Von der Rechtssoziologie zu den Kulturwissenschaften und zurück (II)

1. Der kulturwissenschaftliche Ansatz führt zu einer souveränen Geringschätzung all dessen, was die »Disziplinen« immerhin schon geleistet haben.
2. Keines der genannten Themen ist wirklich neu.
3. Kulturwissenschaften setzen zu sehr auf den homo symbolicus [1]Ernst Cassirer sprach vom animal symbolicum (An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture New Haven 1944, 26; dt. Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der … Continue reading und damit auf einen neuen homunculus.
4. Kulturwissenschaften gebärden sich empiriefeindlich.
5. Zur beherrschenden Methode wird die wissenssoziologische Rekonstruktion.
6. Kulturwissenschaften verfahren einseitig poststrukturalistisch.
Heute nur zu den ersten beiden Punkten.
Zu 1. – Geringschätzung der traditionellen Disziplinen: Die Kulturwissenschaften verstehen sich als Neubeginn. Damit können sie, was von den traditionellen Wissenschaften geleistet worden ist, bequem beiseiteschieben: Die in ihren Disziplingrenzen befangenen Juristen, Historiker, Germanisten usw. haben ohnehin nichts verstanden. Kulturwissenschaftler sind anscheinend nicht bereit, sich näher auf den Objektbereich, über den sie reden wollen, einzulassen. Ihre Ergebnisse sind oft trivial. Juristen sind sie schwer zu vermitteln.
Zu 2. Themenangebot: Für eine kulturwissenschaftlich inspirierte Rechtsforschung wird eine lange Reihe von Themen [2]Die Aufzählung – nicht dagegen die Bewertung – folgt weitgehend dem meines Wissens unveröffentlichten Förderungsantrag von Ulrich Haltern und Christoph Möllers für eine Tagung … Continue reading empfohlen:
a) Gedächtnis: Kultur bildet einen Komplex identitätssichernden Wissens, sozusagen das Gedächtnis einer sozialen Gruppe oder gar der Gesellschaft. So verstanden ist Kultur das Arrangement von Symbolen, das die Bilder und Zeichen, Geschichten und Charaktere, Szenarien und Metaphern bereit hält, mit deren Hilfe die Mitglieder einer Gruppe ihrem Leben und der Welt um sie herum einen Sinn geben. Im Anschluss an Aleida und Jan Assmann ist daher das »kulturelle Gedächtnis« zu einem Schlüsselbegriff der Kulturwissenschaften geworden. Das Gedächtnis nimmt in Mythen und Riten, Liedern und Festen, Bildern und Texten Gestalt an. Eine »gedächtnisorientierte« Wissenschaft sucht dann nach den Ursprungsmythen moderner Institutionen. Und sie wäre keine solche, entdeckte sie nicht überall, wonach sie sucht, etwa für das Verfassungsrecht einen revolutionären Ursprungmythos, der es dem Verfassungsrecht gestatten soll, »an die Partikularität und Körperlichkeit von Revolutionen anzuknüpfen«. Oder sie beschwört den demokratischen Gründungsmythos der sogenannten verfassungsgebenden Gewalt des Volkes (Giorgio Agamben, Homo sacer, 2002, 50 ff.). Die entdeckten Symbole sind oft nicht viel besser als der Kadaver des Ziegenbocks, der in der Essener Inszenierung der »Elektra« über dem Kopf Klytaimnestras pendelte. Es handelt sich regelmäßig um paradigmatische Überinterpretationen, die in der Soziologie keinen Platz haben. Das meiste, was die Kulturwissenschaft als kulturelles Gedächtnis behandelt, ist längst Thema der Mediensoziologie und von dort auch in die Rechtssoziologie übernommen worden. In der allgemeinen Soziologie spricht man vom kollektiven Gedächtnis. Es spielt u. a. bei der Erklärung der Evolution des Rechts eine Rolle.
b) Alltagskultur und Popkultur: Die Kulturwissenschaften halten sich weiter zugute, dass sie den Blick auf die Bedeutung des Alltagswissens und der Populärkultur gelenkt habe. Da war die Rechtssoziologie allerdings auch schon ohne ihre Hilfe angekommen.
c) Visualität: Auf die Alltags- und Popkultur ist die Rechtssoziologie mittelbar durch Film und Fernsehen aufmerksam geworden, die in ihrem Themenhunger nicht nur Kriminalthemen, sondern viel allgemeiner Recht und Gerichte zum Thema von Unterhaltungsstoffen gemacht haben. Auf diesem Umweg ist nicht nur die visuelle Kommunikation, sondern viel allgemeiner die Relevanz der Kommunikationsmedien für das Recht Thema der Rechtssoziologie geworden.
d) Zeitlichkeit des Rechts: Raum und Zeit geben der Welt im Erleben der Menschen Struktur. Diese Struktur ist primär natürlich, beim Raum durch die Gestalt der Erde und ihrer Landschaften, bei der Zeit durch den Wechsel von Jahreszeiten, Tag und Nacht. Aber die natürliche Struktur wird überlagert durch eine soziale. Die Landschaften sind durch Besiedlung und Bauten gestaltet. Die Zeit erhält durch Kalender, Uhren und Gewohnheiten und Pläne ihren Rhythmus. Zeit korrespondiert mit Kausalität, denn Kausalität wird als eine zeitliche Abfolge von Ereignissen gedacht. Die Wahrnehmung der Vergangenheit durch Rechtsgeschichte und historische Soziologie bringt Periodisierungen hervor, die auf das Verständnis des aktuellen Rechts zurückwirken. Für den Alltagsgebrauch sind es die sog. Narrationen, die das Recht zeitlich gliedern. Monoton wird beklagt, dass die Beziehung zwischen Recht und Zeit wissenschaftlich vernachlässigt worden sei. Z. B. von Rebecca R. French, Time in the Law, University of Colorado Law Review 72, 2001, 663-748/663: »Time is always necessary in the law, yet it is rarely examined.«.)) Tatsächlich ist die Literatur zum Thema gar nicht so spärlich. [3]David M. Engel, Law, Time, and Community, Law and Society Review 1987, 605-638; Carol J. Greenhouse, Just in Time: Temporality and the Cultural Legitimation of Law, Yale Law Journal 98, 1631-1651; … Continue reading
Überall im Recht ist die Zeit präsent, beim Alter von Personen, in Fristen und Terminen, bei der Verjährung, der Dauer einer Strafe usw. usw. Positivität des Rechts bedeutet Änderbarkeit und begründet damit auch ein Zeitphänomen. Das ist durch Niklas Luhmann zu einem klassischen Thema der Rechtssoziologie geworden. Das alles ist trivial. Aber die Kulturwissenschaften leben davon, Trivialitäten hochzustilisieren. Interessanter als die Zeitlichkeit des Rechts ist die Veränderung der Zeitperspektive der Gesellschaft. Zu beobachten sind gegenläufige Entwicklungen. Auf der einen Seite steht die Dehnung der für relevant angesehenen Zeit. Traditionelle Verjährungsvorstellungen sind zu einem erheblichen Teil obsolet geworden. 1949 verjährte die Verfolgung von Mord noch in 20 Jahren. Dann wurde diese Verjährungsfrist im Blick auf die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen auf 30 verlängert, und als 1979 auch diese Spanne ablief, ganz aufgehoben. Aber auch zivilrechtliche Wiedergutmachungsansprüche werden heute ohne Rücksicht auf Fristen zugelassen. Hier sind ganz deutlich die rechtlichen Konsequenzen einer Neubewertung von Kolonialismus und Sklaverei, Naziverbrechen und sozialistischen Diktaturen zu spüren. In der Sprache der Kulturwissenschaften: In den 1960er Jahren hat man von einer Kultur des Vergessens auf eine Kultur der Erinnerung umgestellt. Die Konsequenz ist eine »Vermessung der Geschichte durch die Gerichte« [4]Angelika Nußberger, Die Vermessung der Geschichte durch die Gerichte, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. 7. 2010; ferner Lukas H. Meyer (Hg.), Justice in Time, Responding to Historical … Continue reading. Rückwirkende Moralisierung schlägt auf das Recht durch. Auf der anderen Seite Beschleunigung: Die Beschleunigung von Transport- und Kommunikationsvorgängen durch die moderne Technik und die (dadurch beförderte) Globalisierung der Wirtschaft mit dem daraus folgenden Konkurrenzdruck haben zu einer Art Nonstop-Gesellschaft geführt. Die rechtliche Regelung von Feiertagen und Ladenschluss, Arbeitszeiten und Fristen aller Art muss darauf reagieren.
e) Raum: Recht braucht einen Anwendungsbereich. Der ist, seitdem die Menschen sesshaft geworden sind, in erster Linie räumlich bestimmt. Traditionelle Rechtsvorstellungen sind daher mit Stadt und Staat verbunden. Eine alte Fragestellung der Rechtssoziologie befasst sich dem Phänomen lokaler Rechtskulturen, nämlich damit, dass Recht, das seinem Anspruch nach in einem bestimmten Territorium eigentlich einheitlich gelten sollte, in der Praxis ganz unterschiedliche Ausprägungen annimmt. Das geht bis hin zu den illegalen Siedlungen in Großstädten von Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen sich relativ unabhängig vom staatlichen Recht ein Ordnungssystem entwickelt, für das die Bewohner Rechtsqualität in Anspruch nehmen. [5]Boaventura de Sousa Santos, The Law of the Oppressed: The Construction and Reproduction of Legality in Pasargada, Law and Society Review 12, 1977, 5-126.
Mit der Beförderungs- und der Kommunikationstechnik sind die Menschen mobiler geworden. Politischer Druck und wirtschaftlicher Sog bringen sie in Bewegung. Grenzen sind durchlässiger geworden. Raum und Mobilität haben dadurch als Rechtstatsachen Bedeutung gewonnen. Das ist offensichtlich, wenn es um die Globalisierung des Rechts oder um Immigration und Integration geht. Durch die neue Mobilität haben sich die Raumerfahrung auch das Selbstverständnis der Menschen und damit ihre Beziehung zum Recht verändert. Die über den Raum vermittelte Loyalität zu Stadt, Staat und Recht hat sich abgeschwächt. Das alles ist nicht neu und reicht sicher nicht aus, um, etwa analog zur Wirtschaftsgeographie, wie sie der Nobelpreisträger Paul Krugman, angeregt von Ansätzen deutscher Raumwirtschaftstheoretiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wiederentdeckt und fortentwickelt hat, einer Rechtsgeographie das Wort zu reden. Was dazu angeboten wird [6]Nicholas K. Blomley/David Delaney, Richard T. Ford, (Hg.), The Legal Geographies Reader, Law, Power, and Space, Oxford 2001; Kim Economides/Mark Blacksell/Charles Watkins, The Spatial Analysis of … Continue reading, lässt sich einfacher in den konventionellen Kategorien der Rechtssoziologie unterbringen.
Man kann das Raumthema aber auch kunsthistorisch und architekturästhetisch ausmalen. Alessandro Nova [7]Nova ist Direktor des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, das als Max-Planck-Institut firmiert. hat gerade einen Vortrag über »Recht und Piazza« angekündigt. Um sich unter diesem Thema etwas vorstellen zu können, muss man wohl erst den von Nova und Jöchner herausgegebenen Band »Platz und Territorium: urbane Struktur gestaltet politische Räume« (2010) zur Hand nehmen. Man kann sich auch das Programm einer Tagung im Frankfurter MPI für Europäische Rechtsgeschichte über »Recht, Bild und Raum« ansehen.
In der modernen Soziologie ist zwar viel von Räumen (space) die Rede. Meistens wird der Begriff aber nicht geographisch, sondern im übertragenen Sinne verwendet wie von Bourdieu, wenn er von juristischen Feldern [8]Pierre Bourdieus, La force du droit. Éléments pour une sociologie du champ juridique, Actes de la recherche en sciences sociales, 64, 1986, 3-19. spricht. Als Metapher trägt er wenig zur Sache, aber viel zur Komplikation der Darstellung bei. Von den Herausgebern des Legal Geographies Reader ( S. XII f.) erfahren wir:

