Kritik der Konvergenzthese V: Kampf der Kulturen?

Als Gegenreaktion hat der globale Prozess der Verbreitung von Kultur die Sorge um kulturelle Identitäten, Diversität und Einmaligkeit hervorgerufen. Man befürchtet, dass die exzessive Kommunikation fremder kultureller Produkte eine einheimische Kultur beschädigen oder gar zerstören könne. Manche Beobachter zeichnen das Bild der kulturellen Konvergenz daher nicht als wechselseitige Bereicherung, sondern stellen sich die Welt als kulturelles Schlachtfeld vor. Unter der Überschrift »The Clash of Civilizations« hat Samuel P. Huntington (1993) die These vertreten, in der Welt von morgen würden Konflikte zwar nicht länger aus konkurrierenden politischen Ideen oder wirtschaftlichen Rivalitäten entstehen.[1] Dafür werde es aber zum Zusammenstoß von Zivilisationen kommen, in erster Linie wohl zwischen der europäisch orientierten Industriegesellschaft und den verschiedenen nicht westlichen Zivilisationen.

Huntington unterscheidet sechs große Zivilisationen, die ihrerseits in zahlreiche lokale Kulturen untergliedert sind, den Westen, den Islam, den Konfuzianismus, den Hinduismus, die slawisch-orthodoxe Welt, die japanische Zivilisation und den Latinoamerikanismus. Er lässt offen, ob auch Afrika als Zivilisation in diesem Sinne gelten kann. Der Kalte Krieg werde durch eine neue Form des internationalen Konflikts abgelöst, weil das Bewusstsein der Menschen, einer bestimmten Zivilisation zuzugehören, wachse oder wiedererwache und sie von anderen Zivilisationen abgrenze.

Huntington ist von der Kritik behandelt worden, als hätte er etwas Unanständiges gesagt. Ich halte mich daher an Tenbruck, wenn er der »allseitigen Öffnung, Durchdringung und Vermischung der Kulturen«, die durch die »globale Präsens der Massenmedien in neue Dimensionen« hineingetrieben werde, ein neuartiges Konfliktpotential zuschreibt:

»Das ergibt im Dauereffekt nicht ein ›Kulturkonzert‹ mit Austausch, Bereicherung und Befruchtung auf Gegenseitigkeit, sondern eine Konfrontation, welche den Fortbestand der einzelnen Kulturen in ihrer selbständigen Individualität und Lebendigkeit bedroht. Eine nüchterne Betrachtung der Lage lehrt, daß hier mit verschiedensten kulturellen Kolonialisierungen, Selbstbehauptungsbewegungen, Deklassierungen zu Subkulturen wie auch mit dem Sprachverlust, der Einschmelzung, ja dem Ende von Kulturen gerechnet werden muß. Neu daran aber ist, daß all dies ohne Eroberung vor sich geht wie ein globaler Kulturkampf, dessen Träger und deren Ziele kaum zu erfassen sind. Hier vollzieht sich Geschichte in einer neuen Form, für die uns noch die Kategorien fehlen. Doch eines ist sicher: daß darin nur einige Kulturen und Kulturmuster sich behaupten werden.«[2]

Die Konflikthaftigkeit des Modernisierungsprozesses ist nicht zu übersehen. Konsequente Anhänger der Theorie führen sie jedoch nicht in erster Linie auf religiöse und kulturelle Differenzen zurück, sondern auf die Ungleichheiten, die die Modernisierung durch das unterschiedliche Tempo in den verschiedenen Ländern hat aufbrechen lassen.[3] Danach sind die aktuellen Proteste gegen Mohammed-Videos oder Karikaturen nicht in erster Linie als religiöser oder kultureller Konflikt, sondern als Auflehnung der Modernisierungsverlierer zu interpretieren.

 


[1] Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations?, Foreign Affairs 72, 1993, 22-49.

[2] A. a. O. Fn. 1027, S. 14, ausführlicher noch S. 30f.

[3] Wolfgang Zapf, Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 227-235, S. 234; Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 , 2006, 201-232, S. 214.

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Kritik der Konvergenzthese IV: Kulturalistische Kritik

Kulturalistische Kritik macht geltend, dass die Modernisierungstheorie die Bedeutung der Kultur für die Entwicklung der Gesellschaft prinzipiell verkenne. Meistens wird mehr oder weniger stillschweigend ein holistischer Kulturbegriff zugrunde gelegt. Holistisch ist ein Kulturbegriff, der sich viele große oder eher kleinere Kulturkreise vorstellt, die voneinander verschieden sind, in sich aber geschlossen, homogen und relativ statisch erscheinen. Er verbindet sich mit dem Kulturrelativismus[1], der jede Kultur als einzigartig ansieht, so dass sie ihren Wert in sich trägt. Das typische Argument lautet dann, die Übertragung einer modernen Institution in eine prämoderne Gesellschaft werde entweder misslingen oder deren indigene Kultur zerstören. Als Folge wird eine globale Homogenisierung oder McDonaldisierung konstatiert. Zur Abwehr dient die Forderung nach der Pflege kultureller Diversität. Kulturelle Diversität wird neben Biodiversität zu einem Wert an sich. Solche Kritik kann die Konvergenzthese aber nicht widerlegen, sondern nur beklagen.



