In eigener Sache V: Erst schreiben, dann forschen?

Der Wissenschaftsblogger steht in dem Ruf, erst zu schreiben und (wenn überhaupt) dann zu forschen.
The Medium is the Message. Blogtauglich zu schreiben heißt, kurz und subjektiv zu schreiben. Die technischen Medien sind gegenüber möglichen Inhalten nicht neutral. Weblogs sind als Tagebücher angetreten und begegnen deshalb der Erwartung, dass der Blogger etwas Persönliches von sich gibt. Auch wenn der Blog sich einem Sachthema widmet, entspricht der Blogger dieser Erwartung doch mindestens durch den Ich-Stil. Der war früher in der Wissenschaft eher verpönt. Doch die Sitten haben sich gewandelt, und das ist nicht bloß eine Stilfrage, sondern eine Folge des um sich greifenden Konstruktivismus. Wenn das Bemühen um Objektivität ohnehin vergeblich ist, warum soll man dann nicht gleich subjektiv schreiben? Der Historiker Peter Schöttler hat einen »Trend zur autobiographischen Redeweise« konstatiert. [1]In: Alf Lüdtke/Reiner Prass (Hg.), Gelehrtenleben, Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, 2008, S. 131-140. »Ich sag mal, also ist’s wichtig«, überschreibt Jürgen Kaube [2]FAZ vom 9. 9. 2008, S. 39. einen Artikel, indem er Schöttlers Beitrag referiert. Kaube sieht den Trend zum Autobiographischen in der Wissenschaft auch als »Zerfall der Vorstellung, die Gelehrten bildeten eine Profession«. Es fehle eigentlich nur noch, so meint er, dass der Leser geduzt würde. In der Blogosphäre ist es soweit.
Es ist schwer, sich den Möglichkeiten des Mediums und den Erwartungen seiner Adressaten zu entziehen. Ein Blogger übernimmt die Selbstverpflichtung, sein »Tagebuch«, wenn auch nicht täglich, so doch kontinuierlich mit Einträgen zu füttern, auch wenn er vielleicht gerade nichts zu sagen hat. Man darf das aber nicht bloß kritisch sehen. Der größere Teil der Blogosphäre dient von vornherein eher dem Selbstgespräch und hat insofern expressive Funktion. Der kleinere Teil erfüllt jedoch anscheinend ein Kommunikations- und Informationsbedürfnis, findet er doch Leser in nennenswerter Zahl.
Auf Dauer ist für die Reputation des Wissenschaftsblogging wohl ein Code of Conduct erforderlich. Er sollte u. a. folgende Fragen behandeln:
1. Nachträgliche Änderungen von Einträgen: Ein Eintrag lässt sich nachträglich verändern, ohne dass der Leser die Änderung erkennt. Bei offensichtlichen Unrichtigkeiten, insbesondere bei Schreibfehlern, ist das ohne weiteres in Ordnung. Größere inhaltliche Veränderungen sollten aber als Nachtrag gekennzeichnet werden.
2. Anonyme Kommentare müssen nicht zugelassen werden.
3. Verdeckte Eigenkommentare sollten verpönt sein.
4. Zitate und Nachweise: Bei Verweisen auf Quellen, die im Internet verfügbar sind, genügt statt schulmäßiger bibliographischer Angaben der Hyperlink. Es wirkt eher lächerlich, wenn man selbst solche Angaben als »Zitiervorschlag« anbietet, wie es in meinem Blog »Recht anschaulich« geschieht. Das hat dort – gegen meinen Willen – der Verleger eingeführt, der die Software pflegt.
Andere haben zum Thema Wissenschaftsblogging sicher mehr und Besseres zu sagen. Wahrscheinlich findet man etwas auf einem Workshop »Blogs in den Sozialwissenschaften – Stand und Perspektiven«, der am 9. April 2011 in Berlin stattfinden soll. Eingeladen hat das Team vom Theorieblog. Kontakt über Thorsten Thiel, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Exzellenzcluster »Herausbildung Normativer Ordnungen«, Senckenberganlage 31, 60325 Frankfurt am Main, Mail thorsten.thiel[at]googlemail.com. Und hier das Programm:Theorieblogtagung_April2011-2.
Nachtrag vom 21. April 2011:
Einen »kollaborativen Bericht« vom Berliner Theorieblog-Workshop am 9. April 2011 findet man heute auf Theorieblog. So richtig Aufregendes habe ich da nicht gelesen. Meinen eigenen Blog finde ich unter den »drei Idealtypen von Wissenschaftsblogs – 1) Wissenschaftliches Feuilleton (à la Crooked Timber), 2) Dienstleistungsblog (à la Pea Soup), 3) ›bewusst persönlich gehaltenes‹ Tagebuch (à la The Philosophy Smoker)« nicht wieder. Meiner Position am nächsten kommt diejenige, die in dem Bericht Leonhard Dobusch (Governance Across Borders) zugeschrieben wird: Das Schaffen von/Hineinwirken in Öffentlichkeit nicht unbedingt ein notwendiges Ziel eines Wissenschaftsblogs. Wissenschaftsblogs können auch einfach dazu da sein, die eigenen Gedanken zu erproben und damit einem rein innerwissenschaftlichen Ziel folgen. Aber auch das »dissenting opinion« von Elmar Diederichs »Scientific or Research Blogging?« enthält einige Positionen, denen ich zustimmen kann.
Nachtrag vom 3. Mai 2011:
In den USA ist man in vieler Hinsicht schneller. Ein »Bloggership Symposium«, auf dem man sich über juristische Wissenschaftsblogs unterhielt, gab es schon vor fünf Jahren in Harvard. Fünfzehn einschlägige Manuskripte können bei SSRN heruntergeladen werden. Ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, sie durchzusehen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In: Alf Lüdtke/Reiner Prass (Hg.), Gelehrtenleben, Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, 2008, S. 131-140.
2 FAZ vom 9. 9. 2008, S. 39.

