist«. Die Seite »Die Gegenwart« bot am 8. 9. 2008 einen großen Aufsatz von Roman Herzog und Lüder Gerken über Kompetenzanmaßungen des EUGH, der eine rege Diskussion auslöste. Selbstverständlich, dass die Zeitung über wichtige rechtspolitische Entwicklungen und bemerkenswerte Gerichtsverfahren schreibt. Die Artikel von Friedrich Karl Fromme zu staats- und verfassungsrechtlichen Themen sind in guter Erinnerung. Heute sorgen Alexandra Kemmerer und Melanie Amann für zuverlässige und interessante Berichte. Für den Wirtschaftsteil hat Frau Amann die Anwaltschaft im Blick. Über die Rechtswelt in den USA berichtet zitierwürdig Katja Gelinsky. Im letzten Jahr ist der »Rechtsstab« noch um Hendrik Wieduwilt erweitert worden, der sich der Zeitung dem Vernehmen nach als Blogger empfohlen hatte. Auch die alte Tradition, über völkerrechtliche Fragen zu informieren, wird fortgeführt. Am 7. 1. gab es – zwar aus aktuellem Anlass, aber doch ganz abstrakt gehalten – gleich zwei Artikel zum Kriegsvölkerrecht. Früher war es vor allem Gerd Roellecke, der rechtsphilosophische Themen behandelte. Ihn hat mehr und mehr Michael Pawlik abgelöst. Ganze Debatten zwischen Richtern und Professoren werden in der FAZ ausgetragen.

Der Text verdient nach bald neun Jahren eine Aktualisierung. Aber die Lust ist mir vergangen, nachdem die FAZ heute mit der Meldung erscheint, sie wolle künftig ein Extrablatt herausgeben unter dem – wie ich finde – einigermaßen lächerlichen Titel Einspruch. Alles was Recht ist. Natürlich erscheint das Blatt nur digital, aber dafür kostet es extra. Da zahlt man nun einschließlich Sonntags- und Digitalausgabe ungefähr 1000 EUR im Jahr und muss wohl befürchten, dass die Zeitung nach und nach entkernt wird. Es gibt ja noch viele Sachgebiete, für die sich Extrablätter lohnen. Früher gab es den »Blick durch die Wirtschaft«. Ich hätte noch ein paar Vorschläge mehr, z. B.:

Literatur. Alles was zwischen Buchdeckel passt.

Tor. Alles was Beine hat.

Spritze. Alles was man abrechnen kann.

Oder man nimmt gleich die Parole von Twitter:

Alles, was gerade los ist.

In der Rechtssoziologie lernte man immer, wie wichtig Dauerbeziehungen seien. Verbraucher haben längst umgelernt. 50 Jahre bei derselben Versicherung? Treuer Kunde der Stadtwerke? Über 40 Jahre Abonnent der FAZ? Man wäre so gerne ein bißchen irrational. Aber Alter schützt vor Kündigung nicht.

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Film und Recht: Vom Seminar zum Handbuch

In diesen Tagen ist Stefan Machura auf Einladung der Fakultät für Sozialwissenschaft in Bochum zu Besuch. Von 1992-1998 war er Assistent am Lehrstuhl für Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität. Heute ist er Professor of Criminology and Criminal Justice an der Universität Bangor, Wales (UK).

Auf der Webseite von Herrn Machura findet man die Internetadresse des Bandes Criminology and Criminal Justice, der soeben in der Reihe der Oxford Research Encyclopedias erschienen ist. Herr Machura ist als Mitherausgeber für 122 Artikel über Crime, Media, and Popular Culture verantwortlich. Zwei hat er auch selbst verfasst. Vorläufig ist das Ganze noch frei im Internet zugänglich.

Für mich ist das Handbuch Anlass, daran zu erinnern, wie alles angefangen hat. 1985 war ich, von Madison kommend, zum ersten Mal in St. Louis, Missouri, an der St. Louis University (SLU), um die dortige Law School für eine Partnerschaft mit unserer Bochumer Juristenfakultät zu gewinnen. (Die Pbartnerschaft war über zwei Jahrzehnte sehr lebendig.) Gleich bei meinem ersten Besuch lernte ich den Kollegen Francis M. Nevins kennen. Bei späteren Besuchen haben seine Frau und er mich auch in ihrem Haus aufgenommen, wo ich den gewaltigen Röhrenprojektor bestaunte, mit dem Nevins seine Filmsammlung musterte. Nach deutschen Begriffen war Nevins Zivilrechtler, seine Fächer vor allem Urheberrecht sowie mehr oder weniger alles, was bei uns unter die Freiwillige Gerichtsbarkeit fällt. Seine Leidenschaft waren jedoch Kriminalromane und Filme. Er war Testamentsvollstrecker des Krimiautors Cornell Woolrich und schrieb selbst ein halbes Dutzend Kriminalromane.

