Analogie – induktiv, deduktiv oder originär?

Nicht nur unter Juristen, sondern auch in der Argumentationsliteratur wird der Analogie von vielen Autoren die Qualität eines eigenständigen Arguments abgesprochen mit der Begründung, der Analogieschluss lasse sich entweder auf eine Induktion oder auf eine Deduktion oder auf eine Kombination beider Schlussweisen zurückführen. Mit Hilfe der kanadischen Philosophin Trudy Govier begebe ich mich in dieser Fortsetzung auf die Suche nach der originären Analogie. Was Govier zu sagen hat, dürfte auch Juristen interessieren. Kap. 11 ihres bereits in 7. Auflage erschienenen Lehrbuchs der Argumentation trägt die Überschrift »Analogies: Reasoning from Case to Case«.[1]

Was Aristoteles ἀναλογία nannte und mit dem Beispiel von Dionysos und Ares illustrierte, ist nicht, was wir heute gemeinhin unter einer Analogie verstehen. Der Analogie in diesem modernen Sinne entspricht bei Aristoteles eher der induktive rhetorische Beweis, das Paradigma (παράδειγμα)[2].

»Denn ich bezeichne ein … Beispiel als rhetorischen Induktionsbeweis [1365a] … . Es verhält sich aber weder wie ein Teil zum Ganzen noch wie das Ganze zu einem Teil oder das Ganze zum Ganzen, sondern wie ein Teil zu einem Teil, Ähnliches zu Ähnlichem: wenn beides unter eine Gattung fällt, das eine aber bekannter ist als das andere, liegt ein Beispiel vor. Zum Beispiel: Dionysios trachtet nach der Alleinherrschaft, weil er eine Leibwache fordert, denn auch Peisistratos forderte vorher mit derselben Absicht eine Leibwache, und als er sie erhielt, wurde er Tyrann, ebenso Theagenes in Megara. So werden auch alle anderen, die man kennt, ein Beispiel für Dionysios, von dem man noch nicht weiß, ob er die Forderung nach einer Leibwache in dieser Absicht stellt. All das läßt sich wie folgt verallgemeinern: Wer nach der Alleinherrschaft trachtet, fordert eine Leibwache.  [1357b]«[3]

Aristoteles spricht hier zwar von Induktion (ἐπαγωγή), und wählt gleich zwei Beispiele, aus denen er eine verallgemeinernde Folgerung zieht. Aber zuvor definiert er die »rhetorische Induktion« so, als ob nur von einem Einzelfall auf einen ähnlich gelagerten anderen Einzelfall geschlossen werden soll.[4] Bei Prämissen und Schlussfolgerung handelt es sich ersichtlich um empirische Aussagen. Was Aristoteles als rhetorische Induktion bezeichnete, wäre nach heutigem Sprachgebrauch eine induktive Analogie[5], die auf einer qualitativen Induktion beruht. Als induktive Analogie ist der Gedankengang noch ungenau benannt. Das Ergebnis der Analogie wird nicht direkt von der zugrundeliegenden Induktion getragen, sondern folgt erst deduktiv aus der der Anwendung der induktiv gewonnen Verallgemeinerung. Dass der Gedankengang überhaupt als Analogie bezeichnet wird, hat seinen Grund darin, dass die Verallgemeinerung nicht expliziert wird. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Schlussfolgerung unmittelbar von der Ähnlichkeit der Fälle getragen wird. Daher hat sich heute wohl die Auffassung durchgesetzt, dass die Alltagsform der Analogie mit einer impliziten Induktion arbeitet. Quine/Ullian sprechen von einer slurrred-over induction[6]. Folgt man dieser Interpretation, so ist die Analogie nichts weiter als eine mit nur einem Beispiel schwach begründete Induktion. Die Analogie wäre dann also

»ein aus Induktion und Syllogismus zusammengesetzte[r] Schluß. Beim Analogieschluß wird demnach zunächst induktiv ein allgemeiner Satz gewonnen, aus dem dann deduktiv der gesuchte Satz abgeleitet wird.«[7]

Trudy Govier, deren Analogiethese sogleich im Mittelpunkt stehen soll, formalisiert die induktive Analogie wie folgt

  1. A hat die Eigenschaften x, y, z.
  2. B hat die Eigenschaften x, y, z.
  3. A hat die Eigenschaft f.
  4. *Die meisten Objekte mit den Eigenschaften x, y, z haben die Eigenschaft f.
  5. Daher hat vermutlich auch B die Eigenschaft f.