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In eigener Sache III: Weiter über Wissenschaftsblogs

Man unterscheidet zwischen Wissenschaftlerblogs und Wissenschaftsblogs. Wissenschaftlerblogs sind solche, in denen Wissenschaftler von ihren persönlichen Erfahrungen im Beruf berichten. Sie kommen der alten Idee des Weblog als persönliches Tagebuch am nächsten. Aber es ist wissenschaftlich doch nur begrenzt relevant, wenn wir etwa von einer Physikerin erfahren, welche Schwierigkeiten es bereitet, nach der frühen Rückkehr an den geliebten Arbeitsplatz weiterhin den Säugling zu stillen. Auch die größere Restmenge der Wissenschaftsblogs kreist thematisch eher um die Wissenschaft herum, als sich ins Zentrum zu begeben. Nicht wenige wenden sich an das allgemeine Publikum und bieten ihm Nachrichten aus der Wissenschaft und über die Wissenschaft. Andere haben sich darauf verlegt, wissenschaftliches Standardwissen, dass an sich keinen Neuigkeits- und damit Nachrichtenwert hat, für das Publikum aufzubereiten. Und dann gibt (oder gab) es noch die Prominentenblogs wie die von Becker und Posner, Dahrendorf und Etzioni.
Wissenschaftsblogs i. e. S. richten sich an die Fachgemeinschaft. Auch das geschieht mit unterschiedlichen Akzenten. Die meisten betätigen sich als Scanner, die aus verschiedenen Medien die neuesten Nachrichten aufsammeln oder auf neue einschlägige Publikationen hinweisen. Blogs, die versuchen, eigene Inhalte anzubieten, sind die Ausnahme. Wissenschaftliche Inhalte lassen sich heute kaum noch im Alleinbetrieb produzieren. Daher handelt es sich bei den wenigen produktiven Blogs fast ausnahmslos um Gemeinschaftsblogs. Anders als in den USA werden sie in Deutschland von Forschungsinstituten betrieben.
Von diesen und anderen Ausnahmen abgesehen ist die große Masse aller Weblogs von ziemlich trauriger Qualität. Nur wenige schaffen es, ansehnliche Inhalte zu präsentieren und einen relevanten Bekanntheitsgrad zu erreichen.
Nach wie vor hat das Internet das Odium des Selbstverlags. Viele Disziplinen sind dazu übergegangen, nur noch Beiträge als »wissenschaftlich« zu akzeptieren, die bestimmte Evaluationsverfahren durchlaufen haben. Für juristische Veröffentlichungen gilt immer noch der traditionelle Verlag als Qualitätsgarantie. Auch wenn man heute gegen einen entsprechenden Druckkostenzuschuss jedes Manuskript veröffentlichen kann, so bildet doch der Zuschuss als solcher immer noch eine Barriere, die eine gewisse Autoselektion zur Folge hat. Kurzum: Das Weblog wird, jedenfalls von der Wissenschaft im deutschsprachigen Raum bisher nicht als adäquates Publikationsmedium akzeptiert. Damit passt zusammen, dass die Universitätsrechenzentren, die den Wissenschaftlern Kapazitäten für ihre statischen Internetseiten zur Verfügung stellen, bisher in der Regel nicht in der Lage oder nicht bereit sind, Weblogs zu hosten. Soweit mir bekannt, wird nur an der FU Berlin das Bloggen der Mitarbeiter aktiv gefördert.

