Banksy in Bochum?

Rechtzeitig zu Weihnachten habe ich an der Kassenberger Straße rätselhafte Graffiti entdeckt.

Solche Verkunstaltung wird in der Regel einem Phantom mit dem Namen Banksy zugeschrieben. Es soll seine Wurzeln in einer Stadt haben, die mit B wie Bochum beginnt. Was hat das mit Recht und Rechtstheorie zu tun? Das ist schnell erklärt. Ist die verbildete Sache beweglich, geht es um einen Fall des § 950 BGB. Handelt es sich um ein Grundstück, wird der Fall kompliziert. Dann taucht etwa die Frage auf, ob der Eigentümer, der einen anderen Kunstbegriff hat als der Sprayer, dessen Machwerk entfernen darf und dafür vielleicht sogar Schadensersatz verlangen kann.

Als Sprungbrett vom schnöden BGB zur hehren Rechtstheorie dient die Rechtsästhetik. In einem einschlägigen neuen Sammelband habe ich gerade den Beitrag der Mitherausgeberin Eva Schürmann gelesen.[1] Der empfiehlt uns Juristen, ästhetische Urteilskompetenzen zu erwerben, um die Darstellungen, denen sie in der Rechtpraxis begegnen, besser zu durchschauen. Schürmanns Beispiel ist der wunderbare Film 12 Angry Men von Sidney Lumet. An anderer Stelle hat Schürmann das Verfahren der »ästhetischen Exemplifikation« an weiteren Ikonen des Films und der Museumskunst vorgeführt.[2] Mir kommt jetzt die Erinnerung an die Zeit zurück, in der ich als junger Landgerichtsrat in Kiel für die Betreuung der Studenten während ihres Gerichtspraktikums zuständig war. Zum Pflichtprogramm gehörten Besuche in einem der damals funkelnagelneuen EDV-Zentren im Statistischen Landesamt, bei der Landesbrandkasse oder bei der Siemens-Tochter Hell AG. Auf die Idee, mit Studenten und Referendaren Filme anzusehen[3] oder ins Museum zu gehen, wäre ich nicht gekommen. Nun liegt die Idee in der Luft. Sie fügt sich gut in die Kompetenzforderungen der Bolognareformen.

Das ist sicher keine adäquate Einlassung auf Schürmanns Texte, sondern Ausdruck meines Ressentiments gegenüber der Reduzierung der Jurisprudenz auf Kompetenzen, aber auch gewisser Vorbehalte gegenüber der Ästhetik im Allgemeinen und mancher »Kunst« im Besonderen. Der Ästhetik fehlt aus – meiner Sicht – gegenüber der Kunst die analytische Distanz. Gegenüber der Kunst ist eine ähnliche Skepsis angebracht, wie sie dem Recht in der Kunst begegnet. Kunst tritt mit dem Anspruch auf, jenseits von Zweckrationalität, ökonomischen Imperativen und egoistischer Selbstverwirklichung zu agieren. Aber bis zum Ausgang des 19. Jahrhundert war sie durchgehend affirmativ, und heute wird sie vermarktet und konsumiert und produziert die »feinen Unterschiede« (Bourdieu), die grobe Unterschiede festigen und legitimieren. Ich warte darauf, dass die Ästhetik mir den Hype um die Schablonenkunst anonymer Graffiti-Sprayer erklärt.

Nachtrag: Geben wir der klammheimlichen Begeisterung für Graffiti einen Namen: Banksysmus. Der Banksysmus wird in Bochum offiziell. Die WAZ zitiert am 19. März 2021 das Grüne Ratsmitglied Sebastian Pewny

»Konzentrieren wir uns darauf, unsere Stadt nach vorn zu bringen, gerne mit attraktiven Graffiti, die unsere Region zum nächsten New York City machen.«


[1] Eva Schürmann, Darstellen als Problem der Gerechtigkeit, in: Eva Schürmann/Levno von Plato (Hg.), Rechtsästhetik in rechtsphilosophischer Absicht, 2020, S. 187-208.

[2] Eva Schürmann, Vorstellen und Darstellen. Szenen einer medienanthropologischen Theorie des Geistes, 2018. Ich habe nur die Einleitung gelesen, die heute bei GoogleBooks verfügbar war, und fand die Lektüre lohnend.

