In eigener Sache IX: Wissenschaftsblogging wird domestiziert

Da möchte man auf seine alten Tage noch Pirat werden. Anfang März gab es in München eine Tagung über »Weblogs in den Geisteswissenschaften«, veranstaltet vom Deutschen Historischen Institut Paris und dem Institut für Kunstgeschichte der LMU. Juristen und Soziologen als Blogger hatte man da anscheinend nicht auf der Rechnung. Aber das ist jetzt nicht mein Punkt. Was ich über diese Tagung in Zeitung und Netz gelesen habe, läuft auf eine Selbstkastration der Bloggerei hinaus. Aus vier Richtungen werden die Blogger in die Enge getrieben, nämlich erstens werden sie in die Unselbstständigkeit geführt, zweitens wird ihnen Zensur angedroht, drittens werden sie gewarnt, herkömmlichen Veröffentlichungen keine Konkurrenz zu machen, und viertens werden sie von Rechts wegen zur Ordnung gerufen. »Die Schattenseiten dieser Kommunikationsform sind allerdings auch offensichtlich«, heißt es in einem Tagungsbericht [1]von Alexander Grau, FAZ vom 14. 3. 2012, S. N 4.. Man hat sich anscheinend kräftig bemüht, die Schmuddelkinder ans Licht zu zerren.
1) Der Solo-Blogger ist suspekt. Kaum noch einer wagt es, auf eigene Faust zu bloggen. Anständige Blogger suchen sich eine institutionelle Rückendeckung oder Unterschlupf in einem Blogportal. Mindestens aber schließt man sich zu einem Gemeinschaftsblog zusammen. Die Wissenschaftsblogging wird organisiert. Als Organisator schon länger bekannt ist Marc Scheloske [2]In eigener Sache I: Über Wissenschaftsblogs.. Nun soll ein neues geisteswissenschaftliches Blogportal mit dem griffigen Namen »de.hypotheses.org« (und einem verwirrenden Layout) Ordnung schaffen. Wenn es sich nur um ein Blogportal handelte, wäre die Sache noch erträglich. Aber – so liest man: »Dieses Portal enthält Beiträge, die von der wissenschaftlichen Redaktion aus den deutschsprachigen Wissenschaftsblogs von Hypotheses.org ausgewählt wurden.« Berücksichtigt werden vermutlich nur Blogs, die man selbst hostet. Schon die Aufnahme in das Blogportal ist von einer Aufnahmeprüfung abhängig. Lockmittel ist kostenloses Hosting und technischer Support, finanziert anscheinend vor allem von der Gerda-Henkel-Stiftung. Das ist Verrat an der Blogging-Idee. Ein Weblog ist eigentlich ein Tagebuch, und das schreibt man persönlich, und zwar als Einzelner und nicht als Institution. Es ist heute eine der wenigen Möglichkeiten, sich als Individuum ohne Rücksichtnahme auf Institutionen und etablierte Fachgemeinschaften in einer Weise zu artikulieren, die jedenfalls potentiell von Jedermann wahrgenommen werden kann.
2) »Neben der harmlosen Tatsache, dass unendlich viel Belangloses kommuniziert wird, ermöglichen Weblogs die Verbreitung von Meinungen oder Informationen, die, freundlich formuliert, eher exzentrisch oder eskapistisch daher herkommen.« [3]Grau a. a. O. Das ist natürlich unerhört, und deshalb – so wird Cornelius Puschmann aus Berlin zitiert – müssten die Wissenschaftsblogs »einer Qualitätskontrolle unterliegen, institutionell anerkannt und forschungspolitisch angeregt sein«. Die wichtigste Qualität scheint allerdings die Quote zu sein. Daher gibt es vor allem Ratschläge, wie man mit seinem Blog Akzeptanz findet. Wichtiger als eine Qualitätskontrolle scheint mir eine Code of Conduct für das Wissenschaftsblogging zu sein, wie ich ihn im Eintrag vom 20. März 2011 gefordert habe.
