Luhmanns Rechtsgeltungslehre: Ein Rechtssystem oder viele?

Wer in der Rechtstheorie etwas auf sich hält, fordert eine neue Rechtsquellenlehre. [1]Z. B. Thomas Vesting, Rechtstheorie, 2007, Rn. 184. Wie sie aussehen soll, scheint klar zu sein: heterarchisch und pluralistisch. Was das konkret bedeutet, bleibt allerdings ziemlich offen. Wir sehen bei der Überarbeitung der Allgemeinen Rechtslehre [2]Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008. noch nicht so klar, ob und wie die Rechtsquellenlehre zu erneuern ist.

Wir sind immerhin entschlossen, die Relativität der Rechtsquellenlehre zu betonen. Es gibt – so unser Ausgangspunkt – keinen universellen Rechtsbegriff, und daher gibt es auch keine universelle Rechtsquellenlehre. Die Rechtsquellenlehre ist vielmehr relativ zu dem Rechtssystem, für das sie maßgeblich sein soll. Dieses Rechtssystem wiederum wird durch ein Gerichtssystem individualisiert. Es ist die Aufgabe der Rechtsquellenlehre, den Richtern auf ihre Frage zu antworten: Wonach sollen wir judizieren? Ungeachtet aller inneren Differenziertheit betrachten wir das staatliche Gerichtssystem als eine Einheit und gelangen so zu einer Rechtsquellenlehre für eben dieses Gerichtssystem. Aus der Abhängigkeit der Rechtsquellenlehre vom Gerichtssystem folgt, dass jeder Staat über seine eigene Rechtsquellenlehre verfügt. Darüber hinaus haben staatsunabhängige und/oder übernationale Gerichtssysteme ihre eigenen Rechtsquellen.

Andererseits stehen alle Rechtsquellenlehren vor ähnlichen Problemen. Sie müssen mehr oder weniger alle die gleichen Elemente verarbeiten und deren Verhältnis zueinander klären: Staatliche Gesetze und internationale Rechtsregeln, juristische Lehrmeinungen, naturrechtliche Forderungen, richterliche Präjudizien, autonome Satzungen, administrative, technische und soziale Normen (Gewohnheitsrecht, Verkehrssitte, Handelsbrauch, Geschäftsbedingungen, betriebliche Übung) Soft Law verschiedener Provenienz und gesellschaftliche Erwartungen, kurzum das ganze Angebot, das heute unter dem Titel des Rechtspluralismus vorgestellt wird.

Die übliche Antwort auf die Frage, wonach die Gerichte judizieren sollen, lautet: Nach geltendem Recht. Damit baut die Rechtsquellenlehre auf einer Theorie der Rechtsgeltung auf. Das ist jedoch nur beschränkt hilfreich, weil das Problem der Rechtsgeltung meistens abstrakt philosophisch für das Recht schlechthin erörtert wird, also nicht im Hinblick auf ein bestimmtes abgrenzbares Rechtssystem. Zu einer Rechtsquellenlehre passen deshalb nur solche Theorien, die die Geltung der Normen gerade des Rechtssystems begründen, für das die Rechtsquellenlehre maßgeblich sein soll. Diesen Anforderungen genügen praktisch Kelsens Theorie der Grundnorm und Harts Anerkennungslehre.

Eine der Fragen, die die Rechtsquellenlehre umtreibt, ist die nach der Existenz transnationalen Rechts oder gar eines Weltrechts. Besonders in diesem Zusammenhang wird häufig die Rechtsgeltungstheorie Luhmanns herangezogen, stets affirmativ und oft als so selbstverständlich, dass nicht einmal auf ihre Quelle verwiesen wird.

»Was wir hier beobachten, ist ein sich selbst reproduzierender Rechtsdiskurs globalen Ausmaßes, der seine Grenzen durch Benutzung des binären Codes Recht/Unrecht schließt und sich selbst durch Prozessieren eines Symbols globaler (nicht: nationaler) Geltung reproduziert.« [3]Gunther Teubner, Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, Rechtshistorisches Journal 15, 1996, 255-290, Hier zitiert nach der Internetfassung … Continue reading.