»First, by reading the legal in terms of the spatial and the spatial in terms of the legal, our understandings of both, ›space‹ and ›law‹ may be changed. Old stabilities begin to reveal gaps and tensions. … Second, … the spaces of experience and imagination are profoundly molded by inherited legal notions such as ›rights‹, ›ownership‹ and ›sovereignty‹ … Social space is saturated with legal meanings, but these meanings are always multiple and usually open to a range of divergent interpretations. … Third … the legal and the spatial are, in significant ways, aspects of each other and as such, they are fundamental and irreducible aspects of a more holistically conceived social-material reality.«

Es ist sicher richtig, dass man bei Untersuchungen über die Wirklichkeit des Rechts auch über Immigration und Globalisierung hinaus vielfach an räumlichen Grenzen anknüpfen kann, etwa bei der Verteilung von Grundeigentum oder bei der Durchsetzung von Ordnung in öffentlichen Plätzen. Dass räumliche Grenzen, etwa die zwischen Slums und guten Wohnvierteln oder gar fenced communities auch Grenzen zwischen Arm und Reich, Stark und Schwach darstellen, ist bekannt. Für all das braucht man weder eine Rechtsgeographie noch die Kulturwissenschaften.
f) Technik: Das Verhältnis von Recht und Technik wird seit jeher unter der Überschrift »Recht und sozialer Wandel« thematisiert.
g) Gewalt fasziniert die Kulturwissenschaften im Zusammenhang mit dem Recht wegen ihrer Doppelrolle. Das Recht versteht sich als Friedensordnung. Historisch ist es aber nicht selten durch einen gewaltsamen Akt, durch Krieg oder Revolution, entstanden. Einerseits bekämpft das Recht die Gewalt, wenn sie als Selbsthilfe, gewöhnliche Kriminalität oder gar Terrorismus auftritt. Andererseits droht das Recht seinerseits mit Gewalt und wendet sie bei Bedarf auch an. Der Beitrag der Kulturwissenschaften besteht darin, dass sie diese Doppelrolle zur Paradoxie hochstilisiert.
h) Körperlichkeit: Wenn Kulturwissenschaftler der Rechtsforschung den Körper als Thema nahelegen, so meinen sie verschiedene Dinge. [9]Die Kulturwissenschaften teilen die postmoderne Neigung zu Wortspielereien und zur Ausschöpfung von Mehrdeutigkeiten. In diesem Zusammenhang etwa ist regelmäßig von embodiment die Rede. Offen … Continue reading Erstens geht es um die physische Gewalt. Die ist immer schon ein Thema von Psychologie und Soziologie gewesen. Zweitens geht es um die materielle (körperliche) Basis der Rechtskommunikation: »Das Recht wird als Zeichenkörper konstituiert.« [10]Ludger Schwarte/Christoph Wulf (Hg.), Körper und Recht. Anthropologische Dimensionen der Rechtsphilosophie, 2003, Einleitung, S. 7. Solche aufgeblasenen Formulierungen sind für die Kulturwissenschaften typisch. Drittens: Manchmal geht es aber auch nur um metaphorischen Sprachgebrauch, so wenn wir erfahren, in Hobbes’ Leviathan erscheine der Staat als Verkörperung des Rechts. Viertens geht es um die Einwirkung des Rechts auf den Körper. Immer wieder fasziniert die Geschichte der Leibes- und Lebensstrafen. Aber es ist wohl richtig, dass heute über der Technik und den sozialen Strukturen die Leiblichkeit vernachlässigt oder gar vergessen wird. Es scheint, als ob das moderne Recht direkte Zugriffe auf den menschlichen Körper möglichst ausspart. Folter und Todesstrafe sind indiskutabel, körperliche Züchtigung jeder Art verboten. Fünftens: Gegenüber dem Zugriff von Medizin und Neurowissenschaft auf den Körper ist das Recht weitgehend ratlos. Sechstens: Ein interessanter Aspekt von Körperlichkeit wird in der Soziologie als »tacit knowledge« (M. Polanyi) oder (von Bourdieu) als Habitus thematisiert. Es geht darum, dass es zur Erklärung von Handlungen nicht genügt, bloß das Bewusstsein der Handelnden zu analysieren, weil es von einer unbewussten Handlungsbereitschaft getragen wird, die zu situationsadäquaten Improvisationen befähigt. So können Jazzmusiker zusammen spielen, ohne bewusst bestimmten Regeln zu folgen, weil sie die Fähigkeit entwickelt haben, auf das zu hören, was die anderen spielen, und darauf passend zu reagieren. Autofahrer entwickeln einen »sens pratique«, der sie Gas geben, lenken und bremsen lässt, ohne dass sie überlegen oder sich auch nur bewusst machen, was sie tun. Wenn ich an der Tastatur sitze und schreibe, geben meine Finger nicht ganz selten Zeichenketten ein, die dem gemeinten Wort ähnlich sind. Was daraus für das Recht folgen könnte, ist mir noch unklar.
h) Textbegriff: Für Recht und Rechtssoziologie nicht ganz unwichtig ist eine Erweiterung des Textbegriffs, manche sprechen sogar von einem textual turn: Zunächst muss ein neuer Ausdruck her: Textualität. Textualität ist eine Eigenschaft der Kultur, die nicht von Texten im technischen Sinne des gesprochenen oder geschriebenen Wortes abhängt. Die ganze Welt wird zum Text. Damit ist der Text nicht mehr selbstgenügsam und verliert seine Funktion als Bedeutungsträger. Danach geht es an die Dekonstruktion. Dabei hilft der Begriff der Kontingenz: Kultur ist alles, was anders hätte ausfallen können, also ein Konstrukt. Jedes Konstrukt kann auf alternative Konstruktionsmöglichkeiten befragt werden; es kann dekonstruiert werden. Das gilt sowohl für den vorgefundenen Text wie für dessen Lektüre. Der Beobachter zweiten Grades findet auf beiden Seiten, auf der des Textes und der der Lektüre, eine Wahl, die so oder anders hätte getroffen werden können. Der Text müsste nicht so da stehen, wie er steht, und der Leser hätte ihn anders verstehen können als er tat. Einige Varianten mögen manifest erscheinen. Andere werden nur als Negationshorizont mitgeführt und könnten bei Anlass oder Bedarf belebt werden. Text und Lektüre demontieren sich auf diese Weise selbst. Doch es ist nicht nur der Leser, der so bei der Lektüre beobachtet wird. Textualität der Kultur soll vielmehr besagen, dass jeder Text in vielfältiger Weise mit anderen verflochten ist und darüber hinaus einem sich ständig verändernden Kontext angehört.
Die Rechtssoziologie hat auf dieses Themenangebot längst reagiert, unter anderem durch das Konzept des Legal Pluralism und durch die Rezeption qualitativer Methoden der Sozialforschung.
(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Ernst Cassirer sprach vom animal symbolicum (An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture New Haven 1944, 26; dt. Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, 1990, 51.
2 Die Aufzählung – nicht dagegen die Bewertung – folgt weitgehend dem meines Wissens unveröffentlichten Förderungsantrag von Ulrich Haltern und Christoph Möllers für eine Tagung »Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft«, die 2006 im ZIF in Bielefeld stattgefunden hat. Das Themenangebot lässt sich auch an den vielen »turns« ablesen, die als Epigonen des Cultural Turn ausgerufen wurden; zu diesen Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29. 3.2010. Vgl. auch meinen Eintrag vom 15. 10. 2010 zum Temporal Turn.
3 David M. Engel, Law, Time, and Community, Law and Society Review 1987, 605-638; Carol J. Greenhouse, Just in Time: Temporality and the Cultural Legitimation of Law, Yale Law Journal 98, 1631-1651; Ali Khan, Temporality of Law, McGeorge Law Review 40, 2008; Bruce C. Peabody, Reversing Time’s Arrow: Law’s Reordering of Chronology, Causality, and History, Akron Law Review 40, 2007, 587-622; Charles F. Wilkinson, American Indians, Time and the Law, Yale University Press 1987.
4 Angelika Nußberger, Die Vermessung der Geschichte durch die Gerichte, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. 7. 2010; ferner Lukas H. Meyer (Hg.), Justice in Time, Responding to Historical Injustice, 2004.
5 Boaventura de Sousa Santos, The Law of the Oppressed: The Construction and Reproduction of Legality in Pasargada, Law and Society Review 12, 1977, 5-126.
6 Nicholas K. Blomley/David Delaney, Richard T. Ford, (Hg.), The Legal Geographies Reader, Law, Power, and Space, Oxford 2001; Kim Economides/Mark Blacksell/Charles Watkins, The Spatial Analysis of Legal Systems: Towards a Geography of Law? , Journal of Law and Society 13, 1986, 161-181.
7 Nova ist Direktor des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, das als Max-Planck-Institut firmiert.
8 Pierre Bourdieus, La force du droit. Éléments pour une sociologie du champ juridique, Actes de la recherche en sciences sociales, 64, 1986, 3-19.
9 Die Kulturwissenschaften teilen die postmoderne Neigung zu Wortspielereien und zur Ausschöpfung von Mehrdeutigkeiten. In diesem Zusammenhang etwa ist regelmäßig von embodiment die Rede. Offen bleibt dabei, ob es sich um die Verkörperung von Sinn in Bildern oder anderen Zeichen handelt oder um den Niederschlag von irgendetwas im menschlichen Körper.
10 Ludger Schwarte/Christoph Wulf (Hg.), Körper und Recht. Anthropologische Dimensionen der Rechtsphilosophie, 2003, Einleitung, S. 7.