3) Blogs bilden die Schmutzkonkurrenz zu den etablierten wissenschaftlichen Veröffentlichungsformen, insbesondere zu den Zeitschriften. Deshalb wird den Wissenschaftsbloggern (von Marc Scheloske) nahe gelegt, keine ernsthaften wissenschaftlichen Texte einzustellen, sondern sich subjektiv und fragmentarisch zu äußern.
4) Ohne erkennbaren Zusammenhang mit der Münchener Tagung wollen Karl-Heinz Ladeur und Tobias Gostomzyk [4]Der Schutz von Persönlichkeitsrechten gegen Meinungsäußerungen in Blogs, NJW 2012, 710-715. Weblogs juristisch an die Kette legen. Sie haben zwar nicht gerade die Wissenschaftsblogs im Blick, aber auch diese werden von ihrem Vorschlag betroffen, dass Serviceprovider gehalten sein sollen, Speicherplatz nur zur Verfügung zu stellen, wenn die Bewerber sich für äußerungsrechtliche Konflikte einer Schiedsvereinbarung unterwerfen.
Was folgt aus alledem? Blogger, wählt die Piratenpartei!
Hier noch etwas ausführlicher die Links zu der Münchener Tagung und zu den dort gehaltenen Vorträgen, die zum Teil mit Podcasts und Vodcasts verbunden sind:
Programm und Ankündigung der Tagung »Weblogs in den Geisteswissenschaften«
Klaus Graf: Wissenschaftsbloggen in Archivalia & Co. Schriftliche Fassung des Beitrags
Eröffnungsvortrag von Mareike König.
Darin bezieht sich Frau König auf folgende Veröffentlichungen:
Anita Bader, Gerd Fritz und Thomas Gloning, Digitale Wissenschaftskommunikation 2010-2011: Eine Online Befragung, Justus-Liebig-Universität 2012, S. 12, 67, 71, 72
Klaus Graf, Mareike König: Entwicklungsfähige Blogosphäre – ein Blick auf deutschsprachige Geschichtsblogs, 2011
Alle Vorträge sollen online im iTunes-Canal der LMU frei zugänglich sein. Ich habe sie mir nicht angetan.
An Stelle einer Blogroll gibt es den Verweis auf einen »Katalog«, der immerhin 354 Blogs aus 16 Ländern, darunter fünf deutsche, verzeichnet. Ich habe keinen gefunden, der für meine Blogroll von Interesse sein könnte.
(Der Eintrag wurde am 28. März 2012 ergänzt.)
Nachtrag vom 5. April 2012: Nun gibt es bei HSozKult einen wirklich informativen Tagungsbericht von Christof Schöch.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 von Alexander Grau, FAZ vom 14. 3. 2012, S. N 4.
2 In eigener Sache I: Über Wissenschaftsblogs.
3 Grau a. a. O.
4 Der Schutz von Persönlichkeitsrechten gegen Meinungsäußerungen in Blogs, NJW 2012, 710-715.

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Neu: SOZBLOG– Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Seit Monatsbeginn hat nun auch die DGS ihr Blog. Willkommen in der Blogosphäre! Ein Buchstabe im Namen, gut drei Jahre und 180 Artikel Vorsprung sowie das Geschlecht machen den Unterschied zu RSOZBLOG. Bei der DGS ist das Ding männlich. Da hätte ich doch etwas mehr Gender-Mainstreaming erwartet.
Es gibt natürlich noch mehr Unterschiede zu RSOZBLOG. Vom Themenspektrum einmal abgesehen der wichtigste, dass SOZBLOG als sequentielles Gemeinschaftsblog angekündigt ist, das heißt, dass zwar nur ein Autor zur Zeit tätig ist, aber nach zwei Monaten abgelöst wird. Als Einzelkämpfer steht man da schon unter erheblichem (selbstproduzierten) Druck, jede Woche oder jedenfalls alle vierzehn Tage zu posten; und das Ergebnis mag oft kümmerlich sein. Aber es ist ja niemand gezwungen, meine Ergüsse zu lesen.
Ich habe schon oft daran gedacht, RSOZBLOG zu einem Gemeinschaftsblog umzugestalten. Aber bisher habe ich es nicht gewagt, jemanden einzuladen, und es hat sich auch niemand angeboten. Ein Wagnis schienen mir Einladungen nicht nur deshalb, weil ich mir damit einen Korb einhandeln könnte, sondern weil ich damit auch das Blog aus meiner etwas eigenwilligen Hand geben müsste.