[1] Zur Kritik des Kulturrelativismus sei verwiesen auf Thomas Sukopp, Wider den radikalen Kulturrelativismus – Universalismus, Kontextualismus und Kompatibilismus, Auflärung und Kritik 2, 2005, 136-154; zum Stand der Theoriediskussion in der Ethnologie auf Karl-Heinz Kohl, Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, 3. Aufl., 2011, S. 130ff.

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Kritik der Konvergenzthese III: Eisenstadts »Vielfalt der Moderne«

Vorbemerkung: Herr Boulanger hat in seinem Kommentar zum Posting vom 18. September über »Konvergenz als Ende der Geschichte« darauf aufmerksam gemacht, dass auf Sozblog der (deutsche) Soziologe Volker H. Schmidt aus Singapur gerade eine Beitragsserie zum Modernisierungsthema schreibt. Die war mir bisher entgangen, und da ich verreist war, habe ich Schmidts Beiträge erst heute gelesen. Sie sind lesenswert und wichtig, denn sie bieten eine Fortschreibung der Modernisierungstheorie, die deutlich über das hinausgeht, was etwa Wolfgang Zapf oder David E. Apter angeboten haben und die ich selbst nicht leisten kann. Ich hatte immerhin Schmidts Aufsatz über »Die ostasiatische Moderne« (Berliner Journal für Soziologie 20, 2010, 123-152) gefunden. Er hat mir sehr geholfen, als ich in den letzten Monaten mit einem Festschriftbeitrag über »Entwicklungshilfe durch Recht und die Konvergenzthese« befasst war. Ich hätte natürlich gleich auf Schmidts Webseite gehen und nach weiteren einschlägigen Arbeiten fahnden sollen. Das habe ich versäumt, bis ich heute seine Postings auf Sozblog las. Ich bin ein bißchen in Eile, weil ich mit meiner Beitragsreihe zur Modernisierung noch bis zum Soziologentag in Bochum am 1. Oktober bei der »Einfalt der Vielfalt« ankommen möchte. Deshalb in diesem Monat die schnelle Folge der Beiträge, die ich teilweise schon auf Vorrat geschrieben hatte und die WordPress zu vorbestimmten Terminen dann automatisch veröffentlicht hat. Auch der heutige Beitrag ist schon länger fertig. Ich habe ihn nicht mehr verändert, obwohl Schmidt dazu allerhand Wichtiges gesagt hat. Immerhin liege ich wohl ziemlich genau auf seiner Linie, wozu sein Aufsatz über »Die ostasiatische Moderne« entscheidend beigetragen hat.

Die Berücksichtigung der Pfadabhängigkeit führt zu einer Verfeinerung der Modernisierungstheorie, lässt deren zentrale Aussage aber unberührt. Dagegen wird das Konzept der multiplen Modernen von Shmuel N. Eisenstadt von vielen so verstanden, als rühre es an die Substanz der Modernisierungstheorie.

»Im Gegensatz zur Ansicht, moderne Gesellschaften seien der natürliche Endpunkt der bisherigen Evolution menschlicher Gesellschaft, geht diese Sicht davon aus, dass die Moderne eine im Westen entstandene Zivilisation ist, die sich zum Teil analog zu der Kristallisierung und Expansion der großen Religionen — Christentum, Islam, Buddhismus, Konfuzianismus – in der ganzen Welt ausgebreitet hat. Die zweite Annahme multipler Modernen ist, dass diese Zivilisation, mit ihrem spezifischen kulturellen Programm und seinen institutionellen Auswirkungen sich ständig verändernde kulturelle und institutionelle Muster hervorgebracht hat, die unterschiedliche Reaktionen auf die Herausforderungen und Möglichkeiten, die in den Kernmerkmalen moderner zivilisatorischer Prämissen enthalten sind, darstellen. Mit anderen Worten, die Expansion der Moderne brachte keine uniforme und homogene Zivilisation hervor, sondern, in der Tat, multiple Modernen.« (Eisenstadt 2006:37)

Eisenstadt geht zwar davon aus, dass es sozusagen einen Kern der Moderne gibt, der aber unterschiedliche Ausprägungen findet, die nicht bloß als Varianten einer zielgerichteten Entwicklung verstanden werden dürfen, sondern jeweils eigenständige Gesellschaftsformationen bilden. Die Basis der Moderne verlegt Eisenstadt in die (von Karl Jaspers so getaufte) Achsenzeit, also in die Zeit von 800 bis 200 v. Chr., in der mythische Kulturen durch abstrakt-transzendente Religionen abgelöst wurden und in der sich die vier großen Kulturkreise gebildet haben, die bis heute die Welt prägen, die griechisch-römische Antike, das Judentum, der Buddhismus und der Konfuzianismus. Eisenstadt dehnt die Achsenzeit noch auf die Entstehung des Islam aus und bedenkt die japanische als eine Kultur ohne ausgeprägte transzendente Konzeption. Das führt zu einer Betonung der Nachwirkung dieser Kulturkreise auch für den Modernisierungsprozess.

Mit diesem Modell hat Eisenstadt viel Zustimmung erfahren. Das Problem liegt darin, dass das, was Eisenstadt selbst als »Kern der Moderne« bezeichnet, verschwommen bleibt.

