Modernisierung durch Recht: Schwerpunkte der Modernisierungstheorie

Alle soziologische Großtheorie befasst sich letztlich mit der Modernisierung oder der Kritik der Modernisierung. Ich lege hier die Fortschreibung der struktur-funktional orientierten Modernisierungstheorie zugrunde. Sie nimmt ihren Ausgang bei den Klassikern, die den Durchbruch der Modernisierung zum Thema machten. Zu erklären war der Umbruch, der durch die Industrialisierung in England und durch die Französische Revolution ausgelöst wurde. Von den Klassikern wurde Modernisierung negativ bestimmt als Ablösung der traditionalen oder organischen Gesellschaft durch etwas Neues. Neu waren Bewusstsein und Realität größerer Kontrolle des Menschen über seine natürliche und soziale Umgebung mit der Folge, dass Zweckrationalität zur dominierenden Einstellung wurde. Getrieben wurde die Modernisierung durch Wirtschaft, Wissenschaft und Technik.
Der Durchbruch der Moderne war nicht das Ergebnis einer Reform, sondern der ungeplante Prozess der Generierung neuen Wissens, seiner Ausbreitung und Anwendung. Es bleibt keine Wahl, als diesen Prozess als einen solchen der Evolution zu verstehen. Rationalität als Wissensbasis der Moderne bedeutet Fremdbeobachtung, Selbstbeobachtung und Kontingenzbewusstsein, kurz, sie bedeutet Reflexivität mit der Folge permanenter Reformanstrengungen und Widerstandsaktivitäten. Doch auch solches Akteurhandeln lässt sich von außen als evolutionär oder, bescheidener, als eigendynamisch oder funktional veranlasstes Geschehen auffassen. Das ist das Thema der »klassischen« Modernisierungstheorie, von der gleich die Rede sein wird.
Der Durchbruch der Modernisierung löste dort, wo er sich ereignete, einen Prozess des permanenten sozialen Wandels aus. »Was heute modern ist, ist morgen schon veraltet.« [1]Johannes Berger, Die Einheit der Moderne, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 201-225, S. 201. Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung verlagerte sich im 20. Jahrhundert von der Industrie auf Dienstleistungen und auf Informationen. Der Übergang zur nachindustriellen Gesellschaft (Daniel Bell) bildet die eigendynamische Fortsetzung der Modernisierung. Das gleiche gilt für die weltweite Intensivierung aller Wirtschafts- und Kommunikationsbeziehungen, die als Globalisierung geläufig ist. Die Modernisierung hat parallel auch das politische System und mit ihm das Recht erfasst. Während die Industrialisierungsphase mit Rationalisierung, Bürokratisierung und Säkularisierung und einer relativ ungebrochenen Autoritätsgläubigkeit einherging, wuchsen in der postindustriellen Gesellschaft das Verlangen nach persönlicher und politischer Selbstbestimmung und die Wertschätzung von Kreativität.
Im letzten Drittel des 20. Jahrhundert haben sich die dysfunktionalen Effekte der Modernisierung immer stärker bemerkbar gemacht. Auf der materiellen Ebene ist es der gewaltige Umweltverbrauch, der dem Wachstum Grenzen zu ziehen scheint. Auf der menschlichen Ebene bewirkt die Modernisierung den Verlust der traditionellen persönlichen Beziehungen und der damit verbundenen sozialen Absicherung. Die Reaktion auf diese nicht intendierten Nebenfolgen ist entweder Widerstand oder eine Selbstkorrektur der Modernisierung unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Der Widerstand gegen die Modernisierung hat sich an vielen Stellen formiert, als Widerstand gegen Umweltzerstörung oder gegen kulturelle Einebnung und als Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Er artikuliert sich in wissenschaftlichen Analysen und philosophischen Reflexionen, in gesellschaftlicher Selbstorganisation und in politischen Aktionen. Die Dysfunktionalität der Modernisierung und der Widerstand sind das Thema neuer Modernisierungstheorien, etwa der von Anthony Giddens und Ulrich Beck. [2]Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986; ders., Macht und Gegenmacht im globalisierten Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, 2002; Ulrich Beck/ /Wolfgang Bonß … Continue reading Radikaler noch ist These, nach der die Moderne abgeschlossen und durch eine Postmoderne ersetzt worden sei, welche zentrale Merkmale der Moderne wie Rationalität und Fortschritt irreversibel zerlegt habe. Aber die Modernisierung lässt sich anscheinend nicht aufhalten, sondern wird durch Widerstand allenfalls zur Nachbesserung veranlasst. Damit befasst sich die Fortschreibung der Modernisierungstheorie, etwa durch Wolfgang Zapf als Theorie der weitergehenden Modernisierung. [3]Wolfgang Zapf, Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation. Soziologische Aufsätze 1987-1994, 1994, S. 184, ferner ders., Die Modernisierungstheorie und unterschiedliche Pfade der … Continue reading
Alle Modernisierung führt nur wieder zu weiterer Modernisierung. [4]Friedrich H. Tenbruck, Der Traum der säkularen Ökumene. Sinn und Grenze der Entwicklungsvision, Annali di Sociologia/Soziologisches Jahrbuch 3, 1987, 11-36, S. 28. Als evolutionärer Vorgang hat sie kein Ziel. Sie begründet einen Prozess des permanenten sozialen Wandels. Einmal in Gang gesetzt, ist die Modernisierung zum Selbstgänger geworden. Sie produziert laufend Innovationen, die sich zwanglos verbreiten und den Wandel antreiben. Ein Ende ist nicht abzusehen. Anders sieht es die Fortschrittsidee, die die Modernisierung seit der französischen Revolution beflügelt hat. Mit ihr wird die Evolution zum Evolutionismus, vom historischen Vorgang zum gesollten Programm. Am Ende steht die Eine Welt, in der alle großen Unterschiede und Spannungen beseitigt sind und mit ihnen die Gründe für Krieg und Ausbeutung.
Die Modernisierungstheorie war und ist heftiger, teilweise polemischer Kritik ausgesetzt. Ihr wurde vorgehalten, sie sei als Instrument des Kalten Krieges zur ideologischen Unterfütterung der Position des Westens entstanden. Ihr wird vorgeworfen, die Vorstellung von einer besseren Gesellschaft europäisch-amerikanischen Musters zum Ziel der Entwicklung zu erheben; im Gewand des Neoliberalismus setze sie nur den Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts fort. Als Begleiterscheinungen des wirtschaftlichen Imperialismus werden dann auch Rechtsimperialismus und Kulturimperialismus kritisiert. [5]Repräsentativ für solche Kritik ist Ugo Mattei/Laura Nader, Plunder. When the Rule of Law is Illegal, Malden MA 2008. Dazu meine ausführliche Besprechung auf Rsozblog: Über das Buch »Plunder« … Continue reading
Fraglos wurde und wird die Modernisierungstheorie normativ aufgeladen. Aber zunächst enthält sie die empirische Aussage, dass die Globalisierung als Angleichungsprozess beschrieben werden kann. Die normative und die empirische Behandlung des Modernisierungsthemas sind unlösbar miteinander verschränkt, und dennoch darf eine soziologische Betrachtung, den Versuch unternehmen, die faktische Seite wertfrei zu analysieren.
[Fortsetzung ist beabsichtigt.]