Auf SOZBLOG schreibt im September und Oktober der Industrie- und Techniksoziologie G. Günter Voß von der TU Chemnitz. Voß hat Erfahrung mit einem eigenen Microblog auf Twitter. In seinem ersten Posting auf SOZBLOG holt er erst einmal nach, was ich hier sukzessive »In eigener Sache« notiert habe. Ich bin gespannt auf die nächsten Einträge und wünsche viel Erfolg. Als Vorschusslorbeer nehme ich SOZBLOG in meine Blogroll auf.
Zunächst aber habe ich mir natürlich die Webseite von Voß angesehen und daraus einigen Kollateralnutzen gezogen. Seine »subjektorientierte Soziologie« war mir bisher entgangen. Verwiesen wird dazu auf ein recht informatives Internetportal »Arbeit und Leben«. Wenn man dort sucht, findet man durchaus implizite Verbindungen zu rechtssoziologischen Themen. Was unter dem Stichwort »Arbeitskraftunternehmer« abgehandelt wird, betrifft teilweise die gleichen Entwicklungen, die man in Verwaltung und Justiz als New Public Management und Ökonomisierung [1]Meine letzten Arbeiten zum Thema Ökonomisierung der Justiz und richterliche Unabhängigkeit (2009) sowie Reform der Justiz durch Reform der Justizverwaltung (2010)., behandelt. Bei »Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit« geht es auch »um die rechtliche Entgrenzung von Arbeit und Beschäftigung«, die freilich ein bißchen einseitig mit dem Stichwort Deregulierung verkoppelt wird. Besonders interessant finde ich den Begriff des »arbeitenden Kunden«. Dabei geht es um die besonders durch die EDV erweiterten Formen der Selbstbedienung. Es liegt auf der Hand, dass hier die klassischen Vertragsmodelle überprüft werden müssen. Die Fortsetzung in den Dienstleistungsbereich bietet das Thema »Interaktive Arbeit«. Auch hier sind über die arbeitssoziologischen Aspekte hinaus rechtssoziologische Fragen naheliegend. Auf welchen Umwegen auch immer: Bloggen lohnt sich.

Anmerkungen

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In eigener Sache VI: Zitierregeln im Internet

Aus Anlass der für den 9. April in Berlin angekündigten Theorieblog-Tagung will ich hier meinen Kommentar zu den Überlegungen von Marc Scheloske »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert« wiederholen:
Scheloske hat mit einem Posting vom 4. 12. 2007 zur Frage, »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert«, eine interessante Diskussion eingeleitet. In der Frage, wie die Quellenangabe für ein Zitat zu fassen ist, bin ich jedoch entschieden anderer Meinung als Scheloske. Man muss immer im Sinn haben, dass es sich bei den Zitierregeln, soweit sie nicht im Urheberrecht festgeschrieben sind, um bloße Konventionen handelt, die in erster Linie unter dem Gesichtspunkt von Zweckmäßigkeit und Fairness stehen.
Bei der Gestaltung hat man deshalb erhebliche Freiheiten, solange man nicht gerade eine Qualifikationsarbeit schreibt, für die Bürokraten Zitierregeln festgelegt haben, oder bei einem Verlag publizieren will, der in seinen Veröffentlichungen Einheitlichkeit verlangt. Die von Scheloske vorgeschlagene Zitierregel ist überkorrekt und unzweckmäßig. Es hilft ihr wenig, dass sie sozusagen der herrschenden Meinung in den üblichen Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten entspricht. Wenn ich das Posting vom 4. 12. 2007 hier nach seinem Vorschlag zitieren wollte, müsste ich schreiben: »Scheloske, Marc (2007): Eine Wissenschaft für sich » Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert | Werkstattnotiz XLII. In: Wissenswerkstatt [Weblog], 4 Dez. 2007. Online-Publikation: http://www.wissenswerkstatt.net/2007/12/04/eine-wissenschaft-fuer-sich-wie-man-blogs-wissenschaftlich-korrekt-zitiert-werkstattnotiz-xlii/. Abrufdatum: 21. 10. 2008«.