(Die 4. Zeile hat Govier mit dem Sternchen versehen, weil sie selten explizit gemacht wird.)

Mit der induktiven Analogie wird also aus der Verallgemeinerung von Eigenschaften des Vergleichsobjekts deduktiv auf Eigenschaften des Analogons geschlossen.

Der Argumentwert des Analogieschlusses hängt vom Wert der Induktion ab. Nutzt die Induktion eine breite empirische Basis, so bietet die Verallgemeinerung mehr als eine bloße Vermutung, nämlich ein empirisches Gesetz. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung würde man in anderem Zusammenhang gar nicht als Analogie bezeichnen. In unserem Zusammenhang fällt sie in die Kategorie der vollständigen Analogien.

Hier ist eine Zwischenbemerkung zur Begrifflichkeit angesagt: Als »Gegenstände« oder »Objekte«, die in einer Analogie verglichen werden, kommt alles in Betracht, was man mit einem Wort einer Sprache bezeichnen kann, also nicht nur ein Stein oder ein Baum, eine Symphonie oder eine Theorie, eine Situation oder ein Verlauf und natürlich auch ein Rechtsfall oder ein Gesetz. Stets geht es darum, ein Objekt, mit dem man vertraut ist, mit einem anderen zu vergleichen, das eine Frage aufgibt. Das problematisierte Primärobjekt und das zum Vergleich herangezogene Sekundärobjekt werden gerne mit den Buchstaben A und B repräsentiert. Dabei ist nicht immer klar, was Primär- und was Sekundärobjekt ist. Zur Kennzeichnung des Sekundärobjekts liegt die Benennung als Analogon nahe. In diesem Sinne spricht Govier von primary subject und analogue.[8] Deshalb liegt es nahe, das Sekundärobjekt = Analogon mit dem Buchstaben A zu bezeichnen. Aber damit würde die vertraute Reihenfolge der Buchstaben (A vor B) Verwirrung stiften, weil B für das Primärobjekt stünde. Merktechnisch kann man sich vielleicht so helfen: Der Buchstabe A steht für den Ausgangsfall, den es zu klären gilt, und B für die Vergleichs-Basis. Das Analogon als Sekundärobjekt bildet eine Beurteilungsgrundlage für den Ausgangsfall.

Wieder zur Sache: Nach Ansicht der Analogie-Skeptiker lassen sich auch Gesetzesanalogien nach dem Schema der induktiven Analogie erklären. Von dem Analogon wird zunächst (induktiv?) eine Regel oder ein Prinzip – auf den Unterschied soll es nicht ankommen – abstrahiert, um dann deduktiv auf den Ausgangsfall angewendet zu werden. Wenn das zuträfe, wäre (auch?) die normative Analogie kein eigenständiges Argument.

In den bisher angeführten Beispielen nutzt die Analogie eine Induktion, die eine empirische Gesetzmäßigkeit aufgezeigt. Als Basis für den Induktionsschluss dient »die Natur«. Die quantitativ-induktive Begründung empirischer Gesetze mag theoretisch zweifelhaft sein, weil eine Letztbegründung nicht möglich ist. Praktisch folgt daraus kein Problem. Liegen der Verallgemeinerung nur Einzelfälle zugrunde, handelt es sich also um eine qualitative Induktion, so ist der Argumentwert der Analogie, mit Aristoteles gesprochen, rhetorisch und in der Ausdrucksweise der Argumentationstheorie informal oder konduktiv.

Um auch die normative Analogie als (verkappte) Induktion zu erklären, muss man die Möglichkeit induktiver Gewinnung normativer Prinzipien konzedieren. Das ist nicht unproblematisch. Verneint man diese Möglichkeit, kann man die normative Analogie immer noch als lediglich deduktives Argument aus irgendwie bekannten Prinzipien darstellen. Dann wackelt allerdings der Schwanz mit dem Hund, soll heißen, die Ähnlichkeit ergibt sich nicht aus den Fällen selbst, sondern die Fälle werden erst unter dem Prinzip als ähnlich erkannt.

Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob mit einer Induktion, die zu einem normativen Satz führt, stets unzulässig vom Sein aufs Sollen geschlossen würde. Dieser Einwand trifft jedoch nicht, wenn »der Fall« nicht als Faktum, sondern als individuelles Sollensurteil des Handelnden, eines Beobachters oder Entscheiders betrachtet wird. Der Argumentationswert der Verallgemeinerung, ihre »Geltung«, hängt daher vom Vergleichsfall ab. Ausgangsfall: Soll Hundehalter HA den Kot hinter seinem Köter aufsammeln? Beobachte ich, dass Halter HB keine Anstalten macht, die Exkremente seines Hundes aufzunehmen, so kann ich daraus schließen, dass Hundehalter HA sich mit einiger Wahrscheinlichkeit ähnlich verhalten könnte. Das wäre eine empirische Induktion. Stelle ich darauf ab, dass HB seine Handlungsweise für angemessen hält und andere Hundehalter ähnlich denken dürften, bleibt die Induktion immer noch empirisch. Erst wenn ich als Beobachter schließe: HB räumt nicht ab; also braucht auch HA nicht abzuräumen (denn es gibt kein entsprechendes Gebot), wird daraus eine normative Analogie. (Beobachter kann auch der nachfolgende Hundehalter HA sein.)

Die (ethische, moralische, juristische) Qualität der normativen Induktion ist abhängig von der Qualität der im Vergleichsfall angetroffenen Norm. Das analoge Urteil über das Verhalten des HA ist nur so viel wert, wie es im Fall HB war, also taugt es nichts. Es gewinnt auch nicht unbedingt durch die Zahl beobachteter Fälle. Anders als auf der Ebene der Empirie ist eine normativ quantitative Induktion nicht besser als die qualitative. Die quantitative Induktion kann Normalität anzeigen. Aber Normalität ist nicht ohne weiteres gut. »Analoges« gilt, wenn es um die Entscheidung von Fällen geht. Wurde im Basisfall entschieden, dass b sein soll, so hat der Induktionsschluss, dass b auch im ähnlichen Vergleichsfall gilt, nur eine von dem Entscheider des Ausgangsfalls abgeleitete Gültigkeit. Hätte also im Vergleichsfall das (längst aufgelöste) Amtsgericht Tönning entschieden, dass HB nicht verpflichtet war, hinter seinem Hund aufzusammeln, weil das gegen die Würde des aufrechten Ganges verstößt, so könnte man induktiv auf die Regel schließen, dass Hundehalter nicht verpflichtet sind, die Hinterlassenschaften ihrer Lieblinge zu beseitigen. Aber als Präjudiz wäre die Regel ohne großen Wert, und zwar nicht, weil sie in der Sache nichts taugt, sondern weil das Amtsgericht Tönning keine bedeutende Autorität darstellt (obwohl ich selbst dort Referendar war). Doch ganz gleich, wieviel die induktiv gewonnene Norm taugt: Ihre (analoge) Anwendung auf den Ausgangsfall fordert noch eine Deduktion.

Trudy Govier nun wendet sich dagegen, dass eine bestimmte Art normativer Analogie, die sie als A-Priori-Analogien benennt, als induktive und damit auch nicht als Verbindung eines induktiven mit einem deduktiven Argument zu erklären sei.[9] Govier begründet zunächst die Benennung damit, dass es für den Wert des Arguments nicht darauf ankomme, ob als Analogon ein realer oder nur ein hypothetischer Fall diene.[10]

»If we accept the conclusion of an a priori analogy we do not, in effect, predict that a feature will or may belong to the primary subject. Rather we decide to describe or treat the primary subject in some way. The basis of a priori analogies is an appeal to handle relevantly similar cases in relevantly similar ways. The merits of such arguments don’t depend on the truth of empirical observations about the analogue case and the conclusion isn’t one which could someday be conclusively verified or falsified by empirical observation. Hence the term ›a priori analogy‹.«[11]