Stichworte aus Eisenstadt 2006:»Anerkennung der Möglichkeit …, zwischen mannigfaltigen, über festgelegte und askriptive hinausgehende Rollen« zu wählen und »Teil umfassender translokaler, womöglich auch sich wandelnder Gemeinschaften zu sein« (S. 38f.); Reflexivität und Autonomie. Größeren Wert legt Eisenstadt auf die mit der Moderne verbundenen »Spannungen« (Suche nach Wiederherstellung von Gewissheit, Spannung zwischen »Kontrolle und Autonomie, oder Disziplin und Freiheit« (S. 39), Zweckrationalität und Wertrationalität (S. 40), zwischen »absolutierenden« und pluralistischen Tendenzen (S. 40).»Verlust der Grundlagen aller Gewissheit und die Suche nach ihrer Wiederherstellung« (S. 39), »zentrale Rolle des Politischen« (S. 42), »Nationalstaaten und revolutionäre Staaten als charismatische Träger des Leitbildes der Modernität« (S. 51), »Anerkennung der Möglichkeit …, zwischen mannigfaltigen, über festgelegte und askriptive hinausgehende Rollen« zu wählen und »Teil umfassender translokaler, womöglich auch sich wandelnder Gemeinschaften zu sein« (S. 38f.)

Mit Blick auf die Globalisierung charakterisiert Eisenstadt die »klassische Epoche der Moderne« auf eine Art, dass man ihn für einen Anhänger der Modernisierungstheorie halten könnte:

»… vier unterschiedliche Prozesse: erstens, weitreichende, mit der Entwicklung neuer Technologien und der Herausbildung neuer Muster der politischen Ökonomie eng verbundene strukturelle Transformationen hin zur Wissens- und Informationsgesellschaft … ; zweitens, gleichzeitige umfangreiche Veränderungen der allgemeinen sozialen Strukturen sowie der Klassen- und Statusbeziehungen; drittens, kontinuierliche Demokratisierungstendenzen auf der gesamten Welt …; viertens, ein umfassender ideologischer und kultureller Wandel.« (S. 46.)

Was Eisenstadt als »Kern der Moderne« bezeichnet lässt sich nicht empirisch festmachen, ebenso wenig wird die Qualität der Varianten deutlich formuliert. Deshalb fällt es leicht, überall Variation, Differenz oder gar Divergenz zu finden. Eisenstadts Paradebeispiel für eine eigenständige Variation der Modernität ist das moderne Japan.[1] Wenn man sich auf operationalisierbare Parameter festlegt, mit denen Modernisierung gemessen wird[2], so entspricht die Entwicklung Japans, und auch die der asiatischen Tigerstaaten, sehr genau den Prognosen der Modernisierungstheorie. Das hat kürzlich Volker H. Schmidt vorgerechnet.[3]

Wenig überzeugend ist auch die Auszeichnung fundamentalistischer Bewegungen als Variante der Moderne, weil sie insofern modern sind, als sie antimoderne Ideen verkünden.[4] Eisenstadt betont, dass sie »die Grundthematik der Moderne« nicht verlassen. Er bescheinigt ihnen, sie seien »zutiefst reflexiv«  und »sich dessen bewusst, dass es keine definitiven Antwort auf die Spannungen der Moderne gibt, selbst wenn jede auf ihre Art eindeutige, unbestreitbare Antworten auf die unlösbaren Dilemmas der Moderne anzubieten versucht.« (2006:59) So zeigen sich im Prozess der Globalisierung für Eisenstadt vielfältige Reaktionen auf die »Grundantinomien des modernen Programms«. Ich werde sie gleich noch als Rückkopplungsschleifen einordnen. Der andauernden Schubkraft dieses Programms tun sie keinen Abbruch.

Eisenstadt stellt auch die Interdependenzbehauptung der Modernisierungstheorie in Frage, denn »in allen oder fast allen Gesellschaften zeigen die verschiedenen institutionellen Sphären – Wirtschaft, Politik, Familie – stets relativ voneinander unabhängige Merkmale«.[5] Richtig ist sicher, dass die Institutionen eines jeden Landes – außer den genannten auch Recht und Religion, Bildungssektor und Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem und soziale Sicherung – nicht nur in ihrer je einzelnen Ausprägung, zu spezifischen Paketen »verschnürt« sind, die dem Lauf der Modernisierung jeweils Tempo und Richtung vorgeben.[6] Doch eben darin besteht die Pfadabhängigkeit der Entwicklung. Das Interdependenztheorem behauptet nicht mehr, als dass alle Institutionen der Gesellschaft vom Modernisierungsprozess affiziert werden. Es behauptet keinen Gleichschritt und keine Homogenisierung. Eisenstadts Vielfaltsthese ist letztlich nur eine emphatische Ausarbeitung des Theorems von der Pfadabhängigkeit der Entwicklung.

Die große Zustimmung, die Eisenstadt gefunden hat[7], dürfte darauf beruhen, dass er die Modernisierung aus der Verklammerung mit einer amerikanischen Leitkultur befreit, ohne einen global wirksamen Modernisierungstrend in Abrede zu stellen. Damit hat er mehr zur Stützung der Modernisierungstheorie beigetragen, als zu ihrer Überwindung.

