Um die vermutlich unterschiedlichen Erfolgsbedingungen für kognitive und für normative Analogien zu erfassen, ist eine Zwischenbemerkung zu den Begrifflichkeiten angebracht.
In der Argumentationstheorie unterscheidet man zwischen deduktiven und nicht-deduktiven Argumenten. Die Deduktion ist zwar logisch zwingend, vermittelt aber keine neuen Einsichten. Subsumtion im engeren Sinne ist Deduktion. Alle Argumentationen, die mehr versprechen, als in ihren Prämissen enthalten ist, sind nicht-deduktiv. Dazu zählen Induktion, Abduktion und alle anderen weichen Begründungen, darunter an prominenter Stelle die (normative) Analogie. Die nicht-deduktiven Argumente werden auch konduktiv genannt.
Es werden große Anstrengungen unternommen, auch die nicht-deduktiven Argumentationen zu formalisieren. Man spricht von informaler Logik, und es gibt sogar eine Zeitschrift, die diese widersinnige Benennung im Titel trägt (Informal Logic, seit 1978). Etwa gleichbedeutend wird auch von defeasible logic gesprochen.[1] Den Titel »Informal Logic« trägt auch das brauchbarste Buch über Argumentationstheorie, das mir bisher in die Hände gekommen ist. Es verzichtet erstaunlicher Weise ganz auf Formalisierungen.[2] Dagegen häufen sich in der juristischen Literatur die Versuche, die logische Struktur des Analogieschlusses zu formalisieren.[3] Mehr als Ulrich Klug dazu in seiner »Juristischen Logik« zusammengestellt hat, lässt sich kaum sagen. Als »derzeitige Auffassung« der Kognitiven Psychologie hält John R. Anderson fest: »Doch es gibt keinen Grund, eine enge Beziehung zwischen der Logik und den kognitiven Prozessen, die dem menschlichen Schlussfolgern zugrunde liegen, anzunehmen.«[4] Was fehlt, sind Erklärungen, wie das Ähnlichkeitsurteil zustande kommt und was es taugt. Das ist die kritische Stelle der Analogiebildung.[5] Da hilft keine Logik, sondern nur Empirie.
Für alle empirischen Disziplinen ist Induktion eine bewährte und harte Methode, in der quantitativen Sozialforschung härter als in der qualitativen. Deshalb hat die Induktion unter den nicht-deduktiven Argumenten eine Sonderstellung. Induktion besteht in der Verallgemeinerung von mehr oder weniger vielen Einzelbeobachtungen. Sie liefert keine Wahrheiten, sondern »nur« Wahrscheinlichkeiten. Induktive Argumente werden daher als weich oder vielmehr als konduktiv eingeordnet. Das ist begründet, wenn ihre empirische Basis nicht nach den Methodenstandards der qualitativen Sozialforschung und schon gar nicht mit den harten Methoden der quantitativ arbeitenden Erfahrungswissenschaften unterlegt ist.
Man ist geneigt, ein Argument, dass ohne quantitative empirische Grundlage induktiv verfährt, also verallgemeinert, als qualitative Induktion zu bezeichnen. Das Dumme ist, dass dieser Begriff – von Peirce und von seinem Interpreten Reichertz – bereits zweifach anders belegt ist. Peirce unterschied zwischen »Crude, Quantitative, and Qualitative Induction« (CP 2.755). Crude induction ist die weiche Form der Induktion, die von einem oder wenigen Beispielen auf ein allgemeines Gesetz schließt und nicht um eine Verifizierung bemüht ist (CP2.256f). Das Gegenstück ist die quantitative Induktion, die sich um einen statischen Beweis bemüht. Zwischen beiden liegt die qualitative Induktion (CP 2.759):
»The remaining kind of induction, which I shall call Qualitative Induction, is of more general utility than either of the others, while it is intermediate between them, alike in respect to security and to the scientific value of its conclusions. In both these respects it is well separated from each of the other kinds. It consists of those inductions which are neither founded upon experience in one mass, as Crude Induction is, nor upon a collection of numerable instances of equal evidential values, but upon a stream of experience in which the relative evidential values of different parts of it have to be estimated according to our sense of the impressions they make upon us.«
Was Peirce unter qualitativer Induktion versteht, hat immerhin eine schwache empirische Basis. Langt die empirische Basis gerade noch für eine Vermutung, so wird die anschließende Folgerung gerne als Abduktion bezeichnet, ohne dass damit etwas gewonnen wäre. Nicht selten ist die Basis so schwach, dass das induktive Argument auf Rhetorik hinausläuft. Im Alltag gerät die Induktion schnell zu einem Vorurteil, wenn eigene oder fremde Erlebnisse umstandslos verallgemeinert werden. Das ist der Induktions-Bias. Dennoch ist die qualitative Induktion, wie stark oder schwach auch immer, besser als andere nicht-deduktive Argumente, die überhaupt keine empirische Basis haben, denn sie lässt sich mit Empirie bestätigen oder widerlegen.