Die Verwendung hypothetischer Fälle erinnert den Juristen an die Argumentationsfigur, die Lawrence B. Solum als Hypothetical umreißt.[12] Darauf wird in einem späteren Abschnitt über Analogie und Beispiel zurückzukommen sein. Ein berühmtes Hypothetical, das auch Govier anführt, stammt von Judith J. Thompson[13]: Eine Frau wird gekidnappt und ihr Kreislauf mit dem eines Meistergeigers verbunden, dessen Nieren versagt haben. Es wird neun Monate dauern, bis eine Dialysemöglichkeit geschaffen ist. Nun hängt das Leben des Geigers von der Entscheidung der Frau ab, ob sie die Verbindung wieder trennt, so wie das Leben des ungeborenen Kindes von der Entscheidung der Mutter, ob sie es abtreiben lässt. Es gibt viele Gründe, diese Analogie nicht für tragfähig zu halten. Dass der Vergleichsfall nur erfunden ist, ist für sich genommen kein solcher Grund. Für den Argumentwert ist aber wichtig, dass der Fall an moralische Intuitionen appelliert. Solum würde ihn als wild case und intuition pump[14] einordnen.

Die induktive Analogie funktioniert, wenn die Induktion im Hintergrund in der Verallgemeinerung einer empirischen Beobachtung besteht, auch wenn es sich dabei nur um einen Einzelfall handelt. Aus der induktiv gewonnenen Verallgemeinerung von Eigenschaften des Vergleichsobjekts wird deduktiv auf Eigenschaften des Analogons geschlossen. Anders, so Govier, wenn der Vergleichsfall nicht empirisch, sondern nur »hypothetisch« ist. Was gemeint ist zeigen ihre Beispiele. Dabei handelt es sich nämlich darum, dass der von Govier angesprochene Urteiler sich ein eigenes moralisches Urteil über den Vergleichsfall bildet und dieses Urteil auf den ähnlichen Ausgangsfall überträgt. Die Analogie bezieht sich hier also nicht auf die Bewertung oder Entscheidung anderer Urteiler, sondern auf das originär gebildete Urteil des zum Vergleich aufgerufenen Betrachters. Hier Goviers Beispiel Nr. 3 (weil es das kürzeste ist):

»Smoking is no more a sin than wearing high heel spike type shoes. These also are dangerous to your health and they destroy the property of others. Have you seen hardwood floors after a woman has walked over them in spike heels?« [15]

Man könnte wohl die Analogie von Fall B auf Fall A als deduktives Argument darstellen, wenn für alle Fälle mit ähnlichen Eigenschaften ein universal claim U gelten sollte. Diese von ihr abgelehnte Position formuliert Govier wie folgt[16]:

  1. Wir stimmen in der Beurteilung des Falles B überein.
  2. Der Grund dafür ist vermutlich, dass wir das Prinzip U akzeptieren.
  3. Auch der Fall A fällt unter das Prinzip U.
  4. Daher ist es konsequent, den Fall A ebenso wie Fall B zu beurteilen.

Govier ist mit ihrem Kritiker Waller darin einig, dass ein solches Prinzip bei vielen Analogien nicht explizit gemacht wird. Aber es müsste doch jedenfalls erkennbar sein. Ein Prinzip lässt sich allein aus den Eigenschaften des Analogons als Fall nicht ableiten. Daher sollte es fallunabhängig gelten. Zwar kann man stets darüber reflektieren, ob sich ein Prinzip finden lässt, dass die Bewertung des Basisfalles begründet. In Goviers Beispielen ist die Entdeckung des Prinzips, wenn es denn eines gibt, schwerer als eine unmittelbare Bewertung der Fälle. Das gilt gerade auch dann, wenn die Beurteilung der Vergleichsfälle wie in den von Govier herangezogenen Beispielen ambivalent ausfällt. Die Ähnlichkeit der Fälle drängt sich auf, ohne dass man ein Prinzip vor Augen hätte. Eindeutig scheint nur zu sein, dass beide Fälle wegen ihrer Ähnlichkeit gleich beurteilt werden sollten, ohne dass es dazu des Rückgriffs auf ein Prinzip oder eine Regel bedürfte. Consistency – Konsistenz – ist für Govier der Antrieb zur Analogie, der auch ohne Prinzip wirksam ist. Wollte man sich bemühen, aus der Beurteilung von Fall A erst ein Prinzip zu extrahieren, um es auf Fall B anzuwenden, würde man auf die eigentümliche Überzeugungskraft der Analogie verzichten.