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Johannes Berger, Die Einheit der Moderne, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 201-225, S. 201.
2 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986; ders., Macht und Gegenmacht im globalisierten Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, 2002; Ulrich Beck/ /Wolfgang Bonß (Hg.), Die Modernisierung der Moderne, 2001; Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, 1995; Ulrich Beck/Anthony Giddens/Scott Lash, Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse, 1996.
3 Wolfgang Zapf, Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation. Soziologische Aufsätze 1987-1994, 1994, S. 184, ferner ders., Die Modernisierungstheorie und unterschiedliche Pfade der Entwicklung, Leviathan 24, 1996, 63-77, S. 67; Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 227-235.
4 Friedrich H. Tenbruck, Der Traum der säkularen Ökumene. Sinn und Grenze der Entwicklungsvision, Annali di Sociologia/Soziologisches Jahrbuch 3, 1987, 11-36, S. 28.
5 Repräsentativ für solche Kritik ist Ugo Mattei/Laura Nader, Plunder. When the Rule of Law is Illegal, Malden MA 2008. Dazu meine ausführliche Besprechung auf Rsozblog: Über das Buch »Plunder« von Mattei und Nader.

Ähnliche Themen

Die Governance-Perspektive führt zur Verharmlosung von Gewalt

Die Praxis der politischen Herrschaft, die in vielen Entwicklungsländern zu beobachten ist, wird als neopatrimonial eingeordnet. Darunter versteht man die Aushöhlung formal-rationaler Herrschaft durch informale Herrschaft, die nicht über tradierte Normen, sondern über Personen und Netzwerke vermittelt wird. [1]Eine Bibliographie zum Thema und gehaltvolle Links bietet die Projektseite »Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« des Leibniz-Instituts für Globale … Continue reading Politische Ämter verschaffen den Zugang zu staatlichen Ressourcen und zu den umfangreichen Mitteln, die als Entwicklungshilfe ins Land kommen. Sie geben Gelegenheit zur Einkommensgenerierung durch Korruption bis hin zur »Besteuerung« krimineller Netzwerke, insbesondere des Transithandels mit Drogen. Eine partikularistische Verwendung staatlicher Ressourcen und die Pflege eines Netzwerks durch direkten oder indirekten Austausch führt zu einer Machtkonzentration in den Händen der so genannten Big Men [2]Begriff von Marshall D. Sahlins, Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia, Comparative Studies in Society and History 5, 1963, 285-303..
In Afrika hat die »Bigmanity« bisher regelmäßig auch eine Gewaltkomponente. [3]Vgl. dazu die Sammelbände von Jean Comaroff/John Lionel Comaroff (Hg.), Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict … Continue reading Traditionale Gesellschaften lösen das Problem der Kontrolle von Gewalt durch Einkommensgenerierung (rent-creation). Hier kontrolliert und nutzt das politische System die Wirtschaft als Einkommensquelle. Wer selbst über ein Gewaltpotential verfügt und dadurch Gewalt unter Kontrolle halten kann, kann sich vorhandene Einkommensquellen sichern, muss allerdings davon so viel verteilen, dass keine Gewalt ausbricht. Die Gesellschaften sind insofern geschlossen, als die Möglichkeiten, sich neu zu organisieren und in wirtschaftlichen Wettbewerb zu treten, begrenzt sind. Damit ist eine wirtschaftliche Expansion ausgeschlossen. Moderne Gesellschaften haben spezifische Institutionen zur Kontrolle von Gewalt. Die Gewaltkontrolle ist nicht an bestimmte Personen gebunden und als Kehrseite entfallen privilegierte Einkommensquellen und daraus entsteht wirtschaftlicher Wettbewerb mit der Folge wirtschaftlichen Wachstums. Das ist in Kürze die institutionenökonomische Erklärung für die Blockade des wirtschaftlichen Wachstums in vielen Entwicklungsländern. [4]Douglass C. North/John Joseph Wallis/Barry R. Weingast, A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Barry R. Weingast, Why Developing Countries Prove so Resistant to the Rule of … Continue reading Staatenbildung als solche genügt daher nicht, um die Modernisierung voranzubringen, solange der Staat nicht verhindern kann, dass Gewalt zur Einkommensgenerierung dient.
Als potentiell gewalttätig galten die akephalen Stammesgesellschaften Afrikas. Potentiell gewalttätig war es auch immer an den vielen Stammes- und Sprachgrenzen. Über die Jahrhunderte hatte sich ein ausbalanciertes System von Kooperation, aber auch von Wettbewerb um Ressourcen ausgebildet, das zwar Gewalt nicht ausschloss, aber insgesamt gesehen doch stabil war. Dieser Gleichgewichtszustand geriet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch viele bürgerkriegsähnliche Konflikte ins Wanken, als Teile der Bevölkerung bewaffnet wurden, um andere zu vernichten. [5]Für den Sudan Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001, S. 26. Dennoch herrscht kein absolutes Chaos. Offiziell installierte Politiker nutzen ihre Rolle als Big Man. Familienclans und Stammeszugehörigkeit verhelfen zu relativem Schutz. Auch NGOs greifen immer wieder ein. Koalitionen und Netzwerke schaffen laufend veränderte Fronten, zwischen denen auch noch ein »normales« Leben möglich bleibt. Aber der Frieden ist immer fragil, eigentlich nur ein Waffenstillstand. Doch auch ohne bürgerkriegsähnliche Zustände ist politische Gewalt in Afrika fast überall noch präsent. [6]Beispiele in Diehards and Democracy: Elites, Inequality and Institutions in African Elections, Briefing Note des Africa Research Institute, London, von April 2012. Je nach Standpunkt des Beobachters wird dieser Zustand als das Ergebnis von Staatsversagen oder als ein alternativer Zustand beschrieben, wie Länder dennoch fortexistieren können. [7]Mats Utas, Introduction: Bigmanity and Network Governance in African Conflicts, in: Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012, S. 1-31, S. 4. Klute und Embaló sowie von Throta teilen den letzteren Blick. Sie meinen, es greife zu kurz, die zu beobachtenden Strukturen nur als notdürftigen Ersatz für staatliche Ordnung anzusehen. Neue und wiederbelebte traditionale Formen des Umgangs mit Macht zeigten eine bemerkenswerte Vitalität. Sie sprechen von einer parastaatlichen Heterarchie, die man sich auch als dauerhafte Alternative zu staatlicher Herrschaft vorstellen könne. Nur der sicherheitsvernarrten Nordhälfte des Globus erscheine das Fehlen institutioneller Verlässlichkeit mit Streit und Gewalt als dauernder Begleiterscheinung suspekt. [8]Georg Klute/Birgit Embaló, Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resiolution in Heterarchical Figurations, in: dies. (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in … Continue reading Hier, wie auch sonst in der Governance-Literatur, die stolz darauf ist, vielfältige Ordnungsfaktoren »in Räumen begrenzter Staatlichkeit« [9]»Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« ist der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin. Ich beziehe mich auf Tanja A. Börzel/Thomas Risse, Governance Without a State: Can … Continue reading entdeckt zu haben, wird das Gewaltproblem verharmlost. Doch damit nicht genug. Eine heterarchische Ordnung blockiert, jedenfalls nach der institutionenökonomischen Erklärung, die Modernisierung oder, wenn man Modernisierung nicht mag, die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen und der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Mindestens Klute und Embaló haben eine merkwürdige Vorstellung von dem Unterschied zwischen Heterarchie und Hierarchie, wenn sie (S. 7) schreiben:

»The assets of the heterarchy concept besome particularly evident when compared to hierarchical representations. … Wheras hierarchies canalise power and privilege to the top, heterarchies distribute privileges and decision-making variably and fluidly. While in hierarchies ranked positions, i. e. domination or subordination, are fixed, ranking in heterarchies can be reversed and hence privileges ever newly distributed. This, we believe, is what the current state of politics in Africa is about.«

