Die Präventivwirkung des Wissens oder My Home is my Castle

In Essen fand im September die Messe »Security« für Sicherheit und Brandschutz statt. In der FAZ vom 1. 10. 2016 S. 23 war unter der Überschrift »Unsicherheit« ein großer Artikel[1] zu lesen, der mit folgenden Sätzen aufgemacht wurde:

»Die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt seit einem Jahrzehnt. Viele Opfer fühlen sich danach nicht mehr in ihrer Umgebung wohl. Die Polizei kommt mit Ermittlungen nicht hinterher. Deshalb rüsten Eigentümer ihre Häuser und Wohnungen auf.«

Und nebenan gab es einen Einbruchsversuch. Die herbeigerufene Polizei gab den Rat, das Haus besser gegen Einbruch zu schützen als der Nachbar. Da stellt sich schon die Frage, ob es eine Obliegenheit der Bürger ist, sich präventiv auf Straftaten anderer einzustellen, auch wenn er sich dazu nicht durch (Versicherungs-) Vertrag verpflichtet hat. Ist man rechtlich, sozial oder moralisch verpflichtet, Haus und Wohnung zu verbarrikadieren, kugelsichere Westen zu tragen, die Ohren gegen Beleidigungen zu verstöpseln und Ausschnitt und Haarpracht gegen anzügliche Blicke zu verschleiern? So könnte es nach den ubiquitären Ratschlägen zu Sicherungsmaßnahmen erscheinen, zumal der Staat via KfW solche Maßnahmen bezuschusst und sich selbst mit Nizza-Blöcken einigelt.

Prävention wird von den Füßen auf den Kopf gestellt, wenn Vorkehrungen zum Schutz vor Normverletzungen sich nicht mehr gegen potentielle Täter richten, sondern möglichen Opfern aufgegeben wird, sich selbst zu schützen. Dieser Schutz soll auch noch ganz passiv sein. Aktive Gegenwehr im Einzelfall ist verpönt.

Diese Situationsbescheibung ist wohl ein wenig übertrieben oder gar polemisch. Sie soll nur anzeigen, dass ich den Verbarrikadierungs-Imperativ nicht mag. Ich weiß aber auch keinen besseren Rat. Den Rat der German Rifle Association finde ich schon gar nicht gut. So versuche ich, mich mit einer Erklärung zu trösten. Sie lautet: In der Mahnung zu Sicherungsvorkehrungen äußert sich die Präventivwirkung des Wissens, und Wissen kann doch eigentlich keine schlechten Folgen haben.

Es gilt als ausgemacht, dass die Bevölkerung die Zahl der Straftaten in ihrer Mitte eher unterschätzt[2]. Die Latenz der Straftaten verhindert natürlich eine Verfolgung. Aber das ist, wie Heinrich Popitz 1968 in einem meisterlichen Essay »Über die Präventivwirkung des Nichtwissens« dargestellt hat, kein Nachteil. Normen hätten etwas Starres und damit auch stets etwas Überforderndes, Illusionäres. Diese Starrheit entspreche dem Zweck jeder Normierung, Regelmäßigkeiten durchzusetzen, Verhalten zu binden und voraussehbar zu machen. Das Sanktionssystem müsse die Starrheit zumindest weitgehend übernehmen, könne und müsse sich aber auch gleichzeitig entlasten. Das geschehe zu einem höchst wesentlichen Teil durch eine Begrenzung der Verhaltensinformation. Sie öffne eine Sphäre, in der sich das Normen- und Sanktionssystem nicht beim Wort nehmen müsse, ohne doch seinen Geltungsanspruch offenkundig aufzugeben. »Kein System sozialer Normen könnte einer perfekten Verhaltenstransparenz ausgesetzt werden, ohne sich zu Tode zu blamieren.« Die Blamage nähme ihren Anfang auf der Verhaltensebene, denn wüsste jeder um alle Normverstöße, litte die eigene Normtreue.[3] Und wenn gar jeder Täter bestraft würde, verlöre die Strafe ihre Bedeutung.

»Wenn auch der Nachbar zur Rechten und zur Linken bestraft wird, verliert die Strafe ihr moralisches Gewicht…Auch die Strafe kann sich verbrauchen. Wenn die Norm nicht mehr oder zu selten sanktioniert wird, verliert sie ihre Zähne, muß sie dauernd zubeißen, werden die Zähne stumpf.« (Popitz, S. 17 f.)

Normen so Popitz, könnten keine Tiefstrahler vertragen, sie brauchten etwas Dämmerung.

Seither sind bald 50 Jahre vergangen und während dieser Zeit richten sich immer mehr Tiefstrahler auf die Normen der Gesellschaft. Transparenz ist angesagt und die Verwissenschaftlichung des öffentlichen Diskurses schreitet voran. Bad news are good news. Und so leuchten die Medien die Wirklichkeit der Normen aus und informieren uns darüber, dass Wohnungeinbrüche zunehmen, Taschendiebstähle in Bahnhöfen an der Tagesordnung sind[4], Korruption verbreitet ist, die Zahl der Schwarzarbeiter gegen unendlich geht usw. Zugleich hämmern sie dem Publikum immer wieder ein, dass neben dem Hellfeld der Abgrund eines großen Dunkelfeldes gähnt.

In den 1990er Jahren war die steigende Kriminalitätsfurcht ein wissenschaftliches Thema.[5] Reuband etwa legte dar, dass Nachrichten über steigende Kriminalität zwar nicht das eigene Bedrohungsgefühl hätten wachsen lassen, aber doch zu einer negativeren Vorstellung von der allgemeinen Sicherheitslage führten. Er konnte nicht bestätigen, dass deshalb in der öffentlichen Diskussion mehr Prävention und Repression gefordert worden seien. Nach der Jahrtausendwende redete man über einen weltweiten punitive turn.[6] Jetzt also der security turn.

Soziologen waren schon immer von der Normalität von Devianz überzeugt. Das Publikum hat von ihnen gelernt. Eigentlich könnte man froh sein, wenn seine Bestrafungswünsche in Sicherheitsvorkehrungen umgelenkt werden. Aber wenn sich alle verbarrikadieren und nicht wenige den öffentlichen Raum möglichst meiden, will keine Freude aufkommen.

Victim blaming ist nicht neu. Als Schuldzuweisung an sozial Schwache[7] und als Verteidigungsstrategie von Sexualstraftätern gilt es bisher zum Glück noch als unanständig. In der Gesundheitspolitik ist das nicht ganz so eindeutig. Freilich gibt es da keine Täter. Unter dem Druck der Aufklärung über die bloße Papierform vieler Normen gibt es nun Zeichen einer allgemeinen Täter-Opfer-Umkehr, die es Bürgern zur Obliegenheit macht, sich präventiv auf Straftaten anderer einzustellen. Dagegen melde ich Widerspruch an.

Nachtrag vom 24. 10. 2016: Für meinen Widerspruch hätte ich mich auf einen Aufsatz von Tatjana Hörnle[8] berufen können, den ich vor Jahr und Tag einmal hatte, der mir aber wieder entfallen war. Hörnle bedient sich der Figur der Selbstschutzobliegenheit. Sie meint, Selbstschutzobliegenheiten sollten nicht angenommen werden, soweit das auf eine allgemeine Freiheitseinschränkung ohne konkreten Verdacht hinauslaufen würde. Man darf also auch nachts im dunklen Park spazieren gehen. Erst wenn sich ein Risiko konkretisiert hae und vom Opfer erkannt werde, seien Vorsichtsmaßnahmen zu erwarten. Heikel bleibe die Berücksichtigung des Opferverhaltens bei Sexualdelikten. Hier begründe das Erkennen sexueller Absichten des späteren Täters noch keine Selbstschutzpflicht. Die soll erst entstehen, wenn das Risiko erkennbar wird, dass der Täter das Fehlen eines Einverständnisses nicht respektieren werde. Als Folgen einer festgestellten Obliegenheitsverletzung kommt in erster Linie eine Strafmilderung und nur ausnahmsweise Straffreiheit in Betracht.

[1] Autor Philipp Krohn; im Internet nur im kostenpflichtigen FAZ-Archiv.

[2] AnneEva Brauneck, Zur sozialpsychologischen Bedeutung des Kriminalitätsumfangs, in: Hilde Kaufmann u. a., Erinnerungsgabe für Max Grünhut, 1965, 23ff.

[3] Dafür gib t es im Experiment eine, wenn auch schwache, Bestätigung: Andreas Diekmann/Wojtek Przepiorka/Heiko Rauhut, Die Präventivwirkung des Nichtwissens im Experiment, Zeitschrift für Soziologie 40, 2011, 74-84.

[4] Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 26. 9. 2016.

[5] Klaus Boers, Kriminalitätsfurcht, 1991; Karl-Heinz Reuband, Steigende Kriminalitätsfurcht – Mythos oder Wirklichkeit?, Gewerkschaftliche Monatshefte.45, 1994, S. 214 – 220. Karl-Heinz Reuband, Paradoxien der Kriminalitätsfurcht in: NK Neue Kriminalpolitik, Seite 133 – 140.

[6] Fritz Sack, Der weltweite ‚punitive turn‘: Ist die Bundesrepublik dagegen gefeit?, in: Hans-Georg Soeffner (Hg.), Unsichere Zeiten, 2010,  229-244; Rüdiger Lautmann, Wenn die Gesellschaft punitiv wird, kann juristische Professionalität davor schützen?, in: Matthias Mahlmann (Hg.), Gesellschaft und Gerechtigkeit (FS Rottleuthner), 2011, 316-330.

[7] William Ryan, Blaming the Victim, York 1976.

[8] Die Obliegenheit sich selbst zu schützen, und ihre Bedeutung für das Strafrecht, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 156, 2009, 626-635.

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Apple provoziert mehr Schwarzarbeit, die AfD verhindert eine Zusammenlegung von ARD und ZDF und die Niedrigzinspolitik der EZB führt zur Scharia-konformen Wirtschaft

Heute war die Zeitung wieder voll von makrosoziologischen Überlegungen. Der als Schwarzgeld-Ökonom vorgestellte Professor Friedrich Schreiber aus Linz vertrat die These, die Steuervermeidung von Apple in Irland fördere die Schwarzarbeit. Der Journalist Claudius Seidl vertrat die These, angesichts der Forderung Seehofers nach Zusammenlegung der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten gehöre die AfD zum Besten, was dem öffentlich-rechtlichen System seit langem widerfahren sei. Und unter der Überschrift »Zins, lass nach« analysierten Hanno Beck und Aloys Prinz »die Niedrigzinsen aus der Froschperspektive«. Die Makroökonomen hätten ja schon lange Zweifel an der Wirksamkeit der Niedrigzinspolitik. Nun müsse man die mikroökonomischen Folgen noch stärker in den Blick nehmen, etwa eine Überhitzung der Vermögenspreise. Da bekommt man selbst Lust, zu analysieren und spekulieren.

In Europa gibt es praktisch keine Zinsen mehr. Wirtschaftssachverständige halten diese Zinspolitik, die praktisch auf eine Abschaffung der Zinsen hinausläuft, für wirtschaftlich sinnlos. Welchen Sinn kann sie dann haben? Bekanntlich heißt es in der Sure 2 Vers 275, Allah habe den Handel erlaubt und das Zinsnehmen verboten.  Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass Mario Draghi (radiallahu anhu) und seine Kollegen im Direktorium der EZB mit ihrer Niedrigzinspolitik ein Tor in Richtung auf eine islamverträgliche Wirtschaft aufstoßen, weil diese Politik die westliche Wirtschaft und ihr Publikum daran gewöhnt, dass es auch ohne Zinsen geht?

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Kara Ben Nemsi und der vertikale Pluralismus

Kultureller Pluralismus ist angesagt. Er verlangt den Verzicht auf alles hegemoniale Gehabe oder, positiv formuliert, die Gleichschätzung aller Kulturen. Dabei kommt uns immer wieder die Vergangenheit in die Quere, in der kulturelle Überlegenheitsmuster eher die Regel als die Ausnahme waren. So stellt sich dann die Frage, ob man die Vergangenheit nach ihren eigenen Maßstäben oder nach heutigem Verständnis beurteilen soll. Natürlich, es kommt auf den Zeitabstand und den Verwendungszusammenhang des Urteils an. Der Historiker sollte die Athener nicht schelten, weil sie Sklavenhalter und wohl auch Päderasten waren. Der moralisierende Zeitgenosse dagegen darf der alten Bundesrepublik durchaus ihren freundlichen Umgang mit alten Nazis oder ihr feindlichen Umgang mit Homosexuellen vorwerfen. Aktuell stehen Kirche, Wissenschaft und Öffentlichkeit vor der Frage, wie sie mit dem Antisemitismus Luthers umgehen solllen.[1]

Auf der Suche nach Lektüre für einen Enkel bin ich auf ein Regal mit Bänden von Karl May gestoßen. Herausgegriffen habe ich den Band »Von Bagdad nach Stambul« – und ihn dann selbst (wieder-)gelesen. Karl May war ein Hochstapler, aber er hat niemanden geschädigt, sondern ein Millionenpublikum erfreut. Man mag seine Abenteuerromane für Trivialliteratur oder gar für Schund halten. Aber als solche waren sie großartig. Sie stillten das unendliche Unterhaltungsbedürfnis der Menschen, bevor es Kino und Fernsehen, Computerspiele und Youtube gab.

