Daniel Damler hielt am 29. Mai 2019 in der Mittwochsrunde der Bochumer Juristischen Fakultät einen Vortrag über »Das Bauhaus im Recht. Grundbegriffe der Neuen Sachlichkeit in den politischen und juristischen Diskursen der Hochmoderne«. In den 30 Minuten, die er zur Verfügung hatte, stellte er die These in den Raum, in Carl Schmitts Parlamentarismuskritik[1] finde man Spuren der Neuen Sachlichkeit und des Funktionalismus, wie sie das Bauhaus zum Zeitgeist der 1920er Jahre beigesteuert habe. Die These war so glänzend verpackt wie Damlers großartiges Ästhetik-Buch[2]. Mich konnte sie aber nicht überzeugen.
Der stärkste Beleg, den Damler vorzeigte, war ein Zitat aus Schmitts Vorbemerkung (S. 10f).
»Manche Normen des heutigen Parlamentsrechtes, vor allem die Vorschriften über die Unabhängigkeit der Abgeordneten und über die Öffentlichkeit der Sitzungen, wirken infolgedessen wie eine überflüssige Dekoration, unnütz und sogar peinlich, als hätte jemand die Heizkörper einer modernen Zentralheizung mit roten Flammen angemalt, um die Illusion eines lodernden Feuers hervorrufen.«
Wenn in Schmitts Essay von Funktionen und Funktionieren die Rede ist, dann geschieht das in kritischer Absicht auf der Suche nach politischen Substanz der Demokratie (die er in »substanzieller Gleichheit und Homogenität« findet.).
»Wie alles was besteht und erträglich funktioniert, ist [der Parlamentarismus] nützlich, nicht mehr und nicht weniger.« (S. 7)
»Was in den letzten Jahrzehnten an neuen Rechtfertigungen für den Parlamentarismus vorgebracht worden ist, besagt schließlich immer nur, daß heutzutage das Parlament als brauchbares, sogar unentbehrliches Instrument sozialer und politischer Technik gut oder wenigstens leidlich funktioniert.« (S. 12)
Aber gerade diese Begründung und andere »praktische« oder »sozial-technologische« Rechtfertigungen des Parlamentarismus hält Schmitt für »ideenlos«.
Wenn ich versuchen sollte, Carl Schmitt ästhetische Kategorien zuzuordnen, so würde ich an seine »Politische Romantik« denken. Lange bevor postmoderne Philosophie sich auf die Kritik der schrecklichen Dualismen (Sein und Sollen, Subjekt und Objekt, Körper und Geist) stürzte, hatte Carl Schmitt in der Romantik eine Gegenbewegung zum cartesianischen Rationalismus ausgemacht, die die verschiedenen Dualismen in ästhetische und gefühlsmäßige Kontraste auflösen wollte. Schmitt kritisierte an der Romantik, dass sie nicht zu politischen Entscheidungen fähig sei. Romantik betreibe die »Entwirklichung der Welt in eine Konstruktion« die sich »handhaben« lasse. Alles könne »zu einer handlichen Konstruktion gemacht werden.« (S. 70f) Der Romantiker
»kann alles Verstehen und beliebig gutheißen, weil ihm alles zum Material seiner ästhetischen Gestaltung werden kann. Der ›Lehrer des Gegensatzes‹ war unfähig, einen andern Gegensatz als den eines ästhetischen Kontrastes zu sehn. Weder logische Distinktionen, noch moralische Werturteile, noch politische Entscheidungen sind ihm möglich. Die wichtigste Quelle politischer Vitalitat, der Glaube an das Recht und die Empörung über das Unrecht, existiert nicht für ihn.«[3]
An Stelle des Allgemeinen und Grundsätzlichen ergreife der Romantiker die »Gelegenheit«, um sie als erhabenen Augenblick zu feiern. Dafür verwendet Schmitt den Begriff des Occasionalismus. Man muss sich an dieser Stelle nicht auf eine grundsätzliche Stellungnahme zu Carl Schmitt einlassen. Es genügt der Hinweis, dass er selbst zum Romantiker des Politischen geworden ist. Seine Kritik bleibt dennoch relevant. Sie stützt den Verdacht, dass die Suche nach ästhetischer Erfahrung zur Ausweichbewegung vor den Problemen der Welt wird, zu einer Flucht in subjektive Gefühlswelten oder in narzisstische Identitätssuche. Das gilt auch für die Protestästhetik, die im Namen der Kunst oder der Satire provozieren soll.
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[1] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl., 2017 [1923].
[2] Daniel Damler, Rechtsästhetik, Sinnliche Analogien im juristischen Denken, 2016.
[3] Carl Schmitt, Politische Romantik, hier zitiert nach der im Internet verfügbaren 1. Aufl. von 1919, dort S. 114.