Es ist mir nicht klar geworden, welche Hierarchie sie meinen. Nach dem Kontext, in dem es um Länder geht, in denen der Staat abwesend ist und daher nach »non-state legal orders and institutions« gesucht wird, müsste als Hierarchie eigentlich ein funktionierender Staat mit Gewaltmonopol gemeint sein. Diesen Staat kann man in zweierlei Hinsicht als hierarchisch beschreiben, nämlich hinsichtlich des Stufenbaus seiner Rechtsordnung und hinsichtlich der Organisation seiner Bürokratie. Aber wenn es sich um einen demokratischen Rechtsstaat handelt, kann keine Rede davon sein, dass in einem solchen Staat Macht und Privilegien auf eine Spitze hin kanalisiert und die Rangunterschiede festgeschrieben wären, sondern sie sind offen für einen gewaltfreien Wettbewerb. Vor allem aber ist Gewalt kein Mittel der Einkommensgenerierung, so dass ein wirtschaftlicher Leistungswettbewerb möglich wird. Aus der Modernisierungsperspektive bleibt das diffuse, aber permanente Gewaltpotential deshalb ein Problem, von der Perspektive der betroffenen Menschen gar nicht zu reden. Es wäre zynisch, internationale Interventionen, die die Reduzierung der Gewalt zum Ziel haben, für überflüssig zu halten. Die Institutionen, die die nachholende Modernisierung betreiben, haben dieses Ziel nicht aufgegeben. [10]Weiterführende Beiträge zum Thema im Sonderheft »Security Sector Reform and Rule of Law« des Hague Journal on the Rule of Law 4, 2012. Die multilateralen Einrichtungen zur kollektiven Friedenssicherung haben sich seit der Jahrtausendwende in Afrika schneller entwickelt als in anderen Regionen der Welt, und sie sind mit ihren diplomatischen und militärischen Interventionen nicht erfolglos. [11]Briefing Note des Africa Research Institute, London, von May 2010 (No, Mr. President. Mediation and Military Intervention in the African Union.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Eine Bibliographie zum Thema und gehaltvolle Links bietet die Projektseite »Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA).
2 Begriff von Marshall D. Sahlins, Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia, Comparative Studies in Society and History 5, 1963, 285-303.
3 Vgl. dazu die Sammelbände von Jean Comaroff/John Lionel Comaroff (Hg.), Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, 2011; Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012; ferner Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001 .
4 Douglass C. North/John Joseph Wallis/Barry R. Weingast, A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Barry R. Weingast, Why Developing Countries Prove so Resistant to the Rule of Law, in: James J. Heckman u. a. (Hg.), Global Perspectives on the Rule of Law, London u. a. 2010, S. 28-51.
5 Für den Sudan Richard Rottenburg/Guma Kunda Komey/Enrico Ille, The Genesis of Recurring Wars in Sudan: Rethinking the Violent Conflicts in the Nuba Mountains/South Kordofan, 2001, S. 26.
6 Beispiele in Diehards and Democracy: Elites, Inequality and Institutions in African Elections, Briefing Note des Africa Research Institute, London, von April 2012.
7 Mats Utas, Introduction: Bigmanity and Network Governance in African Conflicts, in: Mats Utas (Hg.), African Conflicts and Informal Power, Big Men and Networks, London 2012, S. 1-31, S. 4.
8 Georg Klute/Birgit Embaló, Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resiolution in Heterarchical Figurations, in: dies. (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, Köln 2011, 1-27, S. 4; Trutz von Throta, The Problem of Violence: Some Theoretical Remarks about ‘Regulative Orders of Violence’, Political Heterarchy, and Dispute Regulation beyond the State, ebd. S. 31-47, S. 34 ff, 44.
9 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« ist der Titel eines Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin. Ich beziehe mich auf Tanja A. Börzel/Thomas Risse, Governance Without a State: Can it Work?, Regulation & Governance 4, 2010, 113-134.
10 Weiterführende Beiträge zum Thema im Sonderheft »Security Sector Reform and Rule of Law« des Hague Journal on the Rule of Law 4, 2012.
11 Briefing Note des Africa Research Institute, London, von May 2010 (No, Mr. President. Mediation and Military Intervention in the African Union.

Ähnliche Themen

»Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft«

Als Band 3 der Reihe »Schriften zur rechtswissenschaftlichen Didaktik« ist erschienen: Judith Brockmann/Jan-Henrik Dietrich/Arne Pilniok (Hg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden, Nomos 2012. Darin: Hans Christian Röhl/Klaus F. Röhl, Juristisches Denken mit Versatzstücken (S. 251-258). Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung von § 19 III unserer »Allgemeinen Rechtslehre«.

Ähnliche Themen

Der Teufelskreis der Gewalt

Der Historiker Jörg Baberowski hat in einem Interview, das aus Anlass des Erscheinens seines Buches »Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt« geführt wurde, einige Sätze formuliert, die ins Stammbuch der Rechtssoziologie gehören:
»Von Frieden geht keine Dynamik aus. … Gewalt erzeugt Anschlusszwänge. Und wenn man einmal entschieden hat, Gewalt gegen andere auszuüben, kommt man in einen Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt – weil Menschen sich wehren, weil die Terrorisierten Rache nehmen könnten und weil zu Ende gebracht werden muss, was einmal in Gang gesetzt worden ist.« [1]»Stalin liebte Höchstleistungen beim Töten«, FamS vom 11. Juli 2012 S. 9.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 »Stalin liebte Höchstleistungen beim Töten«, FamS vom 11. Juli 2012 S. 9.

Ähnliche Themen

Trend zu empirischen Arbeiten in der Soziologie

Im jüngsten Heft der Hauszeitschrift der DGS fand ich besonders den Beitrag von Johannes Kapp, Juliana Schneider und Franziska Timmler »Zur Entwicklung soziologischer Forschung« interessant. [1]Soziologie 41, 2012, Heft 3, S.293-310Ich habe dem Beitrag Folgendes entnommen:
1. In den beiden wichtigsten soziologischen Zeitschriften – KZfSS und ZfS – hat sich der Anteil empirischer Arbeiten seit 1970 verdoppelt. Dabei ist der Anteil empirischer Arbeiten in der KZfSS höher. Er lag 2010 bei 100 %, in der ZfS dagegen bei 68 %.
2. Umgekehrt zu der Zunahme empirischer Arbeiten ist der Anteil der Alleinautorenschaft zurückgegangen.
3. Die empirischen Arbeiten, jedenfalls in diesen beiden Zeitschriften, sind fast ausschließlich quantitativer Art.
4. Der Anteil empirischer Arbeiten, der Sekundärdaten verwendet, ist von 1970 bis 2010 von 10 % auf über 60 % gestiegen. Als Datenquellen dienen vor allem das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) sowie die Allgemeine Bevölkerungsumfrage in den Sozialwissenschaften (ALLBUS).

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Soziologie 41, 2012, Heft 3, S.293-310

Ähnliche Themen

Die Rolle des Rechts im Prozess der nachholenden Modernisierung

Derzeit versuche ich mich an einer Abgleichung der »klassischen« soziologischen Modernisierungstheorie mit den Untersuchungen über Law and Development. Dabei sind mir drei Forschungsprojekte aufgefallen, die Rechtssoziologie unter fremdem Namen betreiben.
Das älteste ist das Projekt »States at Work. Public Services and Civil Servants in West Africa: Education and Justice in Benin, Ghana, Mali and Niger« des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien an der Universität Mainz. Es lief von 2006 bis 2011. Ein zusammenfassender Projektbericht liegt anscheinend noch nicht vor. Aber die Webseite verweist auf viele interessante Arbeitspapiere und Buchbesprechungen. Hervorzuheben sind besonders:
Gifty Amo Antwi u. a., “They Are not Enlightened”. Wie Staatsbedienstete in Nordghana Differenz zwischen sich und ihren Klienten konstruieren.
Thomas Bierschenk, States at Work in West Africa: Sedimentation, Fragmentation and Normative Double‐Binds, 2010. Von »nachholender Rechtsstaatsentwicklung« spricht Bierschenk in einer ausführlichen Buchbesprechung. [1]Des Bandes von Rolf Kappel/Hans-Werner Tobler/Peter Waldmann (Hg.), Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, Freiburg im Breisgau 2005. Zu diesem Band gibt es eine handliche … Continue reading

»Persistenz und Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD-Regionen« heißt das von der Volkswagen Stiftung geförderte Projekt des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA). Ein Forschungsschwerpunkt befasst sich speziell mit Recht und Politik. Das Projekt wird auf den Internetseiten gut beschrieben und es gibt eine Bibliographie sowie viele Hinweise auf eigene und fremde Vorarbeiten, die zum Teil online verfügbar sind.

