Die Welt begreifen wir – im wahren Sinne des Wortes – mit Begriffspaaren wie Subjekt und Objekt, Sein und Sollen, Natur und Kultur. Solche Gegensätze (Antonyme) sind selbst dann hilfreich, wenn wir sie am Ende als falsche Dichotomien verwerfen. Zu den prominenten Antonymen gehört das Begriffspaar Form und Inhalt. Die Jurisprudenz nutzte es schon immer. In neuerer Zeit ist das Begriffspaar in der Medientheorie relevant geworden. Dafür steht Marshall McLuhans sprichwörtlich gewordenes Motto »the medium is the message«. Nun hat die Rechtsästhetik die Form aufgegriffen. Der neue von Eva Schürmann und Levno von Plato herausgegebene Sammelband[1] beginnt mit Beiträgen von Getrtrude Lübbe-Wolff[2] und Dietmar von der Pfordten[3], die in einem Kapitel »Recht und Form« zusammengefasst sind. Es werden Beispiele von Formen angeführt, in denen das Recht sich darstellt. Der Gegenbegriff bleibt aber im Dunkeln. Das ist jetzt nicht kritisch gemeint.[4] Ich habe die erfreulich kurzen Beiträge gerne und mit Gewinn gelesen. Sie waren von vornherein nicht darauf zugeschnitten, den Formbegriff näher zu bestimmen und einen Gegenbegriff festzulegen. Von der Pfordten verweist immerhin auf die »duale Beziehung von Form und Stoff (Materie, Inhalt)«, die »seit der Antike als Verhältnis von morphe und hyle bekannt« sei. Für sein Thema kommt es jedoch nur darauf an, dass die Form des Rechts »zumindest zeitweilig auch sinnlich wahrnehmbar ist«.[5] Erfreulich ist auch, dass die genannten Autoren ohne Luhmann auskommen. Luhmanns Formbegriff hätte sie auf eine schiefe Bahn gelenkt.
Ich habe die Lektüre der angeführten Texte zum Anlass genommen, das Begriffspaar Form und Inhalt von Luhmann zu befreien. Meiner Bewunderung für Luhmann tut das keinen Abbruch. Mir kommt es darauf an zu zeigen oder jedenfalls zu behaupten, dass man für den juristischen Bedarf keine fundamentalphilosophischen Probleme lösen muss, wie es Luhmann mit dem Formbegriff unternimmt. (Ich zitiere im Folgenden »Die Gesellschaft der Gesellschaft«, 1997, als GdG mit Seitenzahl.)
Vorab: Auch Stoff und Materie bilden Gegenbegriffe zur Form, passen aber besser auf physische Inhalte. Zwischen formal, formell und förmlich bzw. materiell und material besteht kein sachlicher Unterschied, wiewohl formell und förmlich eine schwach negative Konnotation mit sich führen. Die Verwendung der einen oder anderen Ausdrucksweise ist in erster Linie Sache der sprachlichen Gewohnheit.
Für das Recht gibt es drei große Themenkreise, die auf den Gegensatz von Form und Inhalt zurückführen, nämlich
das Verhältnis von Begriff und Bedeutung,
das allgemeine Gesetz als Form des Rechts,
die Relativität von Form und Inhalt[6].
Der Begriff ist die Form des Gedankens. Es liegt nahe, sich die Begriffe wie ein Gefäß vorzustellen, das für einige Inhalte geeignet ist, andere aber nicht aufnehmen kann. Wie generell bei Metaphern darf man dieses Bild aber nicht strapazieren. Den Inhalt eines Bechers kann man ausschütten. Gedankliche Inhalte (Bedeutung) lassen sich aber nicht von den Formen trennen, in denen sie gefasst werden. Vielmehr verschmelzen in den Begriffen Form und Inhalt.
Juristen haben keine Schwierigkeit, sich die Begriffsbildung (mit Luhmann und George Spencer Brown) als eine Gedankenoperation vorzustellen, mit der eine Unterscheidung getroffen wird. Jede Bezeichnung oder Benennung, Definition oder Feststellung eines Gegenstandes ist eine Unterscheidung. Die Unterscheidung zieht eine Grenze mit dem Ergebnis mindestens einer Zweiheit, nämlich dem Ein- oder Ausgegrenzten und dem oder den Anderen.
»Jede Seite der Form ist die andere Seite der anderen Seite. Keine Seite ist etwas für sich selbst.« (GdG 60f)
Klar: Jeder Begriff hat (nur?) zwei Seiten. Aber die Schwierigkeiten folgen auf dem Fuße.
