Toilettengerechtigkeit 2.0 – Rechtssoziologie ins Klo gefallen

Im jüngsten Heft der Zeitschrift für Rechtssoziologie vertritt und begründet Ulrike Lembke die These, Unisex-Toiletten seien von Verfassungswegen geboten.[1] Zwei Stichworte hatte ich schon zuvor in die Debatte geworfen: Toilettengerechtigkeit und Biofeminismus, beide mit einer starken Prise Ironie. Nun wird es ernst, denn es gilt, gegen den inversen Biologismus der Geschlechterforschung Stellung zu beziehen.

Die Biologie unmittelbar tut wenig zur Sache. Auf die Diskussion, ob auch Frauen im Stehen pinkeln können[2], will ich mich nicht einlassen. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, könnte man sich doch ohne weiteres für entsprechend ausgestattete Unisex-Toiletten entscheiden, und mit einiger Sicherheit hätte man sich nach allenfalls 30 Jahren daran gewöhnt. Mich stört an dem Artikel etwa anderes, nämlich die Darstellung der »binären Geschlechternorm als Gesamtkunstwerk«, das sich aus folgenden Annahmen zusammensetzt:

»Danach ist die Einteilung der Menschheit in zwei (und nur zwei) Gruppen möglich, die auf Grund angeborener und grundsätzlich unveränderlicher Geschlechtsmerkmale klar biologisch-leiblich zu unterscheiden sind. Ferner soll dem binären anatomischen Geschlecht eine binäre soziale Geschlechtsidentität mit geschlechtsspezifischen Eigen­schaften und Verhaltensweisen entsprechen und beide Geschlechterdimensionen (biologisch und sozial) in einer Person stets kongruent sein, während sich zugleich die anatomischen wie sozialen Geschlechtsausprägungen von zwei verschiedengeschlechtlichen Personen wunderbar ergänzen, weshalb auch heterosexuelles Begehren und verschiedengeschlechtliche Paare den Normalfall darstellen. Auf Grund dieser engen Verknüpfung von Geschlecht und sexuellem Begehren wird auch von Heteronormativität gesprochen.«

Dieser Ausgangspunkt ist ein Popanz, auf den man dann genüsslich dreinschlagen kann. Erstaunlich, dass Lembke als ausgewiesene Feministin an dieser Stelle auf die Unterscheidung zwischen Sex und Gender, zwischen biologischem und sozial-kulturellem Geschlecht verzichtet. So kommt es, dass sie auch nicht zwischen (biologischer) Normalität, Normativität und Normalismus unterscheidet. Normal bedeutet, dass Abweichungen vorkommen. Zwischen Normalität und Normativität steht die normative Kraft des Faktischen.[3] Normalismus ist eine soziale Norm, die das psychische Phänomen der normativen Kraft des Faktischen zur sozialen Norm macht.[4] Werden die Begriffe nicht auseinandergehalten, so unterlaufen enthymematische Fehl­schlüsse.

Wenn es dann heißt, keine der vorgenannten Annahmen sei wissenschaftlich haltbar, so ist das ein Selbstläufer, nachdem zuvor »binär« als reiner Dualismus eingeführt worden war. Anschließend (S. 213) kommt das biologische Geschlecht doch noch zu seinem (Un-)Recht. Die unbestrittene Tatsache, dass die Binarität der Geschlechter kein mathematisches Gesetz ist, das ausnahmslos gilt, sondern nur der biologische Normalfall, der allerhand Abweichungen kennt, muss dafür herhalten, dass es keinen Normalfall gibt. Da haben wir den Fehlschluss in Gestalt einer Inversion des biologischen Arguments, dem Lembke sonst –mit gutem Grund – skeptisch begegnet.

Dieses Argument stammt aus der Allianz des Feminismus mit der Queer-Bewegung, einer Allianz, die auf den ersten Blick höchst unwahrscheinlich wirkt. Die Queers [5] als Minderheit haben mit dem gesellschaftlichen Normativismus wirklich ein Problem. Die große Mehrzahl der Frauen dagegen lebt gut und gerne mit der Heterosexualität. Dass die Queers große Anstrengung darauf verwenden, ihre Diskriminierung durch die Aufhebung der Geschlechterdifferenz auszuräumen, und sei es auch durch kühne Neuinterpretationen der Biologie[6], ist deshalb verständlich. Ob dieser Ansatz erfolgversprechend ist, darf bezweifelt werden. Die Queers sind und bleiben eine Minderheit, und gerade deshalb ist ein permanenter Kampf gegen ihre Diskriminierung angesagt. Zu Recht stellt Lembke deshalb die Reihe der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts heraus, mit denen jedenfalls die rechtlichen Diskriminierungen nach und nach abgebaut worden sind. Ob den Queers aber Unisex-Toiletten weiter helfen würden, ist nicht eigentlich Lembkes Problem. Sie fordert Unisex-Toiletten für alle, und zwar nicht im Interesse der Queers, sondern im Interesse der Frauen.

Die »bipolare Heteronorm« diskriminiert nämlich nicht nur die Minderheit der Queers, sondern auch die Heterofrauen. Das folgt daraus, dass in der Heterosexualität die hegemoniale Männlichkeit verfestigt ist. Dieses Dogma des Feminismus wird heute nicht mehr weiter begründet. Es genügt, sich dazu auf eine Autorität zu berufen, sei sie nun Butler oder Bourdieu. Man kann immer wieder nur über die Kritiklosigkeit staunen, mit der die Beobachtungen Bourdieus in der vormodernen Gesellschaft der Kabylen in die nachmoderne Gesellschaft des heutigen Mitteleuropa transferiert werden. Aber ich mache mir keine Illusionen, dass meine Bourdieu-Kritik eine Feministin überzeugen könnte, wenn sie diese denn überhaupt zur Kenntnis nähme. Daher sei hier konzediert, dass der Feminismus weiterhin gegen eine hegemoniale Männlichkeit antreten muss. Eben das soll durch die Einführung von Unisex-Toiletten geschehen, denn Hetero-Toiletten befestigen die binäre Geschlechternorm, und eben die gilt es zu zerstören.