Die Abenteuer Kara Ben Nemsis auf dem Weg von »Bagdad nach Stambul« spielen in einer islamischen Umgebung, die in Hadschi Halef Omar ihren wichtigsten Repräsentanten findet. Natürlich stellt sich da die Frage nach dem Islambild, das Karl May mit seinen Orient-Romanen vermittelt. Die Recherche führt schnell zu einem Band von Inge Hofmann und Anton Vorbichler, Das Islam-Bild bei Karl May und der islamo-christliche Dialog, der 1979 in Wien erschienen ist.[2] Darin wird Karl May »die Verketzerung des Islam« vorgeworfen (S. 2). Die Karl-May-Lektüre, so erfährt man, vermittelt »ein Bild vom Islam und von den Muslimen, das geeignet ist, die Atmosphäre des Dialogs hoffnungslos zu vergiften.« (S. 3) So gehe etwa die Irrmeinung, der Islam habe der Frau abgesprochen, eine Seele zu haben, auf die Karl-May-Lektüre zurück. Hofmann/Vorbichler (S. 17) zitieren aus Bd. 34 der Gesammelten Werke Karl Mays mit autobiographischen Texten (»Ich«):

»Und über die Undankbarkeit des Abendlandes gegenüber dem Morgenland, dem es doch seine ganze materielle und geistige Kultur verdankt, machte mir allerlei schwere Gedanken. … Ich nahm mir vor,  … dies in meinen Büchern immerfort zu betonen und in meinen Lesern jene Liebe zur roten Rasse und für die Bewohner des Orients zu wecken, die wir als Mitmenschen ihnen schuldig sind. Man versichert mir heute, dies nicht etwa bei nur wenigen, sondern bei Hunderttausenden erreicht zu haben, und ich bin nicht abgeneigt, es zu glauben.«

Hofmann/Vorbichler kommentieren:

»Es wäre sehr schön gewesen, wenn das den Tatsachen entsprochen hätte!«

Deshalb prüfen sie nun die Islam-Darstellung Karl Mays auf ihre Korrektheit mit dem Ergebnis, dass sie durchgehend unhaltbar sei. Eigentlich hat Wolf-Dieter Bach längst das Notwendige zu der Kritik von Hofmann/Vorbichler gesagt[3]:

»Die gestrenge Frage, ob der Herr Puntila samt seinem Knecht typisch finnische Menschen seien, wäre so sinnvoll wie der Versuch, die Stellung des Glücksschweins im zoologischen System zu bestimmen. Und Brecht war Realist!

Auch Karl May sollte nicht an der ethnologischen und kultursoziologischen Stimmigkeit seiner Romane gemessen werden, wie dies die Autoren Hofmann und Vorbichler in ihrer Arbeit tun. Defoes Freitag, Coopers Chingachgook, Melvilles Queequeg sind allesamt keine getreuen Abschilderungen völkerkundlicher Realität. Der Orient, den Voltaire in »Zadig« beschrieb, hat nie existiert er ist genau so wenig authentisch nach wissenschaftlichem Maßstab wie jenes Morgenland, das Orientalen selbst uns schildern: Firdusi etwa, oder die Erzähler von Tausend-und-einer-Nacht. Und selbst ein als Tatsachenbericht sich ausweisendes Orientbuch eines historisch geschulten modernen Europäers wie »Die sieben Säulen der Weisheit« von T. E. Lawrence besteht eine genaue Realitätsprüfung nicht. Orient verführt zur Phantasie.

Kurzum: es ist eine Kinderei, May den Vorwurf zu machen, sein Bild vom Islam sei falsch und verzerrt. Gar keine Frage, daß es dies ist! Aber derlei selbst ohne Vorwurf festzustellen hieße nicht mehr, als der Literatur zu bescheinigen, daß sie sich nur selten peinlich genau an die Vorlagen dieser Welt hält – eine Binsenweisheit, kein Blatt Papier wert. «

Für Einzelheiten kann ich auf die Darstellung von Svenja Bach, Karl Mays Islambild und der Einfluss auf seine Leser (2010) verweisen, auch wenn die apologetische Tendenz der Arbeit nicht zu verkennen ist.[4]

Karl Mays Roman »Von Bagdad nach Stambul«, der in einer Gesamtauflage von 1,5 Millionen verbreitet wurde, ist 1892 erstmals als Buchausgabe erschienen, heute also über 125 Jahre alt. Nach dem Maßstab seiner Zeit war Karl May kein Scharfmacher, sondern eher Versöhner und Pazifist. Auf mich wirkt der Text auch heute noch eher islamophil als islamophob, so wenn er seinen Helden Kara Ben Nemsi bei der Bestattung eines Mohammed Emin mit erhobenen Händen die 75. Sure (Die Auferstehung) beten lässt oder wenn er ihm an anderer Stelle in den Mund legt:

»Allah ist überall, wo der Mensch den Glauben an ihn im Herzen trägt. Er wohnt in den Städten, und er blickt auf die Hammada; er wacht über den Wassern, und er rauscht durch das Dunkel des Urwaldes; er schafft im Innern der Erden und in den hohen Lüften; er regiert den leuchtenden Käfer und die blitzenden Sonnen; du hörst ihn im Jubel der Luft und in dem Rufe des Schmerzes; sein Auge glänzt aus der Thräne der Freude und schimmert aus dem Tropfen, mit welchem das Leid die Wange befeuchtet. Ich war in Städten, wo Millionen wohnen, und ich war in der Wüste, von jeder Wohnung weit entfernt, aber niemals habe ich gefürchtet, allein zu sein, denn ich wußte, daß Gottes Hand mich hielt.«

Auch über die Charakterisierung der Türken kann man sich in Zeiten Erdogans kaum noch aufregen, wenn es (S. 392) über den »kranken Mann am Bosporus« heißt:

» Der Türke ist ein Mensch, und einen Menschen macht man nicht damit gesund, daß die Nachbarn sich um sein Lager stellen und mit Säbeln ein Stück nach dem andern von seinem Leibe hacken, sie, die sie Christen sind. Einen kranken Mann macht man nicht tot, sondern man macht ihn gesund, denn er hat ein ebenso heiliges Recht, zu leben, wie jeder andere. Man entzieht seinem Körper die Krankheitsstoffe, welche ihm schädlich sind, und reicht ihm dagegen das Mittel, welches ihn heilt und wieder zu einem leistungsfähigen Menschen macht. Der Türke war einst ein zwar rauher, aber wackerer Nomade, ein ehrlicher, gutmütiger Geselle, der gern einem jeden gönnte, was ihm gehörte, sich aber auch etwas. Da wurde seine einfache Seele umsponnen von dem gefährlichen Gewebe islamitischer Schwärmereien und Eroberungsgelüste[5]; er verlor die Klarheit seines ja sonst schon ungeübten Urteils, wollte sich gern zurecht finden und wickelte sich nur umso tiefer in Wirrungen hinein. Da wurde der bärbeißige Geselle zornig, zornig gegen sich und andere; er wollte sich einmal Gewißheit schaffen, wollte sehen, ob es wahr sei, daß das Wort des Propheten auf der Spitze der Schwerter über den Erdkreis schreiten werde.«

Entscheidend ist, dass Karl May in seinem Orientzyklus nur den Informationsstand wiedergab, den er aus seinen unbenannten, aber zum großen Teil akademischen Quellen übernahm. Durch Karl May ist der Orientalismus breitenwirksam geworden, den Edward W. Said[6] in kritischer Absicht in erster Linie der akademischen Orientalistik vorgehalten hat. Das rechtfertigt aber keine Kritik an Karl May. Hier ist vertikaler Pluralismus angesagt. Der Pluralismus-Imperativ geriete mit sich selbst in Widerspruch, wenn er Karl May nicht nach den Maßstäben seiner Zeit beurteilte.

Davon abgesehen: Die Suche nach einem richtigen Islambild erweist sich auch für die Gegenwart als schwierig. Es gibt auch heute nicht das eine korrekte Islambild, und schon gar kein verbindliches. Den Maßstab, den Hofmann/Vorbichler anlegen, entnehmen sie einer Lehrbuch-Darstellung[7]. Die üblichen Lehrbuchdarstellungen zeigen einen idealisierten und abstrahierten Islam. Einen etwas realistischeren Eindruck bekommt man vielleicht aus der Lektüre des »Handbuchs Islam« von Ahmad A. Reidegeld oder aus Büchern des Juristen Jasmin Pacic.[8] Mein Eindruck war der einer totalitären Gesetzesreligion. Totalitär heißt hier, dass die Religion die Lebensführung ihrer Gläubigen vom Aufwachen bis zum Einschlafen in den Griff nimmt. Der Lehrbuch-Islam und erst recht der von Bassam Tibi und Mouhanad Khorchide geben kaum ein Bild von dem real existierenden Islam.

Der zentrale Vorwurf von Hofmann/Vorbichler lautet, Karl May habe durchgehend die Überlegenheit des christlichen Glaubens über den Islam zum Ausdruck gebracht, und sie versteigen sich zu der Behauptung:

»Ja – eben darum ging es Karl May: der Islam sollte vernichtet werden, sollte ausgelöscht werden, und dazu war jedes Mittel recht.« (S. 242)

Das Christentum, das Karl May in der Gestalt seiner Helden Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand vor sich her trägt, ist eher penetrant. Doch kann man es einem Gläubigen vorhalten, dass er seine eigene Religion für die überlegene oder gar für die einzig richtige hält? Die Theologen aller Religionen haben lange damit gerungen, ihren Absolutheitsanspruch soweit zu reduzieren, dass ein interreligiöser Dialog möglich ist und jedenfalls im politischen Raum der Grundsatz der Gleichberechtigung gelten kann.[9] Aber einen Romanhelden kann man nicht auf politische Korrektheit verpflichten. Und das Lesepublikum, auch das jugendliche, darf man nicht für so töricht halten, dass es einen Roman für bare Münze nimmt.

Die Ironie der Geschichte: Hofmann/Vorbichler zitieren den Bericht über einem zum Islam konvertierten Christen, der angibt, seine ersten Kenntnisse über den Islam Karl May (radiallahu anhu) zu verdanken.

[1] Die weitere Aktualität des Themas zeigt der Artikel von Arnold Bartetzky Die Tyrannei der Beleidigten in der FAZ vom 24. 8. 2016.

[2] Als Band 4 einer Reihe »Beiträge zur Afrikanistik« im Verlag Afro-Pub, als verfielfältigtes Manuskript ohne ISBN.

[3] Mit Mohammed an May vorbei. Zur Kritik I. Hofmanns und A. Vorbichlers an Karl Mays Islam-Phantasien,

[4] Sie ist als Sonderheft 142 der Karl-May-Gesellschaft erschienen.

[5] In dem im Internet verfügbaren Text heißt es »islamitischer Phantastereien, Lügen und Widersprüche«.

[6] Orientalism: Western Conceptions of the Orient, London 1978.

[7] Smail Balić, Ruf vom Minarett, Weltislam heute – Renaissance oder Rückfall? ; eine Selbstdarstellung, ein 1963. Ich habe nur die 3., überarb. Auflage von 1984 zur Hand.

[8] Fiqh ul-`Ibadat. Rechtsbestimmungen über die gottesdienstlichen Handlungen im Islam, Bd. I Reinheit, Gebet, Fasten, 2009; Islamisches Ehe- und Familienrecht, 2010.

[9] Als wissenschaftliches Standardwerk einer pluralistischen Religionstheologie gilt anscheinend Perry Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005. Ich habe nur die ausführliche Rezensionsabhandlung von Ulrich Winkler in der Salzburger Theologischen Zeitschrift 10, 2006, 290-318, gelesen. Was den muslimischen Standpunkt betrifft, habe ich keine zitierwürdige Stellungnahme gefunden. Als Basis dienen wohl Sure 2 »Al-Baqara« (190-194, 256), Sure 3 »Al-‘Imran« (62ff), Sure 9 (85), »At-Tauba«, Sure 16 »An-Nahl« (103-106) und die kurze Sure 109, insbsondere mit ihrem letzten Vers: »Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.« Daraus lässt sich wohl allenfalls ein diskriminierender Inklusivismus entnehmen. Die eigene Lektüre des Koran führt aber nicht sehr weit, denn es wird dem Leser mit Sicherheit entgegengehalten, um den Koran zu verstehen, müsse er die arabische Sprache kennen (vgl. Sure 16, 103) und mit den Meinungen der Korangelehrten vertraut sein.

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Belanglose Theorie zum Streit um die Reform der polnischen Verfassungsgerichtsbarkeit

Die polnische Regierung mit ihrer aktuellen Parlamentsmehrheit versucht bekanntlich, durch die Einsetzung neuer Richter sowie durch eine Änderung von Gerichtsverfassung und Verfahren das Verfassungsgericht in den Griff zu bekommen. Später kam noch ene Budget-Kürzung hinzu. In Europa ist man empört. Die Venedig Kommission hat eine kritische Stellungnahme zu dem Änderungsgesetz abgegeben. Die EU hat erstmals von dem 2014 eingeführten Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips Gebrauch gemacht. Die Sache ist empörend. Ich beschränke mich jedoch auf ein rechtstheoretisches Argument. Es betrifft nur die mit Gesetz vom 22. Dezember 2015 beschlossenen Änderungen von Gerichtsverfassung und Verfahren. Im Kern geht es um zwei Punkte:

  1. Der Verfassungsgerichtshof, der planmäßig 15 Richter zählt, soll künftig Plenarentscheidungen nur in einer Besetzung von mindestens 13 Richtern und mit Zwei-Drittel-Mehrheit treffen dürfen. Zuvor lag das Quorum bei neun Richtern. Eine qualifizierte Mehrheit war nicht erforderlich.
  2. Der Verfassungsgerichtshof soll alle eingehenden Klagen der Reihe nach abarbeiten müssen.