Das dritte Projekt, das hier zu vermelden ist, steht unter der Regie der Konstanzer Politikwissenschaftlerin Katharina Holzinger und trägt den Titel »Traditionale Governance und moderne Staatlichkeit«. Es wird als Reinhart-Koselleck-Projekt von der DFG mit 1,5 Mill. EUR gefördert. [2]Frau Holzinger ist Sprecherin des Fachkollegiums 111 Sozialwissenschaften der DFG. Bisher gibt es dazu nur eine Presseinformation. Dort liest man:

Weltweit gibt es in vielen Staaten ethnische Bevölkerungsgruppen, die ihr inneres politisches Leben gemäß traditionaler Strukturen organisieren. Knapp 57% der Weltbevölkerung in 63 UN-Mitgliedstaaten leben in Rechtssystemen, in denen indigene Rechte in relevantem Umfang mit der staatlichen Gesetzgebung koexistieren. Gerade in Afrika sind traditionale Institutionen keineswegs strikt von staatlichen Institutionen abgegrenzt. ›Traditionale Institutionen, die sich entlang von Ethnien konstituieren, sind in vielen afrikanischen Ländern noch besonders bedeutend: sowohl in Hinsicht auf ihren Umfang als auch bezogen auf ihre politische Bedeutung. In diesen Staaten koexistieren indigene Formen der Governance mit modernen staatlichen Formen‹, schildert Katharina Holzinger. In vielen Fällen übernehmen solche traditionalen Institutionen staatliche Aufgaben – teils in Konkurrenz zum Staat, teils komplementär oder sogar verschränkt mit dem Staat.

»In einer weltweiten, quantitativen Untersuchung«, so heißt es weiter, soll ermittelt werden, »welche Wechselbeziehung zwischen Staat und traditionaler Governance bestehen und welche Auswirkungen dies auf die demokratische Entwicklung des Staates hat. Mittels acht Länderfallstudien, die sich auf afrikanische Staaten konzentrieren, wird Holzinger ihre weltweiten Analysen vertiefen.« In der Rechtssoziologie würde man nicht von Governance, sondern von Legal Pluralism reden.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Des Bandes von Rolf Kappel/Hans-Werner Tobler/Peter Waldmann (Hg.), Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, Freiburg im Breisgau 2005. Zu diesem Band gibt es eine handliche Zusammenfassung des Wissenschaftlichen Beirats beim BMZ: Staatsentwicklung und Rechtsstaatlichkeit: Lehren aus der europäischen Geschichte und lateinamerikanischer Erfahrungen 2006.
2 Frau Holzinger ist Sprecherin des Fachkollegiums 111 Sozialwissenschaften der DFG.

Ähnliche Themen

Nachträge im Juni 2012

Volkswagen Stiftung checkt Juristenausbildung vom 8. Dezember 2012
Inzwischen ist der Tagungsband erschienen: Hagen Hof/Götz von Olenhusen (Hg.), Rechtsgestaltung – Rechtskritik – Konkurrenz von Rechtsordnungen. Neue Akzente für die Juristenausbildung, Baden-Baden, Nomos, 2012 (ISBN 978-3-8329-7362-9)
Hier die Zusammenfassung der Ergebnisse der Tagung aus der Feder von Wilhelm Krull und Hagen Hof.
Was auf der Tagung nicht zur Sprache kam, war die Frage nach der deutschen Juristenausbildung im europäischen Vergleich. Dazu gibt Matthias Kilian in den BRAK-Mittl 2/2012 S. 59-61 die Antwort (Die deutsche Juristenausbildung – wo steht sie im europäischen Vergleich«). Grundlage ist eine 2010 veröffentlichte Studie, in der der Verfasser die Juristenausbildung in 25 europäischen Staaten analysiert [1]Matthias Kilian, Modelle der Juristenausbildung in Europa: Eine Standortbestimmung, Bonn 2010. Der Bologna-Prozess sei in den anderen Ländern nur »formal implementiert worden, indem traditionelle Ausbildungsgänge in ein Bachelor- und ein Masterstudium gegliedert wurden«. Der wichtigste Unterschied zwischen Deutschland und Resteuropa scheint darin zu bestehen, dass hierzulande der Zugang zum Studium und später auch zum Anwaltsberuf sehr offen ist. Überall sonst wird vor, im und nach dem Studium stärker selektiert. Die post-universitäre Einheitsausbildung (Referendarausbildung) in Deutschland ist europaweit einzigartig. Sie öffnet vor allem den Zugang zum Anwaltsberuf. Diese Offenheit, die anscheinend bisher nicht zu einem Juristenproletariat geführt hat, gilt es zu verteidigen.

Zu Legalisierung von Cannabis II: Steht die zweite Prohibition vor dem Aus? vm 4. April 2012
Nachzutragen ist ein Hinweis auf Gary S. Becker/Kevin M. Murphy/Michael Grossman, The Economic Theory of Illegal Goods: The Case of Drugs, 2004 (NBER Working Paper 10976: http://www.nber.org/papers/w10976). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass eine Legalisierung weicher Drogen verbunden mit einer hohen Besteuerung wirksamer ist als die strafrechtliche Verfolgung, auch wenn es natürlich Versuche geben werde, die Steuer zu vermeiden. Langsam schwenken auch die Medien auf den Legalisierungskurs ein, so ein großer Artikel von Claudius Seidl und Harald Staun in der FamS vom 29. 4. 2012 (»Machen wir Frieden mit den Drogen«).

Hohfelds analytisches Schema der Rechte (sollte man vergessen) vom 20. September 2011
Neu der (kurze) Artikel von Lawrence B. Solum in seinem »Legal Theory Lexicon«: Hohfeld.
Er gibt keinen Anlass, meine Einschätzung zu ändern.

Was stimmt nicht mit dem Urheberrecht? vom 10. 4. 2012
Manchmal merke ich selbst nicht gleich, wie nahe die Dinge beieinander liegen. Die Blogsoftware von WordPress verweist automatisch am Ende eines Eintrags auf »ähnliche Artikel«. Das System, nachdem diese Verweisungen funktionieren, ist mir nicht klar. So hätte bei diesem Eintrag eigentlich auch auf Rechtssoziologisches zum Urheberrecht? verwiesen werden müssen. Verwiesen wird immerhin auf den Eintrag vom 12. Mai 2011 Das Urheberrecht ist nicht komisch: Bound by Law. Dabei ist mir selbst eine wichtige Verknüpfung zunächst nicht aufgefallen. In jenem Eintrag ging es eigentlich um Keith Aoki. Aber als sein Mitautor wurde auch James Boyle genannt.
James Boyle ist ein wichtiger Theoretiker und Praktiker der kulturellen Allmende. Bisher hatte ich ihn nur als Praktiker zur Kenntnis genommen und als solchen in dem Eintrag über Keith Aoki erwähnt. Erwähnung verdient er aber auch als Theoretiker der Urheberrechtsdebatte. Er prägte er den Begriff des Second Enclosure Movement [2]James Boyle, The Second Enclosure Movement and the Construction of the Public Domain, Law and Contemporary Problems 66, 2003, 32-74. Gemeint war die schleichende Ausweitung der Immaterialgüterrechte, sei es der Patentrechte auf das menschliche Genom, auf Naturstoffe, biologische Prozesse und traditionelle Rezepte, sei des Urheberrechts durch Ausweitung des Umfangs und Ausdehnung auf Ideen, Software und Daten. »Second« Enclosure deshalb, weil Boyle diese Ausweitung des geistigen Eigentums mit Auflösung der Allemenden im 18. und 19. Jahrhundert und ihrer Überführung in Privateigentum (enclosure of the commons) verglich.