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Neu: SOZBLOG– Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Seit Monatsbeginn hat nun auch die DGS ihr Blog. Willkommen in der Blogosphäre! Ein Buchstabe im Namen, gut drei Jahre und 180 Artikel Vorsprung sowie das Geschlecht machen den Unterschied zu RSOZBLOG. Bei der DGS ist das Ding männlich. Da hätte ich doch etwas mehr Gender-Mainstreaming erwartet.
Es gibt natürlich noch mehr Unterschiede zu RSOZBLOG. Vom Themenspektrum einmal abgesehen der wichtigste, dass SOZBLOG als sequentielles Gemeinschaftsblog angekündigt ist, das heißt, dass zwar nur ein Autor zur Zeit tätig ist, aber nach zwei Monaten abgelöst wird. Als Einzelkämpfer steht man da schon unter erheblichem (selbstproduzierten) Druck, jede Woche oder jedenfalls alle vierzehn Tage zu posten; und das Ergebnis mag oft kümmerlich sein. Aber es ist ja niemand gezwungen, meine Ergüsse zu lesen.
Ich habe schon oft daran gedacht, RSOZBLOG zu einem Gemeinschaftsblog umzugestalten. Aber bisher habe ich es nicht gewagt, jemanden einzuladen, und es hat sich auch niemand angeboten. Ein Wagnis schienen mir Einladungen nicht nur deshalb, weil ich mir damit einen Korb einhandeln könnte, sondern weil ich damit auch das Blog aus meiner etwas eigenwilligen Hand geben müsste.
Auf SOZBLOG schreibt im September und Oktober der Industrie- und Techniksoziologie G. Günter Voß von der TU Chemnitz. Voß hat Erfahrung mit einem eigenen Microblog auf Twitter. In seinem ersten Posting auf SOZBLOG holt er erst einmal nach, was ich hier sukzessive »In eigener Sache« notiert habe. Ich bin gespannt auf die nächsten Einträge und wünsche viel Erfolg. Als Vorschusslorbeer nehme ich SOZBLOG in meine Blogroll auf.
Zunächst aber habe ich mir natürlich die Webseite von Voß angesehen und daraus einigen Kollateralnutzen gezogen. Seine »subjektorientierte Soziologie« war mir bisher entgangen. Verwiesen wird dazu auf ein recht informatives Internetportal »Arbeit und Leben«. Wenn man dort sucht, findet man durchaus implizite Verbindungen zu rechtssoziologischen Themen. Was unter dem Stichwort »Arbeitskraftunternehmer« abgehandelt wird, betrifft teilweise die gleichen Entwicklungen, die man in Verwaltung und Justiz als New Public Management und Ökonomisierung [1]Meine letzten Arbeiten zum Thema Ökonomisierung der Justiz und richterliche Unabhängigkeit (2009) sowie Reform der Justiz durch Reform der Justizverwaltung (2010)., behandelt. Bei »Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit« geht es auch »um die rechtliche Entgrenzung von Arbeit und Beschäftigung«, die freilich ein bißchen einseitig mit dem Stichwort Deregulierung verkoppelt wird. Besonders interessant finde ich den Begriff des »arbeitenden Kunden«. Dabei geht es um die besonders durch die EDV erweiterten Formen der Selbstbedienung. Es liegt auf der Hand, dass hier die klassischen Vertragsmodelle überprüft werden müssen. Die Fortsetzung in den Dienstleistungsbereich bietet das Thema »Interaktive Arbeit«. Auch hier sind über die arbeitssoziologischen Aspekte hinaus rechtssoziologische Fragen naheliegend. Auf welchen Umwegen auch immer: Bloggen lohnt sich.

Anmerkungen

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Von der Rechtssoziologie zu den Kulturwissenschaften und zurück (I)

Der Begriff der Kultur ist noch unschärfer als derjenige des Rechts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte der Kulturbegriff als normativer Kampfbegriff etwa gegen die französische »Zivilisation« dienen. Ein halbes Jahrhundert später waren »Kulturindustrie« (Horkheimer/Adorno) oder »affirmative Kultur« (Marcuse) Gegenstand kritischer Analyse. Heute ist der Kulturbegriff durch inflationären und vieldeutigen Gebrauch verwässert. Das Spektrum reicht von »Multikulturalität« und »interkultureller Vermittlung« über »Alternativ-, Pop-, Medien-, Alltags-« oder »Unternehmenskultur« bis zur »Netz-« und »Industriekultur«. Der Schriftsteller Eckhard Henscheid hat ironisch 756 Kulturen identifiziert. [1]Eckhard Henscheid, Alle 756 Kulturen: eine Bilanz, 2001. Als soziologischer Klassiker gilt A. L. Kroeber/Clyde Kluckhohn, Culture, A Critical Review of Concepts and Definitions, Cambridge Mass. 1952. … Continue reading Doch ähnlich wie beim Recht muss man gar nicht mit einer Definition beginnen. Meistens weiß man auch so, was gemeint ist.
Das Recht ist Teil der Gesellschaft und damit in deren Kultur eingebettet. Das ist eigentlich eine Trivialität, und ebenso selbstverständlich sollte es sein, dass das Recht seinerseits einen Teil dieser Kultur bildet. Aber Trivialitäten sind langweilig, und gelegentlich werden sie vergessen oder verdrängt, so auch, wenn man sich zu intensiv nur mit dem einen oder dem anderen beschäftigt, die wechselseitige Bedingtheit von Kultur und Recht. Dann wird früher oder später eine Wende ausgerufen, nach dem linguistic turn und dem pictorial turn nun auch der cultural turn. Um 1980 war noch alles Struktur und Funktion. Heute ist alles Kultur. Nicht wenige Juristen und Rechtssoziologen sind mit einem geradezu heroischen Willen zur Interdisziplinarität bemüht, die Deutungshoheit über Begriffe ihres Faches an die Kulturwissenschaften abzutreten.
Eine erste kulturalistische Wende in den Human- und Sozialwissenschaften gab es schon am Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie ist mit den Namen wie Sigmund Freud oder Aby Warburg verknüpft. Ähnlich wie die Rechtssoziologie gab und gibt es auch eine Kultursoziologie. Auch sie beruft sich auf große Namen wie Max Weber oder Georg Simmel. In die Ahnenreihe gehört auch der als Rechtssoziologie bekannte Theodor Geiger. Von Geiger stammt der in diesem Zusammenhang wichtige Begriff der repräsentativen Kultur. Sie ist das Gegenstück zur anonymen Volkskultur, deren Bestände sich – vergleichbar der Sprache oder dem Gewohnheitsrecht – formlos vererben und sich dabei laufend verändern. Dadurch unterscheidet sie sich von der (von Geiger so genannten) substanziellen Kultur, die sich aus individualisierbaren Werken zusammensetzt und in ihrer Summe die repräsentative Kultur ausmacht.