Erstens: Gibt es schon vor der Unterscheidung einen Unterschied oder macht erst die Unterscheidung die Differenz? Anders formuliert: Gibt es unabhängig von der »Operation des Unterscheidens« etwas zu beobachten, auf das die Unterscheidung »positiv oder negativ referiert« (GdG 459)? Ist also die Begriffsbildung durch Unterscheidung konstruktivistisch zu verstehen oder trifft sie auf eine Welt der Dinge oder Tatsachen? Der Jurist optiert für Letzteres, mag er sich damit auch als alteuropäischer Ontologe (GdG 893ff) outen. Er folgt einer Philosophie des Als-ob (Vaihinger), denn er hat noch keine deontologisierende Konstruktion beobachtet, die eine Tat ungeschehen gemacht hätte.
Zweitens: Die Unterscheidung fordert eine Bezeichnung heraus, durch die sie zum Begriff wird. Lassen sich Unterscheidung und Bezeichnung trennen oder fallen sie in eins? Für Luhmann bildet beides »eine einzige Operation; denn man kann nichts bezeichnen, was man nicht, indem man dies tut, unterscheidet, so wie das Unterscheiden seinen Sinn nur darin erfüllt, dass es zur Bezeichnung der einen oder der anderen Seite dient (aber eben nicht beider Seiten)« (GdG 69). Der Jurist lässt sich an dieser Stelle von der Vokabel »Bezeichnen« täuschen, indem er darunter eine Namensgebung versteht. Die Täuschung ist in den Definitionen angelegt, mit denen George Spencer Brown sein Formenkalkül beginnt:
»This is to say, a distinction is drawn by arranging a boundary with separate sides so that a point on one side cannot reach the other side without crossing the boundary. For example, in a plane space a circle draws a distinction.
Once a distinction is drawn, the spaces, states, or contents on each side of the boundary, being distinct, can be indicated.
There can be no distinction without motive, and there can be no motive unless contents are seen to differ in value.
If a content is of value, a name can be taken to indicate this value.«[7]
Beispiel für eine Unterscheidung ist der auf eine Fläche gezeichnete Kreis. Die Unterscheidung zieht eine Grenze zwischen Kreis und Umkreis. Auf beiden Seiten der Grenze gibt es Inhalte (spaces, states or contents), auf die man zeigen und denen man einen Namen geben kann. Mit der Unterscheidung sind sogleich schon beide Seiten da. Deshalb muss es wohl bei der Einheit des Vorgangs von Unterscheiden und Bezeichnen bleiben.
Allerdings fehlt dem Juristen noch die Unterscheidung zwischen Namensgebung und Begriffsbildung. Im ersteren Fall geht es um die bloße Identifizierung eines Etwas, dass mit einem Indikator oder mit einem Eigennamen gekennzeichnet wird. Begriffsbildung unterscheidet jedoch nicht zwischen Individuen, sondern zwischen Gattungen. Diese Unterscheidung der Art der Unterscheidung lässt sich am besten mit den Begriffen konkret und abstrakt einführen, aber nicht jetzt und hier. Luhmanns Beispiele für Unterscheidungen, die ich noch zitieren werde, gehen wohl davon aus, dass die »Form der Unterscheidung« auf Begriffsbildung angelegt ist.
Drittens: Ist die Unterscheidung zunächst reine Form ohne Inhalt? Warum wird die erste Grenze gezogen? Rein spielerisch, einfach nur so, um zu sehen, was daraus wird? Ist die erste Unterscheidung also leer? Oder zieht der Beobachter die Grenze, weil er diesseits oder jenseits der Grenze unterschiedliche Inhalte erwartet? Kann man überhaupt eine leere Unterscheidung treffen? Eine leere Anfangsunterscheidung erwartet man vielleicht von einem Mathematiker. Aber Spencer Brown definiert, es könne keine motivlose Unterscheidung geben, ein Satz freilich, mit dem seine Interpreten Probleme haben. De facto gibt es keine Unterscheidung ohne Inhalt. Aber man kann, vielleicht »analytisch« vom Inhalt abstrahieren und erhält dann das Theoriemodell einer Unterscheidung ohne Inhalt. Das hilft aber nicht viel weiter, denn sofort schließt sich die Frage an:
Viertens: Wie kommt die Unterscheidung zu ihrem Inhalt? Wie gesagt: Die praktisch vollzogene Unterscheidung hat immer schon einen Inhalt, denn der Beobachter hat ein Motiv, und das bedeutet, er muss schon vor der Unterscheidung einen Unterschied im Sinn gehabt haben, usw. »Also ist die Einführung jeder Unterscheidung selbst schon eine Unterscheidung.«[8] Damit stellt sich die Frage des Anfangs. Das ist ein Problem der Fundamentalphilosophie, wie es Kant mit den Antinomien von Raum, Zeit und Kausalität verhandelt hat. Luhmann litt an einem horror infiniti; er fürchtete den infiniten Regress. Als Sedativum dient ihm die Selbstreferenz mit den daraus folgenden Paradoxien. Zugleich schätzte er die Philosophie Husserls, die auf eine »originär gebende Anschauung« als Erfahrung noch vor jeder begrifflichen Verarbeitung baute.[9] Der Jurist gibt sich damit zufrieden, dass das Bewusstsein »immer schon« darauf angelegt ist, Unterschiede zu finden.