Literatur: Shmuel N. Eisenstadt, Comparative Civilizations and Multiple Modernities, Leiden 2003 (Aufsatzsammlung, darin »Multiple Modernities in an Age of Globalization« von 1999 sowie »Multiple Modernities« von 2000); ders., Multiple Modernen im Zeitalter der Globalisierung, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 37-61; ders., Die Vielfalt der Moderne, 3. Aufl., 2011; Volker H. Schmidt, Die ostasiatische Moderne – eine Moderne ›eigener‹ Art?, Berliner Journal für Soziologie 20, 2010, 123-152; Thomas Schwinn, Multiple Modernities: Konkurrierende Thesen und offene Fragen, Zeitschrift für Soziologie 38, 2009, 454-476.



[1] Die Vielfalt der Moderne, 3. Aufl., 2011, Kap. 3, S. 110ff.

[2] Als solche werden genannt und in verschiedenen Reports gemessen: Bruttosozialprodukt je Einwohner, relativer Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, Urbanisierung, Anstieg der Lebenserwartung, höhere Bildungsbeteiligung, höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, Abnahme der Kinderzahl und Verkleinerung der Familie, Freiheitlichkeit, Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, Effektivität des Regierungshandelns und Korruptionskontrolle, Infrastruktur und Innovationsfähigkeit.

[3] Volker H. Schmidt, Die ostasiatische Moderne – eine Moderne ›eigener‹ Art?, Berliner Journal für Soziologie 20, 2010, 123-152.

[4] Die Vielfalt der Moderne, 3. Aufl., 2011, Kap. 4, S. 174ff.

[5] Die Vielfalt der Moderne, 3. Aufl., 2011, S. 11.

[6] Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 , 2006, 201-232, S. 207.

[7] Zur Kritik etwa Johannes Berger, Die Einheit der Moderne, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 201-225.


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Kritik der Konvergenzthese II: Pfadabhängigkeit der Modernisierung

Das Konzept der Pfadabhängigkeit wendet sich nicht direkt gegen die Modernisierungstheorie, leistet aber eine gerne akzeptierte Differenzierung. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen die Konvergenz gesellschaftlichen Wandels. Sie bewirkt, dass Wirtschaftsverfassung und Demokratie, Rechts- und Sozialstaat, Familie und Kultur je nach den historischen und situativen Gegebenheiten unterschiedlichen »Pfaden« folgen und sich variantenreich entwickeln können.

Das Konzept der Pfadabängigkeit kommt aus der Wirtschaftswissenschaft, wo aufgefallenen war, dass sich von mehreren Alternativen nicht immer die effizientesten durchsetzen. Der Gedanke wurde populär, nachdem Paul A. David ihn dazu nutzte, um am Beispiel der Qwerty-Tastatur zu zeigen, warum eine Technologie auch dann noch langfristig überleben kann, wenn der für ihre Entwicklung verantwortliche Grund längst weggefallen ist, so dass sich eigentlich unter Effizienzgesichtspunkten eine verfügbare bessere Technologie durchsetzen müsste. Später machte Douglass North (1990) Pfadabhängigkeiten zur Grundlage für eine Theorie des institutionellen Wandels.

Grob gesprochen geht es bei der Pfadabhängigkeit darum, dass historisch gegebene Situationsbedingungen Einfluss darauf haben, wie sich aus einem neuen Impuls etwas entwickelt, kurz gesagt: Geschichte bleibt wichtig (»history matters«). Gemeint ist nicht nur die politische Geschichte, sondern Geschichte in einem umfassenderen Sinn, so dass man sagen muss, auch »culture matters« und religion matters«. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen Wandlungsprozesse überhaupt, so dass manchmal von einem »institutional lock-in« die Rede ist. Die Übernahme des Konzepts in die Soziologie hat wohl zu einer Pfadabhängigkeit im soziologischen Denken geführt derart, dass es die gesellschaftlichen Beharrungstendenzen im Allgemeinen überschätzt (Werle S. 129). olitische Geschichte, sondern Geschichte in einem umfassenderen Sinn, so dass man sagen muss, auch »culture matters« und religion matters«. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen Wandlungsprozesse überhaupt, so dass manchmal von einem »institutional lock-in« die Rede ist. Die Übernahme des Konzepts in die Soziologie hat wohl zu einer Pfadabhängigkeit im soziologischen Denken geführt derart, dass es die gesellschaftlichen Beharrungstendenzen im Allgemeinen überschätzt (Werle S. 129).

Literatur: Jürgen Beyer, Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit, 34, 2005, 5–21; Paul A. David, Clio and the Economics of QWERTY, The American Economic Review 75, 1985, 332-337; Raymund Werle, Pfadabhängigkeit, in: Arthur Benz u. a. (Hg.), Handbuch Governance, Wiesbaden 2007, 119-131.

