Eher peinlich

»Borrowing from Marx, we start our introductory remarks with the first words of the Communist Manifesto, ›A specter is haunting Europe‹: the specter of right-wing populism. This specter looks different everywhere, and it is also at home in other parts of the world, for example in the Americas, in India, in the Philippines. Some features appear in almost all places that are haunted by it: nativist ethnonationalism, hostility towards elites, anti-pluralism, or the opposition to immigration.«[1]

So beginnen Gabriele Dietze und Julia Roth das Einleitungskapitel zu dem Band »Right-Wing Populism and Gender«, den sie heute Abend zur Eröffnung der Tagung »Die neuen Anfechtungen der Frauen- und Geschlechterrechte« vorstellen. Peinlich wird dieser Beginn, wenn man tatsächlich in den Eingangssätzen des Manifests »Kommunismus« durch »Rechtspopulismus« ersetzt (und dazu Papst, Zar und Zeitgenossen austauscht). Dann würden diese Sätze lauten:

»Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Rechtspopulismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Bundespräsident und die Grünen, die öffentlich-rechtlichen Medien und Bielefelder Feministinnen.

Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als populistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Populismus nicht zurückgeschleudert hätte? …

Es ist hohe Zeit, daß die Populisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Populismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.«

Befremdlich wirkt es, wenn in der Einleitung zur Tagung die Kritik der »Gender-Ideologie« ihrerseits als ideologisch zurückgewiesen wird. Das klingt nicht nach sachlicher Auseinandersetzung, sondern nach »diskursivem Klassenkampf«[2]. Die Geschlechterforschung ist der aktivistische akademische Arm einer sozialen Bewegung.[3] Sie verliert ihre Legitimation als Wissenschaft, wenn sie sich auf das Niveau ihrer Gegner begibt und Argumente durch Polemik ersetzt, etwa indem sie ihren Kritikern »obsession with gender« vorhält.

»Populist actors conjure up the heteronormative nuclear family as the model of social organization, attack reproductive rights, question sex education, … reject same-sex marriage and seek to re-install biologically understood binary gender differences.«

Wer »beschwört« hier was? So werden die angeführten Kritikpunkte a limine für diskussionsunwürdig erklärt. Dieses Verfahren zeichnet sonst Ideologien aus.

Kritik ist kein Antifeminismus. Fraglos gibt es einen unsachlich polemischen, rechtspopulistische Antifeminismus. Aber es ist zu billig, Kritik an den politischen Forderungen von Frauenbewegung und Queerismus in eine Ecke mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus zu stellen, denn solche Kritik wird von vielen Menschen geteilt, die mit rechtspopulistischen Einstellungen, wie sie bei der AfD und ihren Schwesterparteien anzutreffen sind, nichts am Hut haben, von Menschen, die die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter voll unterstützen. Diese Menschen befragt man lieber nicht. Die Geschlechterforschung hat sich von der Alltagswelt der Bürger entfernt und verweigert ihr die Diskussion. Die Alltagswelt ist für alle emanzipatorischen Forderungen aufgeschlossen. Sie hat längst auch ihren Frieden mit den LGBT und ihren Lebensformen gemacht. Aber sie stört sich am Gendersprech. Sie hat kein Verständnis für die Querdenkerpose des Feminismus gegenüber der Biologie, und sie verweigert sich dem akademischen Maternalismus, der ihr vorschreibt, wie man ein gelungenes Leben führen soll.

Nachtrag vom 26. 3. 2021: Der Vortrag heute von Susanne Baer »Gendered Normativities: The Role and Rule of Law« war souverän. Er hilft, Peinlichkeiten zu vergessen.


[1] Gabriele Dietze/Julia Roth, Right-Wing Populism and Gender: A Preliminary Cartography of an Emergent Field of Research, in: Gabriele Dietze/Julia Roth (Hg.), Right-Wing Populism and Gender 2020, S. 7-22.

[2] Sabine Hark, Dissidente Partizipation, 2005, S. 34.

[3] Feminismus, Gender Studies und Rechtsentwicklung: Geschlechterforschung als Interessentenwissenschaft (Feminism, Gender Studies and Legal Development: Gender Studies As Interest Group Scholarship) (August 1, 2020). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3665173.

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Eine neue Blüte gendergerechter Sprache

Stolpern wir auf die nächste Stufe gendergerechter Sprache? Die erste Stufe betraf das grammatikalische Geschlecht. Sie spaltet die Gesellschaft in die Fraktionen der Männer und der Frauen und hinterlässt für den Rest dazwischen einen Hiatus. Auf der zweiten Stufe geht es um die Semantik der Begriffe. Konkret wird uns vorgeschlagen, an Stelle von Paternalismus von Parentalismus zu sprechen.[1] Paternalismus soll nur noch verwendet werden, wenn eine Einstellung als Institutionalisierung männlicher Herrschaft gekennzeichnet werden soll, wenn es um patriarchalischen Paternalismus geht. Ich bin da sehr fortschrittlich. In meinem Essay über Bourdieus »Männliche Herrschaft« habe ich die Einordnung vormoderne Strukturen als kritikwürdige Herrschaft retrograden Maternalismus genannt, um sie als Erscheinungsform des normativen Rückschaufehlers zu kennzeichnen (S. 17). Aber was machen wir mit der Mutter als Gegenstück der Schraube? Alte Schrauben bleiben weiblich. Und was wird überhaupt aus der Herrschaftssoziologie? Mannschaften sind auch daneben.

Im Ernst: Mit der Sprache sollte man es halten wie Savigny mit dem Recht. Man sollte die Sprache schätzen, wie sie sich  selbsttätig aus dem »Volksgeist« entwickelt. Wenn das Ergebnis nicht gefällt, darf man meckern. Das ändert nichts, schafft aber jedenfalls Erleichterung. Auf das Herumdoktern an der Sprache, zumal auf der Grundlage einer politischen Agenda, sollte man dagegen verzichten. Die Ergebnisse sind unvorhersehbar und nicht selten kontraproduktiv.

Wenn man Maternalismus als Gegenbegriff zu Paternalismus einführt, dann wird alsbald das gesamte politische Spektrum als maskulin oder feminin eingeordnet. Wares Beispiele aus den USA: Republikaner gelten als maskulin, Demokraten als feminin. Freiheitsbeschränkende Schutzgesetze (protecting others by restricting their choices) gelten als männlich, sind aber vielleicht doch in Wahrheit weiblich, oder sind sie geschlechtslos?[2] Die Klassifizierung bietet viel Stoff für Master- und Mistress-Arbeiten.

Paternalismus ist wohl tatsächlich weithin negativ konnotiert[3], was aber kaum daher rührt, dass Väter immer noch Männer sind, sondern weil Paternalismus Bevormundung bedeutet. Maternalismus ist insofern nicht besser, ist er doch das Kennzeichen des Nanny-Staats. Aber auch Parentalismus dürfte sich nur vorläufig als genderneutraler Oberbegriff eignen, bis jemand bemerkt, dass Eltern für Heterosexualität stehen.

Möge die neue Blüte des politisch korrekten Akademiker-Opportunismus daher schnell verwelken.


[1] Stephen J. Ware, Paternalism or Gender-Neutrality? (April 1, 2019), ssrn.com/abstract=3368498.

[2] Ware S. 36.

[3] Ware S. 37.

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