Bei Fischer-Lescano/Teubner, Regimekollisionen, 2006, 42 ist zu lesen:

»Ein einheitliches Weltrecht reproduziert sich durch die Autopoiese von Rechtsoperationen, die … letztlich alle auf die binäre Codierung von Recht/Unrecht ausgerichtet sind. Nur gründet sich die Einheit des Weltrechts nicht mehr strukturell wie im Nationalstaat auf gerichtshierarchisch abgesicherter Konsistenz des Normgefüges, sondern bloß noch prozessual auf den Verknüpfungsmodus der Rechtsoperationen, über den auch ganz heterogene Rechtsordnungen verbindliche Rechtsgeltung transferieren.«

Und noch ein drittes Beispiel:

»Jenseits der nationalen Rechtsordnungen und des Völkerrechts ist eine neue transnationale Form des Rechts im Entstehen begriffen. … Dieses transnationale Recht ist jedoch intern fragmentiert, es entsteht im Kontext partikularer Regimes. Diese Regimes operieren zwar in einem einheitlichen Medium der Rechtsgeltung, sind aber auf der Ebene ihrer Rechtsanwendungsregeln voneinander unabhängig.« [4]Moritz Renner, Zwingendes Rechts, 2011, 293.

Ich habe nirgends eine ausführliche Darstellung und Würdigung von Luhmanns Geltungslehre gefunden. Deshalb will ich versuchen, sie mir selbst aus seinen Texten zu erschließen, und zwar vor allem unter dem Aspekt, ob diese Geltungslehre ein universelles Rechtssystem postuliert oder ob sie viele Rechtssysteme akzeptiert. Dabei ist von vornherein klar, dass Luhmanns Geltungstheorie eine soziologische Beobachtertheorie und keine juristische Reflexionstheorie bildet. Das betont Luhmann doppelt. [5]Das Recht der Gesellschaft = RdG, 1993, 98 und 523. Bei denen, die diese Theorie heranziehen ist das nicht immer so klar. Auch Luhmann selbst kann der Versuchung, aus der soziologischen Theorie Konsequenzen für die juristische Rechtsquellenlehre abzuleiten, nicht ganz widerstehen. [6]Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22, 1991, 273-286, S. 282. Darauf wird zurückzukommen sein.

Keine Frage auch: Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft in die großen Teilsysteme, von denen das Recht eines darstellt, wird bisher immer noch von der sektoriell-territorialen Differenzierung überlagert. 1971 hatte Luhmann darauf hingewiesen, es bestehe eine zunehmende Diskrepanz zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunikation, die längst zur Weltgesellschaft zusammengewachsen seien, und dem positiven Recht, das immer noch innerhalb territorialer Grenzen als nationales Recht in Geltung gesetzt werde. [7]Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57, 1971, 1-35. Die von Luhmann wiederholt betonte Einheit des Rechtssystems ist oder war die Einheit vieler nationaler Rechtssysteme. Wollten wir Luhmann folgen, so wäre die Suche nach einem universellen Weltrechtssystem müßig. Er meinte, das Rechtssystem habe sich im Hinblick auf die Erfordernisse des territorial begrenzten Nationalstaates in einem komplizierten Kopplungsverhältnis mit der Politik entwickelt, so dass schwer vorstellbar sei, wie es auf Weltebene eine Entsprechung finden könne. Die Summe seiner Rechtssoziologie, das »Recht der Gesellschaft« von 1993 endet mit der Prognose:

»Es kann daher durchaus sein, daß die gegenwärtige Prominenz des Rechtssystems und die Angewiesenheit der Gesellschaft selbst und der meisten ihrer Funktionssysteme auf ein Funktionieren des Rechtscodes nichts weiter ist als eine europäische Anomalie, die sich in der Evolution einer Weltgesellschaft abschwächen wird.«