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Kritik der Konvergenzthese I: Weltgesellschaftstheorien

Die (alte) Modernisierungstheorie gilt manchen Soziologen nur noch als historisch relevantes Phänomen.[1] Sie wurde beiseitegeschoben nicht eigentlich aus theoretischen Gründen, sondern weil sie als Weltdeutung verstanden wurde, die für Intellektuelle im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nicht akzeptabel war.[2] Beerbt wurde sie von Differenzierungstheorien und von Weltgesellschaftstheorien.[3]

Luhmann hat die Modernisierungstheorie abstrakter in die These verpackt, dass die funktionale Differenzierung der Gesellschaft sich über alle Ländergrenzen hinweg durchsetzen und schließlich zu einer Weltgesellschaft führen werde. Für unterschiedliche Gesellschaftszustände, die als Binnendifferenzierung der Systeme erscheinen, bleibt viel Platz. Zusätzliche Parameter, mit deren Hilfe die Modernisierung als Konvergenz gemessen werden könnte, lassen sich ihnen aber nicht entnehmen. Das gilt auch für die Theorien der reflexiven Moderne. Sie bilden insofern keine Konkurrenz zur Theorie der weitergehenden Modernisierung.

Eine handfeste Gegenthese zur Konvergenzthese folgt aus der Weltsystemtheorie von Wallerstein.[4] Danach verursacht der Modernisierungsprozess eine wachsende Divergenz nicht nur in ökonomischer, sondern auch in kultureller Hinsicht; die Kräfte des Weltmarktes wiesen den drei von dieser Theorie postulierten Weltregionen – Zentrum, Semiperipherie und Peripherie – unterschiedliche wirtschaftliche Rollen zu, denen wiederum besondere politische und kulturelle Strukturen entsprächen. Doch auch diese Theorie ist als Gegenposition zur Modernisierungstheorie nicht wirklich weiterführend. Was als Divergenz zwischen Zentrum und Peripherie herausgestellt wird, sind aus der Sicht – die damit dem Anliegen Wallersteins natürlich nicht gerecht wird – der Modernisierungstheorie nur unterschiedliche Grade der Modernisierung.



[1] Wolfgang Knöbl, Die Kontingenz der Moderne, Wege in Europa, Asien und Amerika, 2007, S. 23 ff. Andere erheben sich auf eine Metaebene, indem sie von »soziologischen Modernitätsnarrativen« sprechen, oder verweigern die Diskussion

[2] Jeffrey C. Alexander, Modern, Anti, Post, and Neo: How Social Theories have Tried to Understand the “New World” of “Our Time”, Zeitschrift für Soziologie 23, 1994, 165-197.

[3] Knöbl, S. 28 ff.

[4] Immanuel Wallerstein, The Capitalist World-Economy, Cambridge, Mass. 1979; ders., Kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16. Jahrhundert, 1986; ders., Culture as the Ideological Battleground, in: Mike Featherstone (Hg.), Global Culture, Nationalism, Globalization, and Modernity, London, Newbury Park 1990, 31-55.

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Konvergenz als »Ende der Geschichte«

Den wackeligen Gipfel der Konvergenztheorie bildet die These vom Ende der Geschichte.

Schon 1974 hatte Arnold Gehlen in einem Aufsatz über das »Ende der Geschichte« geschrieben: »Der alte, überspannte, großherzige Utopismus mit seiner Opferbereitschaft für nichtprofitable Zwecke verschwindet«. Damit schicke sich die Großgeschichte an abzuziehen. Der Mensch werde sich damit abfinden, dass er seine Grundsituation festgelegt vorfinde. Diese Beschränkung werde ihm durch die »Gratifikation des Dogmatismus« entgolten, die er genießen könne, wenn die meisten Probleme vorentschieden und die Handlungsziele definiert seien. Doch nach dem Ende der Geschichte und des Fortschritts gelte es, »die Wirklichkeit der offensichtlich empörenden Not anzugreifen – das wäre Fortschritt«.

1989 erregte Francis Fukuyama, ein Beamter im amerikanischen Außenministerium, großes Aufsehen mit der These, die Geschichte nähere sich ihrem Ende, wir seien Zeugen nicht bloß der Reformpolitik eines Michail Gorbatschow, des Endes des Kalten Krieges oder einer besonderen Epoche der Nachkriegsgeschichte, wir erlebten vielmehr das Ende der Geschichte schlechthin, denn die Evolution der politischen Ideologien habe mit weltweiter Ausbreitung der liberalen Demokratie westlichen Musters ihr Endstadium erreicht. Dagegen stand und steht die Auffassung, dass sich insbesondere die Staaten Ostasiens aufgrund ihrer einzigartigen kulturellen Traditionen für eine Demokratie westlichen Musters auf Dauer als unzugänglich erweisen würden. Auch wenn diese Staaten sich die technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften des Westens zum Vorbild genommen und zu ihrer Durchsetzung viele der institutionellen Arrangements kopiert hätten, so füllten sie diese Institutionen doch mit anderem Inhalt. An die Stelle der liberalen Demokratie des Westens trete eine »asiatische Demokratie«, als deren Kennzeichen der Vorrang personenbezogener Loyalitäten vor Institutionen und Gesetzen, der Respekt vor Autorität und Hierarchien, von einer übermächtigen, konservativen Partei dominierte Parteiensysteme und ein starker, in wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe intervenierende Staat genannt werden.[1] Andere halten jedoch die Berufung auf »asiatische Werte« für einen »Versuch des konservativen und autoritären politischen Establishments …, durch einen konservativen Wertediskurs die Kontrolle über Gesellschaft und Politik zurück zu gewinnen«[2]. Ähnliche Argumente liegen für die Ausbreitung der Demokratie in der Islamischen Welt nahe. Über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks, nach islamischen Aufbruch und Arabellion ergibt sich immer noch kein einheitliches Bild.