Für sich genommen könnte man die einzelnen Änderungen für akzeptabel halten. Im Zusammenhang mit der Wahl neuer Richter und Bestimmungen über die Amtszeit der alten sowie mit Änderungen des Richterdisziplinarverfahrens ist die Reform jedoch politisch brisant, weil sie Entscheidungen gegen die von der Parlamentsmehrheit getragene Regierung verhindern kann. Im Dezember 2015 hatte sich die Lage insofern zugespitzt, als nur noch zwölf Richter im Amt waren, so dass das nunmehr vorgeschriebene Quorum von 13 überhaupt nicht erreicht werden konnte. Der Verfassungsgerichtshof selbst hat am 9. März das Reformgesetz auf der Basis des alten Rechts für verfassungswidrig erklärt. Zwei Richter machten in einem Sondervotum geltend, jede Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Reform müsse nunmehr auf der Basis des neuen Rechts erfolgen. Die polnische Regierung hat sich geweigert, das Urteil zu veröffentlichen und ihm zu folgen, weil es nicht nach Maßgabe des neuen Gesetzes ergangen sei.

-Der Gerichtshof selbst meinte, das Reformgesetz auf sein Verfahren nicht anwenden zu müssen, da die Richter nach Art. 195 Nr. 1 »in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur der Verfassung unterworfen« seien und die Reform unmittelbar die Funktion des Gerichts betreffe.[1] Die Venedig Kommission hat diese Begründung gebilligt.[2] Sie meint, andernfalls brauche man nur ein Gesetz, das sagt »herewith, constitutional control is abandoned – this law enters into force immediately«, um die Verfassungsgerichtbarkeit ganz abzuschaffen.[3] Aber so lauten die streitigen Gesetze nun einmal nicht, und es kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass das Parlament durch das Verfassungsgerichtsgesetz Regelungen treffen kann, die dem Gericht nicht gefallen. Dann müssen diese Regelungen eben doch jede einzeln und alle zusammen auf ihre Verfassungsmäigkeit hin überprüft werden. sagt mit einem argumentum a fortiori: Davon abgesehen sollte es selbstverständlich sein, dass die Verfassungsrichter auch an die verfassungsmäßig geltenden Gesetze, darunter insbesondere das Verfassungsgerichtsgesetz nach Art. 197, gebunden. Nur bei Entscheidungen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit sind sie insoweit frei.

Die theoretische Frage bleibt also: Ist das Reformgesetz auf das Verfahren des Verfassungsgerichtshofs anwendbar, wenn über die Verfassungsmäßigkeit der Reformbestimmungen gerade dieses Gesetzes entschieden wird. Anscheinend geht es um die Problematik selbstbezüglicher Vorschriften im Verfassungsrecht[4]. Das ist freilich auf den ersten Blick nicht ohne weiteres zu erkennen.

Die Problematik selbstbezüglicher Vorschriften hat Douglas R. Hofstadter, der Autor von »Gödel, Escher, Bach«, durch seinen Artikel »Nomic« im »Scientific American«[5] populär gemacht. Hofstadter schildert eingangs den folgenden, freilich erdachten Fall: Der amerikanische Kongress verabschiedet ein Gesetz, dem zufolge in Zukunft alle Entscheidungen des U. S. Supreme Court mit einer Mehrheit von 6 zu 3 Stimmen (statt wie bisher mit einer einfachen Mehrheit von 5 zu 4) getroffen werden müssen. Dieses Gesetz wird in einem Gerichtsverfahren angefochten, das schließlich bis vor den Supreme Court selbst gelangt, und dieser stellt die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes fest – natürlich mit einfacher Mehrheit von 5 zu 4. Eine nähere Analyse oder gar Lösung bietet Hofstadter allerdings nicht.

Verfassungen enthalten regelmäßig Bestimmungen, nach denen die Verfassung nur in einem besonderen Verfahren geändert werden kann. Das Grundgesetz fordert in Art. 79 I zur Verfassungs-änderung die ausdrückliche Änderung des Verfassungstextes, in Art. 79 II qualifizierte Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat und enthält darüber hinaus in Art. 79 III die »Ewigkeitsklausel«:

»Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig«.

Solche Vorschriften werfen die Frage auf, ob sie auf sich selbst anwendbar sind mit der Folge, dass das Verfahren der Verfas-sungsänderung seinerseits geändert werden könnte.[6]

Die polnische Verfassung von 1997 sieht in Art. 188 die Möglichkeit der gerichtlichen Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin vor. Nach Art. 197 sind die Organisation des Verfassungsgerichtshofs und die Verfahrensweise vor dem Verfassungsgerichtshof einem einfachen Gesetz vorbehalten. Allerdings sind in Art. 194 der Verfassung Richterzahl (15) und Richterwahl (durch das Parlament) sowie in Art. 190 Nr. 5 das Prinzip der (einfachen) Mehrheit festgelegt. Das Reformgesetz vom 22. 12. 2015 ändert also die Verfassung, soweit es eine qualifizierte Mehrheit für Plenarentscheidungen einführt. Soweit es ein höheres Quorum für Plenarentscheidungen und die sequentielle Behandlung eingehender Klagen vorsieht, ändert es nur ein einfaches Gesetz. Deshalb sollte die Frage nach der Selbstbezüglichkeit des Reformgesetzes und ihrer Konsequenzen für die beiden Änderungen getrennt betrachtet werden.

Was zunächst die Verfassungsänderung betrifft, so ist davon auszugehen, dass diese in dem in den Art. 236ff der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren erfolgt ist. Für den geänderten Art. 190 Nr. 5 gibt es in der Verfassung selbst keine besondere Festschreibung, die mit Art. 79 GG vergleichbar wäre. Gegen das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit für Plenarentscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ist auch sachlich kaum etwas einzuwenden. Aber als Gedankenspiel kann man natürlich erwägen, mit welcher Mehrheit der Gerichtshof entscheiden müsste, wenn er isoliert über die Wirksamkeit der Änderung des Art. 190 Nr. 5 befinden wollte.

Zunächst gäbe es da schon einmal die Hürde, ob der Verfassungsgerichtshof überhaupt berufen ist, über die Wirksamkeit von Verfassungsänderungen zu urteilen, denn nach Art. 188 Nr. 1 der Verfassung erstreckt sich seine Kompetenz nur auf »die Vereinbarkeit der Gesetze und der völkerrechtlichen Verträgen mit der Verfassung«. Überspringt man diese Hürde, indem man auch ein verfassungsänderndes Gesetz für überprüfbar hält, stellt sich die nächste Hürde mit der Frage, wie die Verfassungswidrigkeit begründet werden könnte. Die Venedig Kommission bringt European and international standards ins Spiel.[7] Diesen fraglos interessanten Gesichtspunkt lasse ich aus. Ohne den Rückgriff auf eine höhere übernationale Rechtsebene könnte man mit der Figur des verfassungswidrigen Verfassungsrechts arbeiten, indem man geltend machte, dass das neue Mehrheitserfordernis ein übergeordnetes Prinzip der Verfassung, nämlich die Funktion des Verfassungsgerichts, verletze. Sieht man einmal davon ab, dass diese Erwägung sehr schwach ist, so stellt sich dann wirklich die Frage, ob die Entscheidung nach altem oder neuem Recht zu treffen wäre.

Vorab ist festzuhalten, dass das Reformgesetz sofort in Geltung gesetzt worden ist. Daher käme es weiter darauf an, ob verfassungswidrige Gesetze ipso jure als nichtig anzusehen sind, so dass der Verfassungsgerichtshof ihre Verfassungswidrigkeit nur festgestellt, oder ob erst diese Feststellung das verfassungswidrige Gesetz vernichtet. Aus der Logik des Stufenbaus der Rechtsordnung folgt eigentlich das so genannte Nichtigkeitsdogma. Der Verstoß eines Gesetzes gegen die Verfassung hat danach ipso jure und ex tunc die Nichtigkeit der Norm zur Folge. Es bedarf dazu keiner vorgängigen Entscheidung des Verfassungsgerichts.

Die Lehre von der Ipso-jure-Nichtigkeit steht allerdings keineswegs außer Streit. Die automatische Nichtigkeit kann dazu führen, dass Lücken gerissen werden, die gravierender sind als die vorläufige Geltung des verfassungswidrigen Gesetzes. Das Bundesverfassungsgericht begegnet diesem Problem mit der so genannten Unvereinbarkeitserklärungen. In der Theorie versucht man, diese Urteilspraxis mit der Lehre von der Nichtigerklärung zu rechtfertigen. Sie besagt, dass ein verfassungswidriges Gesetz nicht ipso jure und ex tunc nichtig ist, sondern erst durch rechtsgestaltendes Urteil des Verfassungsgerichts ex nunc vernichtet wird.

Die theoretische Grundlage der Verfassungsgerichtsbarkeit hatte eigentlich die Stufenbaulehre von Adolf Merkl und Hans Kelsen geliefert, indem sie zeigte, dass Rechtssetzung, auch wenn sie durch den Gesetzgeber erfolgt, Rechtsanwendung ist und insoweit von einem Gericht kontrolliert werden kann. Auf den ersten Blick scheint die Lehre von der Nichtigerklärung mit der Stufenbautheorie unvereinbar zu sein. Doch wenn logische Widersprüche auftauchen, kann man sie durch die Einführung von Zusatzannahmen ausräumen. Das hat in diesem Falle kein geringerer als Kelsen selbst getan. Aus der Tatsache, dass eine Verfassung ein Normenkontrollverfahren vorsieht, wollte Kelsen folgern: »Die sogenannten ›verfassungswidrigen‹ Gesetze sind verfassungsmäßige, aber in einem besonderen Verfahren aufhebbare Gesetze«[8]. Er baute damit in die Verfassung eine zusätzliche Norm ein, die besagt, dass verfassungswidrige Gesetze gültig sind, bis sie von dem zuständigen Gericht für nichtig erklärt werden. In Österreich ist diese Theorie geltendes Verfassungsrecht.

Für unser Problem bedeutet das: Folgt man der Nichtigkeitslehre, so ist klar, dass die Entscheidung über die Geltung des Reformgesetzes mit einfacher Mehrheit erfolgen kann, wenn es denn verfassungswidrig ist. Verlangt man dagegen eine konstitutive Nichtigerklärung, liegt die Sache weniger klar. Wenn verfassungswidrige Gesetze gültig sind, bis sie von dem zuständigen Gericht für nichtig erklärt werden, müsste eigentlich für das Normenkontrollverfahren die qualifizierte Mehrheit des Reformgesetzes verlangt werden. Wenn man dieses Ergebnis nicht als Argument gegen die Vernichtbarkeitslehre ausreichen lässt, kann man noch nach einer ungeschriebenen übergeordneten Norm suchen. Man denkt vielleicht an eine Regel, dass Vorschriften grundsätzlich nicht selbstbezüglich angewendet werden dürfen. Aber eine solche Regel gibt es nicht, und sie wäre auch nicht zu begründen. Wenn etwa eine Satzung vorsieht, dass alle Änderungsbeschlüsse mit einfacher Mehrheit zu treffen sind, so besteht kein Bedenken, dass mit einfacher Mehrheit beschlossen wird, dass künftig nur noch mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen sei. Die gesuchte Regel könnte nur eingeschränkt besagen, dass die Normenkontrolle nicht durch Selbstbezüglichkeit der zu kontrollierenden Norm präjudiziert werden darf. Das wäre der Fall, wenn das neue Mehrheitserfordernis eine Vernichtung des Reformgesetzes verhinderte. Aber auch dazu müsste man sich zunächst wieder über die Verfassungswidrigkeit des Reformgesetzes einig sein. Es gibt also keine logisch klare Lösung. Man muss sich entscheiden.

Was die Entscheidung über das Reformgesetz vom 22. Dezember 2015 als einfaches Gesetz betrifft, liegen die Dinge kaum einfacher. Die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs steht außer Frage. Das Gesetz ist ayuch insoweit ohne Aufschub in Kraft getreten, verlangt also eigentlich seine sofortige Anwendung. Hier ist die materielle Frage nach der Verfassungsmäßigkeit etwas leichter zu beantworten. Allerdings fehlt es auch insoweit an einem klaren Verfassungsverstoß. Die Verfassungsmäßigkeit lässt sich nur aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Details der Reform begründen, die dazu führen, dass der Gerichtshof praktisch lahm gelegt wird.

Unterstellt also, das Reformgesetz wäre deshalb verfassungswidrig, stellt sich die Situation ähnlich wie hinsichtlich der Änderung des Art. 190 Nr. 5 dar. Folgt man dem Nichtigkeitsdogma, ist das Gesetz mit seiner Regelung des Quorums und der Geschäftsordnung unanwendbar. Folgt man dagegen der Lehre von der Vernichtbarkeit, stellt sich wieder die Frage, ob seine Anwendung an der Selbstbezüglichkeit scheitern muss. Und erneut ist die Antwort vom Ergebnis abhängig.

Eine Komplikation entsteht noch daraus, dass die Verfassungsänderung und die Reform des Verfahrens getrennt zu beurteilen sein könnten. Die Art. 190 Nr. 5 betreffende Verfassungsänderung und die Änderung des einfachen Rechts aus Art. 197 scheinen formell in einem Gesetz zusammengefasst worden zu sein.[9] Damit stellt sich für den Fall, dass man die Verfassungsänderung als solche für zulässig hält, analog § 139 BGB die Frage nach Gesamtnichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Gesetzes. Die Änderung der Mehrheitsregel nach Art. 190 Nr. 5 ist wohl ein selbständiger Teil des Reformpakets, der für sich Bestand haben kann. Das hätte zur Folge, zwar eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich, das neue Quorum dagegen unbeachtlich wäre. Wenn also zwei Drittel der beteiligten Richter einfachgesetzliche Vorschriften des Reformgesetzes für nichtig erklären, dann sind sie nichtig. Auf das Quorum kommt es nicht an und auch nicht auf die Beachtung des neuen Gebots der Entscheidung nach der Reihenfolge des Eingangs. Ein Verstoß dagegen könnte wohl ohnehin nur einen für die Wirksamkeit der Entscheidung unerheblichen Verfahrensfehler begründen.