»Treating relevantly similar cases similarly is a fundamental aspect of rationality.«[17]

Der Jurist möchte annehmen, dass dem Konsistenzerfordernis besser durch (allgemeine) Regeln und Prinzipien gedient ist als durch den Fallvergleich. Govier nimmt diesen Juristen-Bias als Beleg dafür, wie fundamental das Bestreben nach konsistenter Beurteilung sei. Unklar bleibt, ob das Streben nach Konsistenz einem apriorischen Erfordernis der Vernunft entspricht, ob es sich um ein psychisches Phänomen handelt oder ob es (nur) in einer sozialen, moralischen oder ethischen Norm begründet ist. Man kann vielleicht fragen, ob nicht »das Leben viel bunter und schöner [wäre], wenn nicht ähnliche Fälle ähnlich behandelt würden, sondern jeweils der Phantasie freier Lauf gelassen würde«, bekäme eine positive Antwort aber wohl nur aus der Ästhetik.[18] Das Konsistenzerfordernis lässt sich jedenfalls nicht in Abrede stellen. Man kann nur fragen, ob es sich ursprünglicher bei der Fallbetrachtung zeigt oder im Umgang mit Regeln und Prinzipien.

Damit steuert die Suche nach der originären Analogie auf einen Gesichtspunkt zu, der weder von Govier und noch, soweit ich sehe, von anderen im Zusammenhang mit der Analogie erörtert wird, auf die Frage nämlich, ob in rebus moralibus der Einzelfall Vorrang vor der Theorie besitzt oder ob es umgekehrt liegt. Govier behauptet der Sache nach, dass die Betrachtung eines Falles zu einem singulären Verpflichtungsurteil führen kann, dass sich auch in einem ähnlichen Fall bewährt. Diese Frage wird in der Moralphilosophie als Gegensatz zwischen Partikularismus und Generalismus verhandelt.[19] Zu einer fundierten Stellungnahme sehe ich mich nicht in der Lage, zumal ich als Jurist an einem Generalisierungs-Bias leiden dürfte. Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass die zunächst klar und eindeutig erscheinende Bewertung eines Einzelfalls stets noch einmal an eventuell einschlägigen Prinzipien überprüft werden muss und dass umgekehrt eine moralische Theorie anzupassen ist, wenn sie nicht zu einer zufriedenstellenden Entscheidung eines Einzelfalles führt. Es bleibt auch dabei, dass man bei schwierigen Fällen nach einem fallunabhängigen Prinzip zu ihrer Beurteilung suchen wird. Wichtig ist aber, dass Einzelfälle einen Eindruck machen, der auch ohne Rückgriff auf eine Regel in einem ähnlichen Fall wiederkehrt. Das hat vermutlich damit zu tun, dass konkrete Fälle eher Gefühle ansprechen als abstrakte Regeln. Abstrakt lässt sich beinahe teilnahmslos über Gut und Böse, Gleichheit und Ungleichheit, Recht und Unrecht reden. Man empört sich nur über relativ konkrete Beispiele.[20] Die Frage ist, ob dieser Effekt die Analogie als eigenständiges Argument retten kann.

Diese Überlegung gibt Anlass, näher über das Verhältnis von Analogie und Beispiel nachzudenken. Zuvor ist jedoch ein Exkurs zur Abduktion angezeigt, weil dieses Stichwort in der Diskussion um Analogien immer wieder auftaucht.[21]


[1] Trudy Govier, A Practical Study of Argument, 7. Aufl., 2014. Den eigenständigen Charakter des Analogiearguments verteidigt auch André Juthe, ­A Defense of Analogy Inference As Sui Generis, Logic and Logical Philosophy , 2019, 1. Ich habe Juthes Text bisher nur überflogen.