Aus der Sicht der Modernisierungstheorie bedeutet Konvergenz nicht das Verschwinden von Konflikten und damit das Ende der Geschichte, denn Modernisierung ist ein Prozess, der vielleicht alte Probleme überwindet, aber dafür neue aufwirft und damit auch neue Konfliktfronten aufreißt. Die Geschichte ist noch immer für Überraschungen gut. Wirtschaftskrisen, Terrorismus und technischer Wandel, Klimaveränderungen und Kriege bringen den geordneten Verlauf der Dinge immer wieder durcheinander.

Nichtsdestoweniger ist die Geschichte in einem anderen Sinn zu einem Ende gekommen. Bis in das 20 Jahrhundert konnten wir erwarten, tatsächlich noch etwas Neues zu entdecken, eine neue Kultur, eine neue Gesellschaft oder gar eine neue, bislang unbekannte Rechtskultur. Globalisierung heißt insofern, dass nichts mehr zu entdecken bleibt. Auf der Karte der Gesellschaften finden sich keine weißen Flecken mehr. Der Globus ist zur geschlossenen Gesellschaft geworden. Allenfalls könnten wir unsere Phantasie anspannen, um uns außerirdische Gesellschaften vorzustellen, aber nur in der Rolle eines Filmproduzenten oder -betrachters, nicht als Rechtssoziologen. Die Weltgesellschaft ist die einzige Gesellschaft ohne soziale Umwelt. Das hat Folgen, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirken. Auf der einen Seite beginnen Konzepte mit universellem Anspruch wie die Idee der rule of law oder der Menschenrechte die globale Gesellschaft zu uniformieren. Auf der anderen Seite provoziert die Abwesenheit einer äußeren Umwelt die Weltgesellschaft, durch Differenzierung in neue Subsysteme ihre eigene, innere Umwelt hervorzubringen, als Ersatz oder neben der existierenden Substruktur aus Nationen.

Literatur: Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, Europäische Rundschau, 1989, Nr. 4, 3-25 (Original in: The National Interest, Summer 1989); Arnold Gehlen, Ende der Geschichte? Zur Lage des Menschen im Posthistoire, in: Oskar Schatz (Hg.): Was wird aus dem Menschen? Analysen und Warnungen prominenter Denker, 1974, 61-75 = Gehlen, Einblicke, 1975, 115-133; Friedrich H. Tenbruck, Der Traum der säkularen Ökumene. Sinn und Grenze der Entwicklungsvision, Annali di Socologia/Soziologisches Jahrbuch 3, 1987, 11-36.



[1] Clark D. Neher, Asian Style Democracy, Asian Survey (Berkeley) 34, 1994, 949-961.

[2] Thomas Meyer, Theorie der sozialen Demokratie, Wiesbaden 2005, S. 459.

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Konvergenz der Ethnien und Rassen

Über Rassen redet man in Deutschland nicht mehr gerne. Aber es ist unübersehbar, dass es unterschiedliche Rassen gibt, und die Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse ist ein großes Thema des Rechts und der Rechtssoziologie. Es ist nur daran zu erinnern, dass es in historischer Zeit Rechtsnormen gab, die eine Heirat oder auch nur den Geschlechtsverkehr zwischen Menschen unterschiedlicher Rassen untersagten. Das Verbot »rassischer Mischehen« durch die Nürnberger Gesetze von 1935 wird man nicht vergessen. In den Südstaaten der USA wurden Gesetze, die eine Verbindung zwischen Schwarz und Weiß verboten, erst 1967 endgültig aufgehoben. 2010 erhielt die Rechtshistorikerin Peggy Pascoe von der Law and Society Association den James Willard Hurst Prize in Legal History für ihr Buch »What Comes Naturally: Miscegenation Law and the Making of Race in America« (2009), in dem sie 300 Jahre Rechtsgeschichte daraufhin durchmustert, wie das Recht die Vorstellungen der Menschen darüber beeinflusst hat, was »natürlich« ist.

Es braucht keine Wissenschaft für die Vermutung, dass sich im Zuge der Globalisierung Ethnien und Rassen auch biologisch vermischen. Wieweit dieser Prozess schon vorangeschritten ist und wieweit er am Ende reichen wird, kann hier nicht erörtert werden. Als Beispiel sehe man sich die Zusammensetzung der Bevölkerung von Belize (des früheren Britsch-Honduras) an. Von den 313.000 Einwohnern (2010) sind fast die Häfte Mestizen und über 25 % Kreolen. Auch die 9 % Garifuna sind aus der Verschmelzung verschiedner Rassen entstanden.

Es fehlt handfeste Forschung zu der Frage, ob und wieweit die Globalisierung zu einer Konvergenz von Rassen und Ethnien führt. Die Fragestellung ist tabuisiert, weil mit ihr der Begriff des Schmelztiegels und damit Harmonievorstellungen assoziiert werden, von denen man befürchtet, dass sie soziale und kulturelle Heterogenität und damit verbundene Diskriminierungen auf eine biologische Ebene verdrängt.