Es bleiben zwei weitere Fragen an die Form der Unterscheidung, die Frage nämlich, ob Unterscheidungen grundsätzlich bipolar oder gar dichotomisch ausfallen und ferner, ob die Begriffsbildung qua Unterscheidung asymmetrisch angelegt ist. Dazu ein anderes Mal. Zunächst geht es weiter in der Kaskade der Formen.
Das Symbol ist die Form des Begriffs. Damit die Bezeichnung kommuniziert werden kann, muss sie als Symbol materialisiert werden. Das geschieht durch Lautsprache oder Schrift, Geste oder Bild. Hier taucht das zweite Frage wieder auf, die Frage nämlich, ob eine gedankliche Begriffsbildung ohne Vorgriff auf ihre symbolische Umsetzung möglich ist. Philosophen und Mathematiker mögen – wie Luhmann, GdG 917 Fn. 103 – die Möglichkeit eines allem Symbolischen vorgelagerten Bewusstseinsprozesses bedenken. Für den Juristen verbietet sich eine Privatsprache.
Das Medium ist die Form des Symbols. Die Symbole werden erneut in Formen transformiert, die als Medien geläufig sind. Dazu werden die primären Materialisierungen ihrerseits gespeichert, kopiert oder vervielfältigt. So gibt es analog zu Sprache und Metasprache Formen und Metaformen. Anders formuliert: Der Inhalt einer Form wird wieder zur Form, und so wächst eine Kaskade von Form und Inhalt.
Luhmann verwendet einen anderen Medienbegriff (GdG 190ff).[10] Was soeben Medium genannt wurde, sind für ihn nur die trivialen Verbreitungs- und Speichermedien. Die eigentlichen Medien findet er in den »symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien« wie Wahrheit und Geld, Liebe und Kunst, Gewalt und Recht, auch Erfolgsmedien genannt, weil sie Kommunikationen zum Erfolg verhelfen (GdG 203). Diese Medien lassen sich nicht beobachten, jedenfalls nicht direkt, sondern nur, wenn sie in einem Verbreitungsmedium Ausdruck gefunden haben. Die Aktualisierung von »Medien« durch Kommunikation bezeichnet Luhmann wiederum als Form.[11] Luhmanns Medienbegriff kann dahinstehen. Hier geht es um die Kaskade von Form und Inhalt als Gegenmodell zum »Wiedereintritt der Form in die Form«.
»Auch die Unterscheidung von Medium und Form [ist] eine Form. Die Unterscheidung impliziert sich selbst« (GdG 198).
»Abstrakt gesehen handelt es sich dabei um ein ›re-entry‹ einer Unterscheidung in das durch sie selbst Unterschiedene. Die Differenz System/Umwelt kommt zweimal vor: als durch das System produzierter Unterschied und als im System beobachteter Unterschied.« (GdG 45)
Für Luhmann ist jede Unterscheidung von vornherein »paradoxkonstituiert«, weil beide Seiten einander wechselseitig voraussetzen. Ergibt sich die Notwendigkeit, die Bedeutung des bezeichneten Gegenstands näher zu bestimmen, so greift man auf das Ausgeschlossene zurück. Konventionell sucht man dazu nach dem oder einem Gegenteil. Im Grunde ist es trivial, dass Begriffe aus Gegenbegriffen Bedeutung gewinnen. Wenn sich die Bedeutung des bezeichneten Gegenstands vor dem Hintergrund von etwas Anderem klärt, dann mag es so scheinen, als ob im Bezeichneten das Ausgeschlossene und damit die Unterscheidung in das Unterschiedene wiedereintritt. Luhmann erklärt deshalb die Unterscheidung und damit die Begriffsbildung zueinem selbstreferentiellen Vorgang und die Anstrengungen zur Begriffsklärung als Paradoxieentfaltung. Er stilisiert das Hin und Her zwischen Teil und Ganzem zum Wiedereintritt der Form in die Form und adelt es mit Hilfe von Spencer Brown (dort S. 56ff) zum re-entry. Aber damit ist nichts gewonnen, was sich nicht ganz konventionell als Begriffsbestimmung mit Hilfe von Gegensätzen und auch Ähnlichkeiten beschreiben ließe. Der Anschein der Selbstreferentialität entsteht durch eine simple Äquivokation, dadurch nämlich, dass Luhmann die »Unterscheidung« einmal als statisch als Differenz und ein anderes Mal prozessual für die Operation des Unterscheidens verwendet. Ähnlich liegt es mit der Doppelbedeutung des »cross« bei Spencer-Brown einmal als (Kreuz-)Zeichen und einmal als Überquerung (crossing).