Seit 1979 hielt Nevins in St. Louis ein Seminar über »Law, Lawyers and Justice in Popular Fiction and Film«.[1] Ich durfte gelegentlich teilnehmen und fand das so reizvoll, dass ich dieses Format in Bochum kopieren wollte. Aber irgendwie fehlten mir Feeling und Kompetenz für die Materie. Und so kam es, dass ab 1995 zwei Mitarbeiter, Stefan Machura und Stefan Ulbrich, zu denen sich später noch Michael Böhnke gesellte, formal in meinem Auftrag, ein Seminar über »Recht im Film« anboten, das zugleich für Studierende der Film- und Fernsehwissenschaft sowie der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft geöffnet war, das über viele Jahre erfolgreich gelaufen ist und aus dem stattliche Veröffentlichungen[2] entstanden.

Seit Ende der 1970er Jahre gerieten die Publikumsmedien mehr und mehr auf den Themenzettel der Law and Society Association und damit in den Blick der Rechtssoziologie. Dabei ging es auf der einen Seite um die Berichterstattung der Medien über die Justiz. Auf der anderen Seite ging es um die damals populären Anwalts- und Gerichtsserien im Fernsehen. Damit wurde die Thematik breiter. »Recht im Film« stand nur noch pars pro toto für fact and fiction in der Popularkultur, insbesondere in den Publikumsmedien.

Während ich selbst mich mehr für den Zusammenhang von Medienwandel und Rechtsentwicklung interessierte – daraus wurde das Projekt Visuelle Rechtskommunikation – blieb Herr Machura dem Thema »Recht und Film« treu, etwa mit dem Projekt Kultivierungseffekte des Justiz- und Anwaltsfilms[3]. Auf der gerade angekündigten Tagung der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen in Basel 2018 organisiert er den Themenstrang »Recht und Medien«. Die jüngsten einschlägigen Veröffentlichungen sind wohl zwei Artikel in dem eingangs erwähnten Handbuch: Representations of Law, Rights, and Criminal Justice sowie (zusammen mit Michael Böhnke) The Legal System in German Popular Culture.

Nun ist aus dem Seminar also ein Handbuch geworden. Das ist nicht nur wegen der damit verbundenen Wissenschaftskarriere interessant, sondern weil die Handbuchreife einer Disziplin ein Anzeichen für die Konvergenz ihrer Wissensbestände bildet. Aber das ist Thema für ein neues Posting.

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[1] Francis M. Nevins hat zum Thema »Recht im Film« mehrere Veröffentlichungen vorgelegt, z.B. Through the Great Depression on Horseback. Legal Themes in Western Films of the 1930s, in: John Denvir (Hg.), Legal Reelism. Movies as Legal Texts, University of Illinois Press, Urbana 1996, 44-69; ders., Cape Fear Dead Ahead: Transforming A Thrice-Told Tale of Lawyers and Law, Legal Studies Forum 2000, 611-644; Using Fiction and Film as Law School Tools, in: Stefan Machura/Stefan Ulbrich (Hg.), FS Röhl, 2003, 175-181.

[2] Stefan Machura/Stefan Ulbrich, Recht im Film: Abbild juristischer Wirklichkeit oder filmische Selbstreferenz, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1999, Heft 1, 168-182; dies. (Hg.), Recht im Film, Nomos Verlag, Baden-Baden 2002; Stefan Machura/Peter Robson (Hg.), Law and Film, Blackwell, Oxford u.a. 2001; darin: Michael Böhnke, Myth and Law in the Films of John Ford (S. 47-63) sowie Stefan Machura/Stefan Ulbrich, Law in Film: Globalising the American Courtroom Drama (S. 117-132, auch in: Journal of Law and Society 28, 2001, 117-132); Stefan Ulbrich, Gerichtsshows als mediales Format und ihre Bedeutung für das Recht, FS Röhl, 2003, 161-174. Ferner als Baustein des Projekts Visuelle Rechtskommunikation von Stefan Machura und Stefan Ulbrich Recht im Film.