Der späte Start der harten Netzwerkforschung vom 6. Mai 2012
Aus einer Pressemitteilung vom 21. 5. 2012 erfährt man aus der Universität des Saarlandes, dass sich die Informationen in sozialen Netzwerken noch schneller verbreiten, als in Netzwerken, in denen jeder mit jedem kommuniziert, oder deren Struktur völlig zufällig gewachsen ist.« Der Grund dafür, heißt es, »sei das Zusammenspiel zwischen sehr gut und gering vernetzten Personen. »Eine gering vernetzte Person hat natürlich viel schneller ihre wenigen Kontakte informiert«, so Friedrich. Es sei jedoch auch nachweisbar, dass sich unter solchen Kontakten immer sehr gut vernetzte Personen befinden, die wiederum von sehr vielen Personen angefragt würden. Auf diese Weise werde in rasender Geschwindigkeit jeder über die Neuigkeit informiert, so Friedrich. Um das Beziehungsgeflecht in einem realen sozialen Netzwerk zu abstrahieren, nutzten die Forscher sogenannte ›Preferential Attachment Graphs‹ als Netzwerk-Modell. Es beruht auf der Annahme, dass sich neue Mitglieder eher mit bereits bekannten Personen vernetzten als mit unbekannten.« So schrecklich neu klingt das nicht.

Begriffssoziologie V: Konstitutionalisierung strukturell vom 3. März 2011
Gunther Teubner lässt nicht locker, wenn es um seine Idee einer staatsunabhängigen Konstitutionalisierung geht. In der Reihe »Suhrkamp Wissenschaft« ist soeben der Band »Verfassungsfragmente: Gesellschaftlicher Konstitutionalismus in der Globalisierung« erschienen. Auf einer Tagung in Montcalieri bei Turin hat er seine Idee diskutieren lassen. Darüber berichtet Maximilian Steinbeis in der heimlichen Juristenzeitung vom 23. Mai 2012 S. N4 unter der Überschrift »Occupy the Law!«.

Zur interdisziplinären Verwendung der Netzwerkforschung IV: Und wo bleibt Ostroms Frage? vom 10. Juni 2012
Elinor Ostrom ist am 12. Juni 2012 gestorben. An Stelle eines Nchrufs hier der Link auf den Vortrag über »Coevolving Relationships between Political Science and Economics«, den sie im Novbember 2011 in Bielefeld gehalten hat.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Matthias Kilian, Modelle der Juristenausbildung in Europa: Eine Standortbestimmung, Bonn 2010.
2 James Boyle, The Second Enclosure Movement and the Construction of the Public Domain, Law and Contemporary Problems 66, 2003, 32-74.

Ähnliche Themen

Zur interdisziplinären Verwendung der Netzwerkforschung IV: Und wo bleibt Ostroms Frage?

Die interdisziplinäre Verwendung des Netzwerkskonzepts läuft Gefahr, mehr oder weniger selektiv auf typische Netzwerkeigenschaften zurückzugreifen und sie normativ aufzuladen. Die Variabilität real existierender Netzwerke ist aber so groß, dass die abstrakte Bezugnahme auf das Netzwerkkonzept leicht zur Ideologie gerät. Die Netze, um die es in der Rechtstheorie geht, sind immer heterarchisch. Sie sind locker und in Bewegung. Sie sind flexibel und produktiv. Sie sind in dem Sinne »more social« [1]Powell 1996, 219., dass sie »stärker auf Beziehungen, Ansehen und gegenseitige Interessen angewiesen und weniger durch formale Regeln bestimmt« sind als Organisationen. Diese und andere Eigenschaften von Netzwerken lassen nicht schon aus dem Netzwerkbegriff ableiten, sondern müssen in jedem Einzelfall erst empirisch nachgewiesen werden. Deshalb ist es gefährlich, von Netzwerken an sich zu sprechen.
Die wichtigste Eigenschaft, die Rechtstheoretiker den Netzwerken beilegen, ist Selbstorganisationsfähigkeit. Die Fragestellung ist nicht klar. Ist gemeint, dass Netzwerke sich intern selbst organisieren? Oder liefern sie auch einen Ordnungsüberschuss über die eigenen Grenzen hinaus? Solche Unklarheiten verbinden sich mit einem dicken Defizit. Nirgends finde ich in der postmodernen Rechtstheorie eine Auseinandersetzung mit Ostroms Frage: Warum ist Selbstorganisation in einigen Fällen erfolgreich und in anderen nicht? [2]Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen, 2011, S. 28.
Für die Rechtssoziologie ist es unbefriedigend zu wissen, dass unter bestimmten Bedingungen ein Netzwerk besser funktioniert als ein Unternehmen oder eine Behörde, wenn nicht gleichzeitig die Außenwirkung geklärt wird. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. liefert ein Beispiel für ein gut funktionierendes Netzwerk zur Abwehr des Atommüll-Lagers in Gorleben. Die Tatsache, dass hier die Selbstorganisation in einem Netzwerk erfolgreich war, kann kaum bedeuten, dass deshalb auch Ziele und Außenwirkung des Netzwerks akzeptabel sind. Immerhin entsteht aus der Distanz der Eindruck, dass in Gorleben Nimby gespielt wird.
Es muss nicht immer Nimby sein. Die Selbstorganisation durch Netzwerke schafft vermutlich viele schöne Inseln der Ordnung. Doch was ist mit dem Meer der Unordnung? Da kommt zur Landgewinnung ein deus ex machina. Das »Netzwerk der Netzwerke« wird die Inseln eindeichen.
Der langen Schreibe kurzer Sinn: Wer in interdisziplinärer Absicht von Netzwerken redet, sollte deutlich erkennen lassen, aus welchen Elementen mit welchen zwischen ihnen bestehenden Beziehungen sich diese zusammensetzen. Sonst gerät er in Verdacht der Reticulomanie.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Powell 1996, 219.
2 Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen, 2011, S. 28.