»Diese substanzielle Fassung des Kulturbegriffs entspricht unserem Kulturstil selbst. Sie ist Ausdruck dafür, dass unsere Zeit im Zeichen einer Repräsentativ-Kultur steht. Damit ist gemeint, dass aufgespeicherte Kulturbestände, deren jegliches Stück einem – bekannten oder unbekannten—Urheber zugeschrieben wird, ›die Kultur der Epoche‹ repräsentieren.« [2]Theodor Geiger, Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft, 1949, 2.

Repräsentative Kultur ist Hochkultur. Sie stellt die hegemonialen Muster für die Deutung der sozialen Wirklichkeit bereit.

»Repräsentative Kultur … entwickelt sich in allen arbeitsteiligen Gesellschaften, sobald eine spezifische Gruppe oder Schicht entsteht, die sich auf Erhalt und Tradierung der immateriellen Kultur, der ursprungssagen, der Mythen, der Religion, der Riten und des kollektiven Gedächtnisses, spezialisiert. Sie entwickelt den Deutungsrahmen des Alltagshandelns fort, baut neue Ereignisse (Naturkatastrophen, Kriege) in den alten Rahmen ein, legitimiert oder delegitimiert politische Herrschaft und kann auf Anerkennung ihrer Sinndeutungen rechnen. Repräsentative Kultur entwickelt also notwendig einen Anspruch auf Geltung, der über die unmittelbare Trägerschicht hinausreicht.« [3]Clemens Albrecht, Wie Kultur repräsentativ wird: Die Politik der Cultural Studies, in: Udo Göttlich u. a. (Hg.), Populäre Kultur als repräsentative Kultur, Die Herausforderung der Cultural … Continue reading

Protagonisten sind Geisteswissenschaftler, Künstler, Literaten und Journalisten, Intellektuelle und Kulturschaffende, wie man sie anerkennend oder abschätzig nennen mag. Die Trägerschicht dieser Kultur ist aber viel breiter. Man hat sie oft mit dem Bürgertum identifiziert. Bürgerliche Kultur, wie sich sie in Bildung und Habitus äußert, wurde damit – als Kultur der herrschenden Klassen – neben der Stellung der Menschen im Produktionsprozess zu einem Merkmal der sozialen Schichtung.
Die neue Wende zur Kultur ging in den 60er Jahren von amerikanischen und britischen Anthropologen aus. Sie wurde angetrieben von der politischen Forderung, sich nicht länger auf das Studium der Objektivierungen menschlichen »Geistes« in Geschichte, Literatur und Künsten zu kaprizieren, sondern die pluralen Ausdrucksformen von a priori gleichberechtigten Kulturen anzuerkennen. Mit Kritik an der »Hochkultur« verband sich die Hoffnung auf ein subversives Potential der »Subkulturen«. Anthropologie und Ethnologie, die sich bislang auf »fremde« Kulturen beschränkt hatten, beobachteten nun die eigene Gesellschaft und erschlossen sich so mit den cultural studies neue Gegenstandsbereiche. Das geschah mit dem politischen Anspruch, Felder sozialer Ungleichheit zu entdecken, die überkommene Unterscheidung zwischen Hochkultur und Popularkultur aufzubrechen und den Kampf um Bedeutungen zu analysieren.
Auch in Europa wurde den 1990er Jahren »Kultur« zum Leitbegriff für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Hier fehlt ihm allerdings der starke kritisch-politische Angriffsgeist. Die Geistes- und Sozialwissenschaften stehen unter einem erheblichen Legitimationsdruck. Mit einer Neuorientierung als Kulturwissenschaften hoffen sie, sich die Überlebensfähigkeit zu sichern. Daraus hat sich eine merkwürdige Eigendynamik ergeben. Während die cultural studies mit einem kritischen Impetus gestartet waren, geht es heute um Studiengangsplanung und Berufsorientierung akademischer Abschlüsse im Sinne der ökonomischen Verwertbarkeit kultureller Kenntnisse oder gar um die Möglichkeiten der Wirtschaftsförderung durch Kultur. Vor allem aber ermöglicht die Hinwendung zu »Kultur« eine beinahe beliebige Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Geistes- und Sozialwissenschaften. Als Kulturwissenschaften fühlen sie sich für alles zuständig, auch für das Recht. Sozusagen als Gegenleistung gibt es ein dreifaches Versprechen:
1. Aus dem Abbau der Disziplingrenzen soll eine Perspektiven-erweiterung resultieren.
2. Es sollen neue Themenfelder eröffnet werden.
3. Eine neue Methode soll die »kulturellen Differenzerfahrungen« der Moderne erschließen.
Die Versprechen klingen gut. Aber nach zwanzig Jahren Kulturwissenschaft ist die Bilanz für die Rechtssoziologie gemischt.
Als Disziplin mit institutioneller Basis und Organisation gab es die Rechtssoziologie eigentlich nie. Sie wurde und wird in der Hauptsache von Juristen und in der Nebensache von Soziologen und vielen anderen betrieben. Rechtssoziologie war immer schon in dem Sinne interdisziplinär, dass in ihrem Namen Juristen ihre Disziplingrenzen überschritten haben. Viel zu öffnen gibt es also gar nicht. Immer schon waren zur Rechtssoziologie alle eingeladen, die sich für das Recht interessieren. Als Kulturwissenschaft verkleidet haben nun mehr oder weniger alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen, etwa Literaturwissenschaft, Kunstwissenschaft, Medienwissenschaft und andere mehr das Recht entdeckt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Problematisch sind aber Bestrebungen, auf die Selbstbenennung des Faches als Rechtssoziologie zu verzichten und nach dem amerikanischen Vorbild von »Law & Society« nur noch von (Forschungen über) »Recht und Gesellschaft« zu sprechen. Die Öffnung der Rechtssoziologie gegenüber der Kulturwissenschaft führt damit zu ihrer Selbstauflösung. Auch das wäre nicht weiter schlimm, wenn dafür etwas gewonnen würde. Doch im Gegenteil, gewonnen wird wenig, aber es geht viel verloren. (Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Eckhard Henscheid, Alle 756 Kulturen: eine Bilanz, 2001. Als soziologischer Klassiker gilt A. L. Kroeber/Clyde Kluckhohn, Culture, A Critical Review of Concepts and Definitions, Cambridge Mass. 1952. Kroeber und Kluckhohn kamen auf 164 unterscheidbare Verwendungen des Kulturbegriffs.
2 Theodor Geiger, Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft, 1949, 2.
3 Clemens Albrecht, Wie Kultur repräsentativ wird: Die Politik der Cultural Studies, in: Udo Göttlich u. a. (Hg.), Populäre Kultur als repräsentative Kultur, Die Herausforderung der Cultural Studies, 2002, 16–32, S. 21.