[3] Der DFG-Antrag trägt nur pro forma meinen Namen, weil Herr Machura damals nicht antragsberechtigt war.

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#Metoo – die sexuelle Revolution frisst ihre Kinder

Kürzlich war ich in Heidelberg und übernachtete dort in einem auf bayrisch getrimmten Hotel, das weibliche Personal entsprechend in Dirndl gezwängt. So konnten an der Rezeption und im Restaurant tiefe Einblicke in entzückend jugendliche Busen gar nicht ausbleiben. Sie waren nicht weniger schön als der Blick von der Alten Brücke auf das Heidelberger Schloss und von der Bahnstrecke am Rhein auf die Loreley. Auf der Rückfahrt habe ich in den dicken Sonntagszeitungen die Metoo-Stories gelesen. Da kamen mir die Einträge über die Sexdefizit-These von Roy Baumeister u. a., das darauf aufbauende Konzept der Geschlechterbeziehungen als Austauschverhältnis[1] sowie Catherine Hakims Erotisches Kapital in Erinnerung, über die ich vor Jahr und Tag an dieser Stelle reichlich ratlos geschrieben hatte.

Der Eintrag vom 30. Juni 2015 über den – wie ich fand – skandalösen Artikel von Roy F. Baumeister und Kathleen D. Vohs[2], den ich aus Anlass von Baumeisters Einladung an die Universität Bamberg verfasst hatte, zog hier im Blog zu meiner Enttäuschung keine Kommentare auf sich. Eine kleine Email-Korrespondenz, die Ulrike Schultz von der Fernuniversität Hagen auf meine Bitte in ihrem Netzwerk initiiert hatte, brachte einige Antworten hervor, in denen zwar allgemein Empörung geäußert wurde, die aber keine Hilfe für eine sachliche Auseinandersetzung mit Baumeister und Vohs boten. Ich hatte gehofft, dass mir jemand diese Auseinandersetzung abnehmen könnte (zu der ich mich auch heute noch nicht im Stande sehe). Immerhin teile ich die Ausgangsposition von Baumeister und Vohs, nämlich die Annahme, dass die Geschlechterbeziehungen sich als Austauschverhältnis modellieren lassen und dass es daher auch möglich sein müsste, sie einer quasi-ökonomischen Analyse zu unterziehen.[3] Das Austauschmodell prallt bisher, soweit ich sehe, an der Perspektive eines wohlwollenden Sexismus (benevolent sexism[4]) ab, die sich nicht mehr durchhalten lässt, wenn man das Austauschmodell ernst nimmt. Ich halte es auch nach wie vor für plausibel, wenn Catherine Hakim unter Berufung auf Bourdieu, erklärt:

»Erotic capital is just as important as economic, cultural and social capital for understanding social and economic processes, social interaction and social mobility.«[5]

Eine ausführliche Stellungnahme zu Hakims Thesen von Andreas Schmitz und Jan Rasmus Riebling[6] zeigt wichtige Kritikpunkte. Mit gutem Grund kritisieren sie, wie andere auch[7], dass Hakim, jedenfalls in ihrem Buch, postfeministische Ratgeberliteratur geliefert habe, die der Ungleichheit der Geschlechter durch besseres Selbstmanagement abhelfen solle und stattdessen nur zur Reproduktion von Geschlechterunterschieden beitrage. Vor allem beanstanden sie, dass die distinkten Elemente, aus denen sich nach Hakim das erotische Kapital zusammensetzen soll, nicht zu der Kapitaldefinition Bourdieus passen. Diese Kritik verstehe ich nicht. Ich habe noch einmal einen einschlägigen Text Bourdieus[8] gelesen und hatte den Eindruck, dass man dort an Stelle der drei von Bourdieu behandelten Kapitalformen immer wieder auch das erotische Kapital interpolieren kann. Insoweit bedarf es einer ausführlicheren Diskussion, für die hier nicht der Ort ist.