Die Nach-Luhmann-Generation der Systemtheorie will diese Prognose nicht akzeptieren. Sie geht davon aus, dass die Weltgesellschaft ebenso wie bisher die Staaten auf das Funktionieren des Rechtscodes angewiesen sei und postuliert die laufende Schwächung der territorialen Rechtssysteme zugunsten eines transnationalen Rechtssystems. Für die Entstehung und Existenz dieses transnationalen Rechts spielt das »Symbol« oder »Medium« der Rechtsgeltung eine wichtige Rolle.
Die zentrale Textstelle, mit der Luhmann seine Geltungstheorie vorstellt, findet sich im »Recht der Gesellschaft« (RdG) 1993, S. 98:

»Ebenso wie andere Funktionssysteme verfügt auch das Rechtssystem über ein Symbol, das die Einheit des Systems im Wechsel seiner Operationen erzeugt. Im Unterschied zu Reflexionstheorien … handelt es sich bei einem solchen Symbol nicht um eine Beschreibung des Systems, sondern um eine operative Funktion. Das Symbol leistet also nicht eine Verknüpfung von Beobachtungen, sondern eine Verknüpfung von Operationen – obwohl natürlich alle Operationen im System beobachtet und beschrieben werden können und somit auch das Systemsymbol selbst. Die operative Symbolisierung setzt tiefer an als die Beobachtungen, sie ist für den Fortgang von Operation zu Operation, also für das Herstellen von rekursiven Bezügen und für das Finden von Anschlußoperationen unentbehrlich – was immer dann ein Beobachter daran zu unterscheiden und zu bezeichnen vermag. Den Begriff ›Symbol‹ wählen wir deshalb, weil es darum geht, in der Verschiedenheit der Operation die Einheit des Systems zu wahren und zu reproduzieren. Dies leistet im Rechtssystem das Symbol der Rechtsgeltung. … Ebenso wie Geld ist auch Geltung ein Symbol … ›Geltung‹ symbolisiert, … wie das Geld, nur die Akzeptanz der Kommunikation, also nur die Autopoiesis der Kommunikationen des Rechtssystems.«

Die Autopoiesis des Rechtssystems funktioniert dadurch, dass Rechtskommunikationen an Rechtskommunikationen (und nur an solche) anschließen. Rechtskommunikationen sind daran erkennbar, dass sie die Leitunterscheidung (den »Code«) von Recht und Unrecht verwenden. Schwierigkeiten bereitet (mir) zunächst die Frage, was genau es heißt, auf den Recht/Unrecht-Code zu abzustellen.

Von »Recht« zu reden genügt nicht, um sich im Rechtssystem zu bewegen. Verwende ich den Code, wenn ich ihn hier erwähne und problematisiere? Sicher nicht. Auch der Rechtshistoriker, der Rechtsentwicklungen beschreibt und deutet, hat seine Mitteilungen nicht nach Recht und Unrecht codiert.

»In der Umwelt des Rechts kann es zwar Sinnverweisungen auf das Recht geben – etwa Rechtsunterricht, Reportage über Gerichtsfälle in Zeitungen –, aber keine Operationen, die durch Zuordnung der Werte Recht bzw. Unrecht hat an der Reproduktion des Rechtssystems mitwirken.« [8]Die Codierung des Rechtssystems, Rechtstheorie 1986, 171-203, S. 178.

Recht hat eine normative Funktion, und deshalb gehört

»ins Rechtsystem selbst nur … eine Kommunikation, die eine Zuordnung der Werte ›Recht‹ und ›Unrecht‹ behauptet; denn nur eine solche Kommunikation sucht und behauptet eine rekurrente Vernetzung im Rechtssystem«. [9]RdG S. 67.