Ähnliche Themen

Postmoderne Rechtstheorie, oder wie man davon abrät, einen Autor zu lesen

Vielleicht aus Anlass seines 65. Geburtstages im Jahre 2008 erschienen 2009 zwei Publikationen zur Würdigung des einer großen Festschrift würdigen Werkes von Karl-Heinz Ladeur, nämlich das Themenheft des German Law Journal »The Law of the Network Society. A Tribute to Karl-Heinz Ladeur« sowie von Ino Augsberg, Tobias Gostomzyk und Lars Viellechner der Band »Denken in Netzwerken, Zur Rechts- und Gesellschaftstheorie Karl-Heinz Ladeurs«. Das Vorwort dieses Bandes fordert gleich doppelten Protest heraus.
Der Band wird vorgestellt als eine Art Lesehilfe zu den schwierigen Texten Ladeurs. Dass diese Texte so schwer zugänglich seien, erklären die Autoren mit deren interdisziplinärem Anspruch. Diesen belegen sie aus dem Vorwort von Ladeurs »Der Staat gegen die Gesellschaft« (2006), wo es heißt: »Auch wenn der Staat vom Recht her gedacht wird, wird der Versuch unternommen, die gesellschaftlichen Bedingungen staatlichen Handelns durch Rekurs auf Beiträge der Sozialwissenschaften, der Ökonomie, der Philosophie, der Geschichte, der Pädagogik, der Psychoanalyse zu rekonstruieren.« Für den geschulteren Leser möge der interdisziplinäre Ansatz reizvoll sein. Den weniger geübten Leser werde er abschrecken. Diese Position ist ärgerlich. Interdisziplinarität ist nur dann unverständlich, wenn sich in tiefsinnigen Andeutungen erschöpft und nicht deutlich macht, auf welche Beiträge aus anderen Fächern sie sich stützt.
Aber es kommt schlimmer. Man könne die Dinge nicht verständlich darstellen, denn die dazu benötigte Differenz zwischen Sprache und Sache sei nicht erreichbar. Die Autoren zitieren dazu Adorno, Philosophie sei »wesentlich nicht referierbar. Sonst wäre sie überflüssig; daß sie meist sich referieren läßt, spricht gegen sie.« Damit sei »offensichtlich über eine ganze Gattung von ›Einführungsliteratur‹, deren Ziel die Zusammenfassung der ›wichtigsten Grundgedanken‹ einer theoretischen Position bildet, der Stab gebrochen.«
Es gibt wohl Texte, die sich nicht referieren lassen. Fontanes »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« wird man nicht gerne im Referat lesen wollen. Aber Texte, die Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen, einer Inhaltsangabe jedoch nicht zugänglich sind, sind nicht wissenschaftlich, sondern im besten Falle Literatur und im häufigsten Falle überflüssig. Da möchte man Ladeur gegen seine Schüler in Schutz nehmen, zumal wenn man einige seiner Positionen teilt.
Mit ihrem Nicht-Referat erreichen die drei Autoren, dass man künftig die Originale erst recht nicht mehr zur Hand nehmen wird. Sie zeigen zudem, dass die Scheu vor einem Referat begründet sein kann, enthüllt es doch auch Trivialitäten. Was wir etwa über Selbstreferenz, Selbstorganisation und Prozeduralisierung erfahren, gehört längst zum Standard der Einführungsliteratur.
Am Ende der Lesehilfe finden sich neun eng bedruckte Seiten mit dem Verzeichnis einer Auswahl der Schriften Ladeurs. [1]Im Internet habe ich keinen dieser Texte gefunden. Ist das Ladeurs Vorstellung von der Wissensgesellschaft? Teubner ist da vorbildlich, indem er alle seine Texte online stellt. Wer soll das alles lesen? Wer kann das alles lesen?
Wenn in den Texten tatsächlich so viel Inhalt steckt, wie es der elaborierte Stil verheißt, dann wäre es ein echter Verdienst der Schülerschar, eine Führung durch das Werk anzubieten, die jedenfalls zur fragmentarischen Lektüre verführt.
Nächstes Jahr wäre eine neue Gelegenheit. Einstweilen lesen wir Fontane.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Im Internet habe ich keinen dieser Texte gefunden. Ist das Ladeurs Vorstellung von der Wissensgesellschaft? Teubner ist da vorbildlich, indem er alle seine Texte online stellt.

Ähnliche Themen

Zur interdisziplinären Verwendung der Netzwerkforschung III: Netzwerke im Typenvergleich