Mir kommt diese Zitierweise beinahe wie eine Karikatur vor. Jedenfalls ist sie unzweckmäßig, und last not least verschenkt sie gerade die spezifische Chance des Web zur Gestaltung von Verweisen als Hyperlink. Der Vorschlag ist unzweckmäßig, weil das Ergebnis leseunfreundlich, schreibunfreundlich und platzraubend ist. Die Länge steht auch nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Quelltext. Allein deswegen dürfte mancher von vornherein auf einen Nachweis verzichten. Wie könnte man stattdessen verfahren? Es ist ein Gebot der Fairness, den Namen des Verfassers zu nennen. Ich selbst nenne in der Regel auch den ausgeschriebenen Vornamen. Alle weiteren Angaben stehen unter dem Erfordernis der Zweckmäßigkeit. Die Angabe des Titels ist nur sinnvoll, wenn er näheren Aufschluss über den Inhalt der Quelle gibt. Im Beispiel wird die Sache dadurch komplizierter, dass der Autor seine Überschrift blumig ausschmückt. »Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert« – das ist für sich genommen ein informativer Titel. Etwas anderes gilt für den ersten Teil »Eine Wissenschaft für sich«. Er soll wohl ironisch andeuten, dass die Zitierregeln kompliziert sind. Vielleicht kam es dem Autor auch auf den Sprachwitz an, der sich durch Gleichklang und Doppelsinn von »wissenschaftlich« und »Wissenschaft« einstellt. Für mich wäre dieser Zusatz Grund, gleich ganz auf die Angabe des Titels zu verzichten. Für überflüssig halte ich die Angabe »Werkstattnotiz XVII«. Ich sehe nicht, dass sie dem Leser helfen könnte. [1]Gemeint ist der Leser des zitierenden Textes. Im (zitierten) Blog ist ein solcher Titelzusatz, wie ich ihn ja auch für diesen Eintrag verwende, sinnvoll, weil er ein bißchen Kohärenz in das … Continue reading Die Entstehungszeit einer Quelle ist dagegen meistens relevant. Es genügt aber das Jahr. Das Datum ist nur notwendig, wenn es gerade darauf ankommt.
Ein neues Medium imitiert regelmäßig zunächst seine Vorgänger. Das ist zweckmäßig nicht zuletzt deshalb, weil es damit an deren Reputation anknüpfen kann. Deshalb leuchtet der Vorschlag ein, die übliche Zitierweise für Sammelwerke zu übernehmen, also zu schreiben »In: Wissenswerkstatt …«. Im zweiten Anlauf kommen mir dann aber Zweifel, ob der Blog-Name wirklich eine brauchbare bibliografische Angabe ist. Nicht selten sind diese Namen eher merkwürdig bis albern. Der Klammerzusatz (»Weblog«) ist andererseits wohl nur sinnvoll, wenn zuvor ein Name dasteht. Ich würde auch darauf verzichten, mindestens aber auf die Kennzeichnung als »Internetpublikation«. Man darf wohl annehmen, dass die Leser wissen, dass Weblogs im Internet veröffentlicht werden.
Der Knackpunkt ist die Angabe der URL. In einem Printmedium gilt diese Angabe als notwendig. [2]Obwohl sie dort wenig hilft, weil das Abtippen schwierig ist. In aller Regel genügt es, wenn man weiß, dass die Quelle im Netz zu finden ist. Dann lässt sie sich viel leichter gugeln. Im Web finde ich sie abwegig. Dafür gibt es den (verdeckten, aber als solchen erkennbaren) Hyperlink. Die Sache wird beinahe skurril, wenn im Permalink noch einmal der ganze Titel wiederholt wird. Damit kann man auch redlichen Autoren das Zitieren abgewöhnen. Zum Schluss noch das Abrufdatum: Auch das ist in meinen Augen nur überflüssiges Perfektionsstreben. Fraglos besteht bei Internetquellen das Problem, dass sie im Inhalt verändert werden oder verschwinden. Wenn die Quelle vom Anbieter aus dem Internet entfernt wird, dann ist sie weg. Da hilft kein Abrufdatum mehr. Und auch Änderungen kann man mit seiner Angabe in der Regel nicht erkennen.