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Modernisierung durch Recht: Konvergenz der Kulturen II

Homogenisierung und Hybridisierung

Die dritte industrielle Revolution hat nicht lediglich Produktionsmethoden und Arbeitsorganisation noch einmal grundlegend verändert, sondern vor allem das Zeitalter der Massenkommunikation eingeleitet. Verbesserte Kommunikationsmedien nähren einen Prozess der kulturellen Diffusion und Synchronisation. Die Unmenge der grenzüberschreitenden Kommunikationen verändert die Wissensbestände und führt vermutlich auch zu Einstellungsänderungen, die wiederum Konsequenzen für das Verhalten nach sich ziehen. Die Annahme liegt nahe, dass diese Entwicklung letztendlich zu einer einheitlichen Weltkultur führen wird, die nur noch durch regionale Akzente differenziert ist und vielleicht noch auf beiden Ebenen einige sektenhafte Gruppierungen duldet. Diese Annahme findet einen Ausdruck in den viel zitierten Schlagworten »Cocacolization« (Zdravko Mlinar, 1992[1]), »McDonaldisierung« (George Ritzer1993) oder »McWorld« (Benjamin Barber, 1995[2]), die für sich genommen darauf hindeuten, die Vielfalt der Kulturen könne zu einem großen Einheitsbrei mit westlichem Aroma zusammenschmelzen. In der Sammlung fehlt eigentlich nur noch »McLaw«. Aber das hat sicher auch schon jemand gesagt oder gedacht.

George Ritzer hat in seinem Bestseller eine bestimmte Form der Betriebsorganisation, wie sie beispielhaft und erfolgreich von McDonalds vorgemacht wurde, zum Rationalitätsmuster der Globalisierung verallgemeinert. Ritzer analysiert die Komponenten die dazugehörige Strategie als geprägt durch Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Ritzer geht es eigentlich nur um die Ausbreitung der Managementmethoden, auf die der Erfolg der großen Fastfood-Kette zurückgeführt wird. Aber sein Buchtitel ist zur Metapher für eine vielfach beklagte Homogenesierung der Weltkultur geworden, wie sie kein Modernisierungstheoretiker postuliert (zu den Gegenpositionen später).

Differenzierter ist die von Pieterse ausgearbeitete Theorie der Globalisierung als eines Hybridisierungsprozesses, der schon im Altertum begonnen hat und der nicht nur die Kultur erfasst, sondern sich auf vielen Ebenen ereignet. Enger auf Sprache und Kultur bezogen ist das Konzept der Kreolisierung von Hannerz. Man weist gerne darauf hin, wie die Wirtschaft an der Verbraucherfront nach dem Motto »think globally – act locally« handelt. In diesem Sinne gehört es zur globalen Strategie der großen Fastfood-Ketten, ihr Angebot und dessen Dekoration an den ortsüblichen Geschmack anzupassen, die damit keines der Attribute der Modernität verlieren.[3] Aber Hybridisierung beschränkt sich nicht darauf, der Moderne zu einem Lokalkolorit zu verhelfen. Ihr Ergebnis ist nicht bloße Homogenisierung, sondern eine »Melange« (Pieterse), die von Ort zu Ort unterschiedlich ausfällt die von Ort zu Ort unterschiedlich ausfallen und durchaus Neuigkeitswert haben kann. Allerdings meint Pieterse, dass man aus weltgeschichtlicher Perspektive doch »von einer sich durchsetzenden Ähnlichkeit« sprechen könne: »Die Rückseite der kulturellen Hybridbildung ist die kulturübergreifende Konvergenz.« (Pieterse 1998:113f.).

Dass die großen Kulturkreise – und auch die kleinen kulturellen Traditionen – dem Modernisierungsprozess jeweils eine besondere Färbung verleihen, lässt sich zwanglos aus der Pfadabhängigkeit erklären und ändert am Ergebnis wenig. In diesem Sinne tragen das moderne Rechtssystem in Japan oder die in Europa wachsende neue Rechtsordnung ihren je eigenen Charakter.

Nicht alle Elemente der Moderne sind gleichermaßen variationsfähig. Die Wissenschaft als Kern der Rationalisierung verträgt nur oberflächliche Variationen. Postmoderne Varianten, die glauben, den rationalen Kern geknackt zu haben, sind damit aus der Wissenschaft in das Feuilleton abgewandert. Der Soziologe Thomas Schwinn meint, dass auch ethisch-normative Werte nicht in gleichem Maße hybridisierbar seien wie die alltagsästhetische Oberflächenkultur. Auch wenn sie sich nicht vernunftmäßig begründen ließen, so sei die Rationalisierungsfähigkeit von Normen doch stärker als bei ästhetischen Urteilen. »Das lässt sich ablesen an der internationalen rechtlichen Kodifizierung von Menschenrechts- und ökologischen Standards, die sich je einer spezifischen Kreolisierung entziehen.«[4] Einem Juristen würde man das so schnell nicht abnehmen. Aber Schwinn kann doch darauf verweisen, dass die Menschenrechte tatsächlich jedenfalls auf der Ebene von Weltgesellschaft und Weltkultur als universelle institutionalisiert sind.

Die Modernisierung lässt reichlich Raum für Vielfalt. Das bedeutet aber nicht, dass alle Vielfalt erhalten bleibt. Man darf sich die Hybridisierung nicht konfliktfrei und vor allem nicht verlustfrei vorstellen (Tenbruck). Es drohen auch Assimilation oder Untergang, etwa für wenig verbreitete Sprachen«[5] (und sicher auch für traditionelle Rechte).

