Recht muss anthropozentrisch bleiben – was sonst?

Der erste Eintrag des neuen Jahres enthält eine prononciert normative Äußerung, auf die ich sonst verzichte, wiewohl ein normativer Überschuss natürlich meist nicht zu vermeiden ist.

Die potenziell grenzenlose Ausdeutbarkeit von Grund- und Menschenrechten führt zu deren Verschleiß, wenn kein dauerhaftes soziales Einverständnis sie rechtlich und sozial fixiert. Dieses Einverständnis schien lange selbstverständlich zu sein. Menschenrechte sind eben Menschenrechte und keine Tierrechte und schon gar keine Pflanzenrechte. Aber eine breite Tierrechtsbewegung marschiert, um die normative Differenz zwischen Mensch und Tier einzuebnen, prominent vertreten etwa durch das Great Ape Project[1], dessen Protagonisten gewisse Menschenrechte auch für Hominiden fordern.

In dem Eintrag vom 30. April 2013 habe ich kritisch über eine rechtspolitische Diskussion über den Schutz der »Pflanzenwürde« berichtet. Seither ist die wissenschaftliche Literatur zum Thema weiter angewachsen.[2] Längst ist über Tier- und Pflanzenrechte so viel gesagt und geschrieben worden, dass kaum noch neue Argumente zu entdecken sind. Das wohl jüngste Argument beruft sich auf das Anthropozän-Konzept, das besagt, wir seien in ein Zeitalter eingetreten, in dem nicht länger die Natur, sondern die Menschen die Gestalt der Erde und das Leben auf ihr formten. Sozusagen als Gegengewicht sollen Teilen der Natur, Tieren und Landschaften, eigene Rechte zugestanden werden.[3]

Es ist müßig, weiter über ontologische Differenzen zwischen Mensch und Tier zu streiten. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist der Mensch ein höheres Tier. Es lohnt sich auch kaum, darüber zu diskutieren, ob die traditionelle Auffassung, der Mensch unterscheide sich vom Tier durch seinen Vernunftgebrauch, haltbar ist. Dadurch verlagert sich der Streit nur auf den ohnehin problematischen Vernunftbegriff. Man kann Tieren weder Kognitionen noch Emotionen absprechen.

Das ändert nichts daran, dass bisher kaum eine empirische Grenze so scharf ist, wie diejenige zwischen Mensch und Nichtmensch. Bisher ist jedenfalls kein Fall bekannt, indem die Eigenschaft eines Lebewesens als Mensch oder Nichtmensch zweifelhaft gewesen wäre. Insbesondere auch die Artgrenze zwischen Mensch und Tier hat seit unvordenklicher Zeit gehalten, wiewohl auch sie grundsätzlich nicht evolutionsfest ist.

Es bleibt verdienstvoll, in dieser Situation den »Anthropozentrismus des juristischen Personenbegriffs«[4] aufzuarbeiten. Gezeigt wird aber nur, was wir schon immer wussten: Rechtstechnisch ist es überhaupt kein Problem, bestimmten Teilen der belebten oder unbelebten Natur Rechtsfähigkeit zu verleihen und ihnen in der Folge auch subjektive Rechte zuzuerkennen.[5] Die Privilegierung des Menschen, die als Anthropozentrismus geläufig ist, hat eine religiöse und eine logozentrische Begründungtradition. Selbstverständlich wird diese Tradition heute, wie alles, was selbstverständlich erscheint, in Frage gestellt.

Die Diskussion um Rechte für die Natur ist nicht länger ein rationaler Diskurs im Sinne von Habermas, sondern ein Machtdiskurs im Sinne Foucaults, in dem nicht mehr Argumente, sondern Fußnoten zählen. Wer sich äußert, äußert sich in der Regel im Sinne der Tierrechtsbewegung. Die Mehrheit bleibt stumm, bis sie eines Tages nicht mehr reden darf. Es ist daher an der Zeit, Farbe zu bekennen.

Ganz gleich, ob es eine fundamentale Grenze zwischen Mensch und Tier gibt: Ich ziehe eine Grenze – oder vielmehr, ich folge all denen, die eine solche Grenze ziehen. Die große Errungenschaft der Grund- und Menschenrechte verliert durch die Proliferation ins Tier- oder gar ins Pflanzenreich an Kraft. Solange Milliarden Menschen nicht in Frieden und Freiheit leben, solange sie hungern, leiden und Ungleichheit ertragen müssen, gilt es, die Grund- und Menschenrechte auf diese Menschen zu konzentrieren. Naturschutz und Tierschutz sind diesem Ziel untergeordnet.