Luhmanns Fundamentalproblem besteht darin, dass er sich auch noch selbst beim Beobachten beobachten möchte. Anstatt dafür einen Schritt zurückzutreten, um Distanz zu gewinnen, springt er selbst mit einem Salto (re-entry) ins Getümmel (GdG 50f). Der Reinfall des Beobachters in das Feld wird zum Wiedereintritt der Form in die Form und erzeugt die Paradoxie des Beobachtens (GdG 57 + 1081). Das ist nicht das Problem des Juristen. Der denkt an die von Luhmann stets nur abschätzig zitierte Typentheorie (z. B. GdG 58) und zieht einfach eine Instanz weiter.[12]
Die Medien, mit denen das Recht kommuniziert und gespeichert wird, bilden die (äüßere) Form des Rechts. Das moderne Recht ist durchgehend schriftlich fixiert. Die Schrift ist selbst schon ein Speicher und wiederum Voraussetzung auch für die elektronische Speicherung und Kommunikation. Mündlichkeit oder gar nur in der Praxis impliziertes Recht haben als Form in diesem äußeren Sinne nur sekundäre Bedeutung. Für die äußere Form fehlt es an einem spezifischen Gegenbegriff für die gedanklichen Inhalte. Gegenbegriff ist das Recht schlechthin. An dieser Stufe der Formenkaskade setzt von der Pfordten in seinem eingangs genannten Beitrag an, indem er versucht, das Recht durch Formelemente von anderen Ordnungen abzugrenzen.
An dieser Stelle kann man kurz innehalten und nach dem Unterschied von Form und Format fragen. Format ist auf jeden Fall spezieller als Form. Format hat in der Regel eine quantitative Dimension und ist oft sehr präzise definiert.
Die Form des positiven Rechts ist Allgemeinheit. Juristen unterscheiden traditionell zwischen formellem und materiellem Recht. Das materielle Recht ist das Sachrecht, das die Rechtsverhältnisse inhaltlich ordnet. Das formelle Recht ist das Verfahrensrecht, das der Feststellung und Durchsetzung des Sachrechts dient. Die Medien als äußere Form des Rechts dienen zur Darstellung des einen wie des anderen. Es gibt also auch eine Form des formellen Rechts. Die Inhalte des materiellen wie des formellen Rechts haben ihrerseits eine Form, nämlich die Form des allgemeinen Gesetzes. Damit ist noch nicht das (förmliche) Parlamentsgesetz gemeint, sondern das Design des Rechts schlechthin. Das Parlamentsgesetz könnte auch einmal ein Einzelfallgesetz sein. Gemeint ist die Allgemeinheit des Gesetzes wie sie den Epigonen Platons [»Politikos« 294a–d] Gegenstand der Rechtskritik war und ist. Aktuell macht sich in der Rechtskritik ein Kult des Singulären breit.[13]
Das (allgemeine) Gesetz nimmt als Verfassung Form an. Ab hier entspricht die Kaskade dem, was als Stufenbau der Rechtsordnung geläufig ist. Die Verfassung hat wiederum nachgeordnete Formen des Rechtssetzung zum Inhalt.
Förmliche Rechtsgesetze stellen Handlungsformen für Justiz, Verwaltung und Privatrechtsverkehr bereit. Der Gegensatz zwischen materiellem und formellem Recht im Sinne von Verfahrensrecht zeigt sich eigentlich erst auf diese Ebene.
Die rechtlich geordneten Handlungsformen lassen Spielraum für ihre Ausfüllung. Hier ist viel Tradition am Werk. Sie prägt den Stil von Gesetzen und Verträgen, Gerichtsurteilen oder juristischen Gutachten. An dieser Stufe der Formenkaskade setzt Lübbe-Wolff in ihrem eingangs erwähnten Beitrag an, wenn sie »Stil und Substanz« von Verfassungsgerichtsurteilen vorstellt.