[2] Das ist der griechische Ausdruck für Beispiel oder Vorbild (Menge-Güthling, Griechisch-deutsches Wörterbuch, 3. Aufl. 1913, S. 519).

[3] Aristoteles, Rhetorik, Übersetzung von Georg Krapinger, 1999, S. 13, 17.

[4] Christof Rapp in: ders./Klaus Corcilius (Hg.), Aristoteles-Handbuch, 2. Aufl. 2021, S. 330.

[5] Diese Sprachgebrauch geht zurück auf Stephen Francis Barker, The Elements of Logic, 1965.

[6] Willard van Orman Quine/Joseph Silbert Ullian, The Web of Belief, 2. Aufl. 1978, S. 57.

[7] Ulrich Klug, Juristische Logik, S. 109.

[8] Trudy Govier, A Practical Study of Argument, 7. Aufl. 2014, 318.

[9] Trudy Govier, Analogies and Missing Premises, Informal Logic 11, 1989, 141-152; dies., Reply: Should A Priori Analogies Be Regarded as Deductive Arguments?, Informal Logic 22, 2002, 155-157; dies., A Practical Study of Argument, 7. Aufl. 2014. S. 327f. Govier verteidigt ihre Ansicht insbesondere gegen Bruce N. Waller (Classifying and Analyzing Analogies, Informal Logic 21, 2001, 199-218). An Goviers These schließt eine umfangreiche Diskussion, die das Thema nicht voranbringt (z. B. James B. Freeman, Govier’s Distinguishing A Priori from Inductive Arguments by Analogy: Implications for a General Theory of Ground Adequacy, Informal Logic 33, 2013, 175-194; Manfred Kraus, Arguments by Analogy (and What We Can Learn about Them from Aristotle), in: Frans H. van Eemeren/Bart Garssen (Hg.), Reflections on Theoretical Issues in Argumentation Theory, 2015, S. 171-182).

[10] Dennoch bleibt die Benennung als A-Priori-Analogie unglücklich, weil sie falsche Assoziationen weckt.

[11] Govier, Informal Logic 11, 1989, 142f.

[12] Lawrence B. Solum, Legal Theory Lexicon 003: Hypotheticals, 2021.

[13] Judith Jarvis Thompson, In Defense of Abortion, Philosophy & Public Affairs 1, 1971, 47-66.

[14] Dafür verweist Solum auf das Buch von D. C. Dennett, Intuition Pumps and Other Tools for Thinking, 2013.

[15] Govier, Informal Logic 11, 1989, 143f.

[16] Govier, Reply, Informal Logic 22, 2002, 155.

[17] Govier, A Practical Study of Argument, S. 320.

[18] Peter Mengel, Analogien als Argumente, 1995, S. 50.

[19] Zu dieser Frage Lawrence B Solum, Legal Theory Lexicon 067: The Priority of the Particular; ferner: Dominik Düber/Michael Quante, Prinzipien, Prinzipienkonflikte und moralischer Partikularismus, Preprints and Working Papers of the Centre for Advanced Study in Bioethics Münster 2016/85; Jan Gertken, Partikularismus vs. Generalismus, in: Michael Kühler/Markus Rüther (Hg.), Handbuch Handlungstheorie, 2016, 294-298; Erica Haimes/Robin Williams, Sociology, Ethics, and the Priority of the Particular: Learning from a Case Study of Genetic Deliberations, The British Journal of Sociology 58, 2007, 457-476; Marco Iorio, Regeln, moralischer Partikularismus und die Bewertung von Regelwerken, in: Philipp P. Thapa u. a. (Hg.), Umwelt – Gründe – Werte, 2019, 39-50.

[20] Auf diesen Zusammenhang bin ich aufmerksam geworden durch Emily Kidd White, Emotions and Precedent, Preprint aus Endicott/Lewis/Kristjansson (Hg.), Philosophical Foundations of Precedent (Oxford University Press), verfügbar unter https://ssrn.com/abstract=4098653.

[21] Z. B. auch bei Trudy Govier, Reply: Should A Priori Analogies Be Regarded as Deductive Arguments?, Informal Logic 22, 2002, 155-157.

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