Nach alledem ist letztlich gar keine Stellungnahme zur Problematik selbstbezüglicher Vorschriften notwendig.

PS: Ein Tweet von Christian Boulanger verweist darauf, das sich das Rad in Polen schon weiter gedreht hat

[1] Stellungnahme der Venedig Kommission Nr. 33.

[2] Ebd. Nr. 39.

[3] Ebd. Nr. 41.

[4] Dazu Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 108ff.

[5] Der Artikel ist im selben Jahr auf Deutsch erschienen: Nomic: ein Spiel, das die Rückbezüglichkeit im Rechtswesen auslotet, Spektrum der Wissenschaft, August 1982, 8-13. Das Nomic-Spiel hatte Peter Suber erfunden. Er hatte es damals noch nicht veröffentlicht, aber mit Hofstadter diskutiert. Suber veröffentlichte sein Buch »The Paradox of Self-Amendment« erst 1990. Vgl. auch von Suber den kurzen Lexikon-Artikel Self-Reference in Law, 1999.

[6] Ein analoges Problem stellt sich auch ganz trivial im Vertragsrecht. Häufig wird in Verträgen, die nach dem Gesetz formlos abgeschlossen werden können, Schriftform vereinbart, die insbesondere auch für Änderungen des Vertrages gelten soll. Kaum weniger häufig werden dann doch formlos neue Abreden getroffen, so dass die Frage entsteht, ob die Schriftformklausel auf sich selbst anwendbar ist oder ob sie mündlich, eventuell sogar konkludent, aufgehoben werden kann Näher Florian Wagner-von Papp, Die privatautonome Beschränkung der Privatautonomie, AcP 205, 2005, 342; Micha Bloching/Daniel Ortloff, Schriftformklauseln in der Rechtsprechung von BGH und BAG, NJW 2009, 3393-3397.

[7] Ebd. Nr. 43.

[8] Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 278.

[9] Vgl. Stellungnahme der Venedig Kommission Nr. 30.

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Semantische Ohnmacht

In der Reihe von Einträgen unter dem Obertitel »Diszipliniert Foucault« fehlt noch immer ein Posting zu Foucaults Machtbegriff. Ein Problem, mit dem ich mich (nicht als erster) herumschlage, besteht darin, dass der Machtbegriff seine Konturen zu verlieren scheint, wenn man Max Webers Herrschaftskonzept verlässt und Foucaults »Mikromacht« oder »kapillare Macht« unter einen allgemeineren Machtbegriff subsumiert.

Es gibt so viele Mächte. Bei der Lektüre eines Aufsatzes von Fabian Steinhauer [1]Fabian Steinhauer, Montagen des Rechts. Ein Lehrbuch von Hermann Jahrreiss, Zeitschrift für Medienwissenschaft (ZfM), 111-123, S. 112. ist mir der Begriff der semantischen Macht untergekommen. (Steinhauers Aufsatz verdient in anderem Zusammenhang einen separaten Eintrag). Die Rede von der Macht der Sprache oder von Definitionsmacht ist durchaus verbreitet. Steinhauer nennt als Urheber dieses Begriffs Armin von Bogdandy und Ingo Venzke mit einem 2014 bei Suhrkamp erschienen Titel [2]In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, Berlin (Suhrkamp) 2014, 152 – 154. Ich habe die Stelle nicht nachgelesen. Es scheint sich um die Buchversion einer Arbeit zu handeln, die in Aufsatzform schon mehrfach publiziert wurde. [3]Zur Herrschaft internationaler Gerichte: Eine Untersuchung internationaler öffentlicher Gewalt und ihrer demokratischen Rechtfertigung, ZaöRV 70, 2010, 1-49, und auf Englisch in: The European … Continue reading. In diesen Aufsätzen ist noch nicht von »semantischer Macht«, aber doch von »semantischem Kampf« die Rede, und zu dieser Figur werden Ralf Christensen und Michael Sokolowski [4]Recht als Einsatz im Semantischen Kampf, in: E. Felder (Hg.) Semantische Kämpfe, Macht und Sprache in den Wissenschaften, 2006, 353. Ekkehard Felder stellt sein Einleitungskapitel unter das Motto » … Continue reading zitiert. Gugelt man nach »semantischer Macht«, so findet man den Ausdruck spätestens ab 2001. Nach einer Wiener Diplomarbeit [5]Michaela Müllner, Stadtrythmen, 2009, S. 42. zu urteilen, könnte Roland Barthes [6]Das semiologische Abenteuer, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988, S. 201f. (oder sein Übersetzer) der Erfinder des Begriffes sein. Oder sollte man dem Pseudo-Anonymus MortenMorten für einen Eintrag vom 27. Februar 2013 auf der berüchtigten Internetseite Politically Incorrect die Ehre der Urheberschaft zubilligen?

Warum diese Beckmesserei? Drei Gesichtspunkte haben mich veranlasst, darauf eine reichliche Zeitstunde zu verwenden.

Erstens: Es ist gar nicht so einfach zu entscheiden, welche Begriffe als Allgemeingut der Wissenschaft keines Nachweises bedürfen. Was für Begriffe gilt, gilt auch für Sätze, denn Begriffe sind bekanntlich Namen für Sätze.

Zweitens: Um ja keinen Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis zu begehen, werden viel mehr Nachweise verwendet als notwendig, und das ist nicht nur generell von Übel, sondern besonders dann, wenn die genannte Quelle keine originale ist.

Drittens: Wissenschaftliche Publikationen schaffen es auf diese Weise, immer wieder als neu erscheinen zu lassen, was als Allgemeinwissen in der Luft liegt.

Darüber bin ich in semantische Ohnmacht gefallen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Fabian Steinhauer, Montagen des Rechts. Ein Lehrbuch von Hermann Jahrreiss, Zeitschrift für Medienwissenschaft (ZfM), 111-123, S. 112.
2 In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, Berlin (Suhrkamp) 2014, 152 – 154.
3 Zur Herrschaft internationaler Gerichte: Eine Untersuchung internationaler öffentlicher Gewalt und ihrer demokratischen Rechtfertigung, ZaöRV 70, 2010, 1-49, und auf Englisch in: The European Journal of International Law 23, 2012; 7-41.
4 Recht als Einsatz im Semantischen Kampf, in: E. Felder (Hg.) Semantische Kämpfe, Macht und Sprache in den Wissenschaften, 2006, 353. Ekkehard Felder stellt sein Einleitungskapitel unter das Motto » Herrschaft und Macht werden auch über Semantik ausgeübt.«.
5 Michaela Müllner, Stadtrythmen, 2009, S. 42.
6 Das semiologische Abenteuer, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988, S. 201f.

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Negantis maior potestas: Der strategische Vorteil des Skeptikers

Im Alter freut man sich an alten Weisheiten. Bei Georg Jellinek[1] lese ich:

»Wenn irgendwo, so gilt auf dem Gebiete der ethischen Wissenschaften der Satz: Negantis maior potestas. Der beharrlich Leugnende ist dadurch stets im Vorteil, dass sich dem absolut Widerstrebenden kein theoretisch zwingender Beweis irgend einer ethischen Grundanschauung geben lässt, die bis zu einem gewissen Grade stets Sache nicht weiter ableitbarer persönlicher Ueberzeugung ist.«

Den Ursprung der Parömie habe ich nicht ermitteln können. Mit Gugels Hilfe war nur zu erfahren, dass auch Kelsen sie einst verwendet hat. Der für das römische Recht zuständige Fakultätskollege Fabian Klinck bestätigt, dass sie in den Quellen des römischen Rechts nicht vorkommt.[2] Er meint, vielleicht handle es sich um eine Umformung des Satzes »negantis nulla probatio«, der auf Diocl. C. 4, 19, 23 und Diocl. C. 4, 30, 10 zurückgeht, oder des Satzes »Ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat« (Paul. D. 22, 3, 2), beides zu finden bei Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter.[3] Sollte unter meinen Lesern jemand die Quelle der Sentenz kennen, wäre ich für einen Hinweis dankbar.

Natürlich geht es hier um die allen Juristen geläufige Beweislastregel, nach der derjenige, der (eine ihm günstige) Tatsache behauptet, den Beweis erbringen muss. In der abstrakten Formulierung, in der die Sentenz von Jellinek verwendet wurde, trägt sie jedoch weiter als im Rechtsprozess. Jellinek zieht sie für das Werturteilsproblem heran. Sie erklärt aber auch den Zustand der Epistemologie.

Es gehört zur Eigendynamik jeder Argumentation, dass sich der Neinsager in einer strategisch besseren Position befindet. Das zeigt sich im Extrem am so genannten Fundamentalproblem der Wissenschaftstheorie oder am Regelskeptizismus der Sprachphilosophie und führt die Skeptiker zu einem fundamentalistischen Antifundamentalismus. Den radikalen Skeptiker kann man nicht überzeugen. Man sollte ihn deshalb auch nicht zu ernst nehmen.

[1] Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 11. S. 32 wird die Sentenz noch einmal angeführt: »Sätze wie: negantis maior potestas, Vorgänge wie die Kassation eines Urteils durch die obere Instanz sind vom empirisch-psychologischen Standpunkte aus einfach unerklärlich. Sie sind aber nicht etwa Fiktionen, denn die ihnen zugrunde liegenden Tatbestände sind die des praktischen Lebens imd der praktischen täglichen Anschauungen. Vor dem Richterstuhl einer absoluten Erkenntnis allerdings zerstäuben sie in nichts.«

[2] Herr Klinck hat mich bei dieser Gelegenheit auf das im Internet frei verfügbare Programm amanuensis hingewiesen, dass sich in der Tat ganz hervorragend zur Recherche in römischen Rechtstexten eignet.

[3] Es lassen sich noch weitere Versionen ergugeln, jedoch alle ohne Quellenangabe: Auf der spanischen Seite Aforismos y latinazgos heißt es: Negantis factum nulla est probatio. Maxims of Law from Bouvier’s 1856 Law Dictionary führen an: Affirmati, non neganti incumbit probatio.

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Alles ist politisch. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« IV

Dies ist die vierte Lieferung[1] meiner Lesefrüchte aus Christoph Menkes »Kritik der Rechte« (2015).[2] Sie sind inzwischen reichlich abgestanden, sozusagen nur noch Trockenfrüchte, gesammelt aus den ersten beiden Kapiteln von Teil III »Die Ermächtigung des Eigenen«.

Zur Erinnerung noch einmal der Tenor des Buches: Der alte und auch der moderne Liberalismus haben eigentlich ein moralisches Anliegen. Sie fordern Freiheit, um den Menschen ein sittliches Handeln zu ermöglichen. Als Mittel wählen sie die Form subjektiver Rechte. Deren entscheidendes Merkmal besteht darin, das Ob und das Wie ihrer Inanspruchnahme den Berechtigten zu überlassen. Das Recht kümmert sich nicht um deren Motive, sondern nimmt ihren Willen als Tatsache hin. So verschwindet die Moral aus dem Recht. Das Ergebnis ist die amoralische bürgerliche Gesellschaft.[3] Auf Plattdeutsch: Das bürgerliche Recht will sittlich sein, stellt sich aber selbst ein Bein, weil es die Inhalte den Rechtsbürgern überlässt, die tun und lassen können, was sie wollen, solange sie sich nicht wechselseitig in die Quere kommen. Und so auf Franfurterisch: »Der Liberalismus ist die Verdrängung oder Verdeckung des Widerspruchs, des bürgerlichen Rechts – des Widerspruchs zwischen der Form der subjektiven Rechte und den moralischen Gründen ihrer Etablierung.« (255)

Teil III bietet manche Trivialitäten. »Ein Recht ist eine normative Macht: eine Handlungsmöglichkeit, die gegen andere normativ gesichert ist.« (177) Klar. Subjektive Rechts sind mehr als der bloße Reflex einer bestehenden normativen Ordnung (178). Geschenkt. »Subjektive Rechte sind nicht deshalb subjektiv, weil ein Subjekt sie hat, sondern genau umgekehrt, weil sie ein Subjekt hervorbringen.« (178f, 196) Das ist ein schönes Henne-und-Ei-Problem. Aber es ist natürlich richtig, dass die Menschen einmal Hühnersuppe bevorzugen und ein anderes Mal Rührei.[4] Das gilt analog für die Frage, ob das Klagerecht aus dem subjektiven Rechts abzuleiten ist oder ob umgekehrt das subjektive Recht aus der actio (228ff). »Ermächtigung durch subjektive Rechte bedeutet Politisierung und Privatisierung: Privatisierung als Politisierung, Politisierung als Privatisierung.« (179). Das läuft auf eine Nullhypothese hinaus.

Die Kapitel 8 und 9 von Teil III sind von Interesse, weil M. sich dort ausführlicher auf die Rechtstheorie einlässt. Gewährsleute sind Savigny und Windscheid, Jellinek und Kelsen, Carl Schmitt und Dworkin, Hegel und Foucault. Das alles geschieht, um zu erklären, dass das bürgerliche Recht bloßer »Schein« ist, nämlich »die falsche Verwirklichung des modernen selbstreflexiven Rechts« (175).

Die Selbstreflexion des bürgerlichen Rechts ist verzerrt, weil sie »in die Form subjektiver Rechte gekleidet ist«[5] (175) …Die Figur der subjektiven Rechte besetzt die empiristische Position des Gegebenen mit dem Subjekt. … Das bürgerliche Recht macht das Nichtrechtliche zu dem ihm in letzter Instanz Vorgegebenen, indem es das Gegebene als das Eigene des Subjekts versteht. … der Positivismus der subjektiven Rechte macht also das Wollen des eigenen zur autoritativen Tatsache … [von der] alle normative Setzung ausgehen muß« (176). So wird die kantische Idee vom normativen Eigenwert der Privatautonomie umgedreht.