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Wikirecht

In einem Artikel im New Republic vom 25. 5. 2010 schreibt Daniel Lansberg-Rodriguez [1]Er bloggt auf ConstitutionsMaking.org. über »Wiki-Constitutionalism«. Damit meint er das in Südamerika verbreitete Phänomen, dass die Regierungen die Verfassungen bei Bedarf umschreiben.
»This is a phenomenon I call ›Wiki-constitutionalism.‹ In Latin America, constitutions are changed with great frequency and unusual ease (though not through any open-source collaborative process), as if they were Wikipedia pages. The evidence is staggering: The Dominican Republic has had 32 separate constitutions since its independence in 1821. Venezuela follows close behind with 26, Haiti has had 24, Ecuador 20, and Bolivia recently passed its seventeenth. In fact, over half of the 21 Latin American nations have had at least ten constitutions while, in the rest of the world, only Thailand (17), France (16), Greece (13), and Poland (10) have reached double digits. And the process occurs under governments of every political stripe—not just socialist ones like those of Chavez and Bolivia’s Evo Morales. Gruff conservatives like Colombia’s Alvaro Uribe and friendly, doting moderates like the Dominican Republic’s Leonel Fernandez have joined the party too, attempting to tear up and revise their constitutionally-mandated term limits. (It’s important to distinguish between amending and rewriting. Constitutional amendments are common all over the world, but Latin America’s rewrite-mania is truly eccentric: Venezuela, for instance, has adopted 26 new constitutions, but amended an existing one only thrice.)«
Die Wiki-Metapher finde ich gut, und ich will sie gleich übernehmen. Allerdings macht Lansberg-Rodriguez von ihr einen schiefen Gebrauch. Der Witz eines Wiki besteht ja doch darin, dass jedermann an einem Text mitschreiben kann, nicht nur autoritäre Regierungen und die von ihnen gesteuerten Parlamente. [2]Unter dem Titel »WikiRecht das freie Rechtslexikon« gibt es seit November 2008 eine Webseite, die es noch nicht zu nennenswerten Inhalten gebracht hat. Als Träger firmiert eine DeOnA Online … Continue reading Eine passendere Verwendung liegt nahe. In dem Eintrag vom 15. April 2011 hatte ich die These von Thomas Vesting referiert, die Computerkultur werde dazu zwingen, das Recht ständig neu zu überschreiben. Ist es das, was Vesting gemeint hat, ein Recht, an dem jedermann mitschreiben kann? Das hat er zwar nicht ausdrücklich gesagt. Aber sonst wäre der Neuigkeitswert seiner These nur begrenzt, denn dass das positive Recht geändert werden kann und laufend geändert wird, hat, wer es noch nicht wusste, spätestens von Luhmann gelernt. Die Frage ist also, was der Computer insoweit im Vergleich zu Schrift und Buchdruck ändert. Das wäre doch ein schöner Traum, der Traum vom Wikirecht. Den Traum von der »Offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten« [3]Peter Häberle, JZ 1975, 297-305. gab es ja schon einmal. [4]Diese Formulierung wird Häberles These nicht gerecht. Sie lautete: »Wer die Norm ›lebt‹, interpretiert sie auch (mit). Das ist eine höchst soziologische These, und Häberle verkennt nicht, … Continue reading Und auch der Schritt zur »offenen Gesellschaft der Rechtsinterpreten« wurde schon angedacht. [5]Von Hans Joachim Mengel in: Lexikon der Politikwissenschaft, 4. Aufl. 2010, S. 451. Ich stelle mir das Ganze so vor: Die Vorhut bilden die Blogger mit ihren Blawgs. In der zweiten Linie werden die Kommentare zu den wichtigeren Gesetzen als Wikis organisiert. Und am Ende wird dann das Bundesgesetzblatt von den Bürgern geschrieben. Eher ein Albtraum als ein Traum.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Er bloggt auf ConstitutionsMaking.org.
2 Unter dem Titel »WikiRecht das freie Rechtslexikon« gibt es seit November 2008 eine Webseite, die es noch nicht zu nennenswerten Inhalten gebracht hat. Als Träger firmiert eine DeOnA Online Akademie für Recht und Wirtschaft.
3 Peter Häberle, JZ 1975, 297-305.
4 Diese Formulierung wird Häberles These nicht gerecht. Sie lautete: »Wer die Norm ›lebt‹, interpretiert sie auch (mit). Das ist eine höchst soziologische These, und Häberle verkennt nicht, dass er damit einen anderen als den üblichen Interpretationsbegriff verwendet.
5 Von Hans Joachim Mengel in: Lexikon der Politikwissenschaft, 4. Aufl. 2010, S. 451.

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Die Dominanz des Verfügbaren

Der Umbruch der Medienlandschaft hat handfeste Folgen. Die Digitalisierung der juristischen Literatur, insbesondere der juristischen Zeitschriften setzte erst mit der Jahrtausendwende in voller Breite ein. Es wurden jedoch nur wenige Jahrgänge rückwärts digitalisiert. In aller Regel nehmen die Anbieter nur neue Texte in ihre Datenbanken auf. Das hat zur Konsequenz, dass die älteren Texte kaum noch zur Hand genommen und gelesen werden. Das ist einerseits ein Segen, denn ich stehe nicht an zu behaupten, dass über 90 % aller juristischen Texte – meine eigenen nicht ausgenommen – nach wenigen Jahren zur Makulatur geworden sind. Das ist andererseits ein Verlust, denn in den restlichen 10 % steckt vielleicht Substanz.
Die Tatsache, dass im Zuge der Digitalisierung ältere Texte in Vergessenheit geraten, hat eine Kehrseite. Einige machen daraus ihr Geschäft, indem sie in der Vergangenheit wühlen, alte Texte editieren und Ideengeschichten schreiben. Andere benutzen die alten Bücher in erster Linie als Steinbruch, aus dem sich brauchbare Spolien oder gar ganze Säulen gewinnen lassen. Die Älteren haben oft noch einen gefüllten Bücherschrank, in den sie gelegentlich hineingreifen, und sei es nur aus Nostalgie. Sie (damit meine ich mich) sind dann oft überrascht, wie frisch und neu manche alten Texte wirken, oder umgekehrt, wie altmodisch viele neue Gedanken eigentlich sind. Vielleicht werde ich in Zukunft häufiger Fundstücke aus der Vergangenheit vorzeigen. Heute will ich nur noch mitteilen, welches Buch gerade der Auslöser für diesen Eintrag war, nämlich das Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 2 »Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft« von 1972. Dagegen wirkt manche moderne Einführung in die Rechtstheorie oder die Grundlagen der Rechtswissenschaft ziemlich blass.

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Überflüssige Literatur

Gelegentlich liest man Zahlen über den gewaltigen Ausstoß an wissenschaftlicher Literatur. Die Naturwissenschaften übertreffen insoweit wohl sogar noch die Sozial- und Geisteswissenschaften. Keiner kann alles thematisch Einschlägige lesen. Man kann das Problem der überflüssigen Literatur von einem distanzierten Beobachterstandpunkt aus ansehen nach dem Motto: Die Evolution wird es schon richten. Aber dem individuellen Wissenschaftler ist damit nicht geholfen. Viele Doktoranden verbringen zwei wertvolle Jahre ihres Lebens damit, überflüssige Literatur zu lesen und auszusondern. Im Übrigen entwickelt jeder seine eigene Technik zum Umgang mit dem Überfluss. Gelegentlich bewundere ich wissenschaftliche Arbeiten, die explizit nur wenige Quellen heranziehen als souverän und elegant. Vermutlich kenne ich dann selbst die einschlägige Literatur nicht gut genug, um zu erkennen, wem alles der Autor noch hätte Kredit geben können.

Bewährt ist die Methode, nur zu lesen und auszuwerten, was andere bereits mehr oder weniger zustimmend oder jedenfalls als diskussionswürdig zitiert haben. Aber da landet man nicht ganz selten in geschlossenen Zitiernetzwerken. Soweit vorhanden, helfen Buchbesprechungen. Dabei zeigt sich jedoch eine merkwürdige Asymmetrie. Es wird immer noch viel zu viel Literatur positiv als wertvoll erwähnt. Selten oder nie erklärt jemand ein Stück schlicht für überflüssig. Dafür gibt es natürlich Gründe. Der erste liegt in dem prinzipiellen Wohlwollen, mit dem nicht nur jede Alltagskommunikation beginnt, sondern das auch Grundlage aller hermeneutischen Anstrengungen ist. Zweitens gehört auch das Besprechungswesen weitgehend zur Netzwirkerei. Drittens fehlt aber auch ein selbstverständlicher Maßstab für das Überflüssige unter dem thematisch an sich Relevanten. Eine Begründung für das Überflüssigkeitsurteil ist ähnlich schwierig wie die Begründung für die offensichtliche Unbegründetheit eines Rechtsmittels nach § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Für den Produzenten selbst ist sein Literaturstück nie überflüssig, und sei es, dass er, wie regelmäßig der Verfasser dieser Zeilen, nur schreibt, um sich seiner eigenen Gedanken zu versichern. Vieles wird im Laufe der Zeit überflüssig. Da gilt wohl längst, dass Texte, die älter als zehn Jahre sind, nur noch gelesen werden, wenn sie Bestandteil der Zitatenschatzes geworden sind (und damit wären wir wieder im Netz). Mir geht es aber um die Literatur, die von vornherein überflüssig ist, weil sie mehr oder weniger Bekanntes nur neu formuliert, die man aber dennoch sichten muss, sei es wegen der Prominenz der Autoren, sei es wegen der deutlichen Bezüge der angebotenen Stichworte zu der eigenen Thematik.