Ich plädiere also für eine möglichst schlanke Zitierweise, die dem Autor Fairness angedeihen lässt und dem Leser nur die unbedingt notwendigen und wirklich hilfreichen Informationen bietet. Bei Internetpublikationen ist sie umso mehr angezeigt, als Fußnoten und angehängte Literaturverzeichnisse dem Medium eher fremd sind. Quellennachweise sollten daher unter Verwendung von Hyperlinks in den Text eingebaut werden, und zwar so, dass die Lesbarkeit des Textes darunter möglichst wenig leidet. Mein Zitiervorschlag für das das Posting, auf das sich diese meine Anmerkungen beziehen, ergibt sich implizit aus dem Eingangssatz. Mehr ist nicht notwendig.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Gemeint ist der Leser des zitierenden Textes. Im (zitierten) Blog ist ein solcher Titelzusatz, wie ich ihn ja auch für diesen Eintrag verwende, sinnvoll, weil er ein bißchen Kohärenz in das blogübliche Piecemeal Writing bringt.
2 Obwohl sie dort wenig hilft, weil das Abtippen schwierig ist. In aller Regel genügt es, wenn man weiß, dass die Quelle im Netz zu finden ist. Dann lässt sie sich viel leichter gugeln.

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In eigener Sache I: Über Wissenschaftsblogs

Weblogs sind ein Phänomen des Web 2.0. Gegenüber der ersten Generation der eher statischen Webseiten verfügen sie über zwei markante Eigenschaften.
1. Der Betreiber muss die Seite nicht mehr mühsam gestalten. Vielmehr stehen Content-Managementsysteme zur Verfügung, die ein fertiges Design anbieten und die das Eingeben von Inhalten (fast) so einfach machen wie die Textverarbeitung. Im Verein mit kostengünstigen Providern, die die notwendige Rechen- und Speicherkapazität auf ihren Servern günstig, teilweise sogar kostenlos, anbieten, sind Blogs zu einem Publikationsmedium für Jedermann geworden.
2. Der Betreiber eines Blogs kann die Eingabe von Inhalten durch alle Internetnutzer zulassen. Daraus ergibt sich die technische Möglichkeit der Interaktivität, die man vom Web 2.0 erwartet hat.
Weltweit gibt es über 100 Millionen Blog, von denen allerdings nur ein Teil aktiv ist. Darunter sind etwa 500.000 deutschsprachige Blogs. Davon sind vielleicht 200.000 aktiv. International ist das sehr wenig. In den Niederlanden soll es mehr Blogs geben als in Deutschland. [1]Dazu in Spiegel-Online: Warum Deutschland Blog-Hemmung hat. Vgl. auch »marcus« (Beckendahl), Die Deutsche Blogosphäre, 2009. Solche Zahlen sind aber höchst problematisch. [2]Dazu eine Anmerkung von Jan Schmidt, dem Pionier der deutschen Blogging-Forschung, der jetzt im Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg tätig ist. Schmidt verweist auf die … Continue reading
Man könnte erwarten, dass auch Wissenschaftler in großer Zahl zu Bloggern geworden wären, denn sie verfügen heute alle über die notwendige EDV-Kapazität und Kompetenz und sind notorisch publikationshungrig. Aber sie nutzen diese Chance kaum. Die Zahl der deutschen Wissenschaftsblogs dürfte in der Größenordnung von 2000 zu suchen sein.
Jurablogs (»Blawgs«) gibt es dagegen zu Hauf. Die Gründe liegen auch ohne viel Forschung auf der Hand. Die meisten Blogger sind Rechtsanwälte, die sich von dieser Art der Internetpräsenz Aufmerksamkeit und damit Mandanten erhoffen. Da Blogs als Marketing-Tool konkurrenzlos billig sind, kommt es kaum darauf an, ob sie ihren Zweck erfüllen.