Zur Verwendung des Codes gehört also, dass der Kommunizierende eine Rechtsbehauptung aufstellt, wie trivial auch immer sie sei. Es kommt nicht darauf an, wer kommuniziert, also darauf, ob der Kommunizierende eine besondere Rolle im Rechtsystem – als Richter, Anwalt usw. – ausfüllt. Auch der Laie kann an der Rechtskommunikation teilnehmen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kommunizierende ein Recht für sich in Anspruch nimmt, ein Recht für andere geltend macht oder ganz abstrakt darüber redet, dass dieses oder jenes als Recht anzusehen sei. Es kommt weiter nicht darauf an, ob aktuell geltendes Recht behauptet (oder bestritten) wird oder ob die Änderung bestimmter Normen vorgeschlagen oder gar gefordert wird. [10]RdG S. 68 So gehört eine Gesetzesinitiative des Bundesrats ebenso zur Rechtskommunikation wie ein Leserbrief, der sie kritisiert. Luhmann lässt daran eigentlich keinen Zweifel. In dem Aufsatz »Die Codierung des Rechtssystems« von 1986 [11]Rechtstheorie 17, 1986, 171-203. unterscheidet er zwischen dem von ihm gemeinten Rechtssystem und Organisationssystemen des Rechts, nämlich solchen die »mit professioneller Sachkunde durch dafür eingerichtete Organisationen Recht erkenn[en] und Entscheidungen über Recht herbeiführ[en]«. Weiter ist zu lesen

»Nicht nur der organisatorisch-professionelle Komplex, sondern alle Kommunikationen, die auf den Rechtscode Bezug nehmen, sind Operationen des Rechtssystems – gleichgültig ob es sich um bindende Entscheidungen handelt, oder um ›private‹ Rechtsbehauptungen, um kautelarische Vorsorge für Rechtspositionen oder um Versuche, sich angesichts eines drohenden Rechtsstreites zu verständigen. Alle rechtlich codierten Kommunikationen ordnen sich eben durch die Zuordnung zu diesem Code dem Rechtssystem ein. Dies kann nur entweder geschehen oder nicht geschehen, es gibt keine Halbheiten oder Zwischenzustände.« [12]S. 178..

Das ist deutlich. In Fn. 9 spricht Luhmann von der für die Theorie autopoietischer Systeme fundamentalen »Alles-oder-Nichts Annahme«. Das Rechtssystem verträgt also auch Trivialkommunikation. Doch transportiert diese auch das Symbol der Rechtsgeltung? Zweifel kommen auf, wenn zu lesen ist:

»Wir verlagern das Problem deshalb auf die operative Ebene und sehen im Symbol der Rechtsgeltung nur den Vollzug des Übergangs von einem Rechtszustand in einen anderen, also nur die Einheit der Differenz eines vorher und nachher geltenden Rechtszustands.« [13]RdG S. 102

Passt das noch für alle Rechtskommunikationen? Die Zweifel werden verstärkt, wenn es in einem älteren Aufsatz Luhmanns heißt:

»daß Ereignisse nur dann die Qualität einer Elementareinheit des Rechtssystems erhalten können, wenn sie die Rechtslage ändern. … die Selbstreproduktion des Rechts vollzieht sich als Rechtsänderung, als Übertragung der Qualität normativer Geltung auf partiell neue Erwartungen. Das Recht befindet sich mithin in ständiger Bagatellvariation, und die bewährten Großfiguren wie Vertrag und Gesetz sind nur ausdifferenzierte Formen dieses Geschehens.« [14]Die Einheit des Rechtssystems, Rechtstheorie 14, 1983, 129-154, S. 136.

