Die Corona-Pandemie stellt auch das Schuldrecht auf eine Bewährungsprobe. Wenn Gastwirt G nun auf Anordnung der Stadt sein Lokal schließen muss, kann dann Vermieter V, von dem G die Räume für sein Restaurant gemietet hat, weiterhin die Monatsmiete von 5000 EUR fordern? Kann die Bank weiterhin von G die Verzinsung und Tilgung des Betriebsmittelkredits verlangen, den sie G gewährt hat? Muss G die bei Brauerei und Lebensmittelgroßhandel bestellten Lieferungen abnehmen? Können die Angestellten Fortzahlung ihres Gehalts verlangen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich jetzt in großer Zahl. Einfache Antworten gibt es nicht. Aber es kann kaum angehen, dass die wirtschaftlichen Folgen der drastischen behördlichen Anordnungen zur Eindämmung der Pandemie allein von denen zu tragen sind, die sozusagen das operative Geschäft betreiben. Oder dürfen sich die Vertragspartner darauf berufen, dass der Staat umfangreiche Hilfen angekündigt hat?
Wie gesagt, einfache Antworten gibt es nicht, denn jede Branche und Vertragsart ist besonders, und die Stellschrauben des Schuldrechts sind schwer zu drehen.
Relativ einfach ist die Antwort noch für die Arbeitsverträge, zumal hier beide Vertragsteile durch die Regelungen über Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld gestützt werden.
Einigermaßen klar scheinen auch die Regelungen für die Reisebranche zusein. Aber nachdem die Infrastruktur von Hotels und Flugverkehr weggebrochen ist, Grenzen geschlossen wurden und das Auswärtige Amt für alle Länder eine Reisewarnung herausgegeben hat, sind die Folgen für die Veranstalter nur noch schwer tragbar.
Auf den ersten Blick klar ist die Antwort bei der Absage von Veranstaltungen. Dann erbringt der Veranstalter seine Leistung nicht und muss bereits gezahlte Karten erstatten. Aber kann das das letzte Wort sein?
Bei Dauerschuldverhältnissen könnten die behördlich angeordneten Betriebsschließungen Grund für eine außerordentliche Kündigung geben. Aber damit ist den Beteiligten längere Sicht nicht geholfen.
Die Fragen, um die es geht, werden in der Rechtsdogmatik als Leistungsstörungen im Schuldverhältnis abgehandelt. Die Stellschrauben, die hier in Betracht kommen, sind Unmöglichkeit, Verzug und Verschulden, wichtiger Grund für eine Kündigung, höhere Gewalt und Wegfall der Geschäftsgrundlage. Das alles sind mehr oder weniger unbestimmte Rechtsbegriffe. Präzedenzien gibt es nicht wirklich. In der Zeitung las man heute, im Justizministerium lägen Pläne auf dem Tisch, die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags zu entschärfen. Das Ministerium habe sich auch offen für die Forderung des Deutschen Mieterbundes gezeigt, für die Zeit der Corona-Krise Kündigungen und Zwangsräumungen wegen Zahlungsverzugs auszuschließen. Solche Erwägungen lassen an die Kriegsnotrechte denken. Aber man kann wohl doch nicht alles auf den Gesetzgeber abschieben. Auch die Dogmatik und mit ihr die Rechtsprechung müssen helfen.
Verzug tritt nach § 286 IV BGB nur bei Verschulden ein. Für Geldschulden gilt jedoch bekanntlich »Geld muss man haben«. Bei Geldschulden, so heißt es, liege das Beschaffungsrisiko beim Schuldner. Das sei die Grundlage unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung.[1] Der BGH hatte Zahlungsverzug sogar angenommen, als ein Mieter in Rückstand geriet, weil die rechtzeitig beantragten Sozialleistungen nicht gezahlt wurden.[2] Aber in der Corona-Krise ist die Wirtschaftsordnung sozusagen suspendiert. Deshalb könnte man die §§ 276, 286 BGB durchaus dahin auslegen, dass für die Dauer der Krise und eine angemessene Erholungszeit ein Moratorium gilt, so dass Schuldner gar nicht erst in Verzug geraten.
Am Ende wird es auch Krisengewinnler geben. Mancher Arbeitgeber kann sich von ohnehin nicht mehr erwünschten Arbeitnehmern trennen. Manches lästig gewordene Dauerschuldverhältnis lässt sich vielleicht durch Kündigung aus wichtigem Grund abschütteln. Solche Mitnahmeeffekte lassen sich nie ganz verhindern.
Nachtrag: »Vertragsrechtliche Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie« jetzt in Art. 240 EGBGB. Streit gibt es inzwischen darüber, ob und wie die durch das Notfallgesetz bis zum 30. Juni 2020 gestundeten Beträge zu verzinsen sind.
Nachtrag vom 12. 1. 2022: Heute hat der BGH über die Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung entschieden[3], und zwar, »dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.«
Nachtrag vom 21. 7. 2023: Jan Peter Schmidt, Risikotragung bei Großkatastrophen – zwei Konzeptionen der Halbteilung, AcP 222, 2023, 546-571 = SSRN 4377196. Hier die Zusammenfassung:
Eine gesamtgesellschaftliche Ausnahmesituation wie die Covid-19-Pandemie hat grundlegende Fragen der vertraglichen Risikoverteilung aufgeworfen. Der vorliegende Aufsatz zeigt, dass die in Schrifttum und Rechtsprechung häufig erhobene Forderung nach einer Halbteilung auf zwei verschiedene Arten verstanden werden kann. Betrachtet man allein die vertraglichen Leistungen, bedeutet eine Halbteilung des Risikos, dass ein Gewerbemieter im Fall, dass die Immobilie infolge hoheitlicher Beschränkungen zur Gesundheitsvorsorge den vertraglich vorgesehenen Verwendungszweck vollständig eingebüßt hat, den Mietzins höchstens um die Hälfte reduzieren kann. Bezieht man hingegen den wirtschaftlichen Kontext der Transaktion mit ein, kann eine Halbteilung des Risikos auch so verstanden werden, dass jede Seite die in ihrer Sphäre eintretenden Verluste zu tragen hat. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist auch eine Reduzierung des Mietzinses auf Null mit dem Grundsatz der Halbteilung vereinbar, weil der Gewerbemieter seine Umsatzausfälle dann immer noch allein zu tragen hat. Der Aufsatz argumentiert, dass die zweite Konzeption der Halbteilung dem gesetzlichen Leistungsstörungsrecht zu Grunde liegt und kleinen Katastrophen ebenso gerecht wird wie großen.
[1] Z. B. Palandt/Grüneberg, § 276 BGB Rn. 28; MüKoBGB/Grundmann 276 Rn. 180.
[2] BGH, Urteil vom 4.2.2015 – VIII ZR 175/14.
[3] BGH, Urteil vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21.
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