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In eigener Sache II: Veröffentlichungen 2010

Bevor ich mit der Reflexion über Wissenschaftsblogs fortfahre, will ich zu Jahresbeginn meine Veröffentlichungen aus dem Vorjahr anführen. Doch zunächst noch eine kleine Trouvaille. Im Eintrag vom 8. Januar 2010 hatte ich bedauert, keinen neuen Kandidaten für meine Blogroll gefunden zu haben. Gesucht hatte ich aber nur nach einschlägigen deutschsprachigen Wissenschaftsblogs. Nun bin ich in den USA auf »Balkinization« gestoßen. Der Blog wird betrieben von Jack M. Balkin – daher der im ersten Augenblick irritierende Name des Blogs – , einem Verfassungsrechtler an der Yale Law School, der dort einem Information Society Project vorsteht und sich in seinen Veröffentlichungen vielfach mit den rechtlichen Konsequenzen des digitalen Zeitalters befasst. Auch mit seinen weiteren Arbeiten ist Balkin für die Grundlagendisziplinen des Rechts interessant. Sein Blog »Balkinization« ist ein Gemeinschaftsblog, an dem mehrere Autoren mitschreiben, die aus Rechtssoziologie, Rechtstheorie und der Ökonomischen Analyse des Rechts bekannt sind, darunter Brian Tamanaha und Marc Tushnet. Und last not least: »Balkinization« verdrängt in meiner Blogroll das Beck-Blog vom ersten Platz. [1]Ja, und dann bin ich noch auf das Blog »Sternstunden der Soziologie« gestoßen. Es handelt sich anscheinend – ich finde auf der Seite nicht die üblichen Informationen über den Betreiber – um … Continue reading
Und nun meine Veröffentlichungen aus 2010:
Reform der Justiz durch Reform der Justizverwaltung,
in: Hoffmann-Riem, Wolfgang (Hg.): Offene Rechtswissenschaft. Ausgewählte Schriften von Wolfgang Hoffmann-Riem mit begleitenden Analysen. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 1279–1319.
Crossover Parsival,
in: Michelle Cottier/Josef Estermann/Michael Wrase (Hg.), Wie wirkt Recht?, Baden-Baden: Nomos, S. 91-100.
Die Macht der Symbole,
in: Michelle Cottier/Josef Estermann/Michael Wrase (Hg.), Wie wirkt Recht?, Baden-Baden: Nomos, S. 267-299.
(Juristisches) Wissen über Bilder vermitteln,
in: Ulrich Dausendschön-Gay/Christine Domke/Sören Ohlhus (Hg.), Wissen in (Inter-)Aktion, Verfahren der Wissensgenerierung in unterschiedlichen Praxisfeldern, Berlin: De Gruyter, S. 281-311.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Ja, und dann bin ich noch auf das Blog »Sternstunden der Soziologie« gestoßen. Es handelt sich anscheinend – ich finde auf der Seite nicht die üblichen Informationen über den Betreiber – um eine vom Campus-Verlag gestützte Seite zur Werbung für den von Neckel u. a. herausgegebenen (verdienstvollen) Reader gleichen Namens. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Ich betreibe ja selbst mein Blog »Recht anschaulich« als Begleitseite zum Buch auf der Webseite des Verlegers von Halem. Aber ein Blog ist das bisher nicht. Vielmehr werden nur die Reaktionen der Leser abgefragt. Und da gibt es tatsächlich einige.

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