Nun hat in Hollywood ein Sexmonster gewütet. Das ist für den Markt der zwischengeschlechtlichen Beziehungen schlimmer noch als der VW-Skandal für den Dieselmarkt. Das Vertrauen in den Dieselmotor ist dahin, wiewohl dieser technisch, auch was die Nachhaltigkeit betrifft, überlegen ist. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern scheint gestört, denn das Anbieten, Werben und Wählen verliert die Unbefangenheit, von der es lebt. Das kultivierte, elegante und oft auch triviale Spiel mit erotischen Elementen jenseits von plumpem Sex ist gefährdet. Damit geht viel von dem, was das Leben – auch für Frauen – lebenswert macht, verloren. Wo ist das Pendent zu der verpönten Abschaltvorrichtung in Dieselmotoren? Die sexuelle Revolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war wohl von Männern gemacht und sie haben sie in ihrem Sinne interpretiert, indem sie Frauen zum Freiwild erklärten, natürlich nicht explizit, sondern als Hintergrundmetapher im Sinne Blumenbergs[9]. Was wir gerade erleben ist keine »moralische Panik«[10], sondern eine »moralische (Gegen-) Revolution«[11], angetrieben von einem Bedürfnis nach Respekt und Anerkennung.

Diese Ad-hoc-Erklärung ist natürlich insofern zu kurz, als Männermacht schon immer dazu diente, sich Frauen gefügig zu machen. Aber der Vergleich zwischen Harvey Weinstein und Graf Almaviva will nicht passen. Für die Ambivalenz, die da Ponte und Mozart trotz der für ihre Zeitgenossen revolutionären Kritik immer noch mit der Figur des Almaviva verbunden haben, wäre heute kein Raum mehr.

Der #Metoo-Diskurs ist ein Schulbeispiel für einen Machtdiskurs im Sinne Foucaults. Er verschiebt den metaphorischen Hintergrund vom Freiwild zum Sexismusopfer. Damit wird Männermacht abgebaut und Frauenmacht aufgebaut. Mit Hilfe der Medien gelingt es, die Position des nicht unmittelbar anwesenden Dritten oder gar der Öffentlichkeit präsent zu machen, die notwendig ist, um den Vorwurf einer bloß subjektiven Bewertung der Demütigung durch das Opfer abzuwehren.[12]

Was als Demütigung (embarrassement) oder Belästigung (harassment) gilt, ist kein Naturphänomen, sondern ein soziales Konstrukt. Das gilt bis zu einem gewissen Grade sogar für Vergewaltigungen.[13]

»Das erniedrigende Verhalten im Akt der Demütigung ist von normalem Machtverhalten innerhalb einer Hierarchie, etwa in einer hierarchischen Institution, dadurch zu unterscheiden, dass es etablierte Grenzen und Erwartungen überschreitet …«[14]

Auch vor dem Weinstein-Skandal gab es etablierte Grenzen. Jede Form körperlicher Gewalt und expliziter Nötigung war indiskutabel, ebenso die Berührung von primären und sekundären Geschlechtsorganen. Viele andere Verhaltensweisen dagegen, die jetzt als sexual harassement gelten, wurden mehr oder weniger entrüstet hingenommen oder abgeschüttelt, so die berühmt-berüchtigte Hand auf dem Knie, Bemerkungen über Aussehen oder Verbalerotik. Man darf deshalb nicht so tun, als ob alle Normen, die jetzt in Anspruch genommen werden, schon immer maßgeblich gewesen wären, auch wenn sie als moralische Forderung im Raum standen. Im #Me-too-Diskurs werden diese Grenzen jetzt verschoben. Da gilt kein nulla poena sine lege. Eine gelingende Skandalisierung macht eine neue Moral rückwirkend zum Standard.

Es gibt verschiedene Marktplätze für erotisches Kapital. Um die beiden Extreme zu nennen: Auf der einen Seite stehen die langfristigen Beziehungen in Gestalt von Ehe und Lebenspartnerschaft, bei denen die Sexualität in eine allumfassende Beziehung eingebettet ist. Am anderen Ende stehen Spot-Märkte[15] für Prostitution und Pornographie. Der #Metoo-Diskurs betrifft die Marktplätze dazwischen, und zwar hier ganz besonders das Verhalten in Organisationen. Deshalb ist ein Blick in die Forschungsliteratur angezeigt, die sich mit sexuell interpretierbaren Praktiken (siP) in Organisationen befasst.[16]