Solche Privilegierung des Menschen muss nicht unbedingt deontologisch begründet werden. Ich ziehe einen bescheidenen Utilitarismus vor. Bescheiden, weil es nicht um das größte Glück, sondern nur um die Ausräumung großen Unglücks geht. Deshalb müssen Naturschutz und Tierschutz nicht zurückstehen, Utilitarismus verlangt auch die Verringerung tierischen Leids. Ein menschenzentrierter Utilitarismus inkorporiert ferner das Prinzip der Nachhaltigkeit, das ohne intensiven Naturschutz nicht zu halten ist. Damit wird die Frage, welche Schmerzen, Leiden oder Schäden Tieren zugefügt werden und wann sie getötet werden dürfen, zu einer Frage der Verhältnismäßigkeit, bei deren Beantwortung das Wohl von Menschen ein deutliches Übergewicht erhält. Es wiegt so schwer, dass im Interesse menschlichen Wohlergehens selbst die Tötung von Tieren zulässig ist. Alles andere wäre Heuchelei.

Auf Dauer schließt diese Sichtweise nicht einmal aus, dass auch Tieren Rechte zugestanden werden. Es handelt sich, wie gesagt, um ein rechtstechnisches Problem. Wenn dem Menschen durch Tierrechte besser gedient wäre als ohne, sollte man sie einrichten.

Juristen könnten – besser noch als Theologen – wissen, dass sich nicht das dominium terrae der biblischen Schöpfungsgeschichte, sondern allenfalls eine bestimmte Auslegungstradition für die ökologische Krise der Welt verantwortlich machen lässt. Die Einordnung des gegenwärtigen Erdzeitalters als Anthropozän bestätigt das dominium terrae nicht als Imperativ, sondern als Faktum. Wenn darauf überhaupt noch eine Reaktion möglich, dann nur als solche von Menschen, die den Schaden, den sie angerichtet haben, zu begrenzen und vielleicht ein wenig zu reparieren suchen. Hier sind allein Menschen als Pflichtsubjekte gefordert. Deshalb sollten sie auch als Rechtsubjekte privilegiert bleiben.

Ohnehin werden Tierrechte bald nur noch einen Nebenschauplatz bilden. Die neuen Möglichkeiten zu einer Genveränderung mittels CRISPR/Cas9 und die heraufziehende künstliche Intelligenz bilden die Zukunftsfront, an der es die Menschlichkeit zu verteidigen gilt und die erst recht einen anthropozentrischen Standpunkt fordert.

Nachtrag: Die Argumente sind, wie gesagt, getauscht. Es wäre langweilig sie zu wiederholen. Aber ich will doch jedenfalls auf eine Darstellung verweisen, die ich mir gerne zu eigen mache: Heike Baranzke, Natur als Subjekt von Eigenrechten — eine sinnvolle Rede?, in: Gerald Hartung/Thomas Kirchhoff (Hg.), Welche Natur brauchen wir?, 2014, 439-460.

Und noch ein Nachtrag: Mitte März 2017 meldete die Presse, das Parlament in Wellington/Neuseeland habe dem Whanganui River auf Wunsch der Maori Rechtspersönlichkeit verliehen und ihm einen Vertreter der Maori und einen Verteter der Regierung als Treuhänder bestellt. Der für die Verhandlungen mit den Maori zuständige Minister wird mit den Worten zitiert: »Manche Leute werden das einigermaßen seltsam finden. Aber das ist auch nicht anders als bei einer Familienstiftung oder einer Firma.« Richtig. Juristische Personen sind Rechtspersonen zweiter Klasse. Das ist keine Frage der Rechtstheorie. Rechtstheorie, will sie nicht zum Naturrecht zurückkehren, kann auch den Menschen nur als juristische Person konstruieren. Aber der Mensch ist die einzige juristische Person erster Klasse. Das ist keine Theorie, sondern eine Wertentscheidung.

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[1] Es »geht zurück auf das 1993 erschienene Buch »Menschenrechte für die Großen Menschenaffen – Das Great Ape Projekt« (Originaltitel: The Great Ape Project: Equality Beyond Humanity), das von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer herausgegeben wurde. Es enthält Beiträge von 34 Autoren, darunter Jane Goodall, Jared Diamond und Richard Dawkins. Nach dem ersten Schwung in den 90er Jahren lösten sich zahlreiche Arbeitsgruppen zum GAP allmählich auf. Im Gefolge der Verleihung des Ethik-Preises 2011 der Giordano-Bruno-Stiftung an Paola Cavalieri und Peter Singer wurde das GAP in Deutschland neu gestartet. Der Relaunch wird koordiniert von dem Psychologen Colin Goldner, unterstützt von Wissenschaftlern wie Volker Sommer, Dieter Birnbacher oder Michael Schmidt-Salomon.« (Wikipedia, Great Ape Project).

[2] Heft 3/2016 der Zeitschrift »Rechtwissenschaft« ist als Themenheft »Tier und Recht« erschienen. Aus den Beiträgen lässt sich die ältere Literatur rückverfolgen.

[3] Kyniker werden sich mit Muslimen zusammenschließen, die die westliche Welt als Kynozän kritisieren, weil Menschen dort Hunde oft höher geschätzt werden als die Familie.

[4] Steffen Augsberg, Der Anthropozentrismus des juristischen Personenbegriffs – Ausdruck überkommener (religiöser) Traditionen, speziesistischer Engführung oder funktionaler Notwendigkeiten?, Rechtswissenschaft 7, 2016, 338-362.

[5] Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 463.

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