[3] Auf die Idee wäre ich auch später nicht gekommen, hätte mich nicht der Kollege Mike Nevins in St. Louis darauf gestoßen. Was daraus geworden ist, zeigt die stattliche Reihe an Veröffentlichungen von Michael Böhnke, Stefan Ulbrich und Stefan Machura.

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Die Verkunstaltung von Stadt und Land

In der vergangenen Woche war eine Schablonen-Sprühaktion eines vornamenlosen Streetartisten an der Londoner U-Bahn Thema. Da ging es wohl um Ratten.

Zwei Ratten aus dem Rijksmuseeum Amsterdam

Heute finde ich in der Morgenzeitung einen bebilderten Artikel über den Waldskulpturenweg zwischen Wittgenstein und Sauerland.

Krummstab von Heinrich Brummeck auf dem Waldskulpturenweg

Das und mehr wird als Kunst bewundert. Kunst ist sakrosankt wie Religion und Wissenschaft. Man darf diese drei nicht in Frage stellen, sondern nur nach immanenten Maßstäben kritisieren. Aber es gibt zu viel Kunst (und zu viel Wissenschaft). Ich würde eine Welt ohne ­Street­art und Landschaftskunst bevorzugen.


Bilder aus Wikipedia Commons:
Ratten: Rijksmuseum – http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.29714, CC0,
Krummstab (Heinrich Brummeck): Foto von Stefan Didam, Schmallenberg.

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Recht und Kunst und »Kitsch für Kluge Köpfe«

Der Jurisprudenz wird empfohlen, auf die dissidenten Stimmen von Literatur und Kunst zu lauschen. Das will freilich ohne einen gewissen Zynismus nicht gelingen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass die Printmedien, denen die Abonnenten fortlaufen und die Werbeeinnahmen wegbrechen, neue Einnahmequellen generieren. So halte ich es auch für legitim, dass die FAZ das Geltungsbedürfnis ihrer Leser über ein Angebot von ebenso überflüssigem wie überteuertem Chichi monetarisiert. Heute fand ich in der FAZ eine Beilage »Ausgesuchtes für Kluge Köpfe«, mit der für Skulpturen und Grafiken von Markus Lüpertz geworben wude, die Skulpturen zum Preis von 14.000 EUR, die dazu passenden Grafiken für 1.600 EUR. Über den Kunstbegriff kann man unendlich räsonnieren. Markus Lüpertz ist fraglos ein renommierter Künstler. Wer wollte bezweifeln, dass die Arbeiten des langjährigen Rektors der Düsseldorfer Kunstakademie eben als Kunst gelten müssen? Zu Lüpertz als Künstler – so meinte ich bisher – hätte Julia Voss in der FAZ vom 13. 10. 2009 bereits das Erforderliche gesagt. Mit der Aufnahme in die Selektion hat die FAZ Lüpertz nun definitiv in die Kitschecke gestellt, in die er gehört.

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Hörsaallyrik und Bahnhofsgraffiti

Kürzlich durfte ich in einem Hörsaal, in dem ich früher auf der anderen Seite stand, über zwei Stunden bilderlosen Vorträgen lauschen. Die unterbeschäftigen Augen hatten Muße, einige Zeilen zu entziffern, die in die Bank vor mir eingeritzt waren, die grauen Zellen, sie auswendig zu lernen:

Als ich dich traf, da war mir klar,
Du bist so wunder-, wunder — gut,
und meine Liebe ist akut,
jetzt und im Februar.

Der erste Kuss
war wie ein Schuss,
so sündig wie der Sündenfall,
der Wissenschaften letzter Knall,
Du bist mein Syndikus.

Stellt sich nur noch die Frage nach dem Urheberrecht. Darf ich diese Zeilen veröffentlichen? Wer könnte mich wie daran hindern?

Vor nunmehr schon einigen Jahren habe ich im Fußgängertunnel des Bahnhofs von Bochum-Dahlhausen einige Graffiti fotografiert in der Hoffnung, die Bilder irgendwann einmal einsetzen zu können.

An Ort und Stelle sind die Bilder längst verschwunden, und ich habe noch immer keine Verwendung dafür gefunden. Da will ich sie jedenfalls hier einmal vorzeigen. Dabei gibt es ein etwas ernsteres Urheberrechtsproblem. Ich kann den Urheber ja nicht einmal benennen. Vielleicht finde ich ihn auf diese Weise.

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