Zwei neuere Auswertungen dieser Literatur[17] erscheinen mir interessant, wiewohl zu befürchten ist, dass die Autoren wegen einer gewissen Wirtschafts- und Managementnähe, die man nach den Publikationsorten vermuten kann, mit einem schrägen Blick an die Dinge herangehen. Das gilt jedenfalls, wenn sie zunächst festhalten, dass die Forschung von der Auffassung getragen werde, dass siP am Arbeitsplatz grundsätzlich als unerwünscht sei, nicht nur weil sie als Form männlicher Herrschaft gelten, die in modernen demokratischen Gesellschaften keinen Platz haben, sondern auch, weil sie die Produktivität stören und weil sie Anlass zu Klagen wegen Diskriminierung geben können. Wohl als Konsequenz beschränkten sich Studien über siP am Arbeitsplatz auf zwei Aspekte, nämlich auf sexuelle Belästigung von Frauen durch Männer (sexual harassment) und auf Paarbeziehungen (workplace romances).

Wichtig und richtig scheint mir aber doch das Resumee, die Forschung vernachlässige darüber die positive Seite von siP in Organisationen ; immerhin hätten nicht wenige Untersuchungen gezeigt, dass siP auch in Organisationen positive Funktionen hätten, und das nicht nur, weil Organisationen, insbesondere Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz, nun einmal die erfolgreichste Umgebung zur Anbahnung von Partnerschaften sind. SiP sind Bestandteil des Eindrucksmanagements, das am Arbeitsplatz üblich oder gar gefordert ist. SiP dienen dazu, sich dem Gegenüber umgänglich, aufgeschlossen und hilfsbereit zu zeigen. Sie bilden eine Möglichkeit, sich selbst positiv darzustellen und das Gegenüber in seinem positiven Selbstbild zu verstärken. Sie können die Stimmung am Arbeitsplatz verbessern und helfen, die nicht selten eher ermüdende und langweilige Tätigkeit zu ertragen. Und auch das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe und die Kreativität werden verbessert.

Zwei Beobachtungen fügen sich gut in das Marktmodell: Männer interpretieren ein Verhalten von Frauen eher als sexualitätsbezogen als es dem Selbstverständnis der Frau entspricht.[18] Anscheinend verstehen Frauen ihre eigenen siP oft schlicht als Bemühen um ein ästhetisches Selbstbild (meine Erklärung). Zwar üben grundsätzlich Männer ebenso wie Frau siP am Arbeitsplatz. Aber Männer verfügen eher über materielle Ressourcen und Macht als Frauen, die ihr Defizit eher durch siP zu kompensieren versuchen.

Obwohl Aquino u. a. ebenso wie zuvor Watkins u. a. die insgesamt positiven Funktionen von siP in Organisationen hervorheben, wird die Kehrseite nicht unterschlagen. Dazu gehört etwa die Befestigung traditioneller Geschlechterrollen, die Möglichkeit, dass einzelne Personen sich aus einer Gruppe, die sich auf siP versteht, ausgeschlossen sind, und nicht zuletzt die Gefahr, dass unter dem Mantel harmloser siP sexuelle Übergriffe verborgen werden.

Im Ergebnis ist die Bilanz für siP in Organisationen aber positiv, ganz abgesehen davon, dass diese sich ohnehin nicht vollständig kontrollieren ließen.

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[1] Roy F. Baumeister/Dianne M. Tice, The Social Dimension of Sex, 2001, Kapitel 5; Roy F. Baumeister/Kathleen R. Catanese/Kathleen D. Vohs, Is There a Gender Difference in Strength of Sex Drive? Views, Conceptual Distinctions, and a Review of Relevant Evidence, Personality and Social Psychology Review 5, 2001, 242-273; Catherine Hakim, The Male Sexual Deficit: A Social Fact of the 21st Century, International Sociology 30, 2015, 314-335.

[2] Roy F. Baumeister/ Kathleen D. Vohs, Sexual Economics, Culture, Men, and Modern Sexual Trends, Society 49, 2012, 520-524. Dabei handelt es sich um eine Art Update zu dem Buch Roy F. Baumeister, Is There Anything Good About Men?. How Cultures Flourish by Exploiting Men, 2010, das 2012 auch auf deutsch erschienen ist (Wozu sind Männer eigentlich überhaupt noch gut? Wie Kulturen davon profitieren, Männer auszubeuten).