Am Anfang des Typenvergleichs steht die Frage nach dem Zugang zu sozialen Netzwerken. Netzwerke gelten hinsichtlich der Zugangsmöglichkeit für neue Mitglieder als offen. Der Markt fordert keine Mitgliedschaft. Mitglied – oder besser, Funktionär – einer Organisation wird man durch Beitritt oder Aufnahme, jedenfalls durch eine Entscheidung [1]Luhmann, GdG S. 829. Die Zugehörigkeit zu einem sozialen Netzwerk erwirbt man, indem man sich daran beteiligt. Zwar gibt es für Netzwerke, anders als für Organisationen, keine förmlichen Zugangsregelungen. Aber nicht jeder kann beliebige Beziehungen aufnehmen, sei es, um sich einem bestehenden Netzwerk anzuschließen, sei es, um ein neues aufzubauen. Richter des Bundesverfassungsgerichts können sich ohne weiteres an Richterkollegen der Verfassungsgerichte anderer Staaten wenden, um sich mit ihnen über ihre Praxis auszutauschen. Wenn dagegen ein Jurastudent an einen Richter des US Supreme Court mailte, etwa um nach Problemen im Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Politik zu fragen, bliebe er ohne Antwort. Um Mitglied in einem Netzwerk zu werden, braucht man eine vorstrukturierte Kommunikationschance.
Kommunikationschancen ergeben sich aus einer vorgefundenen Sozialstruktur, insbesondere aus der Zugehörigkeit zu Gruppen oder Organisationen und den damit verbundenen Rollenerwartungen. Insofern sind soziale Netzwerke sekundäre Strukturbildungen [2]Veronika Tacke, Systeme und Netzwerke – oder: Was man an sozialen Netzwerken zu sehen bekommt, wenn man sie systemtheoretisch beschreibt, Netzwerke, Systemtheorie und Soziale Arbeit. Journal der … Continue reading. Nach einem Vorschlag von Granovetter spricht man auch von struktureller Einbettung. [3]Mark S. Granovetter, Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness, American Journal of Sociology 91, 1985, 481-510. Der soziale Hintergrund wirkt als Kommunikationsplattform, die es ermöglicht, sich anzubieten und andere anzusprechen.
Prinzipiell kann jede soziale Formation, die Kommunikationen ermöglicht, zur Basis eines Netzwerks werden. Enge Plattformen dieser Art waren und sind Familie und Nachbarschaft. Kommunikationschancen ergeben sich aus der gleichen Lebenslage von Minderheiten, seien sie Eliten oder Diskriminierte. Viele Zusammenschlüsse haben von vornherein den Haupt- oder Nebenzweck, Netzwerkplattform zu sein. Das gilt für viele Vereine, Industrie-, Lions- und Rotary-Clubs oder studentische Verbindungen. Zur Netzwerkplattform schlechthin ist jedoch das Internet geworden. Wer über die Kompetenz verfügt, mit dem Internet umzugehen, darf Kommunikationsangebote machen und sich als »Knoten« präsentieren, wie es Blogger tun.
Im Internet haben sich speziellere Plattformen entwickelt, die sich zur Netzwerkbildung empfehlen, insbesondere natürlich die »sozialen Netzwerke« wie Facebook und Twitter. Aber Facebook und Twitter sind als solche keine sozialen Netzwerke, sondern bloß Kommunikationsplattformen, die zum Netzwerken einladen, weil sie qua Mitgliedschaft Rollen schaffen, aus denen heraus man die Kommunikation mit unbestimmten und unbekannten Anderen aufnehmen kann.
Wer netzwerken will, muss etwas zum Tausch anbieten. Als Minimum kann ein jeder seine Stimme abgeben. Mit ihr kann er anderen zu Anerkennung = Reputation verhelfen. Er kann den Gefällt-mir-Button drücken. Viele versuchen, darüber hinaus Informationen zu liefern, und seien es auch nur solche über die eigenen Interessen und Bedürfnisse. Oft wird nur Hilfe erfragt. Aber helfen macht glücklich, und so kann auch mit einem Hilferuf der Sprung in ein Netzwerk gelingen. In der Regel muss ein Akteur jedoch mehr an Ressourcen vorzeigen, damit andere zugreifen.
Die möglichen Tauschgüter bestimmen das Thema oder den Zweck des Netzwerks. Als netzwerktypisch lässt sich wohl nur angeben, dass immaterielle oder nicht marktgängige Güter im Vordergrund stehen.
Anders als in Organisationen entspricht die Mitgliedermotivation in Netzwerken dessen Zweck.
Netzwerke sind nicht unbedingt in dem Sinne locker, dass laufend alte Knoten aufgelöst und neue gebildet werden. Im Gegenteil, es gibt sehr stabile Netzwerke. Selbst das Internet als Prototyp eines Netzwerks ist erstaunlich stabil. (Und Google sitzt als Spinne im Netz.) Netzwerke sind auch nicht typisch expansiv. Sie sind zwar insofern auf Expansion angelegt, als sie keinen numerus clausus kennen und der Wert der Netzwerkmitgliedschaft mit der Größe des Netzwerks steigen kann. Ob sie aber expandieren oder schrumpfen, steht auf einem anderen Blatt. Für technische Netze (Telefon, Twitter) gilt, dass sie ein sich selbst verstärkendes Wachstum zeigen können, wenn sie eine kritische Menge von Teilnehmern auf sich vereinigt haben, denn mit der Größe des Netzes steigt ihr Wert für die Teilnehmer. Netzwerke dagegen, die auf sozialen Beziehungen aufbauen, können nur begrenzt wachsen, denn mit der Zahl der steigt die Anzahl der Kontaktmöglichkeiten exponentiell [4]Und zwar nach der Formel f (n) = n2 – n., so dass sich die Beziehungen ausdünnen.
Auch Dauerhaftigkeit ist keine typische Netzwerkeigenschaft. Netzwerke können einfach erlöschen.
Oft ist von der Dynamik der Netzwerke die Rede. Der Darm ist nicht deshalb dynamisch, weil sein Inhalt sich laufend bewegt. Ebenso wenig sind Netzwerke dynamisch, weil in ihnen laufend alles Mögliche prozessiert wird. Unter der Dynamik von Netzwerken muss man daher zunächst wohl die Veränderungen ihrer Topologie verstehen. Bei der Vermessung realer Netzwerke haben sich Regelmäßigkeiten herausgestellt, die bei der Erklärung solcher Dynamik helfen können. Eigentlich handelt es sich um regelmäßig auftretende Unregelmäßigkeiten, nämlich um Abweichungen von einer gedachten Zufallsverteilung (Cliquenbildung, Nabenbildung, Verteilung der Kontakte nach dem Potenzgesetz). Solche Phänomene sind nicht bei allen Netzwerken zu beobachten, können aber doch als typisch gelten. Als Netzwerkdynamik wird aber auch die Verbreitung ungewöhnlicher Ereignisse im Netz verstanden, also etwa die Verbreitung von Nachrichten oder Krankheiten, und manchmal wohl auch die Reaktion des Netzes auf den Ausfall einzelner Knoten oder ganzer Cluster.
Der Kommunikationsweg des Marktes ist die Öffentlichkeit. Dasselbe gilt für die Demokratie. In Organisationen verläuft die Kommunikation entlang der Hierarchie über einen »Verteiler«. In Netzwerken sucht die Kommunikation ihren Weg entlang vorstrukturierter Beziehungen. Zur typischen Vorstellung von sozialen Netzwerken gehört hohe Konnektivität. Jeder Knoten verfügt über multiple Kanten und kann direkt oder indirekt mit anderen kommunizieren.
Ökonomische Transaktionen lassen sich in drei Phasen zerlegen, eine Informationsphase, eine Transaktionsphase und eine Exekutionsphase. [5]Nicola Jentsch, Euphorien, Turbulenzen, Paniken: Die Ökonomie des Risikos, Vortragsmanuskript, o. J. Zur Information der Akteure bietet der Markt Preise an. Vielleicht wird verhandelt. Die Abwicklung ist schnell geschehen. Organisationen informieren ihre Funktionäre durch Weisung. Zu verhandeln gibt es nichts. In Netzwerken dagegen spielt die Informationsphase eine größere Rolle. Angebot oder Nachfrage von Leistungen bleiben eher unspezifiziert, werden aber von »vertraulichen« Informationen begleitet, die so nur im Netzwerk zu haben sind. Die Informationen gelten als qualitativ besser als die Preissignale des Marktes und die Weisungen der Organisation. [6]Powell 1996, 225. Verhandlungen sind stets auch um die Erhaltung der Netzwerkbeziehung bemüht. Ein Abschluss ist gar nicht immer das Ziel. Wenn es zu einem Austausch kommt, sind Leistung und Gegenleistung nicht direkt miteinander verknüpft. Eine mögliche Gegenleistung bleibt unbestimmt. Die dadurch entstehende Lücke wird durch Vertrauen überbrückt. Das Vertrauen stammt aus den Beziehungen, in die das Netzwerk eingebettet ist und wird durch positive Erfahrungen innerhalb des Netzes verstärkt.
Marktteilnehmer und Wähler bilden ihre Präferenzen und treffen ihre Entscheidungen je für sich (dezentral und unabhängig). Funktionäre folgen mit ihren Aktionen Weisungen. Netzwerkangehörige entscheiden sich mit dem Blick auf mögliche Reaktionen anderer (dezentral, aber interdependent).
Vollzugsformen der Aktionen sind am Markt der Vertrag, in der Demokratie die Stimmabgabe und in der Organisation die Weisung. Im Netzwerk läuft der Vollzug eher formlos nach dem aus dem Schuldrecht bekannten Muster der Realobligation ab.
Netzwerke als solche haben, anders als Organisationen, grundsätzlich nicht den Charakter eines sozialen Akteurs. Sie bestehen zwar unabhängig von individuellen Mitgliedern, können sich aber im Normalfall doch nicht als Ganzes artikulieren. Die Mitglieder bleiben in der Lage, eigenständig zu handeln, solange sie dabei auf andere Mitglieder Rücksicht nehmen.