Richtig ist daran sicher, dass Hetero-Toiletten die normalistische Heteronorm bestätigen. Diese triviale Annahme wird von Lembke ausführlich begründet. Fehlt eigentlich nur noch der Begriff der Hexis. Damit gewinnt der Text den Anstrich wissenschaftlicher Elaboration, der den unkritischen Leser verleitet, auch Prämissen und Konsequenzen zu akzeptieren. Auch wenn der Begründungs­aufwand insoweit überflüssig erscheint, sei doch ein Baustein markiert, nämlich der Begriff der »vorreflexiven Praktiken, die sich in die Körper einschreiben« (S. 229). Die Idee, dass der Körper solche Praktiken auch mitbringen könnte, fällt nicht unter die Denkmöglichkeit der Geschlechterforschung.

Der diskriminierende Charakter von Hetero-Toiletten ist also letztlich sekundär. Primär diskriminierend ist die patriarchalisch hegemoniale binäre Geschlechternorm. Die gilt es zu schwächen und auszuräumen. Das ist die Lösung der Queer-Theorie. Vom Feminismus sollte man einen Versuch erwarten, die binäre Geschlechternorm so zu gestalten, dass sie für beide Geschlechter vorteilhaft wird. Das ist das Dilemma der Geschlechterforschung: Ihre Allianz mit der Queer-Theorie hindert sie, ein positives Frauenbild zu formulieren. Es ist viel von Geschlechtsidentität die Rede. Aber die Geschlechterforschung verweigert den Frauen eine eigene Identität. Nicht einmal auf dem Klo dürfen sie Frau sein.

Gewinner ist die Rechtssoziologie (S. 238):

»Für die rechtssoziologische Forschung sind ›Toilettenfragen‹ äußerst interessant und relevant.«

Nachtrag vom 13. 8. 2019: Zitat Katrin Bauerfeins (lt. WAZ von heute):

Ich bin für Unisex-Toiletten in ICEs und für Sex an der
Uni.

____________________________________________________________________

[1] Ulrike Lembke, Alltägliche Praktiken zur Herstellung von Geschlechts-Körpern oder: Warum Unisex-Toiletten von Verfassungs wegen geboten sind, ZfRSoz 38, 2019, 208-243.

[2] Lembke bei Fn. 17.

[3] Der Begriff stammt bekanntlich von Georg Jellinek. Dazu – aus heutiger Sicht zu grob – Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, 130f. Das ist zu grob, erstens weil dort noch die Unterscheidung zwischen dem psychischen Phänomen der Nachahmung und dem sozialen Phänomen des Normalismus fehlt. Zweitens: Mit dem Faktischen meinte Jellinek das soziale Faktum der Übung oder Gewohnheit. Im Zusammenhang mit dem Naturalisierungsargument muss man aber auch die normative Kraft funktionaler Adäquanz bedenken.

[4] Jügen Link, Normal/Normalität/Normalismus, in: Karlheinz Barck/u. a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, 2010, Bd. 7, S. 538-562.

[5] Auf dem Feld der Geschlechterforschung hat mehr oder weniger alles, was man sagt, Konnotationen, an Hand derer man von Insidern qualifiziert oder disqualifiziert wird. Das Problem beginnt schon mit der zusammenfassenden Benennung der Menschen, die von der heterosexuellen Norm abweichen. Zeitweise konnte man diese Gruppe als LGBT ansprechen. Heute soll es wohl LGBTQIA+ heißen. Lembke spricht von den »von solchen binär-geschlechtlichen Erwartungen abweichenden Personen und Lebensformen, also von Transgender-Personen, Inter*-Personen, bisexuell oder homosexuell begehrenden Menschen und gleichgeschlechtlichen Paaren«. Ich bevorzuge die Benennung als Queer. Dieser Ausdruck war ursprünglich abwertend gemeint. Aber er hat sich zu einem Titel entwickelt, den die Gemeinten stolz für sich in Anspruch nehmen (können).

[6] (Der von Lembke als Beleg zitierte) Heinz-Jürgen Voß nimmt für sich in Anspruch, in seiner bei Rüdiger Lautmann entstandenen Dissertation den soziologischen Nachweis geführt zu haben, dass die Geschlechterdifferenz kulturell produziert und daher auch änderbar ist, weil die Geschlechterbiologie insofern immer von Vorannahmen ausgegangen sei, dass Geschlecht tatsächlich aber immer erst im Laufe der Zellentwicklung festgelegt werde (Heinz-Jürgen Voß, Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive, 2010). Das letztere ist vermutlich richtig, ändert aber nichts daran, dass am Ende der Zellentwicklung im Normalfall eine Differenzierung in zwei Geschlechter steht; vgl. die prägnante Darstellung des Humangenetikers Eberhard Passarge, Wie viele Geschlechter gibt es?, FAZ vom 17. 4. 2019. Der verkappte Biologismus von Voß (und Lembke) wird deutlich, wenn man das Argument vergröbert: Die Geschlechterdifferenz ist irrelevant bzw. sozial konstruiert, denn es gibt Lebewesen, die sich ungeschlechtlich vermehren.


Ähnliche Themen