[3] Dazu jetzt neu Roy F. Baumeister/Tania Reynolds/Bo Winegard/Kathleen D. Vohs, Competing for Love. Applying Sexual Economics Theory to Mating Contests, Journal of Economic Psychology, 2017, im Druck. Dieser von den Autoren als Update zu dem Aufsatz von 2004 bezeichnete Text ist allerdings mit seinen kruden evolutionstheoretischen Annahmen und steilen Analogien zum Gütermarkt eher abschreckend. Völlig daneben ist die durchgehende Annahme, dass Frauen sich im Austausch für Sex materiell und durch sozialen Status belohnen lassen. Baumeister und seine Truppe hätten sicher keine Probleme, den #Me-too-Diskurs als kollektive Strategie zur Verteuerung des femininen Angebots auf dem Markt der Geschlechterbeziehungen zu interpretieren.

[4] Begriff wohl von Peter Glick/Susan T. Fiske, The Ambivalent Sexism Inventory: Differentiating Hostile and Benevolent Sexism, Journal of Psrsonality and Social Psychology 70 , 1996, 491-512.

[5] Zitiert nach der Zusammenfassung des Buches in einem Referat auf der Tagung der Nordic Association for Clinical Sexology NACS 2012, S. 27.

[6] Gibt es »erotisches Kapital»? Anmerkungen zu körperbasierter Anziehungskraft und Paarformation bei Hakim und Bourdieu, Gender, Zeitschrift für Geschlecht und Kultur, 2013, Sonderheft 2, S. 57–79.

[7] Thomas Karlauf in der FAZ vom 8. 11. 2011; und von Andreas Schmitz/Hans-Peter-Blossfeld, KZfSS 64, 2012, 836-838.

[8] Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198.

[9] Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Archiv für Begriffsgeschichte, 6, 1960, 7-142, S. 16.

[10] Eine solche zeichnet sich durch eine Aufregung aus, die in keinem Verhältnis zum Anlass steht und sich damit die gefühlte Bedrohung erst erschafft (Erich Goode/Nachman Ben-Yehuda, Moral Panics. The Social Construction of Deviance, 2. Aufl. 2009).

[11] Kwame Anthony Appiah, Eine Frage der Ehre: oder Wie es zu moralischen Revolutionen kommt, 2010.

[12] Vgl. Hilge Landweer, Ist Sich-gedemütigt-Fühlen ein Rechtsgefühl?, in: Hilge Landweer/Dirk Koppelberg (Hg.), Recht und Emotion I: Verkannte Zusammenhänge, 2017, 103-135, S. 120f.

[13] Landweer S. 124.

[14] Landweer S. 107.

[15] Hakim a. a. O. S. 37. Der feministische Diskurs hat nur diese Spotmärkte als Tauschmärkte im Blick; vgl. Laurie Shrage, Feminist Perspectives on Sex Markets, The Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2016.

[16] Ein einschlägiger deutscher Titel wäre Ursula Müller/Birgit Riegraf/Sylvia M. Wilz (Hg.), Geschlecht und Organisation, 2013.

[17] Karl Aquino/Leah Sheppard/Marla Baskerville Watkins/Jane O’Reilly/Alexis Smith, Social Sexual Behavior at Work, Research in Organizational Behavior 34, 2014, 217-236. Vorausgegangen war M. B. Watkins/A. N. Smith/K. Aquino, The Use and Consequences of Strategic Sexual Performances, Academy of Management Perspectives 27, 2013, 173-186.

[18] Zur unterschiedlichen Interpretation von sexualitätsbezogenen Signalen durch Frauen und Männer Barbara A. Gutek/Bruce Morasch/Aaron Groff Cohen, Interpreting Social-Sexual Behavior in a Work Setting, Journal of Vocational Behavior 22, 1983, 30-48.

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Rechtsdidaktik – so schnell ist das gegangen