Der direkte Angriff auf das Subjekt folgt erst in Kapitel 9 (197-207). Dort wird es sozusagen dekonstruiert, indem M. erstens mit Hilfe Foucaults seine historische Kontingenz aufzeigt, und zweitens auf die soziale Formierung des Subjekts hinweist. Ein historischer Umbruch im 17. Jahrhundert führte dazu, dass individuelle Entschei-dungen als letzte Grundlage für die Wahl von Zielen und Zwecken, also für eine Wertwahl, akzeptiert wurden. M. zitiert Foucault[6]:

»Was der englische Empirismus … wohl zum ersten Mal in der abendländischen Philosophie beschreibt, ist ein Subjekt …, das als ein Subjekt individueller Entscheidungen erscheint, die zugleich nicht weiter zurückführbar und unübertragbar sind.«

Der Witz der Sache ist aber nun, so M. (204ff), nicht einfach ein naturrechtlicher Dualismus, der das Subjekt mit seiner Autonomie und seinen Rechten als etwas unverfügbar Vorrechtliches akzeptiert. Vielmehr ist es das positive Recht selbst, welches die Form des subjektiven Rechts nicht bloß als fakultative Rechtstechnik einsetzt, sondern als Ermächtigung an jeden Einzelnen, »seine Entscheidungen auf die unhintergehbare Tatsache seines eigenen Wollens zurückzuführen« (207). So ganz habe ich den Unterschied zu der naturrechtlichen Version nicht verstanden. Vielleicht handelt es sich darum, dass das positive Recht die Rechtssubjektivität nicht als Wert, sondern als Tatsache voraussetzt. Vielleicht geht es auch darum, dass die naturrechtliche Version eine intrinsische Beschränkung mit sich führt, der der positivistischen »Naturali-sierung« des Eigenwillens fehlt. Darauf deutet der Abschnitt über das Eigentum (207ff).

Jedenfalls gilt: »Was das Subjekt will, gewinnt seine Geltung aus der Tatsache, daß es dies will. Das macht den spezifisch juridischen Individualismus aus …« (215). Das ist trefflich gesagt. Fraglich ist nur, ob diese Beschreibung nicht überholt ist. Anscheinend erleben wir gerade wieder einen historischen Umbruch. Der äußert sich etwa in einer »sozialen Reformulierung des Begriffs der Autonomie«[7] oder in juridischem Paternalismus, der dem »Eigen-willen« Grenzen zieht. Diese neuen Entwicklungen werden jedoch ausgespart, wiewohl sie M. natürlich geläufig sind.

Das lebende Individuum ist keine Monade, die absolut autonome Entscheidungen trifft. Man wird gerne zustimmen, wenn M. sich selbst zitiert (201):

»Die Sittlichkeit und die Autonomie des Wollens gibt es nur in dialektischen Prozessen, in denen sich Individuen zugleich subjektivieren und sozialisieren; das sittliche selbständige Wollen vollzieht sich nicht im Individuum, sondern zwischen dem Individuum und dem Sozialen.«

Aber das Individuum ist auch keine Marionette, die an den Fäden ihrer sozialen Rollen zappelt. Viele Leser würden daher wohl von der alten Autonomie etwas retten wollen.

Was Foucault beschrieb, ist die Akzeptanz der Subjektivität von Werturteilen. David Hume, auf den Foucault sich bezog, wird gewöhnlich als derjenige genannt, der als erster auf die Differenz von Sein und Sollen und damit auf die Werturteilsproblematik verwiesen hat. Sie ist philosophisch zum Hintergrund des Freiheitsbegriffs geworden. Sie ist Basis ebenso der Willenstheorie des Privatrechts wie der Demokratietheorie des Verfassungsrechts. M. kritisiert die bedingungslose Akzeptanz individueller Wahlentscheidungen durch das Recht als Verdrängung oder Privatisierung des Sozialen (200), als letztlich unmoralische »Naturalisierung« des »Eigenwillens«. Solche Kritik setzt die Möglichkeit voraus, sich einer Moral zu versichern. Dafür hat M. ein einfaches Rezept: »Sittliche Gehalte, das Gute oder die Güter, sind keine Produkte von individuellen Präferenzen, sondern existieren objektiv, in sozialen Praktiken.« (200) Man kann das Werturteilsproblem auf diese Weise mit dem eigenen Werturteil überspielen. Das ist schon deshalb keine Lösung, weil hinreichend universale und detaillierte »soziale Praktiken« als Ersatz nicht in Sicht sind.

Warum nicht umgekehrt? Soziale Praktiken sind die Produkte individueller Präferenzen. Wieso darf man sich nicht analog zu der »merkwürdigen Mechanik, die den homo oeconomicus als individuelles Interessensubjekt innerhalb einer Gesamtheit funktionieren lässt, die ihm entgeht und die dennoch die Rationalität seiner egoistischen Entscheidungen begründet«[8], das Individuum des Liberalismus als Moralsubjekt (homo moralis) vorstellen, das im Schwarm vieler Subjekte das Gute bewirkt? Wenn das moralisch Gute sich aus der Aggregation der individuellen Präferenzen ableitet, darf keine vorgängige Moral auf diese Präferenzen Einfluss nehmen. Die Menschen dürfen gar nicht moralisch handeln, weil gerade ihr amoralisches Handeln der Erkenntnisgrund für die Moral ist.[9]

Soweit die Theorie. Für die Praxis stellt sich dem Leser natürlich die Frage, ob die Form des subjektiven Rechts wirklich unmoralische Folgen nach sich zieht oder ob sie nicht übersubjektiven Zielen gesamtgesellschaftlicher Nützlichkeit dient. Aber »natürlich« gilt diese Frage seit Marx als beantwortet.

In Kapitel 8 (177-196) soll der »Mechanismus rechtlicher Ermächtigung« erklärt werden, »durch den das bürgerliche Recht das Subjekt … als Instanz der Autorität hervorruft« (176). Die »Ermächtigung« durch subjektive Rechte ist für M. rechtstechnisch nur eine »Erlaubnis«. Sie schafft keine neuen Handlungsmöglich-keiten – die sind vorrechtlich schon da –, sondern grenzt durch Verbote die Zonen möglicher Handlungen voneinander ab. »Deshalb gilt – nur – hier, daß alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist.« (180)

Im juristischen Sprachgebrauch ist eine Erlaubnis die partielle Aufhebung eines Verbots. [10] Vorrechtliche Handlungs-möglichkeiten, die nicht verboten sind, sind nicht erlaubt, sondern freigestellt. Aber das betrifft nur die Sprachregelung. Schwieriger ist die Sachfrage, wie es gelingt, subjektive Privatrechte »aus dem negativen Akt des Erlaubens, was nicht verboten ist« (189) zu erklären, und ob diese Erklärung für Eigentum und Vertrag als Kernbezirke des Privatrechts ausreicht.

M. holt zunächst unter Berufung auf Max Weber aus der »Erlaubnis« eine faktische Ermächtigung heraus. Die Erlaubnis begründe entsprechende Erwartungen und sei damit »produktiv«. Dürfen sei Können (194f). Es ist nicht ganz einfach zu verstehen, wieso die Freistellung möglicher Handlungsweisen eine Ermächtigung bildet. Diese Betrachtungsweise wird aber plausibel, wenn man die implizite oder explizite Freistellung von Handlungen als performativen Akt versteht. Das ist es wohl, was an anderer Stelle (z. B. S. 180) Naturalisierung genannt wird. Soweit die faktische Seite.

Die rechtstheoretische Seite der Angelegenheit diskutiert M. mit Georg Jellinek, der gegen die liberale Deutung des Privatrechts als Erlaubnis geltend machte, das ganze Privatrecht erhebe sich auf Basis des öffentlichen[11]. M. meint, Jellinek habe sich selbst nicht richtig verstanden (183). Das soll heißen, Jellinek sei nicht radikal genug gewesen, weil er das Privatrecht neben dem öffentlichen habe stehen lassen und damit dessen öffentliche und politische Dimension noch nicht voll erkannt habe; das sei erst Kelsen gelungen indem er die Rechtserzeugungsfunktion und die damit gegebene Politizität subjektiver Rechte herausgestellt habe.

Für »die negative, privatrechtsliberale Definition der rechtlichen Ermächtigung – nur als Erlaubnis – « zitiert M. Jellinek mit den Sätzen: »Wenn die Privatrechtsordnung die wirtschaftlichen Verkehrsverhältnisse regelt, so fügt sie der freien Bewegung des Individuums gegenüber den anderen keineswegs ein neues Moment hinzu. Die Rechtsverhältnisse waren als Lebens-verhältnisse schon längst vorhanden, bevor sie einer rechtlichen Normierung unterworfen wurden.« In der Tat erscheint Jellinek hier inkonsequent. Er vergisst für einen Moment sein »Argument gegen den Privatrechtsliberalismus, das besagt, dass die Rechtsordnung dem erlaubten natürlichen Können in der Gestalt des rechtlichen Könnens noch etwas hinzufügt.« (181) Das wird deutlicher wenn man das Jellinek-Zitat um einen Satz verlängert: »Auch wenn ein anderes privatrechtliches Institut vom Staate geschaffen wird, so enthält diese Schöpfung doch nur die Gestattung, dass der individuelle Wille sich nach einer neuen Richtung betätige. Die Rechtsordnung erkennt die betreffenden Handlungen als erlaubt an, d. h. sie gestattet, dass der individuelle Wille nach gewissen Richtungen seine natürliche Freiheit gebrauche.«[12] Das passt nicht zu Jellineks These, dass es kein (privatrechtliches) Dürfen ohne (öffentlich rechtliches) Können gebe.

Hier geht es nicht um Text und Thesen Jellineks, sondern um M.s »Kritik der Rechte«. Letztere fällt aber bis zu einem gewissen Grade in sich zusammen, wenn Jellineks Theorie von der öffentlichen rechtlichen Basis des Privatrechts die Operation moderner Rechtssysteme zutreffend beschreibt, was M. letztlich nicht in Abrede stellt. Dann bleibt nämlich für die bloße Erlaubnis zur Betätigung der natürlichen Freiheit wenig Raum.

Wenn M. sich für den Charakter des subjektiven Rechts als bloße Freistellung auf Hegel beruft (179f), so trifft er wohl das Selbstverständnis des Privatrechtsliberalismus, aber nicht die Operationsweise des modernen Rechts. Subjektive Privatrechte lassen sich nicht aus der bloßen Freistellung eines Handlungsraums und seiner Absicherung durch Verbote in Verbindung mit dem Gleichheitssatz erklären. Das Problem liegt darin, dass die Verbote, die eine Freiheitssphäre schützen, entgegen der kantischen Idee nicht aus dem Begriff der Freiheit abgeleitet werden können[13]. Aus einer Freiheit = Freistellung folgen (logisch) keine Rechte gegen oder Pflichten von Dritten. Die rechtliche Umhegung der Freiheit ergibt sich erst aus (rechts-)politischen Entscheidungen, die zwangsläufig mehr oder weniger distributive und paternalistische (Neben-)Wirkungen haben.[14] Als Raum bloßer Erlaubnis bleibt nur, was durch Strafrecht und das Recht der unerlaubten Handlung indirekt geschützt ist. Für diesen Raum negativer Freiheit hat H. L. A. Hart[15] den Begriff des protective perimeter geprägt. Der Raum des bürgerlichen Privatrechts mit seinen subjektiven Rechten ist dagegen vollständig durch öffentlich rechtlich verantwortete Institutionen ausgestaltet.

100 Jahre nach Jellinek fällt es leicht zu sagen, dass das Privatrecht nicht bloß erlaubt, sondern die Möglichkeiten rechtlichen Könnens umfassender gestaltet. Alle relevanten Handlungsmöglichkeiten haben eine institutionelle Basis, an der immer auch Recht beteiligt ist. Zwar ermächtigen die Institutionen des Privatrechts zu rechtlichem Können für weitgehend unbestimmtes Dürfen. Insofern bleibt es bei der »Erlaubnis des Beliebens« (195), das heißt, rechtliches Dürfen wird nicht durch externe Moral oder Vernunft vorgegeben. Aber das »Belieben« muss das Nadelöhr oder Scheunentor rechtlichen Könnens passieren. Eine Kritik der subjektiven Rechte kann daher nur unmittelbar bei der Rechtspolitik ansetzen, die das Tor mehr oder weniger geöffnet hat. Es macht dagegen wenig Sinn, die »immanente Politizität der subjektiven Rechte« (189) zu beklagen.

»Man wird selten eine klare Definition des Politischen finden«, sagte Carl Schmitt.[16] Für M. sind politisch »Rechte zur Rechtsveränderung, zur Veränderung des Rechts als des normativ gültigen« (190, 226f). Die These von der »Rechtserzeugungs-funktion« des Privatrechts gehört zum Grundbestand der Rechtstheorie. Verträge und Gestaltungsrechte fügen sich mit ohne weiteres in den Stufenbau der Rechtsordnung ein. Aber sie unterscheiden sich von den »eigentlichen« Rechtsquellen dadurch, dass sie nur konkret-individuelle Rechtsnormen begründen oder verändern, die unbeteiligten Dritten gegenüber keine Verpflichtungs-, sondern nur eine Tatbestandswirkung haben. M. bleibt eine Erklärung schuldig, wieso private Rechtssetzung »für alle gültig« (190) sein soll. Kelsen ist dafür kein guter Beleg, denn er sieht die Rechtsetzungsfunktion bei Privatrechten gerade im Gegensatz zu den eigentlich politischen Rechten[17]. Der Satz, »daß jeder Adressat von Rechten der Möglichkeit, also seiner Berechtigung nach Mitautor des Rechts ist« (191), hat deshalb einen großen rhetorischen Überschuss. Alles Recht ist politisch. Das ist uns schon so oft versichert worden, dass die Aussage trivial geworden ist. Wenn man mit Jellinek und Kelsen auch subjektive Privatrechte im öffentlichen Recht begründet sieht, dann haben sie quasi per definitionem politischen Charakter.

