Erst jetzt erreicht mich die Nachricht vom Tod von Frau Professorin Dr. Dorothea Jansen am 12. Mai 2017. Schon vor fünf Jahren wurde sie von einer schleichenden Krankheit gepackt, so dass sie 2015 aus dem Dienst ausscheiden musste. Im Frühjahr dieses Jahres erlitt sie als Fußgängerin einen schweren Unfall, an dessen Folgen sie, gerade 60 Jahre alt, gestorben ist. Ich habe sie geschätzt und ihr viel zu verdanken, und ich will sie nicht vergessen. Der Nachruf der Universität Speyer hilft mir dabei nur beschränkt. Daher habe ich in ihren Arbeiten und in meinen Erinnerungen gesucht und mit einigen Kollegen gesprochen, die hier in Bochum mit ihr zusammen gearbeitet haben.
Publikationen und Lebenslauf sind weiterhin der Webseite von Frau Jansen zu entnehmen. Schon vor ihrem Diplom als Soziologin war Frau Jansen als studentische Hilfskraft im Forschungsprojekt »Bochumer Untersuchung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Feldversuchs Bildschirmtext« tätig. Dies war ein Teilprojekt der umfassenden Projektbegleitung im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Bundespost, für das Prof. Dr. Heiner Treinen und Prof. Dr. Helmut Kromrey verantwortlich waren. Nach dem Diplom 1982 übernahm sie als wissenschaftliche Angestellte die verantwortliche Projekt-bearbeitung. Aus dem Projekt entstanden zwei Abschlussberichte, die – nach einer Auskunft von Herrn Kromrey – im Wesentlichen von ihr formuliert wurden.[1]
Zum 1. März 1984 wechselte Frau Jansen an meinen Lehrstuhl in der Juristischen Fakultät, um dort die vom BMJ in Auftrag gegebene Begleitforschung zu der damals erneuerten Schiedsmannsordnung von Nordrhein-Westfalen zu betreuen.[2] Nachdem sie durch die Schule von Kromrey und Treinen gegangen war, verstand sie (nicht nur) etwas von Methoden. Damit gelang ihr eine vorbildliche empirische Untersuchung zu dem damals besonders aktuellen Thema der Justizalternativen.[3] Mit einem Teilthema aus diesem Projekt promovierte sie in der sozialwissenschaftlichen Fakultät.[4] Eine Kurzfassung der Dissertation erschien als Aufsatz in der Zeitschrift für Soziologie.[5] Auch in der Zeitschrift für Rechtssoziologie hat Frau Jansen zum Thema der Justizalternativen eine markante Spur hinterlassen.[6] Bemerkenswert, dass sie gegenüber der damals wie heute verbreiteten Euphorie der Informal-Justice-Bewegung eher distanziert blieb, etwa indem sie empirisch eine gewissen Voreingenommenheit der Schiedsleute durch den Erstkontakt mit dem »Antragsteller« aufzeigte und theoretisch den engen Blick auf personen-und rollenbezogene Konflikte zurechtrückte. Mit gutem Grund kritisch auch der Aufsatz über » Mediationsverfahren in der Umweltpolitik«.[7] Ohne ihre Vorarbeit wäre es nicht dazu gekommen, dass wir 2003/2004 nach der Einführung der obligatorischen Streitschlichtung durch § 15a EGZPO noch einmal eine größere Untersuchung zur außergerichtlichen Streitschlichtung durchführen konnten.[8] Ich muss gestehen, dass ich Frau Jansens ältere Aufsätze zur alternativen Streitregelung danach aus dem Blick verloren hatte, obwohl ich in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt hätte, mich darauf zu berufen.
Es gab in den 1980er Jahren das Problem, dass ich als Mitglied der Juristischen Fakultät meinen nichtjuristischen Mitarbeitern keinen Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere bieten konnte. So wechselte Frau Jansen Im Frühjahr 1988 für zwei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung nach Köln, wo Renate Mayntz sie mit einem Thema betraute, aus dem ihre Habilitation erwuchs: Forschung und Forschungspolitik nach einem Durchbruch: Eine vergleichende Studie der Hochtemperatur-Supraleitungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland und in Großbritannien.[9] Von 1990 bis 1995 war Frau Jansen dann wieder als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum am Lehrstuhl von Prof. Dr. Heiner Treinen tätig, wo sie ihre Habilitationsschrift fertig stellte. Das Verfahren wurde im Januar 1996 abgeschlossen. 1998 konnte ich Frau Jansen noch einmal für Artikel über »Methoden der empirischen Rechtssoziologie« und über »Statistische Auswertungsverfahren in der Rechtssoziologie« in dem Rechtsoziologieband des damals vom Luchterhand-Verlag veranstalteten »Ergänzbaren Lexikon des Rechts« gewinnen (das inzwischen wohl eingeschlafen ist). Und 1999 erschien ein Schwerpunktheft der Zeitschrift für Rechtssoziologie »Umwelt- und sozialverträgliches Wirtschaften im vereinten Europa«, das Frau Jansen zusammen mit Stefan Machura besorgt hatte.