Bisher war ich davon ausgegangen, dass jede Rechtskommunikation in dem oben ausgeführten Sinne eine »Elementareinheit des Rechtssystems« bildet, und zwar auch die triviale Rechtskommunikation, also etwa der Leserbrief, der zu einer rechtspolitischen Frage Stellung nimmt, oder der Jammer meines Nachbarn, das Gericht, das ihn verurteilt habe, habe falsch entschieden. Wie könnte solche Trivialkommunikation das Symbol der Rechtsgeltung pflegen? Laien können dieses Symbol immerhin in Rechtsgeschäften weiterreichen. Sonst »zirkuliert« es wohl doch eher in der professionellen Rechtskommunikation oder gar im Organisationssystem »Recht«, denn

»bei Vermehrung unkoordinierter Normprojektionen [wird] der Punkt erreicht, an dem eine quasi naturwüchsige Reflexivität im normativen Erwarten normativen Erwartens keine Lösungen mehr liefert und ersetzt werden muß durch die Ausdifferenzierung eines organisierten Entscheidungssystems im Recht, das dann die Blicke auf sich zieht und ein Netzwerk von offiziell geltenden Normen entwickelt«. [15]RdG S. 162.

Daher entsteht als

»Bedingung einer universellen und verläßlich erwartbaren Codierung nach Recht/Unrecht, im Rechtssystem ein engerer Bereich des rechtlich verbindlichen Entscheidens – sei es zur Feststellung, sei es zu zur Änderung des Rechts. Hier handelt es sich um ein organisiertes Teilsystem, das heißt um ein System, das sich durch die Unterscheidung von Mitgliedern/Nichtmitgliedern ausdifferenziert und die Mitglieder in ihrer Mitgliedschaftsrolle verpflichtet, Entscheidungen zu produzieren, die sich nach den (innerhalb der Organisation änderbaren) Programmen des Systems, also nach den Rechtsnormen richten. Wir haben für dieses Entscheidungssystem des Rechtssystems nur Bezeichnungen für die dann wieder differenzierten Subsysteme, nämlich Gerichte und Parlamente …, aber keine Bezeichnung für die Einheit dieses Systems. Wir werden deshalb von einem organisierten Entscheidungssystem des Rechtssystems sprechen« [16]RdG S. 144f.

Das Entscheidungssystem ist also ein Teilsystem des Rechtssystems überhaupt und verfügt seinerseits über diverse Subsysteme. Luhmann nennt nur Gerichte und Parlamente. Aber man wird auch Verwaltungen, die Anwaltschaft und die Rechtswissenschaft als Subsysteme dieses Teilsystems einordnen dürfen. Wenn dem so ist, das heißt, wenn das Entscheidungssystem die Gestalt von einer oder mehreren Organisationen hat, dann gibt es so viele Entscheidungssysteme wie es Gerichtssysteme gibt, nämlich mindestens in jedem Staat eines, daneben weitere im übernationalen Raum und vielleicht auch innerhalb der Staaten.

Es bleibt auch nicht dabei, dass jede Rechtskommunikation zählt, wie trivial und laienhaft sie auch immer sei. Erforderlich ist vielmehr ein qualifiziertes Rechtshandeln.

»Die wichtigste theoretische Konsequenz ist: daß Ereignisse nur dann die Qualität einer Elementareinheit des Rechtssystems erhalten können, wenn sie die Rechtslage ändern. Der Grund der Einheitszuschreibung ist eben, daß man dadurch die Differenz von Kontinuität und Diskontinuität operationalisiert und daß man daraufhin im Normalfalle hinreichend leicht und hinreichend rasch feststellen kann, was sich durch ein bestimmtes Rechtshandeln geändert hat. … die Selbstreproduktion des Rechts vollzieht sich als Rechtsänderung, als Übertragung der Qualität normativer Geltung auf partiell neue Erwartungen. Das Recht befindet sich in beständiger Bagatellvariation, und die bewährten Großfiguren wie Vertrag oder Gesetz sind nur ausdifferenzierte Formen dieses Geschehens.« [17]Die Einheit des Rechtssystems, Rechtstheorie 14, 1983, 129-154, S. 135f.