Vor zehn Jahren konnten wir noch konstatieren, eine Fachdidaktik für die Juristenausbildung sei praktisch nicht vorhanden.[1] Deshalb war Rechtsdidaktik Thema von mehr als einem Dutzend Einträgen auf dem inzwischen eingestellten Blog Recht anschaulich und auch auf diesem Blog. Es gab guten Grund, das Fehlen einer Rechtsdidaktik zu beklagen und es war nicht schwer, ein paar kleine Steinchen in diese Lücke setzen. Dann wurde ab 2009 die Rechtsdidaktik durch das von der  Volkswagen Stiftung und der Stiftung Mercator gemeinsam ausgelobte und mit 10 Mill. EUR dotierte Programm »Bologna – Zukunft der Lehre« zum Selbstläufer. In Hmburg und Passau entstanden einschlägige Zentren. Seither hat die Rechtsdidaktik Konjunktur – und für mich war Schluss mit der Rechtsdidaktik. Erst durch einen Gastbeitrag in diesem Blog (Rezension zu Peter Kostorz, Grundfragen der Rechtsdidaktik von Andreas-Michael Blum) ist mir die Rechtsdidaktik wieder in den Blick gekommen. Nun hat mich auch noch die Anfrage für einen Beitrag zu einem neuen »Handbuch juristischer Fachdidaktik« erreicht. Ich will nicht wieder einsteigen. Aber jedenfalls will ich doch die Konjunktur notieren.

Eine Reihe mit »Schriften zur rechtswissenschaftlichen Didaktik« ist auf 9 Bände angewachsen, der jetzt kommt aus Österreich.[2] Eine zweite, von Bernhard Bergmans herausgegebene Jahrbuchreihe, erscheint seit 2012 im Berliner Wissenschaftsverlag.[3] Von Bernhard Bergmans im selben Verlag ferner 2014 die Monographie »Grundlagen der Rechtsdidaktik« an Hochschulen«. Es soll sich um den ersten Band eines auf vier Bände angelegten Werks handeln.[4] Bei Nomos erscheint seit 2013 eine Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft. Derselbe-Verlag kündigt noch einen »Kompetenztrainer Rechtsdidaktik« an.

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[1] Röhl/Ulbrich, Recht anschaulich. Visualisierung in der Juristenausbildung, 2007, S. 16.

[2] Patrick Warto/Jörg Zumbach/Otto Lagodny/Hermann Astleitner (Hg.), Rechtsdidaktik –

Pflicht oder Kür?, 1. Fachtagung Rechtsdidaktik in Österreich, Baden-Baden 2017.

[3] Bisher fünf Bände, die als »Jahrbuch der Rechtsdidaktik 2012, 2013/14«, »2015« und »2016« betitetelt sind.

[4] Dazu eine eher kritische Rezension von Nora Rzadkowski in ZDRW 2, 2015, 87-91.

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»Recht anschaulich« in New York

Aus dem Feuilleton der Heimlichen Juristenzeitung springt mir heute ein Bild ins Auge, das den Lesern von Rsozblog bekannt vorkommen wird, das Titelbild des Law-Comic »Bound by Law« von Keith Aoki, James Boyle und Jennifer Jenkins.  Um das Bild herum steht der Bericht von Miloš Vec über eine Ausstellung »Law‘s Picture Books: The Yale Law Library Collection« in New York.[1] Parallel dazu gibt es wohl eine weitere Austellung »Around the World with Law’s Picture Books« in der Law Library der Yale Law School selbst, die sich vor allem Exponaten aus anderen Ländern widmet.[2] Die beiden Ausstellungsmacher Michael Widener und Mark S Winer haben einen Katalog verfasst, der bei Talbot Publishing erschienen ist und für 39,95 $ angeboten wird.

So neu und aufregend scheint mir das alles nicht zu sein. Es geht bei den Austellungen wohl eher um ein museales Event, das seine Qualität durch die Kompetenz der Ausstellungsmacher bezieht, die sich auf einen reichen institutionellen Hintergrund stützen können. Der Bilderhype im Recht[3] hat sich wohl erschöpft. Der DTV Bild-Atlas Recht von Eric Hilgendorf, der zu den Ausstellungsstücken gehört, einst ein viel versprechendes Pionierwerk, hat keine Schule gemacht. Das gedruckte Bild ist von gestern. Der visual turn scheint durch den digital turn überholt worden zu sein. Auf dem Bildschirm ist alles Bild. Aber was das genau bedeutet, vermag ich nicht zu erkennen.

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[1] Unser Recht soll schöner werden, FAZ Nr. 237 vom 12. Oktober 2017 S. 14 (anscheinend nicht frei im Internet).

[2] Einige Details erfährt man aus einem Posting des Bibliohekars Mike Widener, der die Ausstellung Mark S. Weiner besorgt hat, sowie in einem Posting auf dem Legal History Blog.

[3] Den ich selbst mit einem Projekt zur visuellen Rechtskommunikation mit angeheizt hatte.

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