Eine große Teilmenge des Genres überflüssige Literatur besteht aus Sammelbänden, wie sie nach Tagungen entstehen oder als Festschriften produziert werden. Wohl unvermeidlich enthält jeder Sammelband Überflüssiges. [1]Kritisch zur Sammelbandunkultur hat sich gerade Gerd Schwerhoff in der heimlichen Juristenzeitung geäußert. (Entschleunigung der Forschung – aber wie?, FAZ Nr. 184 vom 10. 8. 2011 S. N5.) Der … Continue reading Aber nicht selten kann man den ganzen Band vergessen. Ich habe mich gerade wieder über zwei solcher Exemplare geärgert, denn die Mühe, sie zu beschaffen und sie dann mindestens durchzublättern, ist (jedenfalls für mich) nicht unerheblich. Und deshalb fange ich einfach damit an zu benennen, was ich überflüssig gefunden habe, nämlich:
Ralf Diedrich/Ullrich Heilemann (Hg.), Ökonomisierung der Wissensgesellschaft, Wie viel Ökonomie braucht und wie viel Ökonomie verträgt die Wissensgesellschaft?, Berlin 2011
Marc L. M. Hertogh (Hg.), Living Law, Reconsidering Eugen Ehrlich, Oxford 2009; vgl. dazu die zurückhaltende Rezension von Dan Steward. Law & Society Review 45, 2001, 225-227).
Guido Holzhauser/Carolin Suter (Hg.), Interdisziplinäre Aspekte von Compliance, Baden-Baden 2011.

Nachträge:
Schöner Titel, nichts dahinter: Heinz-Dieter Assmann/Frank Baasner/Jürgen Wertheimer (Hg.), Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält, Baden-Baden 2012.
Unergiebig: Ralf Diedrich/Ullrich Heilemann (Hg.), Ökonomisierung der Wissensgesellschaft, Wie viel Ökonomie braucht und wie viel Ökonomie verträgt die Wissensgesellschaft?, Berlin 2011.

Christoph Möllers, Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität, 2015. Klug und belesen. Viel rezensiert und zitiert. Und trotzdem: Überflüssig, es sei denn, man suchte nach einem Beleg für die Möglichkeit des Schreibens.

Dieter Grimm/Christoph König (Hg.), Lektüre und Geltung. Zur Verstehenspraxis in der Rechtswissenschaft und in der Literaturwissenschaft, 2020. Die Texte sind in drei Kolloquien 2012, 2014 und 2016 entstanden und entsprechend abgehangen. Immerhin erfahren wir (S. 7) »Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft sind Interpretationswissenschaften.« Ich habe nur einen interessanten Beitrag gefunden, der aber eigentlich gar nicht unter das Rahmenthema des Bandes passt: Pascale Cancik, Wenn der Gesetzgeber schweigt … — »Interpretation« durch die Verwaltung(en). Das Beispiel der Lärmaktionsplanung, in: Dieter Grimm/Christoph König (Hg.), S. 172-187. Darin zeigt Cancik auf, dass an der Implementation von Planungsrecht eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Kritisch zur Sammelbandunkultur hat sich gerade Gerd Schwerhoff in der heimlichen Juristenzeitung geäußert. (Entschleunigung der Forschung – aber wie?, FAZ Nr. 184 vom 10. 8. 2011 S. N5.) Der weiß auch kein Rezept außer dem Vorschlag, Tagungsbeiträge zunächst grundsätzlich im Open Access Verfahren im Netz zu veröffentlichen.

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Download des Jahres

Ende Juli 2011 unternahm FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger einen Vorstoß zur Restgleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Aus der CDU erhielt sie Widerspruch, von der Opposition, besonders von den Grünen, dagegen Unterstützung. Da ist es vielleicht der Artikel von Interesse, der zur Zeit an der Spitze der Hitliste des SSRN steht: »What is Marriage?« von Sherif Girgis, Robert George (beide Princeton) und Ryan T. Anderson (University of Notre Dame). Seit der Veröffentlichung am 11. 12. 2010 wurde er 34.283 Mal heruntergeladen und 84.402 zitiert. Die Autoren plädieren vehement für das Festhalten am herkömmlichen Ehebegriff und gegen die absolute Gleichstellung. Hier das Abstract:
In the article, we argue that as a moral reality, marriage is the union of a man and a woman who make a permanent and exclusive commitment to each other of the type that is naturally fulfilled by bearing and rearing children together, and renewed by acts that constitute the behavioral part of the process of reproduction. We further argue that there are decisive principled as well as prudential reasons for the state to enshrine this understanding of marriage in its positive law, and to resist the call to recognize as marriages the sexual unions of same-sex partners.
Besides making this positive argument for our position and raising several objections to the view that same-sex unions should be recognized, we address what we consider the strongest philosophical objections to our view of the nature of marriage, as well as more pragmatic concerns about the point or consequences of implementing it as a policy.
Das Thema ist in vielen Ländern der westlichen Welt aktuell. Es trifft sich, dass mir vor kurzem Thomas Kupka seinen Artikel über »Verfassungsnominalismus« geschickt hat, der der soeben in ARSP 97, 2011, 44-77 erschienen ist. Kupka macht die Sache spannend, denn er verspricht eingangs, zwei auf den ersten Blick höchst widersprüchlich erscheinende Urteile des kalifornischen Supreme Courts zur Zulässigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe zu harmonisieren. 2008 ging es um die Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung aus dem Familiengesetzbuch, die ihrem Wortlaut nach nur Personen unterschiedlichen Geschlechts die Eheschließung gestattete:
»Family Code section 300 currently provides in relevant part: ›Marriage is a personal relation arising out of a civil contract between a man and a woman, to which the consent of the parties capable of making that contract is necessary.‹ In light of its language and legislative history, all parties before us agree that section 300 limits marriages that lawfully may be performed in California to marriages of opposite-sex couples.« (In re Marriage Cases, 43 Cal. 4th 757). Diese Beschränkung wurde für verfassungswidrig erklärt, denn auch wenn die kalifornische Verfassung das Recht auf Eheschließung nicht erwähne, so sei doch nach vielen Vorentscheidungen klar, dass unter dem Schutz der Verfassung jedermann das Grundrecht auf Heirat ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Partners habe. Und dazu gehöre auch, dass die Verbindung gleichgeschlechtlicher Paare als »marriage« zu bezeichnen sei, auch wenn das nicht dem historischen Sprachgebrauch entspreche. »The current statutes—by drawing a distinction between the name assigned to the family relationship available to opposite-sex couples and the name assigned to the family relationship available to same-sex couples, and by reserving the historic and highly respected designation of marriage exclusively to opposite-sex couples while offering same-sex couples only the new and unfamiliar designation of domestic partnership—pose a serious risk of denying the official family relationship of same-sex couples the equal dignity and respect that is a core element of the constitutional right to marry.«
Kalifornien ist bekannt dafür, dass es der direkten Demokratie großen Raum gewährt. Sogar die Verfassung kann durch Volksentscheid geändert werden. Im November 2008 wurde auf diesem Wege mit der Proposition 8 ein Verfassungszusatz mit dem Namen California Marriage Protection Act angenommen, der die Verfassung um den Zusatz ergänzte: »Only marriage between a man and a woman is valid or recognized in California«.
Schon im nächsten Jahr hatte der Supreme Court in Strauss v. Horton, 46 Cal. 4th 364 über die Gültigkeit dieser Bestimmung zu entscheiden. Aus deutscher Sicht hätte man wohl die Frage gestellt, ob Proposition 8 verfassungswidriges Verfassungsrecht begründet hätte. Der Supreme Court rettete die Proposition 8, in dem er sie eng auslegte: Sie bedeute in keiner Weise eine Einschränkung des Rechts gleichgeschlechtlicher Paare zur Heirat mit allen ihren Wirkungen. Dieser Verbindung werde einzig und allein die Benennung als Ehe versagt, und selbst in dieser eingeschränkten Bedeutung gelte Proposition 8 nur für die Zukunft: » Proposition 8 reasonably must be interpreted in a limited fashion as eliminating only the right of same-sex couples to equal access to the designation of marriage, and as not otherwise affecting the constitutional right of those couples to establish an officially recognized family relationship.« Eine andere Frage ist dann, ob die Bestimmung gegen die Bundesverfassung verstößt, wie inzwischen wohl ein Federal Court entschieden hat. Wie Kupka mit diesen Urteilen umgeht, möge man bei Interesse selbst nachlesen.
Ich finde das Thema zurzeit unter dem Gesichtspunkt interessant, ob und wieweit die juristische Methode die Gesetzesauslegung lenken kann. In der Zeitschrift für Rechtssoziologie gibt es einen älteren Artikel zum Thema von Jörg Wegener [1]Die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, ZfRSoz 16, 1995, 170-191. Damit reagierte Wegener auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. 10. 1993, NJW 1993, 3058., der sehr schön Fakten zum Thema zusammenstellt und dann – vorsichtig gesagt – wenig überzeugend die Ansicht zu begründen versucht, die Ehe von gleichgeschlechtlicher Personen sei bereits de lege lata zulässig. Wenig überzeugend, denn das, was Wegener als »institutionelle Auslegung« des Art. 6 GG abtut, ist nun einmal der Standard der Methodenlehre [2]Sehr viel differenzierter Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl., Heidelberg 1999, 409 ff.. Es wird ja immer wieder behauptet, dass die Richterpersönlichkeit für viele Entscheidungen wichtiger sei als das Gesetz. Ich würde eine Wette abschließen, dass fast alle Juristen, die in einer professionell eingekleideten Gesetzesauslegung zu dem Ergebnis gelangen, der Ehebegriff des Art. 6 GG verlange kein unterschiedliches Geschlecht der Partner, selbst homosexuell sind.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, ZfRSoz 16, 1995, 170-191. Damit reagierte Wegener auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. 10. 1993, NJW 1993, 3058.
2 Sehr viel differenzierter Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl., Heidelberg 1999, 409 ff.