Deutlicher noch ist RdG S. 107 f:

»Nicht jede Rechtskommunikation transportiert allerdings Geltung in diesem Sinne, zum Beispiel nicht das bloße Anmelden von Rechtsansprüchen. Es muß sich um rechtswirksame Entscheidungen handeln. Diese liegen aber nicht nur in den Entscheidungen des Gesetzgebers und der Gerichte, sondern in breitestem Umfang auch in der Gründung von Korporationen und in Verträgen, die in die Rechtslage eingreifen und sie ändern. Es genügen einseitig verbindliche Erklärungen (zum Beispiel Testamente), nicht aber bloße Fakten, die Rechtsfolgen auslösen – etwa der Tod eines Erblassers oder eine strafbare Handlung. Ähnlich wie im Wirtschaftssystem die Geldzahlung ist auch im Rechtssystem der Geltungstransfer nicht identisch mit der Gesamtheit der Systemoperationen; aber es handelt sich um diejenigen Operationen, die die Autopoiesis des Systems vollziehen und ohne die die Ausdifferenzierung eines operativ geschlossenen Rechtssystems nicht möglich wäre.«

Aus dem umfassenden Kommunikationssystem des Rechts wird damit ein »Rechtssystem im engeren Sinne« [18]Gralf-Peter Calliess, Systemtheorie: Luhmann/Teubner, in: Sonja Buckel u. a. (Hg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, 57-75, S. 62. herausgehoben. Von dem großen universellen Rechtssystem bleibt nicht viel übrig, und wir können an unserem Ausgangspunkt festhalten. Wenn wir in einer (als Reflexionstheorie des Rechts systemtheoretisch angeleiteten) Rechtstheorie von Rechtsgeltung reden, reden wir über Rechtsgeltung im Entscheidungssystem. Aufgabe der Rechtsquellenlehre ist es dann, das für ein bestimmtes Entscheidungssystem geltende Recht zusammenzustellen. Das bedeutet also, die Rechtsquellenlehre ist relativ zu dem jeweiligen Entscheidungs- bzw. Gerichtssystem. Von der »Gesamtheit der Systemoperationen« dürfen wir getrost die große Masse vergessen und uns auf die herkömmlich dem Recht zugeordneten Elemente konzentrieren.

Damit ist Luhmanns Geltungstheorie aber nicht erschöpft. Immerhin soll das zirkulierende Geltungssymbol, wie Luhmann andeutet [19]Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22, 1991, 273-286, S. 279., den Rechtsquellenbegriff ersetzen und deshalb verlangt dieser Eintrag nach Fortsetzung.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Z. B. Thomas Vesting, Rechtstheorie, 2007, Rn. 184.
2 Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008.
3 Gunther Teubner, Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, Rechtshistorisches Journal 15, 1996, 255-290, Hier zitiert nach der Internetfassung http://www.jura.uni-frankfurt.de/42828668/BUKOWINA_DT.pdf, dort S. 13.
4 Moritz Renner, Zwingendes Rechts, 2011, 293.
5 Das Recht der Gesellschaft = RdG, 1993, 98 und 523.
6 Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22, 1991, 273-286, S. 282.
7 Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57, 1971, 1-35.
8 Die Codierung des Rechtssystems, Rechtstheorie 1986, 171-203, S. 178.
9 RdG S. 67.
10 RdG S. 68
11 Rechtstheorie 17, 1986, 171-203.
12 S. 178.
13 RdG S. 102
14 Die Einheit des Rechtssystems, Rechtstheorie 14, 1983, 129-154, S. 136.
15 RdG S. 162.
16 RdG S. 144f.
17 Die Einheit des Rechtssystems, Rechtstheorie 14, 1983, 129-154, S. 135f.
18 Gralf-Peter Calliess, Systemtheorie: Luhmann/Teubner, in: Sonja Buckel u. a. (Hg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, 57-75, S. 62.
19 Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22, 1991, 273-286, S. 279.

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