Die politische Qualität der subjektiven Rechte hat sogar »doppelte Gestalt« (189), weil diese Rechte die staatsbürgerliche Mitwirkung immanent voraussetzen. Dadurch »gewinnt der Begriff des Politischen … einen Doppelsinn, der die Idee und Wirklichkeit der bürgerlichen Politik bestimmt (und zerreißt).« (190) Wo steckt hier der Doppelsinn, in der Begriffsbildung des Beobachters oder in den Köpfen der Beobachteten?

[1] Die erste Lieferung gab es am 1. 5. 2016 unter der Überschrift »Hauptsache Moral, welche ist egal«.

[2] M. = Menke. Zahlen in Klammern sind Seiten des Buches. Kursivschrift in Zitaten folgt dem Original. Eckige Klammern in Zitaten enthalten Ergänzungen, die den Sprachfluss sicherstellen sollen.

[3] Für den eiligen Leser reicht die Zusammenfassung S. 248-253.

[4] Bei Luhmann heißt das Variation der Semantik. Den Wechsel von einer Pflichtensemantik zur Rede von subjektiven Rechten erklärt Luhmann damit, dass Rechte seiner Zeit ein unerfüllte Desiderat waren (Subjektive Rechte: Zum Umbau des Rechtsbeußtseins für die moderne Gesellschaft, in: Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 1981, 45-104.

[5] Das wird in Endnote 4 auf S. 438 als Luhmann-Zitat ausgewiesen (a. a. O. Fn.  4 S. 84). Der ganze Satz Luhmanns lautet:»Die Inklusion der Bevölkerung in das Gesellschaftssystem muß auf neue Formen gebracht werden, und dies Desiderat wird in die Form subjektiver Rechte gekleidet, weil es noch nicht realisiert ist.« Luhmann hat also an dieser Stelle ein anderes Thema. Er betont den Wechsel der Semantik von Pflichten zu Rechten. Luhmanns Deutung der Figur des subjektiven Rechts passt überhaupt nicht zu M.s Argumentation, denn Luhmann geht es darum, »daß [die Rechtsentwicklung] allgemeine, gesellschaftlich fundierte Normen zur Rechtsfigur des subjektiven Rechts abstrahiert«. Dieses Luhmann-Zitat hat aus dem »Recht der Gesellschaft« hat M. in die Endnote verbannt.

[6] Michel Foucault, Geschichte der Gouvernementalität II: Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France 1978–1979, 2004, S. 373 (Vorlesung 11 vom 28. März 1979).

[7] Christoph Menke, Subjektive Rechte und Menschenwürde . Zur Einleitung, Trivium 3, 2009, Rn. 4 [http://trivium.revues.org/3296].

[8] Foucault a. a. O. S. 382.

[9] Das Argument stammt nicht von mir. Aber ich weiß nicht mehr, von wem ich es gelernt habe.

[10] Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 46: »Allein diese Erlaubnis ist rein negativ, ihr ganzer Effekt konsumiert sich in der Aufhebung eines Verbots.« Dagegen verwendet der an anderer Stelle von M. angeführte Robert Alexy »Erlaubnis« auch im Sinne von Freistellung (Theorie der Grundrechte, 1985, Kap. 4 II, in der Suhrkampausgabe S. 206ff.), betont aber, dass es sich um eine »schwache« Erlaubnis handelt.

[11] System S. 82. Vgl. auch S. 10: »Ohne öffentliches Recht kein Privatrecht.«

[12] System S. 45f.

[13] Marietta Auer, Subjektive Rechte bei Pufendorf und Kant. Eine Analyse im Lichte der Rechtskritik Hohfelds, AcP 208, 2008, 584-634. Auer beruft sich dafür mit J. W. Singer und Duncan Kennedy auf Hohfelds analytisches Schema der Rechte. Das folgt aber einfacher aus der Figur der Freistellung im traditionellen Normenquadrat.

[14] Marietta Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, 56ff.

[15] H.L.A. Hart, Legal Rights, in: ders., Essays on Bentham, 1982, S. 180ff. Harts Beispiel: Meine Freiheit, mir den Kopf zu kratzen, ist zwar nicht durch direkte Verpflichtungen anderer, mich gerade daran zu hindern, gesichert, aber doch durch einen Kranz allgemeiner Verhaltenspflichten, etwa die Pflicht, körperliche Angriffe zu unterlassen.

[16] Der Begriff des Politischen, Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien., 3. Aufl. der Ausg. von 1963, 1991, S. 21.

[17] Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 144.

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Folgen des Brexit für Arbeits- und Wissenschaftssprachen in der EU

Natürlich bleibt Englisch auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU weiterhin Amtssprache und offizielle Arbeitsssprache, denn mit Irland und Malta gibt es weiterhin zwei englischsprachige Mitgliedsländer. Anders könnte es mit den inoffiziellen (organinternen) Arbeitssprachen aussehen. Als solche hat sich das Englische weitgehend durchgesetzt und besonders das bis zum Beitritt 1972 dominierende Französisch zurückgedrängt.[1] Das wird sich kaum rückläufig entwickeln, denn die englische Sprache wird ihre Bedeutung als Lingua Franca behalten. Aber Italiener, Spanier und Deutsche werden auf stärkere Berücksichtigung ihrer Sprachen drängen. Aus Deutschland wird es allerdings wie bisher bei Lippenbekenntnissen bleiben. Die Sprachloyalität der deutschen Eliten ist so schwach, dass sie lieber weiterhin ihre Englischkenntnisse vorzeigen.

Als interne Arbeitssprache der Kommission müsste das Englische wohl zurücktreten.[2] Auch als Gerichtssprache sollte es weniger selbstverständlich werden. Auf die Wissenschaftssprache dürfte der Brexit weniger Einfluss nehmen. Hier ist die Hegemonie der englischen Sprache zu fest verankert. Immerhin könne sich bei der Antragspraxis etwas ändern. Wer sich bisher an EU-Ausschreibungen beteiligen wollte, hat sich gehütet, in seiner Muttersprache zu schreiben, um sich nicht von vornherein als provinziell zu disqualifizieren (und nicht selten wegen der Sprachbarriere auf eine Beteiligung verzichtet). Nach Zeitungsberichten waren die Briten bei der Einwerbung von EU-Fördermitteln für die Wissenschaft besonders erfolgreich. Die bevorstehende Umverteilung wird interessant.

[1] Johannes Scherb, Amts- und Arbeitssprachen der EU. In: Bergmann (Hg.), Handlexikon der Europäischen Union. Baden-Baden 2012

[2] Ähnliches gilt wohl für den Ausschuss der Botschafter/innen der EU-Mitgliedstaaten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird Englisch und Französisch und die Gremien der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Zu deren Sprachpraxis die Äußerung des Auswärtigen Amtes vom 5. 5. 2015.

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Im Spiegelkabinett der Selbstreflexion. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« III

Dies ist die dritte Lieferung[1] meiner Lesefrüchte aus Christoph Menkes »Kritik der Rechte« (2015).[2]

Teil II des Buches, überschrieben »Ontologie: Der Materialismus der Form«, handelt ausführlicher von der Selbstreflexion des Rechts. Hier zeigt M. seine Virtuosität im Umgang mit Luhmannscher Systemtheorie und Paradoxologie. Ich halte das für unergiebig. Das habe ich vorab zu zeigen versucht, indem ich Teile des Textes (106, 111-115) als Formular verwendet und darin »Recht« durch »Musik« ersetzt habe. Das hindert mich nicht, die kunstvolle Komposition zu bewundern.

» … die Selbstreflexion des Rechts … besteht darin, daß es sich selbst im Unterschied zum Nichtrecht als seinem Anderen begreift. Das hat zwei Seiten. Es bedeutet:
(i) Die Anerkennung der Äußerlichkeit des Nichtrechts durch das Recht: die Selbstreflexion des Rechts als (Voraus-)Setzung des Nichtrechts.
Aber weil die Voraussetzung des Nichtrechts durch das Recht geschieht, bedeutet sie zugleich:
(ii) Die Anerkennung der Äußerlichkeit des Rechts gegen-über dem Nicht: die Selbstreflexion als Selbstveräußerlichung des Rechts.« (127)

Wie übersetze ich das ins Plattdeutsche? Gott weet allens, aber wat in de Wos is, weet he nich. Im Grunde ist die Sache ganz einfach. »Das Nichtrecht ist nicht das Äußere gegenüber dem Recht, sondern als Äußeres, im Inneren des Rechts wirksam.« (131) Das erinnert entfernt an Überlegungen, dass die Gesellschaft nicht ganz ohne Bedeutung für das Recht ist.

Schon S. 101 war zu erfahren, dass Selbstreflexion die Grundoperation des modernen Rechts ist. »Die moderne Form der Rechte ist die Form der Selbstreflexion des Rechts – das Recht in der Form seiner Selbstreflexion. Darin ist ›Selbstreflexion‹ eine ontologische Kategorie.« Unter Selbstreflexion habe ich bisher entweder Selbstbeschreibung oder Rekursivität verstanden. Rekursivität kann entweder Reflexivität[3] oder Selbstbezüglichkeit bedeuten. Selbstbezüglichkeit entsteht durch Sätze nach dem Vorbild des lügenden Kreters. Sie erwecken den Anschein eines Widerspruchs, also einer Paradoxie. Dahinter versteckt sich aber nur eine logisch unzulässige Satzbildung. So kommt, was kommen muss: Selbstreflexion als Grundstruktur des Rechts bringt das »Paradox der Rechte« hervor (111). Das Paradox soll darin zu finden sein, dass das Faktische als Außen des Rechts als Normatives in dessen Innerem wiederkehrt. Selbstreflexion deckt die Differenz von Faktum und Norm auf und damit »die Lücke, die das Recht ausmacht« (111). Das ist eine ziemlich umständliche Art zu erklären, dass traditionelle Rechtsmodelle außerrechtliche Wertungen übernehmen, während das moderne Recht die Werturteile, die den Übergang von der Natur zur Norm begründen, jedenfalls überwiegend explizit macht und in die Zuständigkeit von Agenten des Rechtssystems verlegt. Die »Lücke« ist dann nichts anderes als Fundamentalproblem: Wenn Moral und Vernunft ausscheiden, fehlt es an einer Letztbegründung. M.s Lückenbüßer heißt Selbstreflexion: »Die Selbstsetzung des Rechts als Recht radikalisiert seinen Selbstbezug zu seiner Selbstreflexion.« (125) Das Wesen des modernen Rechts ist aber nicht nur die Lücke, sondern, weil keine Gerechtigkeit in Sicht, auch noch die Krise (125). Gerechtigkeit war noch nie in Sicht. Da berufe ich mich ausnahmsweise einmal auf Derrida. Dann gibt es kein Recht ohne Krise. Und dann ist das Krisenattribut leer.

Die Selbstreflexion wird zum Spiegelkabinett, wenn außer dem Recht auch noch die Materie des Nichtrechts selbstreflexiv wird. Einerseits wird durch die Selbstreflexion des Rechts das Nichtrecht als Materie in seiner Nicht- oder Urform hervorgebracht. Dieses Doppelnichts ohne Form und Norm reflektiert sich selbst mit der Folge seiner »(Selbst-)Naturalisierung« (137). Die Folge: Auch das natürliche Streben ist ohne Moral. »Sich als natürlich zu wissen heißt, sich als bestimmt zu wissen, aber ohne etwas Bestimmtes zu wissen.« (139) Und das bedeutet am Ende Unmoral: »Natürliches Wollen ist ein Wollen, das sich stets voraus ist – ein unbestimmtes und maßloses Wollen.« (141)

S. 104ff werden die bis dahin gefundenen Ergebnisse »rekapituliert«. Was dabei zum Vorschein kommt, scheint mir aber weder von den vorangegangenen Erörterungen getragen zu werden noch in sich plausibel zu sein: Das moderne Recht ist durch die Trennung von Recht und Moral autonom geworden. Daher bleibt ihm nur die Natur als Moralersatz. »Die legale Rechtsordnung reguliert Natürliches. Sie geht mithin von Strebungen aus, die sie als Fakten behandelt; Strebungen, in die sie nicht erziehend oder unterdrückend einzugreifen versucht, sondern sie von außen, unter Hinnahme ihres Gegebenseins, nach einem Gesetz der Gleichheit zu ermöglichen – mindestens zu begrenzen, bestenfalls zu befördern – versucht.« Das entspreche der Essenz der Interessentheorie. »Damit steht seine Normativität unter Voraussetzungen, über die es selbst nicht verfügen kann. Das trennt das souveräne Recht in London vom sittlichen Recht in Athen ebenso wie vom imperativen Recht in Rom: Es geht mit dem Bewußtsein einher, daß es in die Faktizität des natürlichen Strebens nicht eingreifen wollen kann. … denn das autonome Recht weiß, daß seine autonome Ordnung bloß deshalb befolgt, ja errichtet wird, weil dies dem natürlich-faktischen Streben dient« (104f). Das ist dann die Essenz der Willenstheorie.

Hier werden Legalisierung und Autonomie gleichgesetzt. Legalisierung ist die bloße Aufwertung von Außerrechtlichem zu Recht. Autonomie wäre nach üblichem Verständnis eine Verselbständigung des Rechts gegenüber dem Nichtrecht. Die These lautet also: Das moderne Recht ist nicht selbständig, weil es sich gegenüber der Gesellschaft nicht durchsetzen kann, und es weiß das. Damit bestreitet M. die Autonomie des Rechts und stellt letztlich in Abrede, was er voraussetzt, nämlich dass die Rechtsform nicht neutral ist, also nicht bloß Außerrechtliches widerspiegelt. Aber so einfach sind die Dinge dann doch nicht. »Durch den Akt der Selbstreflexion wird das, was ein erlittenes Geschehen war, zum eigenen freien Tun.« (141) Autonomie ist Pseudoautonomie.