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Warum ist Luhmann so bedeutend und warum gehe ich auf Distanz?

Soeben ist von Knut Papendorf, Stefan Machura und Kristian Andenaes als Herausgebern der Band »Understanding Law in Society, Developments in Socio-legal Studies« [1]LIT-Verlag, Berlin 2011.erschienen. Er gibt die Vorträge wieder, die 2009 auf einer kleinen, aber feinen Tagung im Institut für Kriminologie und Rechtsoziologie der Universität Oslo gehalten wurden und die zum Ziel hatten, die skandinavische und die deutsche Rechtssoziologie einander näher zu bringen. Natürlich finden sich in dem Band auch Aufsätze zu den beiden Hauptexportartikeln der deutschen Rechtsoziologie, Max Weber und Niklas Luhmann. Luhmann ist gleich zwei Mal vertreten. Luhmann-Kenner müssen die beiden Artikel nicht lesen. Und wer Luhmann nur als Steinbruch benutzt, findet bessere Anleitungen. Für mich war der Artikel von Frank Welz [2]Frank Welz, Niklas Luhmann’s Sociology of Law: A Critical Appraisal, in: Knut Papendorf u. a. (Hg.), Understanding Law in Society, Developments in Socio-legal Studies, 2011, S. 80-108. jedoch ein Auslöser, um die folgenden Notizen, die schon länger schlummerten, aufzuwecken.
Warum also ist Luhmann so bedeutend?
In den 1950er und 60er Jahren hatten sich mehr oder weniger alle, die nicht in das marxistische Lager gewechselt waren, auf Empirie gestürzt. Empirische Forschung zeigt jedoch immer nur kleine Ausschnitte der Gesellschaft. Sie kann nicht das Ganze in den Blick nehmen. Das aber möchte eigentlich jeder, ob Laie oder Wissenschaftler. Luhmann bietet nun eine Großtheorie, die genau das zu leisten verspricht. Durch den Zuschnitt der Systeme kann sie Teile der Welt, die den jeweiligen Betrachter besonders interessieren, in den Blick nehmen und zu anderen Teilen und zum Ganzen in Beziehung setzen. Die marxistische Theorie war in dem Sinne »holistisch«, dass sie für alles eine Erklärung anbot – und damit war sie zum Scheitern verurteilt. Luhmann erklärt uns gerade umgekehrt, warum wir nicht alles wissen müssen und können. Damit hat er seine Theorie, ohne sich auf lange Erörterungen einzulassen, wissenschaftstheoretisch abgesichert. Er umgeht das Problem der Fundamentalphilosophie, die Frage nämlich: wo findet Wissenschaft einen sicheren Anfang der Erkenntnis, ohne in einen immer neuen Regress zu verfallen, indem er Rekursivität zu einem zentralen Theoriebaustein macht. Alle Aussagen sind solche eines Beobachters, der Unterscheidungen trifft. Der Beobachter kann sich selbst aber beim Beobachten nicht beobachten und deshalb nicht alles wissen. Daraus folgt ein radikaler Konstruktivismus. Rekursivität gibt es aber auch auf der Systemebene, denn Systeme konstituieren sich selbst, indem sie die Elemente, aus denen sie sich zusammensetzen, aus den Elementen ableiten, aus denen sie bestehen. Die daraus resultierende Geschlossenheit der Systeme hat zur Folge, dass man nicht alles wissen kann. Denn über die Systemgrenzen hinaus gibt es keine einfachen Ursache-Wirkungsbeziehungen (sondern nur »strukturelle Kopplungen«). Die Definition der Systemgrenzen gelingt Luhmann allerdings nur deshalb so gut, weil er ein großartiger Beobachter ist.
Luhmanns Theorie ist ebenso wie diejenige von Marx eine Entwicklungstheorie. Doch anders als bei Marx ist die Evolution bei Luhmann nicht gerichtet und sie kennt schon gar keinen Fortschritt. Sie lässt sich deshalb mit der aktuellen Großtheorie für die Entwicklung des Lebens, der darwinistischen Evolutionstheorie, mindestens parallelisieren. Und nicht zuletzt: An intellektuellem Format ist Luhmanns Theorie der marxistischen ebenbürtig. Auf eine solche Theorie hatten viele gewartet.
Und warum gehe ich auf Distanz?
Wie immer, kann eine Kritik grundsätzlich oder am Detail ansetzen. Am Detail habe ich nicht viel zu kritisieren. Luhmann ist einfach gut. Grundsatzkritik dagegen ist billig. Jedes große Theoriegebäude ruht auf letztlich unbewiesenen und unbeweisbaren Voraussetzungen. Man muss nur danach suchen, und wenn man nichts Besseres findet, kann man den Autor oder seine Theorie ja immer noch unter Ideologieverdacht stellen.
So musste sich Luhmann oft gefallen lassen, in die konservative Ecke gestellt zu werden. Aber das ist kein adäquates Diskussionsniveau. Man kann nicht einmal sagen – wie gelegentlich zu hören –, dass seine Theorie die Erforschung der sozialen Ungleichheit nicht vorangebracht habe. Immerhin hat er die Begriffe »Inklusion« und »Exklusion« populär gemacht. [3]z. B. Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 581 ff.
Ich verstehe Luhmanns Theorie (nach dem Vorschlag von Frank Welz) als eine Fortsetzung der Phänomenologie Husserls. Luhmann suspendiert alle ontologischen Fragen, Fragen also nach Raum und Zeit, dem Wesen der Dinge und des Menschen. Es sagt einfach, »es gibt Systeme« [4]Soziale Systeme, 1984, S. 16., und konzentriert sich auf die Frage: Wie beschreibe ich sie. Damit erhält, was er beschreibt, den Charakter einer bloßen Möglichkeit. Alle Differenzen werden der Welt von dem Beobachter eingeschrieben. Alle Grenzen, insbesondere auch die Systemgrenzen, sind letztlich bloße Definitionen. Damit hat Luhmann sich gegen jeden Fundamentalismusvorwurf abgesichert. Das Ergebnis ist blanker Konstruktivismus, und den trägt Luhmann auch überall zur Schau. Seine Theorie ist Luhmann nur deshalb so gut gelungen, weil er ein großartiger Beobachter war.
Luhmanns Theorie liefert für sich genommen keine neuen Erklärungen. Aber sie strotzt vor Realität und führt immer wieder zu überraschend neuen Sichtweisen, nicht bloß, wenn wir erfahren, dass Leinenzwang zwar nur für den Hund vorgeschrieben ist, dass dann aber auch der Herr an die Leine muss [5]Das Recht der Gesellschaft, S. 341 f.. Der Anspruch dieser Theorie ist freilich ein anderer. Sie will die Evolution des Rechts erklären, wenn auch nicht in dem Sinne, »dass es so kommen musste«, so aber doch dahin, »dass es, obwohl unwahrscheinlich, so kommen konnte« [6]Gesellschaftsstruktur und Semantik, 1981, S. 49.
Bald drei Jahrzehnte haben Luhmanns Konstruktionen die deutsche Rechtssoziologie mehr oder weniger beherrscht, und noch immer halten ihm viele die Treue. Ich gehe inzwischen bei aller Bewunderung aber doch auf eine gewisse Distanz. Grund dafür sind vor allem zwei Bauelemente der Theorie, nämliche die Vorliebe für Paradoxien und das Konzept der Autopoiese und der daraus folgenden operativen Schließung der Systeme. Luhmann ist dafür kritisiert worden, wie er das Konzept von Maturana und Varela aus der Biologie in die Soziologie übernommen hat, wo es allein schon wegen der eher willkürlich gezogenen Systemgrenzen nicht passt. Die Vorstellung von der operativen Schließung der Systeme verbietet es, das Recht als Instrument des sozialen Wandels anzusehen. Die Evolution ist blind. Nichts ist vorhersehbar. Alles entwickelt sich anders als geplant. Dieser Standpunkt ist vergleichbar mit jener deterministischen Einstellung, die die Willensfreiheit verneint. Er ist für die Rechtssoziologie gleicher Weise irrelevant wie für die Jurisprudenz.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 LIT-Verlag, Berlin 2011.
2 Frank Welz, Niklas Luhmann’s Sociology of Law: A Critical Appraisal, in: Knut Papendorf u. a. (Hg.), Understanding Law in Society, Developments in Socio-legal Studies, 2011, S. 80-108.
3 z. B. Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 581 ff.
4 Soziale Systeme, 1984, S. 16.
5 Das Recht der Gesellschaft, S. 341 f.
6 Gesellschaftsstruktur und Semantik, 1981, S. 49

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In eigener Sache VIII: Veröffentlichungen

Ressort- und Berichtsforschung als Datenquelle, in: Matthias Mahlmann (Hg.), Gesellschaft und Gerechtigkeit, Festschrift für Hubert Rottleuthner, Baden-Baden 2011, S. 357-393

Alternatives to Law and to Adjudication, in: Knut Papendorf u. a. (Hg.), Understanding Law in Society, Developments in Socio-legal Studies, Berlin 2011, S. 191-238

Die Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, Auf dem Weg zu einer rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, Bd. 1, Baden-Baden 2011, S. 67-78.
Die ausführliche Besprechung von Cornelia Vismann, die ich abschnittsweise bereits in Recht anschaulich und in Rsozblog eingestellt hatte, ist nunmehr in der Zeitschrift für Rechtssoziologie 32, 2011, 262-276 erschienen.

