Durch eine Pressemeldung der Universität Koblenz-Landau bin ich auf eine Veröffentlichung in dem amerikanischen Wissenschaftsmagazin SCIENCE [1]Bd. 332 vom 27. 5. 2011, S. 100-104 über »Differences Between Tight and Loose Cultures: A 33-Nation Study« aufmerksam geworden, die man als einen Beitrag zur Rechtssoziologie lesen kann. Von den 43 Autoren kommen zwei aus Deutschland (Klaus Boenke, Bremen; Manfred Schmitt (Koblenz-Landau).
Hier zunächst das Abstract:
With data from 33 nations, we illustrate the differences between cultures that are tight (have many strong norms and a low tolerance of deviant behavior) versus loose (have weak social norms and a high tolerance of deviant behavior). Tightness-looseness is part of a complex, loosely integrated multilevel system that comprises distal ecological and historical threats (e.g., high population density, resource scarcity, a history of territorial conflict, and disease and environmental threats), broad versus narrow socialization in societal institutions (e.g., autocracy, media regulations), the strength of everyday recurring situations, and micro-level psychological affordances (e.g., prevention self-guides, high regulatory strength, need for structure). This research advances knowledge that can foster cross-cultural understanding in a world of increasing global interdependence and has implications for modeling cultural change.
»Tight nations …have strong norms and a low tolerance of deviant behavior«, während »loose nations … have weak norms and a high tolerance of deviant behavior«. »Normstreng« und »locker« oder »rigide« vs. »tolerant« könnte das Gemeinte halbwegs treffen. »Permissiv« und »repressiv« passen wegen ihres negativen Beiklang nicht so gut.
Das Begriffspaar tightness/looseness knüpft an anthropologischen Untersuchungen an, die bei einfachen Stammesgesellschaften agrarischen Charakters mit hoher Bevölkerungsdichte strenge Kindererziehung beobachtet haben, während Jäger und Fischer ihre Kinder eher an der langen Leine hielten. Nun sollte geprüft werden, ob man auch moderne Gesellschaften auf einer Skala zwischen normstreng und tolerant einordnen kann. Dazu wurden 6823 Personen in 33 Nationen befragt, im Schnitt also etwas mehr als 200. Die Antworten wurden auf einem Tightness-Looseness-Score eingeordnet. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Normstrenge innerhalb einer Nation ziemlich einheitlich darstellt, während es zwischen den Nationen große Unterschiede gibt. Damit sehen sie Hypothese bestätigt. Am strengsten geht es in Pakistan (12,3) zu, gefolgt von Malaysia (11,8), Indien (11,0), Singapur (10,4) und Südkorea 10,0). Besonders locker ist es in ehemaligen Ostblockländern, so in der Ukraine (1,6), Estland (2,5) und Ungarn (2,9). Mit einer Drei vor dem Komma sind Israel, Brasilien, Griechenland, die Niederlande, Neuseeland und Venezuela dabei. Die alten Industrieländer liegen in der Mitte.
Man fragt ich natürlich, was denn dieser Tightness-Looseness Index taugt. Er wird aus Normdimensionen gewonnen, die nicht selbstverständlich zusammenlaufen. Da ist erstens die Dichte des Normbestandes, zweitens die Schärfe der Normen hinsichtlich der vorgeschriebenen Verhaltensweise, drittens die Strenge der vorgesehenen Sanktionen und viertens die Toleranz gegenüber Normverletzungen. Normen aller Lebensbereiche, ganz gleich ob sie persönliche Kommunikation, das Sexualverhalten oder den Straßenverkehr betreffen, werden über einen Kamm geschoren. Dennoch scheint das Ergebnis einigermaßen handfest zu sein.
In separaten Erläuterungen zu dem mit vier Seiten sehr kurzen Artikel (Supporting Online Material) wird die Anlage der Untersuchung erläutert und es werden die verwendeten Instrumente vorgestellt. Außerdem werden die Ergebnisse mit anderen Daten abgeglichen, so mit Experteneinschätzungen zu zur Rigidität der untersuchten Kulturen, zur Zahl der Linkshänder, die mit der rechten Hand schreiben, sowie mit Daten des World Value Survey und einer Reihe anderer Indices, darunter etwa Hofstedes Cultural Dimensions.
Anmerkungen
↑1 | Bd. 332 vom 27. 5. 2011, S. 100-104 |
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