In dem Abschnitt »Materialismus der Form« (141-152) gewinnt die Selbstreflexion des Rechts Pseudosubstanz als Tragödie. Das »Schicksal des Rechts« ist die tragische Illusion, es könne sein Außen gestalten. Der Privatrechtsliberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts habe resignierend die unkontrollierbare Eigendynamik des Außen freigegeben. Die von Max Weber beschriebene Materialisierung des Rechts sei die selbstreflexive Einsicht, dass die vom Recht selbst ausgelösten Proteste gegen das Recht im Recht berücksichtigt werden müssten (148). Diese »Responsivität des materialisierten Rechts [stehe] nicht im Widerspruch zu seiner Autonomie. »Denn das Nichtrecht ist im Recht nicht gültig, sondern wirksam, seine Anwesenheit im responsiven Recht nicht normativ, sondern effektiv: Trieb (oder Kraft), nicht Grund.« (149) Das ist die ebenso übliche wie nichtssagende Antwort der Systemtheorie über die Verbindung vom Außen der Wirklichkeit zum Innen der (Rechts-)Norm, die man gestern soziologisch unter Kausalitätsgesichtspunkten und normativ juristisch als Werturteil behandelte. Den Spagat der Systemtheorie zwischen operativer Schließung und kognitiver Offenheit tauscht M. gegen die Spreizung von Form und Materie. An die Stelle der Autopoiese tritt Prozessualisierung. »Rechte sind das Ergebnis von Prozessen und sie sind der Ausgangspunkt und Gegenstand von Prozessen.« Die Stelle der strukturellen Kopplung übernimmt die »Wirksamkeit der Materie des Nichtrechts im Recht« (154). Und weil sie sich unter dem Einfluss der Materie laufend verändern, gilt: »Rechte sind die permanente Revolution des Rechts als Form« (154). Eine bekannte Strukturhypothese der Rechtssoziologie lautet: »Alles Recht entwickelt sich« (Carbonnier). Als sie zum ersten Mal, wohl von Montesquieu, formuliert wurde, war sie eher revolutionär. Heute mutet sie trivial an. M. verlagert die Revolution in das Innere der These. Gehaltvoller wird sie dadurch vorerst nicht. Näherer Aufschluss wird im vierten Teil des Buches versprochen.

S. 154ff kämpft M. wieder mit dem Letztbegründungsproblem, jetzt am Beispiel der Vertragstheorien. Operative Verträge können sich bekanntlich nicht selbst in Geltung setzen. Sie benötigen eine außervertragliche Grundlage. Ein analoges Problem gibt es für den Gesellschaftsvertrag. Das wird hier messerscharf herausgestellt. Erneut erweist sich die Selbstreflexion des Rechts als Letztbegründungsersatz. Das Recht bejaht qua Selbstreflexion seine Geltung.

Das 7. Kapitel S. 164ff nimmt den Titel des Buches auf: Die Kritik der Rechte. Schon S. 154 erfuhr der Leser: »Rechte sind die permanente Revolution des Rechts als Form. Aber darin liegt zugleich der Widerspruch, der diese Form zerreißt. In dem Aufweis dieses Widerspruchs besteht die Kritik der Rechte.« Nun lernt der Leser, dass die subjektiven Rechte als geschichtlich und gesellschaftlich herrschende Gestalt des modernen Rechts »der zur Wirklichkeit gewordene (Selbst-)Widerspruch: der Widerspruch zwischen Wesen [ = Selbstreflexion] und Erscheinung [ = Form des Rechts]« ist (165). »Das bürgerliche Recht ist falsch, weil es sich selbst widerspricht.« (166) Denn »es verstellt und blockiert den Akt der Selbstreflexion, der es begründet. Das bürgerliche Recht setzt die revolutionäre Prozessualisierung zugleich voraus und bricht sie ab. Es will postrevolutionär sein und wird dadurch antireflexiv (und antirevolutionär).« (166f). Der Fehler liegt in einem falschen Materialismus = Positivismus, der »das in dem selbstreflexiven Formprozess des Rechts wirksame Materielle als positiv Gegebenes« auffasst (169). Dieses Gegebene ist ein »Mythos«. Adornos Dialektik hilft ihn entlarven (169). Und wer dem mit M. folgt, dem erscheint als Unversöhnliches Gegenüber des bürgerlichen »das andere Recht«. »Das bürgerliche Recht ist unwahr …, aber vorhanden; das andere Recht ist wahr, aber nicht da.« (170) Das übersteigt zunächst die Grenzen meiner Fassungskraft. Aber vielleicht vermag Teil III mit der Überschrift »Kritik: Die Ermächtigung des Eigenen« mir auf die Sprünge zu helfen. Heute nicht mehr.

[1] Die erste Lieferung gab es am 1. 5. 2016 unter der Überschrift Hauptsache Moral, welche ist egal, die zweite am 9. 5. unter dem Titel Das subjektive Recht ein hohles Ei.
[2] M. = Menke. Zahlen in Klammern sind Seiten des Buches. Kursivschrift in Zitaten folgt dem Original. Eckige Klammern in Zitaten enthalten Ergänzungen, die den Sprachfluss sicherstellen sollen.

[3] Wie sie von Niklas Luhmann unter dem Titel »Reflexive Mechanismen« beschrieben wurde (Soziale Welt 17, 1966, 1-23).

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Das subjektive Recht ein hohles Ei. Zu Christoph Menkes »Kritik der Rechte« II

Dies ist die zweite Lieferung[1] meiner Lesefrüchte aus Christoph Menkes »Kritik der Rechte« (2015).[2]

In der Einleitung unter der Überschrift »Marx‘ Rätsel« wird die Grundthese des Buches formuliert: Die bürgerlichen Revolutionen der Moderne waren der Akt eines politischen Gemeinwesens, ihr Ziel die Gleichheit, ihr Mittel die Form der Rechte, deren Träger keine politischen, sondern private Subjekte sind. Das Ergebnis ist die Entpolitisierung der Gesellschaft (7f). Der Liberalismus, der auf seine guten moralischen Absichten verweist, ist, wie Marx formulierte, nur zu »vulgärer Kritik« imstande. Die wahre Analyse des bürgerlichen Rechts ist nicht historisch, sondern ontologisch. Der moderne Umbruch des Rechts ist ein Umbruch in der Ontologie der Normativität (S. 11). Man kann die bürgerliche Erklärung gleicher (subjektiver) Rechte nicht funktional nach ihren »Gehalten, Zwecken und Wirkungen« begreifen, wenn man nicht zuvor deren Form verstanden hat, denn »diese Form ist nicht neutral« (9). Sie bringt normativ »vor und außernormative Faktizität« hervor (10). Faktisch heißt, »dem politischen Gemeinwesen vorgeordnet und entzogen« (9), oder, was dasselbe ist, die »Naturalisierung des Sozialen« (10) Diesen Vorgang kann das bürgerliche Recht in seiner Selbstreflexion nicht begreifen. Es fällt daher in sich zusammen, nachdem M. den Zusammenhang aufdeckt hat. Das führt zu einer »neuen Revolution der Rechte«, einem »Recht der Gegenrechte« (13).

Die Kritik der Rechte setzt an bei deren moralisch hohler Form. Dazu wird im ersten Teil des Buches eine historische Kontrastfolie aufgespannt. Idealtypisch werden uns mit Hilfe von Aristoteles und Cicero das griechische und das römische Recht vorgestellt. Das »Modell Athen« sei auf Erziehung zur Tugend angelegt gewesen, das »Modell Rom« auf die zwangsweise Durchsetzung der Vernunft (65ff). In Athen und Rom war die Rechtswelt, so scheint es,  noch in Ordnung, denn Rechte seien dort eigentlich nur Reflexe eines moralischen Universums gewesen. »Ein Recht hat man nach dem Maß der Gerechtigkeit und daher nur auf Gerechtes; das Recht des einzelnen ist sein gerechter Anteil.« (47)

Für den Umbruch zur Moderne steht das Modell London, personifiziert zuerst durch Hobbes, dann durch Locke.

»In der Form bürgerlicher Rechte bleibt der vorrechtliche natürliche Zustand im rechtlichen Zustand anwesend, ja wird der vorrechtliche natürliche Zustand im rechtlichen Zustand zur Geltung gebracht. Die Gewährleistung des Vor- und Außerrechtlichen, also des Natürlichen, wird zur Wesensbestimmung des Rechts.« (S. 55)

Für das moderne Recht gilt: »Das Gesetz ist nicht mehr die gerechte Vorschrift sittlichen Tuns, sondern die äußere Begrenzung von Bezirken natürlicher Tätigkeiten gegeneinander.« (58) Mit anderen Worten: Das moderne Recht ist darauf zugeschnitten, durch Determination von Rechtsansprüchen Sphären der Willkürfreiheit voneinander abzugrenzen. Es ist egalitär, aber ohne Moral, denn die Bezirke natürlicher Tätigkeit werden als gleich behandelt, anders als zuvor der für die Zumessung von Rechten maßgebliche Status im Gemeinwesen.

Da haben wir ein Paradox: Die neuzeitliche Form der Rechte »verklammert Normativität und Faktizität, ohne die Normativität in Faktizität aufzulösen. … Rechte berechtigen – nur – Natürliches.« (S. 63) »Dabei heißt ›natürlich‹ vor- oder außerrechtlich; natürlich sind alle Handlungen, die nicht an der Normativität des Rechts ausgerichtet sind.« (S. 90) Paradox wird das nur durch die Mehrdeutigkeit, in der hier von Normativität geredet wird. Rechtsnormen, die für Ansprüche in bestimmten Grenzen Beachtung fordern, sind für M. nicht wirklich normativ, soll heißen, sie sind nicht substantiell moralisch. Schon an dieser Stelle fragt sich der Leser, ob nicht auch hinter der rechtlichen Garantie für die nur durch die Rechte anderer gebundene Wahrnehmung von Handlungs-möglichkeiten eine substantielle Moral stecken könnte.

Gerne zustimmen wird man der Zurückweisung des »liberalen Dualismus«, das heißt der naturrechtlichen Annahme von subjektiven Rechten, die Vorrang vor dem objektiven Recht beanspruchen. (24ff).[3] Der Dualismus kommt erst auf, wenn die naturrechtlichen Inhalte nicht als gelebter und selbstverständlicher Bestand positiven Rechts Geltung haben, sondern als kontingent reflektiert werden. Von diesem Augenblick an geht es um unterschiedliche Rechtsbegriffe. Von einem positivistischen Standpunkt aus ist »das natürliche Recht vor dem Recht ein Scheinrecht« (25). Im System des positiven Rechts sind objektives und subjektives Recht nur noch zwei Seiten derselben Medaille. Nicht so für M. Auch für das moderne Recht gelte der Vorrang der (subjektiven) Rechte, und zwar wegen deren radikal neuer Form (29).

»Die Sicherung der Rechte des einzelnen wird zur neuen Funktionsbestimmung des Rechts überhaupt.« (31) Das sei eine »Revolution im Begriff des Rechts« die den »Primat des Anspruchs [subj. Recht] vor dem Gesetz [=obj. Recht]« begründe (31). Funktion soll hier heißen, dass es »im Recht [nur noch] um die normative Sicherung natürlicher, das heißt, vorrechtlich bestehender, dem Recht vorhergehender und vorgegebener Strebungen und Handlungen geht« (32). Worum denn sonst, möchte man fragen? Das wäre ja die Superautopoiese, wenn es im Recht um die Sicherung des Rechts ginge. Für das moderne Recht ist auch Moral etwas Vorrechtliches. Die Operationsweise des Philosophen besteht hier in der Verwendung unterschiedlicher Rechtsbegriffe. Anders wäre der Satz, das Recht habe nur noch die Aufgabe des Schutzes und der Sicherung rechtlicher Ansprüche (32), tautologisch. »Die Operationsweise des Rechts besteht in der Legalisierung des Natürlichen.« (33) Das klingt, als ob alles Natürliche legalisiert werde. Als Mittel wirkt »die funktionalen Totalisierung des Anspruchs«, was wohl heißen soll, das alles Recht letztlich als Privatrecht organisiert ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass M. nur das halbe Recht im Blick hat, ein Eindruck, der sich im Fortgang verstärkt. Aber der Eindruck ist falsch, denn M. meint, was er sagt.

An Thomas Hobbes‘ Begründung der staatlichen Souveränität findet M. deren immanente Grenze wichtig, den von Carl Schmitt so genannten Todeskeim (73ff), den Schmitt in dem Vorbehalt der inneren Glaubens- und Gedankenfreiheit gegenüber dem Leviathan hatte entdecken wollen. Dem Liberalismus, so meint M., diene der Gesinnungsvorbehalt als Verzicht auf eine sittliche Inanspruch-nahme. Deshalb sei »das souverän herrschende Recht … aus innerer Konsequenz zu dem Recht geworden, dessen Wesen die Erlaubnis oder Befugnis« sei (S. 80). Recht in der Zeit nach Hobbes »legalisiert« und sichert damit das »Natürliche«, nämlich die willkürliche Verfolgung individueller Interessen (S. 89). Allerdings ist die »rechtliche Erlaubnis [nur] eine Freigabe des Urteilens.« (S. 82) Das heißt: »Die Gesetze stellen die Gründe ihrer Befolgung frei.« (S. 83) Damit verzichtet das Recht auf einen moralischen Anspruch. Diesen Verzicht findet M. bei Kant wieder, wenn dieser Ethik und Recht danach unterscheidet, dass das Recht äußeres Handeln vorschreibt (S. 84ff).