Es ist kein Zufall, dass der Karriereweg von Frau Jansen schließlich auf einen Lehrstuhl an die Universität für Verwaltungswissenschaften nach Speyer geführt hat, also an eine im Kern von Juristen geprägte Institution, wo ihr das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung zusätzlich zu dem Lehrstuhl eine institutionelle Basis bot. Die Verbindung zur Rechtssoziologie hat Frau Jansen dort allerdings zu meinem Kummer nicht mehr intensiv gepflegt. Das hätte ich aber an ihrer Stelle sicher nicht anders gehandhabt. Ihre neuen Schwerpunkte waren der Organisationswandel im Wissenschaftssystem und die Theorie der Netzwerke.[10] Auch die Affinität zur Technik, die Frau Jansen mit ihren Untersuchungen zu BTX und zu den Supraleitungs-Forschungen gezeigt hatte, lebte in einem Projekt über » Diffusion von Energieeffizienz und Klimaschutzinnovationen im öffentlichen und privaten Sektor« wieder auf.[11] Das erstgenannte Thema, mit dem Frau Jansen die ihr von Renate Mayntz anvertraute Thematik in abstrakterer Weise wieder aufnahm, habe ich nicht weiter verfolgt. Die Theorie der Netzwerke dagegen war mir eine große Hilfe bei meinen Versuchen, mich mit den in der Rechtstheorie vagabundierenden Netzwerken auseinanderzusetzen.[12] Das Netzwerkthema hatte bei Frau Jansen einen höchst praktischen Hintergrund, nämlich Unternehmensnetzwerke im Ruhr-Gebiet. Dazu startete sie 1997 auf einer Bochumer Tagung über »Regionale Netzwerke – Realität oder Fiktion« mit einem Beitrag über »Theoretische Annäherungen an den Netzwerkbegriff«.[13] Aus diesem Hintergrund hat sich auch eine Arbeit entwickelt, die mir entgangen ist, die ich aber wegen der andauernden Aktualität des Themas bei nächster Gelegenheit einsehen will. Sie trägt den Titel »Zur Organisation des Gründungserfolgs. Eine organisationstheoretische Untersuchung des Erfolgs neu gegründeter Betriebe im Ruhrgebiet«[14].
Ich habe Frau Jansen als Person deutlich vor Augen, ohne dass dazu das Bild in ihrem Lebenslauf nachhelfen müsste. Aber die persönlichen Erinnerungen sind nach bald 30 Jahren ausgedünnt. In der Erinnerung sind eher Trivialitäten als die Hauptsache zurückgeblieben. 1985 waren wir zusammen zum Annual Meeting der Law and Society Association in San Diego. Der Dollarkurs lag damals mit etwa 3,40 DM so hoch, dass sich nicht alle deutschen Teilnehmer das wunderbare San Diego Hilton Hotel leisten konnten, sondern in ein billigeres Motel ziehen mussten. Ich sehe noch, wie Frau Jansen dennoch den Swimmingpool des Tagungshotels genoss. Das hinderte sie wiederum nicht, ihren Vortrag zu halten und die Tagung aufmerksam zu verfolgen. Darüber hat Frau Jansen, zusammen mit Konstanze Plett, in der Zeitschrift für Rechtssoziologie 6, 1985, 336-338, zeitnah und gehaltvoll berichtet, ebenso über die Tagung in Chicago 1986[15].
Frau Jansen ging der etwas undistanzierte kumpelhafte Charakter ab, den man in Bochum nicht ganz selten antrifft. Ernsthaft und zuverlässig, zielstrebig und bestimmt, planmäßig und effektiv, das sind wohl die Attribute, die am besten zu ihr passen. Soweit ich gehört habe, hat sie damit auch in Speyer viel bewegt. Ich hätte ihr gewünscht, sie wäre viel älter noch als ich geworden.