Zusammen mit Hans Christian Röhl: Röhl, Juristisches Denken mit Versatzstücken, in: Judith Brockmann u. a. (Hg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2012, S. 251-258.

Im Januar 2013 ist bei Mohr Siebeck erschienen »Demokratie-Perspektiven. Festschrift für Brun-Otto Bryde zum 70. Geburtstag (ISBN 978-3-16-152197-3). Darin S. 675-710 mein Beitrag »Entwicklungshilfe durch Recht und die Konvergenzthese«.

Erschienen sind schließlich in der EzR (Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie – IVR) meine Beiträge Grundlagen der Methodenlehre I und Grundlagen der Methodenlehre II.

Zusammen mit Stefan Machura: 100 Jahre Rechtssoziologie: Eugen Ehrlichs Rechtspluralismus heute, Juristenzeitung 2013, 1117-1128.

»Die Rechtstheorie ist schlecht vernetzt«, in: Aarnio Aulis u. a. (Hg.), Positivität, Normativität und Institutionalität des Rechts, Festschrift für Werner Krawietz zum 80. Geburtstag, Berlin 2013, S. 537-565.

Theodor Geiger, Bemerkungen zur Soziologie des Denkens, ARSP XLV, 1969, 23-52, in: Annette Brockmöller (Hg.), Hundert Jahre Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 2007, S. 149-165.

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Zur Kritik am Container- oder Transportmodell der Kommunikation

Nachdem die Methodenlehre längst vom Subsumtionsdogma abgerückt ist, wendet sich die neuere Kritik gegen das so genannte Containermodell der Kommunikation, dass der juristischen Methode zugrunde liege. Gemeint ist eine Informationsübertragung nach dem technischen Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver. Dazu wird das ganze Arsenal postmoderner Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie, Soziolinguistik und Systemtheorie aufgeboten. Kurz und prägnant wird die Kritik von Lerch [1]Kent D. Lerch, Wissen oder Willkür? Zur Konstruktion des Rechtsfalls durch den Richter, in: Ulrich Dausendschön-Gay (Hg.), Wissen in (Inter-)Aktion, Verfahren der Wissensgenerierung in … Continue reading zusammengefasst. Sie läuft weitgehend ins Leere, denn kaum jemand bestreitet, dass das technische Modell der Kommunikation für die Humankommunikation nur als Kontrastmittel brauchbar, und zwar aus fünf Gründen.
1. Ein Mensch empfängt ständig zahllose Reize, die als Zeichen in Betracht kommen. Zum Zeichen werden solche Signale erst durch eine Wahl des Empfängers. Erst wenn und weil der Empfänger ein Signal als Zeichen deutet, kann es kommunikativ wirken.
2. Für die Humankommunikation steht eine Vielzahl von Kodes zur Verfügung. Die prominentesten sind der linguistische Kode der Sprache und der Buchstabenkode der Schrift. Ein beinahe perfekter Kode ist das Notensystem der Musik; andere, insbesondere ikonografische Kodes, sind vergleichsweise sehr unbestimmt. Doch selbst die leistungsfähigsten Kodes lassen Spielräume.
3. Es ist nicht gewährleistet, dass ein vorhandener Kode auch optimal genutzt wird. Der Kode kann nicht technisch implementiert werden wie das Übertragungsprotokoll zwischen Computer und Drucker. Seine Anwendung ist von der Kommunikationskompetenz der Beteiligten und von deren Folgebereitschaft abhängig. Der Sender, der in aller Regel ein Interesse daran hat, verstanden zu werden, wird sich nach Kräften an den verfügbaren Kode halten. Wenn der Empfänger dieses Interesse nicht vollständig teilt, wird er nachlässig dekodieren und alle Unklarheiten in seinem Sinne nutzen. Es liegt auf der Hand: Je schwächer der Kode, desto größer die Interpretationsfreiheit. Die Bedeutungszuweisung wird zur Sache des Empfängers.
4. Humankommunikation vollzieht sich gleichzeitig auf mehreren Kanälen. Die Zeichenkonkurrenz steigert noch die Interpretationsherrschaft des Empfängers und verhilft ihm zu einer dominanten Stellung in der Kommunikation.
5. Auf zwei Stufen vollzieht sich eine nicht-instrumentelle Beteiligung des Mediums am Kommunikationsprozess:
a) Die technischen Medien (der Übertragungskanal) bleiben nicht semantisch neutral. Sie bestimmen die Reichweite und Verfügbarkeit des Informationsflusses und damit die raumzeitliche und soziale Organisation der Kommunikation und haben so erheblichen Anteil an der Bedeutungskonstitution.
b) Die semiotischen Qualitäten des verwendeten Zeichensatzes strukturieren das kognitive Potential von Sender und Empfänger.

Erfolgreiche Kommunikation ist aber nicht so selten, wie es unter diesen Voraussetzungen scheinen könnte. Im Gegenteil, eine gelungene Verständigung ist, und zwar nicht nur im Alltag (so aber Lerch), sondern auch in der Rechtspraxis, sogar der Normalfall. Der Rezipient wird Signale aus einem bestimmten Kanal als Zeichen interpretieren und sich um eine subjektive Auslegung, d. h. um eine Auslegung im Sinne des Senders, bemühen, wenn er interessante Informationen erwartet. Auch der Rollentausch zwischen Sender und Empfänger verpflichtet beide auf eine effektive Nutzung der verwendeten Kodes. Schließlich können auch Sanktionen zu einer kodegerechten Kommunikation veranlassen. Sanktionen setzen allerdings Kontrolle voraus. Die Kontrollmöglichkeiten steigen mit der Qualität des Kodes und sind damit bei der Sprache relativ hoch. Kontrolle und Sanktionen laufen ihrerseits wieder über Kommunikation mit der Folge, dass Schrift und Sprache als effektive Kommunikationsmittel geradezu selbstverstärkende Wirkung haben.
Für die Rechtskommunikation tritt eine weitere Komplikation hinzu, weil Normtexte in der Regel nicht von einer einzelnen Person als Absender ausgehen, sondern einer Institution, insbesondere einem Parlament, zuzurechnen sind. Die Rede vom »Willen des Gesetzgebers« ist dann eine grobe Vereinfachung, wenn nicht gar eine Fiktion. Dadurch wird die Identifizierung einer gesetzgeberischen Intention als Dekodierungshilfe zwar erschwert, aber nicht ausgeschlossen. [2]So aber Dietrich Busse, Ist die Anwendung von Rechtstexten ein Fall von Kommunikation?, in: Kent D. Lerch (Hg.), Recht vermitteln, Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht, Bd. 3, … Continue reading
Im Normalfall besteht gar keine Meinungsverschiedenheit über die Mitteilungsabsicht »des Gesetzgebers«. Aber auch in Streitfällen wäre, wie die Geschichtswissenschaft mit ihren historisch-kritischen Analysen zeigt, die Intention gesetzgeberischen Handelns oft mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln. [3]Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, 177. Dass juristische Interpretation von solchen Analysen kaum Gebrauch macht, steht auf einem anderen Blatt.
Ein Problem ergibt sich schließlich daraus, dass das Textverständnis von den Interessen des Interpreten gelenkt wird. Wer eine Gebrauchsanleitung liest, wird sie in aller Regel »richtig« verstehen, das heißt so, wie sie vom Verfasser gemeint war, weil er daran interessiert ist, dessen Mitteilungsabsicht richtig zu erfassen. Wer einen literarischen Text liest, sucht eher eine Projektionsfläche für eigene Gedanken. Juristische Texte werden regelmäßig vor dem Hintergrund von Konflikten gelesen. Mit der Lektüre verbindet sich deshalb das Interesse, die eigene Position im Streit zu verstärken. Das ist keine gute Voraussetzung für eine verlustfreie Informationsübertragung, sondern oft der Ausgangspunkt für einen »semantischen Kampf« [4] Ausdruck nach Ralph Christensen, z. B. in Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis, 10. Aufl., 2009, S. 195.. Aber daran mus die Wissenschaft sich nicht unbedingt beteiligen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Kent D. Lerch, Wissen oder Willkür? Zur Konstruktion des Rechtsfalls durch den Richter, in: Ulrich Dausendschön-Gay (Hg.), Wissen in (Inter-)Aktion, Verfahren der Wissensgenerierung in unterschiedlichen Praxisfeldern, 2010, S. 225-247.
2 So aber Dietrich Busse, Ist die Anwendung von Rechtstexten ein Fall von Kommunikation?, in: Kent D. Lerch (Hg.), Recht vermitteln, Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht, Bd. 3, Berlin 2005, 23-53, 28 ff.
3 Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, 177.
4 Ausdruck nach Ralph Christensen, z. B. in Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis, 10. Aufl., 2009, S. 195.

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