Kant sage, weil das Recht äußerlich sei, müsse es das Innere freigeben. Dieser Schluss sei aber unrichtig oder zirkulär, denn tatsächlich hätten das griechische und das römische Rechtsregime »erziehend oder unterdrückend« auch auf das Innere eingewirkt. Die Freiheitserlaubnis des modernen Rechts folge deshalb nicht direkt aus der Äußerlichkeit des Rechts, sondern aus dessen Selbstreflexion: Das moderne Recht deute sich so, dass es die Freiheit der Willkür – die im weiteren Verlauf des Buches als Eigenwille angesprochen wird – erlaube (S. 87). Ihre normative Begründung sei mit Karl Marx letztlich nur in der Idee der Gleichheit zu suchen (345).

Die Frage liegt nahe, ob das wirklich die Selbstdeutung des modernen Rechts ist oder nicht vielmehr M.s Fremddeutung. Nach der üblichen Lesart gewährleistet das subjektive Recht die Möglichkeit der freien Entfaltung der Person in materieller wie in ideeller Hinsicht und damit den Rahmen für »die guten Zwecke des Liberalismus …: Würde, Autonomie, Selbstbestimmung usw.« (9). In einer Formulierung Savignys[4]: »Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen inwohnenden, Kraft sichert.«. Das mag noch der längst dekonstruierte autonomiebasierte Rechtsbegriff der ersten Moderne[5] sein. Wenn man die Willenstheorie etwas tiefer hängt, so reflektiert sie immer noch die rationale Unentscheidbarkeit moralischer Fragen und verlangt dafür individuelle Gewissensentscheidungen. Das ist ein hoher normativer Anspruch. Die »Freiheit der Willkür« ist nur die Kehrseite dieses Angebots. Solche Überlegungen prallen an M.s Argumentation ab. An die Stelle von Autonomie oder Gewissens-entscheidung tritt der mit Hilfe Foucaults »empirisch« von Urteil und Kritik gestrippte »Eigenwille«, der als psychisches Faktum zählt, nicht aber wegen seiner moralischen Qualität (197ff). Erneut die Frage, warum dem Eigenwillen die moralische Qualität abgehen soll, die dem (von mir so genannten) Statuswillen zugesprochen  wird, der in den festen Hierarchien Athens und Roms die Basis der für eine gerecht Verteilung bildete. Nun gut, das liberale Recht war nicht sehr erfolgreich mit seiner Moral (oder Ethik). Aber waren Athen und Rom erfolgreicher?[6]

S. 88 folgt ein Zwischenergebnis, dem man abstrakt beipflichten möchte. »Das moderne Recht erzieht nicht mehr, sondern es diszipliniert.« Foucault lässt grüßen. Die »Differenz von Innen und Außen« etabliert sich »im Individuum (das dadurch zum Subjekt wird)«. Wenn da nur nicht die Hintergrundthese stünde, »daß das [moderne] Recht keinen normativen Anspruch an das Sein, die Ontologie des Rechtssubjekts« stelle (S. 88). Wieso sind Erziehung (Modell Athen) und Unterdrückung (Modell Rom) normativ, Disziplinierung aber nicht? Hier fällt wieder auf, wie M. »das Sittliche« und »das Vernünftige« des griechischen bzw. des römischen Modells anspricht, ohne deren Realität als Modelle guten und glücklichen Lebens zu betrachten. Das schöne Aristoteles-Zitat auf S. 209 zur Mitbenutzung des Eigentums war seinerzeit nicht mehr oder weniger symbolische Deklamation als heute Art. 14 Abs. 2 GG. Moderne Arbeitssklaverei ist kaum schlimmer als die antike Leibeigenschaft. Die vom modernen Recht geforderte äußere Disziplinierung im Sinne eines neminem laedere ist da schon ein gewisser Fortschritt.

Auf dem Wege dahin gibt es Überlegungen, die zum Grundbestand der Rechtstheorie gehören. Das gilt zunächst für die Überlegung, dass die Erfindung des subjektiven Rechts im Privatrecht eine Dynamik entfaltet hat, die im Verlauf das subjektiv-öffentliche Recht zur Selbstverständlichkeit hat werden lassen. M. teilt allerdings die von Hegel und Savigny bis zu H. H. Rupp vertretene Auffassung, die Figur des subjektiv öffentlichen Rechts sei eine falsche Übertragung zivilrechtlicher Konstruktionen. Nur zur Erinnerung: Die Begründung subjektiver Rechte gegen den Staat scheint an der Vorstellung vom Staat als Quelle des objektiven Rechts zu scheitern mit der Folge, dass der Staat als Rechtsschutzgewährender und -verpflichteter ein- und dieselbe Person wäre. Da zum Recht ein unabhängiger Richter gehört und ein Richter per definitionem unabhängig zu sein hat, der Staat aber Richter in eigener Sache wäre, wären subjektive Rechte gegen den Staat paradox. Befriedigend formulieren lassen sich Problem und Lösung aber mit der Vorstellung, dass es sich logisch (auf der Satzebene) um ein (unlösbares) Rekursivitätsproblem handelt, dass der Staat praktisch aber kein monolithisches Gebilde ist, sondern sich aus mehreren »Gewalten« und vielen Funktionsträgern zusammensetzt, die sich wechselseitig beobachten und durch Rückkoppelungsprozesse in der Schwebe halten. Deshalb ist es richtig, dass die aus dem Privatrecht stammende Figur des subjektiven Rechts hat eine Dynamik entfaltete, die ihren Ursprung weit hinter sich gelassen hat. Die Dynamik ist mit der Akzeptanz des subjektiv öffentlichen Rechts aber längst nicht erschöpft. Doch das ist nicht, was M. interessiert. Ihm kommt es darauf an, dass subjektiv öffentliche Rechte auch nur verkleidete Privatrechte sind.

Iherings Interessentheorie liest M. als Reformulierung seiner Deutung vom Primat des Anspruchs. Die normative Kraft subjektiver Rechte knüpfe daran, »daß Personen Interessen haben« (62). Das ist plausibel, obwohl das Individualinteresse nur der Normalfall ist, aber kein Essentiale des subjektiven Rechts bildet. M. zitiert Jellinek mit dem Satz »Wille und Interesse oder Gut gehören daher im Begriffe des Rechts nothwendig zusammen.« Den nächsten Satz Jellineks übergeht er. Der Satz lautet: »Nicht aber müssen der Träger des auf das Interesse gerichteten Willens und der Destinatär des Interesses identisch sein.«[7] Damit hatte Jellinek den Begriff des subjektiven Rechts weit geöffnet. Es hat zwar noch ein Jahrhundert gedauert, bis die darin liegenden Möglichkeiten zur Entwicklung des Rechtsbegriffs ausgeschöpft wurden. Heute bereitet es jedoch keine Schwierigkeiten mehr, den Begriff des subjektiven Rechts für die Organisation der Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch staatliche Stellen und durch Gruppierungen der Zivilgesellschaft heranzuziehen. M.s Analyse des subjektiven Rechts ist damit auf halber Strecke stehen geblieben.

Der Kontroverse zwischen Interessentheorie (Ihering) und Willenstheorie (Savigny, Windscheid) bringt M. auf den Nenner, diese Theorien hätten entgegengesetzte Naturbegriffe (92); der einen gehe es um die »Ermöglichung von Interessen«, der anderen um die »Erlaubnis der Willkür«, zwei »einander strukturell entgegengesetzte Weisen der Legalisierung des Natürlichen«, die in der modernen Form der Rechte beide gegenwärtig seien (95). Bei der rechtlichen Ermöglichung müsse das Recht die Interessen als Grundtypen des natürlichen Strebens bestimmen. An dieser Stelle erinnert sich der Leser daran, wie Marietta Auer[8] besonders herausstellt, dass Kants wunderbare Formel von der Freiheit, die ihre Grenzen an der Freiheit anderer findet, inhaltsleer ist und von hoher oder fremder Hand ausgefüllt werden muss. Darin steckt die »Bestimmung« der Interessen, die Voraussetzung für deren »Ermöglichung« ist. Es meldet sich die Frage, ob nicht in dieser Bestimmung der Interessen ein Stück Politik und vielleicht gar Moral stecken könnte.

Bei der rechtlichen Erlaubnis gehe es darum, die Willkür unter Absehung von Gründen zu legalisieren. Deshalb müsse die Erlaubnis inhaltlich unbestimmt bleiben. »In ihrer modernen Form sichern Rechte zugleich Interessen und Willkür.« Doch weil die Erlaubnis der Willkür das natürliche Streben unbestimmt lässt, während »die Ermöglichung von Interessen voraussetzt, daß das Recht das natürliche Streben bestimmt« arbeiten »die Sicherung von Interessen und der Willkür gegeneinander«. Darin besteht die »doppelte Performanz« der »Legalisierung des Natürlichen« im modernen Recht. »Aufgrund der Form der Rechte entfaltet sich die Einheit des modernen Rechts nur im Gegeneinander sich ausschließender Leistungen. Dieses Gegeneinander bildet die spezifisch moderne Gestalt des ›Kampfs um’s Recht‹ (Rudolf von Ihering).« (97)

Übersetzt man das »Gegeneinander« mit dem Gegensatz von objektivem und subjektivem Interessenbegriff, dann kann man vielleicht sagen: Ihering sah das Interesse als objektiv gegeben, während Savigny und Windscheid mangels einer Grundlage zur Beurteilung objektiver Interessen auf die Selbstbehauptung des Interesses (Bedürfnis) durch Willensentschluss abstellten. Damit erklärt sich mir aber noch nicht, warum sich »in der modernen Form des Rechts … die Sicherung von Interessen und der Willkür gegeneinander« richten, ja einander ausschließen sollen (97). Ich hätte vielmehr angenommen, dass beides wunderbar zusammenstimmt, denn die Willkür der Rechtsausübung ist das Korrektiv dafür, dass letztlich kein Dritter, weder Rechtsphilosoph noch Gesetzgeber, sondern nur der Betroffene selbst seine Interessen kennt. Aber das hat M. nicht gemeint. Das Gegeneinander läuft vielmehr auf die permanente Auseinandersetzung zwischen Privatautonomie und sozialen Rechten hinaus, denn die rechtliche Bestimmung von Interessen bedeutet die Bestimmung eines »Vermögens sozialer Teilhabe«. Das führt im weiteren Verlauf zu einem auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Ergebnis:

»Die soziale Kritik ist Teil des politischen Kampfes im bürgerlichen Recht, Rechtskritik ist in der bürgerlichen Gesellschaft eine Strategie in der Rechtsbegründung: Das bürgerliche Recht ist wesentlich herrschaftskritisches Recht.« (S. 301)

Aber die Sache hat einen Haken. »Die bürgerliche Kritik (oder Selbstkritik) des Rechts« hat nicht verstanden, worum es (M.) geht (305). Doch das führt heute zu weit. Fortsetzung nicht garantiert.

[1] Die erste Lieferung gab es am 1. 5. 2016 unter der Überschrift »Hauptsache Moral, welche ist egal«.

[2] M. = Menke. Zahlen in Klammern sind Seiten des Buches. Kursivschrift in Zitaten folgt dem Original. Eckige Klammern in Zitaten enthalten Ergänzungen, die den Sprachfluss sicherstellen sollen.

[3] Damit ist die Sache freilich noch nicht ganz zu Ende. Gerade die positivrechtliche Form der subjektiven Rechts öffnet es für den rights talk oder rights discourse – mir fehlt der passende deutsche Ausdruck –, mit dem an vielen Fronten neue subjektive Rechte eingefordert werden, nicht immer ganz erfolglos.

[4] Savigny, System, Bd. 1, S. 331. Zur »moralontologischen« Fassung des modernen Begriffs der Rechtsperson Marietta Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S. 15ff. Sie meint, Hugo Grotius habe noch »ein in seinen Grundlagen normatives System geschaffen … in dem subjektive Individualrecchte gerechtfertige Güter- und Handlungszuweisungen begründeten. Dagegen habe »der Mensch als moralische Person« im System von Hobbes keinen Platz gehabt, sei jedoch spätestens von Kant wieder als solche eingesetzt worden.

[5] Auer a. a. O. S. 6.

[6] Mit der Kritik der Moderne vor dem Hintergrund einer idyllischen Vormoderne steht M. nicht allein. Deshalb ist hier ein Hinweis auf die Selbstkritik der zweiten Moderne angebracht, wie sie von Auer (2014, S. 46ff) referiert und rezipiert wird. Eine seit Hegel und Marx zentrale Kritik geht dahin, dass die Moderne den Einzelnen von der Familie abtrennt, indem sie ihn ins Erwerbsleben zwingt, die Familie zerstört und als Kehrseite dem Einzelnen den sozialen Rückhalt nimmt (Auer S. 77). Doch nach der Realität der vormodernen Familie jenseits des Adels, der Stände und der Bauern wird nicht ernsthaft gefragt. Die Lebensgüter waren ungleich verteilt. Das Leben überhaupt war kurz und mühsam, die reale Möglichkeit von Hunger und Durst, Elend und Schmerz nicht weniger beklagenswert als nach der bürgerlichen Revolution.

[7] Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 44. Ebd. S. 71 heißt es noch deutlicher: »Das positive Recht kann aber den Kreis der formellen Interessen beliebig verengen oder erweitern. Im letzteren Fall bildet nicht einmal das materiell subjektive Interesse für seine Gewährungen eine unübersteigbare Grenze, so daß selbst dort, wo ein Individualinteresse gar nicht vorliegen kann, trotzdem ein geschützter Anspruch geschaffen zu werden vermag.«

[8] Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S. 55ff, 59.

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