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[1] Veröffentlicht als Teil 1: H. Kromrey, D. Jansen: Bochumer Untersuchung … Ergebnisbericht der Gruppendiskussionen, Bochum, Jan. 1983 Teil 2: H. Kromrey, D. Jansen: Bochumer Untersuchung … Systematische Inhaltsanalyse der Gruppendiskussionen, Mai 1984. Zu den insgesamt aus dem Projekt entstandenen Veröffentlichungen vgl. die Webseite von Helmut Kromrey: http://www.hkromrey.de/html/forschung.html.
[2] Dorothea Jansen unter Mitarbeit von Gabriele Schwarz, Das Güteverfahren vor dem Schiedsmann – ein alternatives Vermittlungsverfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten?, in: Klaus F. Röhl (Hg.), Das Güteverfahren vor dem Schiedsmann. Soziologische und kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen 1987, 1-397. (Die kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen liefen im Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.
[3] Damals konnten wir uns den Luxus leisten, als Anhang zu der Textdarstellung auf 140 Seiten die gesamten Materialien (Fragebögen mit Auszählungen, Anschreiben, Diskussionsleitfäden abzudrucken (a.a.O. S. 390-540) abzudrucken. Sie vermitteln von dem Aufwand einer solchen Untersuchung.
[4] Die Dissertation ist veröffentlicht als Jansen, Dorothea, Ein entscheidungstheoretisches Modell zur Analyse von Vermittlungsverfahren. Eine empirische Untersuchung am Beispiel des Güteverfahrens vor dem Schiedsmann, 1987.
[5] Ein entscheidungstheoretisches Modell zur Analyse des Vermittlungsverfahrens vor dem Schiedsmann, Zeitschrift für Soziologie 17, 1988, 3-18. (Auf der Webseite wird fälschlich die Zeitschrift für Rechtssoziologie genannt.)
[6] Parallelen in Sozial- und Rechtspolitik. Ein Vergleich der Diskussion zur Selbsthilfe und zu Alternativen zum Recht, Zeitschrift für Rechtssoziologie 9, 1988, 1-35.
[7]Dorothea Jansen, Mediationsverfahren in der Umweltpolitik, PVS 38, 1997, 274-297.
[8] Klaus F. Röhl/Matthias Weiß, Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis, Münster 2005.
[9] Veröffentlicht als: Hochtemperatursupraleitung – Herausforderungen für Forschung, Wirtschaft und Politik Ein Vergleich Bundesrepublik Deutschland – Großbritannien, 1998.
[10] 1999 erschien die 1. Aufl. ihrer »Einführung in die Netzwerkanalyse« (3. Aufl. 2006). Vorläufer war 1998 der Beitrag »Theoretische Annäherungen an den Netzwerkbegriff« Ein Discussion Paper von 2004 »Networks, Social Capital, and Knowledge Production« hat noch 2017 Aufnahme in einen Sammelband gefunden (Betina Hollstein u. a. (Hg.), Networked Governance, S. 15-42). Ein anderes Discussion Paper »Theoriekonzepte in der Analyse sozialer Netzwerke« steht noch im Netz. Einen Beitrag über »Netzwerke als soziales Kapital« hat Frau Jansen 2011 zusammen mit Rainer Diaz-Bone in dem von Johannes Weyer hg. Band »Soziale Netzwerke« veröffentlicht.
[11] Ausführliche Hinweise bei GESIS.
[12] Die Rechtstheorie ist schlecht vernetzt, in: Aarnio Aulis u. a. (Hg.), Positivität, Normativität und Institutionalität des Rechts. Festschrift für Werner Krawietz zum 80. Geburtstag, Berlin 2013, S. 537-565; ferner: Rechtssoziologie-Online.de: § 56 Soziale Netzwerke.
[13] Die Tagungsbeiträge stehen hg. von Rolf G. Heinze und Heiner Minssen im Netz: https://www.sowi.rub.de/mam/content/fakultaet/diskuss/dp98-4.pdf.
[14] Dorothea Jansen/Mike Weber, Zur Organisation des Gründungserfolgs, Eine organisationstheoretische Untersuchung des Erfolgs neu gegründeter Betriebe im Ruhrgebiet, 2003. Mit diesem Buch hängt sicher auch das Discussion Paper »Supporting Newly Founded Firms – Personal and Professional Networks« von 2003 zusammen.
[15] Dorothea Jansen/Konstanze Plett, Bericht von der Jahrestagung der Law and Society Association in Chicago und von der National Conference on Peacemaking and Conflict Resolution (NCPCR) in Denver, Zeitschrift für Rechtsoziologie 7, 1986, 324-326.
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