Literatur: Jan Nederveen Pieterse, Globalization als Hybridization, in: Mike Featherstone u. a. (Hg.), Global Modernities, London 1995, S. 45-68; ders., Der Melange-Effekt. Globalisierung im Plural, in: Ulrich Beck (Hg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, 1998, S. 87-124; ders., Globalization and Culture. Global Mélange, 2. Aufl., Lanham, Md. 2009; Ulf Hannerz, The World in Creolization, Africa 57, 1987, 546-559; ders., Transnational Connections: Culture, People, Places, London 1996; George Ritzer, Die McDonaldisierung der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997 [The McDonaldization of Society, 1993]; Pnina Werbner/Tariq Modood, Debating Cultural Hybridity, London, Atlantic Highlands, N.J., USA 1997.



[1] Individuation and Globalization: The Transformation of Territorial Social Organization, in: ders. (Hg.), Globalization and Territorial Identities, Aldershot: Avebury, 15-34.

[2] Jihad vs. McWorld. How Globalism and Tribalism are Reshaping The World. New York: Ballantine Books, 1995.

[3] Vgl. dazu Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 , 2006, 201-232, S. 210ff.

[4] Ebd. S. 221.

[5] Hier könnte der Eintrag vom 17. September 2010 über Die Hegemonie der westlichen Sozialwissenschaft und der englischen Sprache anschließen.

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Modernisierung durch Recht: Konvergenz der Kulturen I

Inglehart und der World Value Survey

Mit der Modernisierung geht ein Wertewandel einher. Ronald Inglehart hat mit dem World Value Survey in Instrument zur global vergleichenden Messung kultureller Einstellungen entwickelt, das davon ausgeht, dass der Prozess der sozialen und ökonomischen Entwicklung, die als Modernisierung geläufig ist, zu einer kulturellen Konvergenz führt. Dazu ordnet er alle Länder in einer Vierfeldertafel, die auf der Hochachse unten traditionelle Werte und oben säkular-rationale Werte anzeigt, während auf der horizontalen Achse links Überlebenswerte (survival values) und rechts Selbstenfaltungsungswerte (self-expression-values notiert werden. Die Hochachse markiert den Übergang von der traditionellen zur modernen Gesellschaft, die Längsachse soll dem Übergang von der Industriegesellschaft zur postmodernen Gesellschaft Rechnung tragen, der durch die Verlagerung des Wertehorizonts von materialistischen zu postmaterialistischen Werten gekennzeichnet sei. Seit 1981 wurden für den World Value Survey bisher fünf Befragungswellen abgeschlossen.

Ronald Inglehart/Christian Welzel, Changing Mass Priorities: The Link Between Modernization and Democracy.  Perspectives on Politics 8, 2010, 554-56.

Pippa Norris und Ronald Inglehart sind in ihrem Buch »Cosmopolitan Communications. Cultural Diversity in a Globalized World« (das im Volltext im Internet zur Verfügung steht), der These nachgegangen, dass die Globalisierung der Massenkommunikation letztlich zur kulturellen Konvergenz führen werde. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass noch in vielen Regionen Gesellschaften verbleiben, die nicht über den vollen Zugang zu den Medien verfügen, und dass es auch auf individueller Ebene Barrieren gibt, aus den Medien neue Werte und Verhaltensweisen zu lernen. Die Bedrohung der kulturellen Diversität durch die Massenmedien werde daher oft übertrieben. Aber das würde bedeuten, dass auf lange Sicht eben doch eine weitere Konvergenz zu erwarten wäre.

Nachtrag vom 21. Mai 2024: Eine neue Studie des World Value Survey trägt den Titel Worldwide Divergence of Values. Zur Einordnung vgl. die Darstellung auf SMC Science Media Center.

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Modernisierung durch Recht: Konvergenz zum Weltstaat?

Die universalen Imperative moderner Ideen und Institutionen, so meint Cyril E. Black[1], könnten in einem Zustand enden, in dem die verschiedenen Gesellschaften so homogen würden, dass sie am Ende einen Weltstaat formen. Martin Albrow (Abschied vom Nationalstaat: Staat und Gesellschaft im globalen Zeitalter, 1998[2]) geht sehr viel weiter mit der Behauptung, der Weltstaat sei schon da. Dazu verabschiedet er allerdings die Modernisierungstheorie mit der These, die Moderne habe ihr Ende erreicht und mit der globalen Gesellschaft sei etwas völlig Neues entstanden, weil alle Möglichkeiten einer Expansion erschöpft seien. Für ein Inhaltsreferat seines Buches kann auf Wikipedia verwiesen werden, für die notwendige Kritik auf die Rezension[3] von von Rolf Wiggershaus »Blinder Optimismus«vom 10. 6. 1998.



[1] Cyril E. Black, The Dynamics of Modernization, A Study in Comparative History, New York [u.a.] 1966, S. 174.

[2] Martin Albrow, The Global Age: State and Society beyond Modernity, Stanford University Press, 1997.

[3] Eine Rezension von Saskia Sassen im American Journal of Sociology, 103 (1998) 1412-1414 ist eher unergiebig.

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