Als Bloggingnovize hatte der Legal McLuhanite anfangs einigen Reflexionsbedarf. Beim Einstieg in das Thema halfen erfahrene Blogger. In der Wissenswerkstatt von Marc Scheloske fand sich eine ganze Serie von Postings über das Wissenschaftsblogging. Hilfreich war auch das Posting »Nische« von Christoph Bächtle, der selbst professionelle Dienste für die Wissenschafts-PR anbietet und dazu die Internetseite »Zeilenwechsel« mit integriertem Weblog betreibt. Beide konstatierten die jedenfalls in Deutschland sehr bescheidene Substanz an Wissenschaftsblogs. Sie wandten sich gegen das geringe Ansehen des Mediums, attestierten ihm große Möglichkeiten und sagten ihm eine erfolgreiche Zukunft voraus. Mit dem Wissenschafts-Café wollte Scheloske die deutschsprachigen Wissenschaftsblogs vernetzen. Die Sammlung sollte alles erfassen, was »irgendwie« Wissenschaft im Munde führt. Bächtle meinte, in die Nische der Wissenschaftsblogs drängten immer mehr publikationswillige Menschen, die sich für Wissenschaftsthemen begeistern könnten. Aber daraus ist nicht viel geworden. Wissenschaftsblogs bewegen sich in Deutschland noch immer unter der Wahrnehmungsschwelle. Man muss sie nicht lesen, um am Wissenschaftsdiskurs teilzunehmen. Bei einem Schnelldurchlauf durch die Szene habe ich keine neuen Kandidaten für meine Blogroll gefunden.
Dennoch hat sich seit meinen Anfängen als Blogger etwas geändert. Das Blogging ist ein ganzes Stück aus der Schmuddelecke, in die man es bis dahin gestellt hatte [3]Hier einige Epitheta, mit denen es zuvor bedacht wurde (nach einer Zusammenstellung von Scheloske): Seichtes Alltagsgewäsch, eitle Selbstdarstellung, Tummelplatz anonymer Heckenschützen, Ort der … Continue reading, herausgekommen. Die FAZ hatte vor etwa zwei Jahren auch im redaktionellen Teil die Blogosphäre entdeckt, den Blogger Hendrik Wieduwilt engagiert und auf einen Schlag gleich zehn verlagseigene Blogs eingerichtet. Der C. H. Beck Verlag hat 2008 mit Ralf Zosel einen Mann aus dem Juristischen Internetprojekt in Saarbrücken eingestellt, der sich mit Jurawiki, als Autor des Blogs Lawgical und mit der Implementation eines juristischen Szenarios in Second Life einen Namen gemacht hatte. [4]Dazu mein Bericht von der Münchener Rechtsvisualisierungstagung 2008. Inzwischen betreibt der Verlag die blühende Beck-Community.
Im Übrigen haben die klassischen Verlage das Wissenschaftsblogging usurpiert. Den Anfang machte, wohl mit Unterstützung des Burda-Verlages, der Blog Iconic Turn. Es folgten Scilogs von Springer/Spektrum der Wissenschaft und Scienceblog von der Seed Media Group [5]Die war mir bisher unbekannt. Wer oder was dahinter steckt und wie sich das Unternehmen finanziert, habe ich so schnell nicht ermitteln können. Die Firma unterhält neben Scienceblog noch ein … Continue reading. Scilog ist ein Portal, das fast 70 Blogs in vier Themengruppen versammelt. Bei Scienceblog sind es, wenn ich richtig gezählt habe, 35 Themenblogs. Academics wird anscheinend von der Wochenzeitung »Die Zeit« getragen und befasst sich vor allem mit Karrierefragen. Aber auch diese Profiblogs blühen eher im Verborgenen. Iconic Turn welkte 2010 mit ganzen zwei Postings dahin, eines davon war die Vorstellung eines neuen, von Burda selbst herausgegebenen Buches. Scheloske ist anscheinend als Redakteur zu Scienceblog gewechselt und hat seine eigene Wissenswerkstatt eingestellt. [6]Letztes Posting im Juli 2010. Ohnehin war die Seite durch allerhand Designmätzchen unlesbar geworden. Ich habe sie aus meiner Blogroll gestrichen. Das Wissenschafts-Café beschränkt sich inzwischen fast ganz auf ein monatliches Blog-Ranking. Delikaterweise erscheinen da vor allem Blogs aus dem Scienceblog-Portal. Auch Scilog betreibt ein Blog-Ranking (und verwendet merkwürdigerweise dasselbe Kaffeebohnenbild »Wissenschaftsblogs Auslese 10« wie Wissenschafts-Café).