Für Netzwerke gilt die Grundregel, dass Mitglieder beim Tausch bevorzugt werden. Darin unterscheiden sie sich vom Markt. Die Zugehörigkeit zum Netz wird dadurch selbst zum Wert. Offen bleiben die Netze nur, solange die Tauschgüter relativ belanglos sind. Steigt der Einsatz, so verfestigt sich das Netz. Mit zunehmendem Gewicht der Tauschangebote steigen die Zugangsbarrieren zum Netzwerk.
Starke Tauschpartner netzwerken bevorzugt mit ihresgleichen. Stark sind solche Akteure, die die Ressourcen, die sie ins Netzwerk einbringen, aus Organisationen beziehen, denen sie primär angehören. So entstehen persönliche Netzwerke unter Mitgliedern verschiedener Organisationen. In einer Stadt wie Bochum treffen sich z. B. mit einiger Regelmäßigkeit die Behördenchefs (Oberbürgermeisterin, Landgerichtspräsident, Polizeipräsident, Universitätsrektor und einige mehr) zu einem Austausch. Solche informellen Netzwerke bilden eine extraorganisationale Parallele zu den informalen Beziehungen innerhalb der Organisation (intraorganisationale Netzwerke).
Die Entdeckung der informalen Organisation durch Roethlisberger und Dickson in den 1930er Jahren war der Sache nach die Entdeckung intraorganisationaler Netzwerke, ohne dass der Begriff schon eine Rolle gespielt hätte. Der Netzwerkbegriff kam erst bei den interorganisationalen Netzwerken ins Spiel. Auf solche Netzwerke wurde man zunächst bei der Entdeckung kooperativen Verwaltungshandelns und dann vor allem bei der Beobachtung der Globalisierung aufmerksam. Dabei wurde und wird allerdings meistens wenig Wert darauf gelegt, ob die interorganisationalen Beziehungen zwischen den Organisationen als solchen bestehen, oder ob sie an Personen gebunden sind. Transnationale Netzwerke mit Organisationen als Knoten hat man etwa in der Verwaltung beobachtet. Persönliche Netzwerke gibt es zwischen Parlamentariern, Richtern, Wissenschaftlern Gewerkschaftsmitgliedern oder Orchestermitgliedern [7]Über transnationale persönliche Netzwerke der Eintrag vom 18. Mai 2012. Es macht vermutlich einen Unterschied, ob die interorganisationalen Netzwerke Personen oder die Organisationen selbst als Knoten haben, und sei es auch nur, weil die Versuchung besteht, dass Personen die Ressourcen der Organisation nicht in deren, sondern im eigenen Interesse nutzen. Dann handelt es sich je nachdem um Korruption oder Veruntreuung.
Das Interesse der Rechtstheorie an sozialen Netzwerken hat viel mit deren Informalität zu tun. Das moderne Recht ist jedenfalls grundsätzlich formal. Formalität entsteht aus verordneten Kommunikationshindernissen oder -verboten. Was nicht rechtlich relevant ist, soll nicht zur Sprache kommen. An einem Rechtsverfahren darf nicht jeder teilnehmen. Die Teilnehmer dürfen nicht jedes Thema aufgreifen, und sie müssen ihre Kommunikationsbeiträge an Formen und Fristen ausrichten. Sich informell zu vernetzen, bedeutet die Umgehung solcher Kommunikationshindernisse. Netzwerke unterlaufen das Recht. Deshalb stehen sie, besonders im Publikum, im Geruch der Illegitimität. Tatsächlich arbeiten Netzwerke nicht unbedingt gegen das Recht. Viele Policy-Netzwerke werden von der Absicht der Beteiligten getragen, dem Recht auf die Sprünge zu helfen. Sie bilden partikulare Querverbindungen zwischen den primären Sozialstrukturen. [8]Tacke a.a.O. passim.
Als typische Eigenschaft von Netzwerken gilt deren Selbstorganisationsfähigkeit. Dem Markt fehlt diese Qualität. Verträge hätten ohne außervertragliche Grundlage keinen Bestand. Monopolbildung zerstört den Preismechanismus. Der Markt kann eine selbstzerstörerische Eigendynamik entwickeln. Ähnlich liegt es mit der Demokratie, wenn sie zur Diktatur der Mehrheit wird. Deshalb brauchen Markt und Demokratie zu ihrer Funktion eine externe Verfassung. Eine hierarchische Organisation ist für ihren Fortbestand auf die Zufuhr von Ressourcen von außen angewiesen. Auch hier gibt es, wenn auch schwächer, eine selbstzerstörerische Eigendynamik, wenn die Organisation erstarrt und den Kontakt zu ihrer Umwelt verliert, in der sie funktionieren soll. Einzig Netzwerke scheinen ohne Korsett auszukommen und allein aus gelebter Reziprozität, aufgewertet durch die Vorzugsbehandlung der Netzangehörigen, zu funktionieren. Bemerkenswert ist dabei, dass die in Netzwerken zu beobachtende Bildung von typischen Konnektivitätsmustern und die damit verbundene Ungleichheit der Knoten die Funktionsfähigkeit des Netzes eher zu fördern als zu stören scheint. Ganz ohne Stütze kommen aber auch Netzwerke nicht aus. Ihre Währung ist das Vertrauen, und das scheint zu schwinden, wenn ein Netzwerk größer wird und wenn es sich gegenüber den sozialen Strukturen, in die es ursprünglich eingebettet war, zu lösen beginnt. Jedenfalls behaupten Powell [9]1996, 213. und Ostrom [10]Kurz und deutlich in Elinor Ostrom, A General Framework for Analyzing Sustainability of Social-Ecological Systems, Science 2009, 325, 419-422., dass Netzwerke nur unter bestimmten, spezifizierbaren Bedingungen lebensfähig sind.
Die Realität ist natürlich viel komplizierter als solche schematische Gegenüberstellung. Sie wird von Mischformen und Übergängen bestimmt. Der Zugang zu einem Markt wird oft erst über ein Netzwerk vermittelt. Aus wiederholtem Vertragsschluss entstehen vertragsübergreifende Beziehungen [11]Powell verweist dazu auf Clifford Geertz, The Bazaar Economy: Information and Search in Peasant Marketing, The American Economic Review 68, 1978, 28-32. Für die Rechtssoziologie wird man sich eher … Continue reading, und schon der einzelne Vertrag kann relationalen Charakter annehmen. Auf der anderen Seite ist der Typus der hierarchischen Organisation am besten wohl in mittleren Unternehmen und auf der öffentlichen Seite in Fachbehörden anzutreffen. Größere Unternehmen sind weitgehend in Profitcenter aufgegliedert, und sogar öffentliche Organisationen haben im Zuge des New Public Management interne Märkte geschaffen und Verrechnungspreise eingeführt. Hierarchisch durchorganisierte Staaten gab es zeitweise eigentlich nur in Europa, Nord Amerika und Japan. [12]Poul F. Kjaer, Embeddedness through Networks: A Critical Appraisal of the Network Concept on the Oeuvre of Karl-Heinz Ladeur, German Law Journal 10, 2009, 483-499, S. 485f.. Moderne Staaten sind als Ganze nicht mehr durchgehend hierarchisch geordnet, sondern bilden ein vielfach gegliedertes Gefüge aus Regierungen, Parlamenten, Verwaltungen, Gebietskörperschaften mit beweglichen Grenzen und Durchlässen zu korporatistischen Elementen. [13]In Analogie zu Powells Relativierung hierarchischer Unternehmen (Walter Powell, Weder Markt noch Hierarchie, in: Patrick Kenis/Volker Schneider (Hg.), Organisation und Netzwerk, 1996, 213-271, S. … Continue reading Was schließlich die Netzwerke betrifft, so kann man die netzwerktypische Konzentration von Aktivitäten um bestimmte Hubs durchaus als Hierarchien interpretieren. In der Realität trifft man auf sternförmig oder hierarchisch zentralisierte Netzwerke. Auch explizite Regeln für die Netzwerkkontakte kommen vor. Besonders interorganisationale Netzwerke, in denen die Organisationen selbst als Netzknoten fungieren, sind oft formalisiert. Das gilt besonders für die Beziehungen zwischen Organisationen, die als transnationale Netzwerke unter Beobachtung stehen. Durch Verdichtung und Formalisierung der Beziehungen verbunden mit einer gewissen Zentralisierung kann ein Netzwerk schließlich auch zum kollektiven Akteur werden, so dass sich die Frage aufdrängt, ob damit nicht aus dem Netzwerk eine Organisation geworden ist. Der Übergang ist hier, wie so oft, flüssig.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Luhmann, GdG S. 829
2 Veronika Tacke, Systeme und Netzwerke – oder: Was man an sozialen Netzwerken zu sehen bekommt, wenn man sie systemtheoretisch beschreibt, Netzwerke, Systemtheorie und Soziale Arbeit. Journal der dgssa 2, 2011, 6-24, S. 13.
3 Mark S. Granovetter, Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness, American Journal of Sociology 91, 1985, 481-510.
4 Und zwar nach der Formel f (n) = n2 – n.
5 Nicola Jentsch, Euphorien, Turbulenzen, Paniken: Die Ökonomie des Risikos, Vortragsmanuskript, o. J.
6 Powell 1996, 225.
7 Über transnationale persönliche Netzwerke der Eintrag vom 18. Mai 2012.
8 Tacke a.a.O. passim.
9 1996, 213.
10 Kurz und deutlich in Elinor Ostrom, A General Framework for Analyzing Sustainability of Social-Ecological Systems, Science 2009, 325, 419-422.
11 Powell verweist dazu auf Clifford Geertz, The Bazaar Economy: Information and Search in Peasant Marketing, The American Economic Review 68, 1978, 28-32. Für die Rechtssoziologie wird man sich eher auf (ältere) Arbeiten von Stewart Macaulay und Ian Macneil beziehen, die so bekannt sind, dass sie hier gar nicht genauer angeführt werden müssen.
12 Poul F. Kjaer, Embeddedness through Networks: A Critical Appraisal of the Network Concept on the Oeuvre of Karl-Heinz Ladeur, German Law Journal 10, 2009, 483-499, S. 485f.
13 In Analogie zu Powells Relativierung hierarchischer Unternehmen (Walter Powell, Weder Markt noch Hierarchie, in: Patrick Kenis/Volker Schneider (Hg.), Organisation und Netzwerk, 1996, 213-271, S. 217).

Ähnliche Themen