Eine juristische Fachdidaktik ist nicht deshalb erforderlich, weil die juristische Ausbildung besonders schlecht ist, sondern weil sie vermutlich besser sein könnte.
Im Posting vom 21. Juli 2008 habe ich das Fehlen einer spezifischen Rechtsdidaktik beklagt. Damit will ich nicht sagen, dass der aktuelle juristische Hochschulunterricht besonders schlecht wäre. Ich höre nicht selten Studenten begeistert von einer juristischen Vorlesung berichten. In Bochum gab und gibt es eine ganze Reihe von »Hörsaalkanonen«, die ein großes Studentenpublikum fesseln können. In anderen Fakultäten wird es ähnlich sein. Die Fakultäten unternehmen auch erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Lehre. Überall gibt es Studiendekane oder Lehrbeauftragte. Spezielle Kurse zur Examensvorbereitung gehören fast überall zum Standard. Die Studiengebühren, die weitgehend zweckgebunden sind zur Verbesserung der Lehre, dürften die Situation weiter verbessern. Das Angebot an juristischer Studienliteratur ist dank der großen Studentenzahlen, die es für Verlage und Autoren lohnend machen, Lehr- und Lernbücher zu schreiben, sehr umfangreich und überwiegend von guter Qualität. Ich akzeptiere den Hinweis auf das bei Juristen so verbreitete Repetitorenwesen nicht als Argument gegen die Qualität der juristischen Ausbildung. Die Repetitoren haben nur deshalb Erfolg, weil das juristische Studium durch die Gestaltung des Staatexamens so kanonisiert ist (oder war?), dass man wissen kann, was man zum Examen zu wissen hat. Die Examenskandidaten sind nicht davon abhängig, dass sie in der Vorlesung eines bestimmten Dozenten gesessen oder seine Bücher gelesen haben. Die Unabhängigkeit des Examens von der Person einzelner Prüfer ist eine Errungenschaft, von der manche Fächer träumen. Es gibt wohl kein anderes Studium, das für den Staat so billig ist wie das juristische. Dafür müssen die Studenten an den Repetitor zahlen. Und dennoch: Es fehlt eine ausgearbeitete juristische Fachdidaktik.
Ohne den Anspruch, der Komplexität des Themas damit gerecht zu werden, will ich den ersten Beitrag um sieben Gesichtspunkte ergänzen:
1. Wenn ich eingangs festgestellt hatte, die Visualisierung sei zurzeit der einzige aktive Zugang zur Rechtsdidaktik, so übersehe ich natürlich nicht die enormen Aktivitäten auf dem Gebiet des E-Learning. Ich beobachte staunend, wie Bund und Länder den »virtuellen Hochschulraum« mit Millionenbeträgen fördern. Bislang ist das Ergebnis kläglich. Gerade in diesem Bereich fehlt eine juristische Fachdidaktik. Darauf hat Günter Reiner aufmerksam gemacht (Juristische Didaktik und E-Lernen: theoretische Konzeption und Anwendungsbeispiele, JurPC Web-Dok. 160/2007, Abs. 1 – 49 (http://www.jurpc.de/aufsatz/20070160.htm).
2. Fragen der Ausbildungsreform und der Fachdidaktik lassen sich nicht sauber trennen. Das Ziel der Juristenausbildung wird durch eine politische Entscheidung bestimmt, die freilich didaktisch informiert erfolgen sollte. Eine Fachdidaktik hat dieses Ziel umzusetzen. Dabei muss sie mit den wiederum politisch verantworteten institutionellen Zwängen der Ausbildung fertig werden. Sie kann umgekehrt auch Forderungen zur Regulierung, häufiger aber vermutlich zur Deregulierung der Juristenausbildung stellen.
3. Auch zwischen Hochschulpädagogik und Fachdidaktik gibt es keine scharfe Grenze. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Hochschuldidaktik[1] die Notwendigkeit oder gar Möglichkeit einer Fachdidaktik vernachlässigt, wenn nicht gar verneint. Universitäre Fachdidaktik muss die allgemeine Hochschulpädagogik inkorporieren. Eine Fachdidaktik des Rechts muss aber darüber hinaus auf viele Fragen eine Antwort geben, die sich für die Rechtswissenschaft in besonderer Weise stellen, darunter die Fragen nach der Vermittlung von Systemvorstellungen und juristischer Methode, nach der Verbindung von Theorie und Praxis, von Soft Skills mit juristischen Inhalten, nach Interdisziplinarität und natürlich die Dauerfrage nach der richtigen Beschränkung von Studieninhalten und Prüfungsstoff.
4. Vielleicht hat das Fehlen der Rechtsdidaktik im universitären Bereich etwas damit zu tun, dass es in Deutschland keine fächerübergreifende Hochschullehrervereinigung gibt. Es gibt die Zivilrechtslehrer, die Strafrechtslehrer und die Staatsrechtslehrer. Sie alle kümmern sich um ihre Fächer, aber nicht um gemeinsame, fachunabhängige Themen.
5. Viele Dozenten befassen sich mit pädagogischen Fragen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Es ist nicht einfach, die einschlägigen Arbeiten zu recherchieren, weil selten oder nie »Fachdidaktik des Rechts« oder »Rechtspädagogik« im Titel steht. Hier ein Beispiel: Bernhard Bergmans, Rechtsterminologieunterricht als Zugang zur Rechtsvergleichung. Das Beispiel des Deutschen, in französischer Sprache veröffentlicht in Revue de droit international comparé 1987, 89-110. Der Verf. hat mir das Manuskript der deutschen Übersetzung überlassen.
6. Die Fachhochschulebene hat sich bei den didaktischen Anstrengungen einen Vorsprung erarbeitet. Es hilft nicht weiter, sich dagegen abzusetzen, denn auch die Universität kommt nicht umhin, praktisch verwertbare Rechtskunde zu vermitteln. Will sie mehr leisten, nämlich die Wissenschaftlichkeit der universitären Rechtsausbildung sichern[2] oder gar wiederherstellen[3], so muss sie mindestens das Weniger bieten. Aber auch und gerade das »Mehr«, die Wissenschaftlichkeit, verlangt nach Didaktik.
7. Adressaten einer Rechtsdidaktik sind nicht nur Dozenten, sondern auch Studenten. Anleitungen zum Jurastudium für Studenten gibt es in größerer Zahl. Noch zahlreicher sind die Anleitungen zur Anfertigung von Klausuren und Hausarbeiten. Ich möchte heute auf ein Buch hinweisen, dass in akademischen Kreisen, wie ich finde, zu Unrecht keine Beachtung findet, nämlich das Buch »Lernprofi Jura« der Repetitoren Marco von Münchhausen und Ingo P. Poschel, München 2002.
[1] Einen Eindruck vermittelt die Internetseite des Hochschuldidaktik-Zentrums des Landes Baden-Württemberg, die auch ein Literaturverzeichnis bietet. Ich habe in den ausführlichen Programmen von 2004 bis 2008 vergeblich nach den Stichworten »Fachdidaktik«, »Rechtsdidaktik«, »Rechtswissenschaft« und »Jura« gesucht.
[2] Peter A. Windel, Zwischenbilanz zur Studienreform von 2003, in: Juristenausbildung mit Herz und Verstand. Festgabe für Heinrich Flege, 2008, 37-50, 39.
[3] Peter Gilles/Nikolaj Fischer, Juristenausbildung 2003, NJW 2003, 707-711, 711.