Im Zusammenhang mit der Analogie wird nicht selten auch die Abduktion als eigenständige Argumentform angeführt. Als Gewährsmann wird dann regelmäßig Peirce genannt. In der juristischen Methodenliteratur spielt die Abduktion dagegen nur eine Außenseiterrolle. Immerhin zählte Arthur Kaufmann sie neben Subsumtion und Analogie zu den »vier Bausteinen« der Rechtsgewinnung, allerdings nur als Hilfsmittel der Analogie. Die Analogie war für Kaufmann »der zentrale Akt der Rechtsgewinnung«. Alexy setzt an die Stelle von Kaufmanns Quartett ein Trio. Auch bei Alexy haben Abduktion und Induktion neben der Analogie keine eigenständige Bedeutung mehr. Dafür kommt die Abwägung ins Spiel. »Was die Regel bei der Subsumtion ist und das Prinzip bei der Abwägung, ist der Fall bei der Analogie.«[6] Ob die Abwägung unter Prinzipien eine eigenständige und vielleicht auch formalisierbare Methode sei[7], ist ein großes Thema für sich. Hier ist von Interesse, dass für die Analogie bestritten wird, sie biete ein eigenständiges Argumentationsschema.[8] Ein Analogieschluss, der die Rechtsfolge von einem Fall auf einen anderen Fall überträgt, setze stets eine übergeordnete Regel voraus, die für beide Fälle gelte. Die gegensätzlichen Positionen sollen im nächsten Beitrag über Induktive und deduktive Analogie näher erörtert werden.
[1] Henry Prakken, Logical Tools for Modelling Legal Argument. A Study of Defeasible Reasoning in Law, 1997; dazu die Rezension von Bart Verheij, Formalism an Interpretation in the Logic of Law, Artificial Intelligence and Law 8, 2000, 35-65. »Defeasibility« ist Schwerpunktthema von Heft 1/2022 der Zeitschrift »Rechtsphilosophie«. Dort S. 84 Carsten Bäcker: »Defeasibility bezeichnet die Fähigkeit normativer Vorgaben, Ausnahmen haben zu können.«
[2] Es handelt sich um Douglas N. Walton, Informal Logic. A Pragmatic Approach, 2. Aufl., 2008. Wenig anfangen kann ich dagegen mit der hoch gepriesenen Argumentationsheorie von Harald Wohlrapp (Der Begriff des Arguments, 2. Aufl. 2009). Dgegen habe ich im Laufe meiner Recherchen zur Analogie das Lehrbuch von Trudy Govier schätzen gelernt: A Practical Study of Argument, 7. Aufl., 2014.
[3] Z. B. Maximilian Herberger/Dieter Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, 1980, S. 170ff; Jan C. Joerden, Logik im Recht, 2. Aufl., 2010, S. 355ff. Beinahe absurd die Formalisierungen bei Alexy, Two or Three, ARSP Beiheft 119, 2010, 9-18, oder bei Leo Reisinger, Die Struktur der Analogie im Rechtsdenken, Rechtstheorie Beiheft 1, 1979, 265-274. Reisinger bemerkt zum Schluss (S. 274), dass auch sein Formalisierungsversuch nicht befriedigen könne. »Für den Juristen ist aber der fr den Analogieschluss maßgebende Grad der Ähnlichkeit niemals in abstracto gegeben, sondrnu in bezug auf ein bestimmes Rechtsprinzip, ein bestimmtes telos zusehen.«
[4] John R. Anderson, Kognitive Psychologie, 3. Aufl., 2001, S. 316.
[5] Brozek (wie Fn. 30) S. 191: »the most troublesome element«.
[6]Robert Alexy, Arthur Kaufmanns Theorie der Rechtsgewinnung, ARSP Beiheft 100, 2005, 47-66; ders., Two or Three, ARSP Beiheft 119, 2010, 9-18.
[7] So immer wieder Robert Alexy, z. B. in: On Balancing and Subsumption. A Structural Comparison, Ratio Juris 16, 2003, 433-449.
[8] Die Diskussion fand bei Gelegenheit des IVR-Kongresses 2007 in Krakau statt und wieder während des IVR-Kongresses 2011 in Frankfurt a. M. Die Beiträge aus Frankfurt sind weitgehend in dem von Hendrik Kaptein und Bastiaan Velden herausgegebenen Sammelband »Analogy and Exemplary Reasoning in Legal Discourse«, 2018, nachzulesen. Insbesondere Bartosz Brożek macht gegenüber Alexy immer wieder geltend, dass auch die Analogy auf eine Abwägung hinauslaufe (Analogy in Legal Discourse, ARSP 94, 2008, 188-201; Bartosz Brożek, Ia Analogy a Form of Legal Reasoning?, in: Martin Borowski u. a. (Hg.), Rechtsphilosophie und Grundrechtstheorie, 2017, 291-204; Analogy and Balancing, in: Hendrik Kaptein/Bastiaan Velden (Hg.), Analogy and Exemplary Reasoning in Legal Discourse, 2018, 101-107.