Heute nur noch zu einigen Äußerlichkeiten: Das Design vieler Blogs finde ich leseunfreundlich. Das liegt vor allem daran, dass der Bildschirm mit Information überladen wird. Ich hatte gelernt, ein Unterschied des Internet zur herkömmlichen Publikation bestehe darin, dass Inhalte in kleinere Einheiten heruntergebrochen werden, so dass sie auf dem Monitor Platz finden. Doch nur selten findet man auf dem Monitor einen einheitlichen Textblock. Stattdessen wird die Oberfläche vielfach zerstückelt. Eine obere Bildschirmleiste ist unverzichtbar und stört auch nicht. Meistens wird heute ein dreispaltiges Layout verwendet. Auch das ist bis zu einem gewissen Grade noch funktional, denn bei dem Querformat des Bildschirms wären durchgehende Zeilen über die ganze Breite schwerer zu lesen als ein schmalerer Textblock. Aber viele Blogger begnügen sich nicht mit einem sauberen, aus Lesbarkeit getrimmten Textblock, sondern schwelgen in Layout-Mätzchen, die jedenfalls mich als Leser nur abstoßen. Bei einem mehrspaltigen Layout ist es durchaus sinnvoll, die Sidebars auf der einen Seite für eine Übersicht über das Blog selbst (Suchfunktion, Überschriften der jüngsten Beiträge, verwendete Kategorien und »Archiv«) und auf der anderen Seite für Blogroll und Linkliste zu nutzen. Vielfach werden die Sidebars aber so vollgestopft, dass es Überwindung kostet, darin zu suchen. Eine Blogroll und die Linkliste sollten zehn Einträge nicht überschreiten. Ganz schlimm wird es, wenn Anzeigen hinzukommen. Beispiel für ein gelungenes Design ist für mich der schon erwähnte Zeilenwechsel von Bächtle. Aber dahinter steckt ein Kommunikationsprofi. (Fortsetzung folgt.)

Nachtrag vom 23. 2. 2021: Über Wissenschaftsblogs jetzt noch einmal ausführlich mein Beitrag für Barblog Über das (rechtssoziologische) Wissenschaftsblogging.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Dazu in Spiegel-Online: Warum Deutschland Blog-Hemmung hat. Vgl. auch »marcus« (Beckendahl), Die Deutsche Blogosphäre, 2009.
2 Dazu eine Anmerkung von Jan Schmidt, dem Pionier der deutschen Blogging-Forschung, der jetzt im Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg tätig ist. Schmidt verweist auf die ARD-Online-Studie 2010.
3 Hier einige Epitheta, mit denen es zuvor bedacht wurde (nach einer Zusammenstellung von Scheloske): Seichtes Alltagsgewäsch, eitle Selbstdarstellung, Tummelplatz anonymer Heckenschützen, Ort der verlorenen Beißhemmung, Bühne für das geistige Prekariat, Debattierclub von anonymen, Ahnungslosen und Denunzianten, Klowände des Internet.
4 Dazu mein Bericht von der Münchener Rechtsvisualisierungstagung 2008.
5 Die war mir bisher unbekannt. Wer oder was dahinter steckt und wie sich das Unternehmen finanziert, habe ich so schnell nicht ermitteln können. Die Firma unterhält neben Scienceblog noch ein zweites, ganz naturwissenschaftlich ausgerichtetes Blogportal www.researchblogging.org. Mit www.visualizing.org bietet sie ein Portal für die Visualisierung aller möglichen Themen an, was mich für »Recht anschaulich« interessieren sollte.
6 Letztes Posting im Juli 2010. Ohnehin war die Seite durch allerhand Designmätzchen unlesbar geworden. Ich habe sie aus meiner Blogroll gestrichen.

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