Relativität von Form und Inhalt zeigt sich zwischen den Stufen der Kaskade. Was auf der einen Stufe Inhalt ist, wird auf der nächsten Stufe zur Form. Aber das ist nicht die Relativität, von der eingangs die Rede war. Dort war gemeint, dass auf ein und derselben Stufe der Kaskade Formen Inhalte aus sich heraussetzen oder sich ihnen verweigern können. Als Beispiel kann die Differenz zwischen einem formalen und einem materialen Rechtsstaatsbegriff dienen.
Damit ist die ordnende Kraft des Begriffspaars Form und Inhalt nicht erschöpft. Viele Einzelfragen lassen sich mit seiner Hilfe verstehen und formulieren. Hier einige Beispiele, die ich schon an anderer Stelle zusammengetragen hatte: Immer noch verbreitet ist die Unterscheidung zwischen Gesetzen im materiellen und solchen im formellen Sinne. (In den meisten dieser Fälle ist das aber kein Gegensatz: Gesetze im formellen können auch solche im materiellen Sinne sein.) Man unterscheidet zwischen formeller und materieller Rechtskraft, zwischen einem materiellen und einem formellen Parteibegriff. Der Bundespräsident nimmt gegenüber den Gesetzen ein formelles und (nach umstrittener Auffassung) ein materielles Prüfungsrecht in Anspruch. Im Grundbuchrecht kennen wir das formelle und ausnahmsweise das materielle Konsensprinzip.
Was folgt aus alledem? Hoffentlich Immunität gegen Paradoxitis.
[1] Rechtsästhetik in rechtsphilosophischer Absicht. Untersuchungen zu Formen und Wahrnehmungen des Rechts, 2020.
[2] Form, Stil und Substanz gerichtlicher Urteile – Am Beispiel der Verfassungsgerichtsbarkeit, a. a. O. S. 17-40.
[3] Über die Form des Rechts, a. a. O. S. 41-60.
[4] Eine Besprechung des ganzen Bandes ist in Vorbereitung.
[5] Zitate von S. 45, kursiv wie im Original.
[6] Diese Relativität ist zwar erst durch die Medientheorie zum Gemeinplatz geworden, war der Jurisprudenz aber schon vorher geläufig; vgl. Eugen Bucher, Für mehr Aktionendenken, AcP 186, 1986, 1-73 (S. 2-4).
[7] George Spencer Bown, Laws of Form, 1969, hier zitiert nach einer im Internet verfügbaren Ausgabe im Verlag The Julian Press, New York, 1972, dort S. 1.
[8] Niklas Luhmann, Frauen, Männer und George Spencer Brown, Zeitschrift für Soziologie 17, 1988, 47-71, S. 48 r. Sp.
[9] Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie: Buch 1, Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, 1913; S. 44f.
[10] Eine kluge Darstellung gibt Sybille Krämer, Form als Vollzug oder: Was gewinnen wir mit Niklas Luhmanns Unterscheidung von Medium und Form?, Rechtshistorisches Journal 17, 1998, 558-573.
[11] Petra Gehring greift Luhmanns Unterscheidung von Medium und Form auf und stellt eine Verbindung zur Ästhetik her: »Der Formbegriff zehrt von ästhetischen Untertönen – und womöglich ist diese unterschwellige Ästhetik irreduzibel für jede Logik der Form.« (Die Evidenz des Rechts. Zur »Form« des Geltungsphänomens Recht bei Luhmann und zur Frage, was daraus für den Formbegriff folgt, in: Dirk Rustemeyer (Hg.), Formfelder, 2006, 27-43, S. 41).
[12] Eine Stütze findet er bei Paul Cull/William Frank (Flaws of Form, International Journal of General Systems 5, 1979, 201-211). Sie meinen, dass Spencer Browns Lösung des Problems der Selbstreferenz auf einem Missverständnis des so genannten Russel‘s Paradox beruht.
[13] In diesem Fall hinken die Juristen der Soziologie kaum hinterher. Für die Soziologie Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. Ich habe nur die Kurzfassung in dem von Busche u. a. hg. Sammelband »Kultur – Interdisziplinäre Zugänge«, 2018, dort S. 45-62, gelesen. Die einschlägige Rechskritik wird in dem von Ino Augsberg u. a. hg. Sammelband »Recht auf Nicht-Recht« (2020) gespiegelt. Auch den habe ich bisher nur ganz kursorisch gelesen (und fand ihn ziemlich ungenießbar).